Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Was passiert, wenn man auf dem Motorrad stürzt, ohne dass ein anderes Auto einen berührt hat?
- Worum genau ging es in diesem Fall vor Gericht?
- Wie hat die erste Gerichtsinstanz entschieden und warum?
- Warum ging der Motorradfahrer in die nächste Instanz und was war sein Hauptargument?
- Wie hat das Berufungsgericht, das Hanseatische Oberlandesgericht, entschieden?
- Warum hatte die Berufung des Motorradfahrers aus Sicht des Gerichts keine Aussicht auf Erfolg?
- Hat das Gericht damit einem früheren Urteil zu berührungslosen Unfällen widersprochen?
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann liegt ein Berührungsloser Verkehrsunfall vor und welche besonderen Herausforderungen ergeben sich dabei für den Geschädigten?
- Unter welchen Umständen kann der sogenannte Anscheinsbeweis bei Verkehrsunfällen angewendet werden und wann nicht?
- Wie beeinflussen ungünstige Fahrbahnbedingungen (z.B. Nässe) die Haftungsfrage bei Verkehrsunfällen?
- Welche Rolle spielt die sogenannte „Betriebsgefahr“ eines Fahrzeugs bei der Haftung nach einem Unfall?
- Was kann ich tun, um nach einem Unfall ohne direkten Kontakt meine Ansprüche erfolgreich durchzusetzen?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 14 U 24/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg
- Datum: 05.02.2024
- Aktenzeichen: 14 U 24/23
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Verkehrsunfallrecht, Schadensersatzrecht, Zivilprozessrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein Motorradfahrer, der bei einem berührungslosen Unfall stürzte und Schadensersatz vom anderen beteiligten Fahrzeug forderte, gestützt auf einen Anscheinsbeweis.
- Beklagte: Die Fahrerin des beteiligten Kraftfahrzeugs und ihre Haftpflichtversicherung, die eine Beteiligung ihres Fahrzeugs am Unfall bestritten.
Worum ging es genau?
- Sachverhalt: Ein Motorradfahrer stürzte auf nasser Fahrbahn ohne Berührung mit einem vorausfahrenden Fahrzeug und klagte auf Schadensersatz, da er den Sturz auf das Fahrverhalten des anderen Fahrzeugs zurückführte.
Welche Rechtsfrage war entscheidend?
- Kernfrage: Kann bei einem berührungslosen Verkehrsunfall die Halterhaftung des unfallgegnerischen Fahrzeugs begründet werden, wenn kein direkter Berührungszusammenhang vorliegt und der Kausalzusammenhang („bei dem Betrieb“) nicht positiv bewiesen ist, insbesondere unter der Frage der Anwendbarkeit eines Anscheinsbeweises?
Wie hat das Gericht entschieden?
- Berufung zurückgewiesen: Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts wurde durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen.
- Kernaussagen der Begründung:
- Fehlender Nachweis des Ursachenzusammenhangs: Es konnte nicht bewiesen werden, dass der Betrieb des beklagten Fahrzeugs ursächlich für den Sturz des Klägers war.
- Bindung an Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz: Das Berufungsgericht war an die Feststellungen des Landgerichts gebunden, da keine Anhaltspunkte für deren Fehlerhaftigkeit vorlagen.
- Kein Anscheinsbeweis anwendbar: Ein Anscheinsbeweis konnte nicht angewendet werden, da der Sachverhalt (Sturz auf nasser Straße nach eigenem Abbiegevorgang) nicht die für einen solchen Beweis erforderliche Typizität aufwies.
- Folgen für den Kläger:
- Der Kläger muss die Kosten des Berufungsverfahrens tragen.
- Seine Schadensersatzklage blieb erfolglos.
Der Fall vor Gericht
Was passiert, wenn man auf dem Motorrad stürzt, ohne dass ein anderes Auto einen berührt hat?
Stellen Sie sich eine alltägliche Verkehrssituation vor: Sie sind mit Ihrem Motorrad auf einer regennassen Straße unterwegs. Vor Ihnen fährt ein Auto, das langsamer wird und ansetzt, in eine Seitenstraße abzubiegen. Sie bremsen, doch Ihr Motorrad rutscht auf dem nassen Asphalt weg und Sie stürzen. Es gab keine Berührung, keine Kollision mit dem Auto. Trotzdem sind Sie verletzt und Ihr Motorrad ist beschädigt. Wer ist nun verantwortlich? Trägt der Autofahrer eine Mitschuld, obwohl er Sie nicht einmal berührt hat? Genau mit dieser komplexen Frage musste sich das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg in einem kürzlich entschiedenen Fall beschäftigen.
Worum genau ging es in diesem Fall vor Gericht?

Ein Motorradfahrer stürzte auf einer nassen Fahrbahn. In unmittelbarer Nähe befand sich ein Auto, das von einer Frau, nennen wir sie Frau W., gefahren wurde. Eine direkte Berührung zwischen dem Motorrad und dem Auto gab es nicht. Der Motorradfahrer war der Ansicht, dass das Fahrmanöver von Frau W. – vermutlich ein Abbiegevorgang – ihn zu einer Bremsung gezwungen und dadurch seinen Sturz verursacht habe. Er forderte daher Schadensersatz.
Frau W. schilderte die Situation anders. Sie gab an, zwar bemerkt zu haben, dass hinter ihr ein Motorradfahrer wegrutschte. Sie habe ihn aber erst gesehen, als er bereits am Boden lag. Damit bestritt sie, dass ihr Fahrverhalten den Unfall ausgelöst hatte. Die Kernfrage für das Gericht war also: Hat der „Betrieb“ des Autos von Frau W. den Unfall verursacht, obwohl es zu keiner Kollision kam?
Wie hat die erste Gerichtsinstanz entschieden und warum?
Der Fall wurde zunächst vor dem Landgericht Hamburg verhandelt. Dieses Gericht wies die Klage des Motorradfahrers ab. Aber warum? Um das zu verstehen, müssen wir uns ein zentrales Gesetz im Verkehrsrecht anschauen: § 7 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG). Dieses Gesetz regelt die sogenannte Halterhaftung. Das bedeutet, dass der Halter eines Fahrzeugs – also die Person, auf die das Auto zugelassen ist – grundsätzlich für Schäden haftet, die „bei dem Betrieb“ seines Fahrzeugs entstehen. Das Besondere daran ist: Diese Haftung greift oft auch ohne eigenes Verschulden. Allein die Tatsache, dass man ein Fahrzeug betreibt, schafft eine potenzielle Gefahr, für die man einstehen muss.
Die entscheidende Formulierung ist hier „bei dem Betrieb“. Der Motorradfahrer musste dem Gericht beweisen, dass sein Sturz eine direkte Folge des Betriebs von Frau W.s Auto war. Das Landgericht hörte sowohl den Motorradfahrer als auch Frau W. an und kam zu dem Schluss: Es ist nicht bewiesen, dass das Auto von Frau W. oder ihr Fahrverhalten den Sturz verursacht hat. Die bloße Anwesenheit ihres Autos am Unfallort reichte dem Gericht nicht aus. Da der Beweis fehlte, wurde die Klage abgewiesen.
Warum ging der Motorradfahrer in die nächste Instanz und was war sein Hauptargument?
Der Motorradfahrer war mit diesem Urteil nicht einverstanden und legte Berufung ein. Das bedeutet, er beantragte, dass die nächsthöhere Instanz, in diesem Fall das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, das Urteil überprüft.
Sein entscheidendes Argument in der Berufung war der sogenannte Anscheinsbeweis. Was ist das? Ein Anscheinsbeweis ist eine Art Beweiserleichterung vor Gericht. Normalerweise muss derjenige, der einen Anspruch geltend macht (hier der Motorradfahrer), jeden einzelnen Fakt lückenlos beweisen. Bei einem Anscheinsbeweis hilft die allgemeine Lebenserfahrung. Wenn ein bestimmter Geschehensablauf nach aller Erfahrung typischerweise auf eine ganz bestimmte Ursache oder ein bestimmtes Verschulden hindeutet, dann kann das Gericht von dieser Ursache ausgehen, ohne dass sie im Detail bewiesen werden muss.
Ein klassisches Beispiel: Ein Auto fährt an einer roten Ampel in eine Kreuzung und es kommt zum Unfall. Die Lebenserfahrung sagt, dass der Fahrer, der bei Rot gefahren ist, typischerweise den Unfall verursacht hat. Der Motorradfahrer argumentierte hier ähnlich: Es sei ein typischer Ablauf, dass ein vorausfahrendes, abbiegendes Fahrzeug den nachfolgenden Verkehr zu einer Reaktion zwingt. Sein Sturz sei daher typischerweise durch das Manöver von Frau W. verursacht worden.
Wie hat das Berufungsgericht, das Hanseatische Oberlandesgericht, entschieden?
Das Oberlandesgericht teilte die Auffassung des Motorradfahrers nicht. Es wies seine Berufung durch einen einstimmigen Beschluss zurück. Ein solcher Beschluss nach § 522 der Zivilprozessordnung wird dann gefasst, wenn das Gericht die Berufung für „offensichtlich aussichtslos“ hält. Das Gericht war also der festen Überzeugung, dass der Motorradfahrer auch in einer weiteren Verhandlung keine Chance auf Erfolg gehabt hätte. Für den Motorradfahrer bedeutete dies, dass die Entscheidung des Landgerichts endgültig war und er die Kosten für beide Gerichtsverfahren tragen musste.
Warum hatte die Berufung des Motorradfahrers aus Sicht des Gerichts keine Aussicht auf Erfolg?
Die Richter des Oberlandesgerichts begründeten ihre Entscheidung sehr detailliert. Sie stützten sich dabei auf mehrere juristische Säulen.
Der fehlende Beweis für den Zusammenhang
Zuerst bestätigte das Gericht die Arbeit der Vorinstanz. Das Landgericht hatte nach der Anhörung beider Beteiligter festgestellt, dass es keine ausreichenden Beweise für einen Ursachenzusammenhang gibt. An diese Tatsachenfeststellung ist ein Berufungsgericht grundsätzlich gebunden. Es darf nur dann davon abweichen, wenn es konkrete Anhaltspunkte für Fehler gibt – die sah das Gericht hier aber nicht. Auch die Aussage von Frau W., sie habe den Sturz beim Abbiegen bemerkt, aber den Fahrer erst am Boden gesehen, beweist aus Sicht des Gerichts gerade nicht, dass ihr Abbiegen die Ursache war.
Warum half dem Motorradfahrer der „Anscheinsbeweis“ nicht?
Dies war der zentrale Punkt der Entscheidung. Das Gericht erklärte, warum der vom Motorradfahrer geforderte Anscheinsbeweis hier nicht anwendbar war. Die wichtigste Voraussetzung für einen Anscheinsbeweis ist ein typischer Geschehensablauf. Doch genau diese Typizität fehlte hier.
Warum? Der Sturz ereignete sich auf nasser Fahrbahn, während der Motorradfahrer sich selbst in einer Kurve oder direkt danach befand. In einer solchen Situation gibt es mehrere denkbare Ursachen für einen Sturz, die genauso wahrscheinlich sind wie eine Reaktion auf ein anderes Fahrzeug. Das Gericht führte aus, dass es keineswegs ausgeschlossen werden kann, dass der Sturz allein durch die nassen Straßenverhältnisse in Kombination mit dem eigenen Fahrmanöver des Motorradfahrers verursacht wurde.
Um es klarer zu machen, hier die Kernlogik des Gerichts in einfachen Punkten:
- Ein Anscheinsbeweis funktioniert nur, wenn ein Ereignis nach aller Erfahrung eine ganz typische Ursache hat.
- Ein Motorradsturz auf nasser Straße in einer Kurve ist aber nicht typisch nur durch ein anderes Fahrzeug verursacht.
- Genauso typisch ist ein Sturz durch Fahrfehler, unangepasste Geschwindigkeit auf nasser Fahrbahn oder schlichtes Wegrutschen ohne äußeren Anlass.
Da der Sachverhalt also nicht die nötige Typizität aufwies, konnte der Anscheinsbeweis dem Motorradfahrer nicht helfen, den fehlenden Beweis für die Unfallursache zu ersetzen.
Hat das Gericht damit einem früheren Urteil zu berührungslosen Unfällen widersprochen?
Der Motorradfahrer hatte in seiner Argumentation auf ein anderes, älteres Urteil desselben Gerichts verwiesen, in dem es ebenfalls um einen berührungslosen Unfall ging. Er hoffte, damit seine Position zu stärken. Das Gericht stellte jedoch klar, dass dieser Vergleich nicht passt.
In dem früheren Fall ging es um eine andere rechtliche Frage. Dort stand bereits fest, dass das Fahrmanöver des Autos den Unfall des anderen Verkehrsteilnehmers mitverursacht hatte. Die Frage war nur noch, ob den Autofahrer auch ein Verschulden traf. Der Anscheinsbeweis bezog sich also auf die Schuldfrage.
Im aktuellen Fall des Motorradfahrers war die Situation aber eine ganz andere. Hier ging es um die viel grundlegendere Frage: War der Betrieb des Autos von Frau W. überhaupt die Ursache für den Unfall? Die Frage nach einem möglichen Verschulden stellt sich rechtlich erst dann, wenn diese erste Hürde – der Nachweis des Ursachenzusammenhangs – genommen ist. Da der Motorradfahrer aber schon an dieser ersten Hürde scheiterte, war der Verweis auf das andere Urteil nicht hilfreich.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg verdeutlicht die hohen Beweisanforderungen bei berührungslosen Verkehrsunfällen und die Grenzen des Anscheinbeweises in mehrdeutigen Situationen.
- Ursachenzusammenhang bei berührungslosen Unfällen: Das Urteil bestätigt, dass auch ohne direkten Kontakt zwischen Fahrzeugen eine Haftung nach § 7 StVG möglich ist, jedoch nur wenn der Fahrzeugbetrieb nachweislich unfallursächlich war – die bloße räumliche Nähe zum Unfallgeschehen reicht nicht aus.
- Anscheinsbeweis erfordert typische Geschehensabläufe: Das Gericht stellte klar, dass ein Anscheinsbeweis nur bei eindeutig typischen Unfallverläufen greift – bei einem Motorradsturz auf nasser Fahrbahn sind jedoch mehrere gleichwahrscheinliche Ursachen denkbar, wodurch die erforderliche Typizität fehlt.
- Beweislast bleibt beim Geschädigten: Das Urteil unterstreicht, dass derjenige, der Schadensersatz fordert, den vollen Beweis für den Ursachenzusammenhang zwischen fremdem Fahrzeugbetrieb und eigenem Schaden erbringen muss, wenn Beweiserleichterungen nicht greifen.
Diese Entscheidung schärft das Bewusstsein dafür, dass bei berührungslosen Unfällen unter widrigen Witterungsbedingungen besonders strenge Maßstäbe an den Nachweis der Unfallverursachung angelegt werden.
Befinden Sie sich in einer ähnlichen Situation? Fragen Sie unsere Ersteinschätzung an.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann liegt ein Berührungsloser Verkehrsunfall vor und welche besonderen Herausforderungen ergeben sich dabei für den Geschädigten?
Ein berührungsloser Verkehrsunfall liegt vor, wenn es im Straßenverkehr zu einem Schaden kommt, ohne dass die beteiligten Fahrzeuge oder Personen direkten physikalischen Kontakt miteinander hatten. Trotz der fehlenden Berührung muss der Schaden ursächlich durch den Betrieb eines anderen Fahrzeugs oder das Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers entstanden sein. Entscheidend ist, dass das andere Fahrzeug durch sein Fahrverhalten eine Situation geschaffen hat, die den Schaden erst hervorgerufen hat.
Ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, ein Motorradfahrer fährt auf einer nassen Straße. Ein abbiegendes Auto schert plötzlich und unerwartet aus, wodurch der Motorradfahrer stark bremsen muss, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Dabei kommt der Motorradfahrer aufgrund der nassen Fahrbahn ins Rutschen und stürzt, obwohl es keinen Kontakt mit dem Auto gab. In diesem Fall handelt es sich um einen berührungslosen Verkehrsunfall, da das Verhalten des Autofahrers (das plötzliche Abbiegen) die Notbremsung des Motorradfahrers und den darauf folgenden Sturz verursacht hat.
Besondere Herausforderungen für den Geschädigten: Der Nachweis der Ursächlichkeit
Die größte Herausforderung für den Geschädigten bei einem berührungslosen Verkehrsunfall ist der Nachweis des Kausalzusammenhangs. Das bedeutet, der Geschädigte muss beweisen, dass der Schaden tatsächlich durch das Verhalten des anderen Fahrzeugs verursacht wurde. Es reicht nicht aus, dass das andere Fahrzeug einfach nur in der Nähe war; sein Betrieb oder Fahrverhalten muss die konkrete Gefahr geschaffen haben, die zum Unfall führte.
Dies ist besonders schwierig, da direkte Spuren wie Lackabrieb oder Verformungen, die bei einem Aufprall entstehen würden, fehlen. Der Geschädigte muss daher auf andere Beweismittel zurückgreifen:
- Zeugenaussagen: Wenn andere Personen den Vorfall beobachtet haben, sind ihre Aussagen sehr wichtig.
- Indizien: Dazu gehören beispielsweise die Endpositionen der Fahrzeuge, Bremsspuren, die eine Notbremsung belegen, oder Schäden am eigenen Fahrzeug, die typisch für einen Sturz oder ein Ausweichmanöver sind.
- Spuren am Unfallort: Auch Fotos des Unfallortes, der Fahrbahn und der Umgebung können Hinweise auf den Hergang geben.
Haftungsgrundlagen und praktische Auswirkungen
Die rechtliche Grundlage für die Haftung bei einem solchen Unfall ist oft § 7 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG), die sogenannte Halterhaftung. Dieser Paragraph besagt, dass der Halter eines Kraftfahrzeugs für Schäden haftet, die „beim Betrieb“ des Fahrzeugs entstehen. Der Begriff „Betrieb“ ist weit auszulegen und umfasst nicht nur die eigentliche Fahrt, sondern alle Vorgänge, die mit dem Fahrzeug und dem Verkehr zusammenhängen.
Für Sie bedeutet das, dass Sie als Geschädigter detailliert darlegen müssen, welches konkrete Verhalten des anderen Fahrers die Gefahr verursacht hat und warum Ihre Reaktion (z.B. die Notbremsung oder das Ausweichen) die allein mögliche oder verhältnismäßige Reaktion auf diese Gefahr war. Wenn der Motorradfahrer zum Beispiel auch ohne das Auto auf der nassen Straße gestürzt wäre, weil er zu schnell gefahren ist, wäre der Kausalzusammenhang zum abbiegenden Auto möglicherweise nicht gegeben. Die Beweisführung erfordert Präzision, um zu zeigen, dass der Unfall nicht „aus heiterem Himmel“ geschah, sondern eine Folge des anderen Fahrzeugbetriebs war. Die Tatsache, dass die Straße nass war, ist dabei ein Umstand, der das Unfallrisiko erhöhte, aber nicht zwangsläufig die Ursächlichkeit des anderen Fahrzeugs aufhebt. Der Fokus liegt immer darauf, ob der Unfall durch das Verhalten des anderen Fahrzeugs verursacht wurde.
Unter welchen Umständen kann der sogenannte Anscheinsbeweis bei Verkehrsunfällen angewendet werden und wann nicht?
Der Anscheinsbeweis ist ein wichtiges juristisches Werkzeug, das bei der Klärung von Verkehrsunfällen zum Einsatz kommen kann. Er hilft dabei, bestimmte Unfallursachen leichter festzustellen, wenn der Unfallhergang einem typischen Geschehensablauf entspricht.
Was ist der Anscheinsbeweis?
Stellen Sie sich vor, etwas passiert auf eine Weise, die in der Lebenserfahrung fast immer auf eine bestimmte Ursache hindeutet. Der Anscheinsbeweis bedeutet, dass das Gericht in solchen Fällen vorläufig davon ausgeht, dass diese typische Ursache auch wirklich zutrifft. Derjenige, der dafür verantwortlich ist, müsste dann beweisen, dass es in seinem speziellen Fall anders war. Es geht also um eine Beweiserleichterung auf Basis der allgemeinen Lebenserfahrung.
Wann wird der Anscheinsbeweis angewendet?
Der Anscheinsbeweis kommt zur Anwendung, wenn ein Unfall so abläuft, dass nach allgemeiner Erfahrung typischerweise nur eine bestimmte Unfallursache in Betracht kommt und keine anderen plausiblen Erklärungen für den Unfall vorliegen. Es muss ein Geschehensablauf vorliegen, der so typisch ist, dass er den Schluss auf ein Verschulden des Verursachers nahelegt.
Typische Anwendungsfälle sind zum Beispiel:
- Auffahrunfälle: Wenn ein Fahrzeug auf ein anderes auffährt, wird oft vermutet, dass der Auffahrende entweder zu schnell war oder nicht genügend Abstand gehalten hat.
- Unfälle beim Rückwärtsfahren: Stößt ein Fahrzeug beim Rückwärtsfahren mit einem anderen zusammen, spricht der Anscheinsbeweis in der Regel für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden.
- Unfälle beim Spurwechsel: Wenn ein Fahrzeug beim Wechsel der Fahrspur mit einem anderen kollidiert, deutet dies typischerweise auf ein Fehlverhalten des Spurwechselnden hin.
- Kollisionen beim Ausparken oder Öffnen einer Tür: Hier wird oft davon ausgegangen, dass derjenige, der ausparkt oder die Tür öffnet, nicht ausreichend aufgepasst hat.
In diesen Situationen müssen Sie als Unfallbeteiligter nicht im Detail beweisen, was genau der Unfallgegner falsch gemacht hat. Es reicht aus, den typischen Unfallhergang darzustellen. Der Unfallgegner müsste dann seinerseits beweisen, dass der Unfall doch anders zustande gekommen ist oder ihn keine Schuld trifft.
Wann wird der Anscheinsbeweis NICHT angewendet?
Der Anscheinsbeweis greift nicht, wenn der Unfallhergang nicht einem solchen typischen Muster entspricht oder mehrere plausible Unfallursachen denkbar sind. Das Prinzip der „typischen Geschehensabläufe“ ist entscheidend: Das Gericht geht nur dann von einer Ursache aus, wenn die Lebenserfahrung dies eindeutig nahelegt und keine anderen realistischen Erklärungen existieren.
Beispiele, in denen der Anscheinsbeweis oft nicht greift:
- Der geschilderte Motorradsturz auf nasser Fahrbahn: Wenn ein Motorradfahrer auf nasser Fahrbahn nach einer scharfen Bremsung stürzt, selbst wenn dies wegen eines abbiegenden Autos geschieht, kann nicht automatisch von einem alleinigen Verschulden des Autofahrers ausgegangen werden. Bei Nässe und starkem Bremsen ist ein Sturz auch ohne explizites Verschulden des anderen Verkehrsteilnehmers, etwa aufgrund eigener Fahrfehler, der Witterungsverhältnisse (z.B. rutschige Fahrbahn, Aquaplaning) oder einer unzureichenden Anpassung der Fahrweise an die Umstände, möglich. Hier gibt es zu viele alternative, plausible Unfallursachen, die den Sturz erklären könnten, als dass ein „typischer Geschehensablauf“ für das alleinige Verschulden des Autofahrers vorliegt. Es fehlen die Umstände, die den Schluss auf die alleinige Schuld einer Partei erlauben.
- Kollisionen im Begegnungsverkehr: Wenn zwei Fahrzeuge im Gegenverkehr kollidieren, ist oft nicht sofort klar, wer auf welcher Fahrbahnseite war oder wer die Schuld trägt.
- Unfälle mit unklaren Bremsspuren oder Zeugenaussagen: Wenn die Umstände unklar sind und verschiedene Unfallursachen gleich wahrscheinlich erscheinen.
- Unfälle unter besonderen Witterungsbedingungen (z.B. Glatteis, starker Nebel): Hier sind häufig unvorhersehbare Faktoren im Spiel, die es schwierig machen, eine typische Ursache festzulegen.
Was bedeutet das für Betroffene?
Für Sie als Unfallbeteiligten bedeutet das: Bei einem Unfall, der einem typischen Muster folgt (wie ein Auffahrunfall), ist Ihre Beweisführung erleichtert. Der Anscheinsbeweis verschiebt die Beweislast. Die Gegenpartei muss dann beweisen, dass die typische Ursache in ihrem Fall nicht zutrifft oder dass der Unfall auf andere Weise zustande kam.
Bei komplexeren Unfallgeschehen, wie dem Motorradsturz auf nasser Fahrbahn, wo der Anscheinsbeweis nicht greift, müssen Sie die Umstände, die zum Unfall führten und das Verschulden des Unfallgegners belegen. Das bedeutet, dass Sie selbst konkrete Beweise (z.B. Zeugenaussagen, Fotos, Unfallgutachten) vorlegen müssen, um den Hergang und die Verantwortlichkeit des anderen klar darzulegen.
Wie beeinflussen ungünstige Fahrbahnbedingungen (z.B. Nässe) die Haftungsfrage bei Verkehrsunfällen?
Ungünstige Fahrbahnbedingungen wie Nässe, Glätte, Schnee oder Laub spielen bei der Klärung der Haftung nach einem Verkehrsunfall eine große Rolle. Sie wirken sich auf zwei zentrale Aspekte aus: die sogenannte Betriebsgefahr eines Fahrzeugs und die angepasste Fahrweise des Fahrers.
Die erhöhte Betriebsgefahr bei Nässe
Jedes Kraftfahrzeug stellt im Straßenverkehr eine bestimmte „Betriebsgefahr“ dar. Das bedeutet, dass schon allein vom Betrieb eines Fahrzeugs eine gewisse Gefahr ausgeht, auch wenn niemand einen Fehler macht. Bei normalen Bedingungen ist diese Gefahr geringer, aber bei Nässe erhöht sie sich erheblich. Stellen Sie sich vor, der Bremsweg verlängert sich drastisch oder die Gefahr des Rutschens steigt. Diese höhere Betriebsgefahr kann dazu führen, dass der Halter eines Fahrzeugs auch dann für einen Teil des Schadens haftet, wenn sein Fahrer den Unfall nicht direkt verschuldet hat. Wenn Sie beispielsweise ein Fahrzeug führen, dessen Betriebsgefahr durch Nässe erhöht war, kann Ihnen ein Anteil am Unfall zugerechnet werden, selbst wenn ein anderer Verkehrsteilnehmer den Unfall größtenteils verursacht hat.
Die Pflicht zur angepassten Fahrweise (§ 3 StVO)
Gleichzeitig haben alle Verkehrsteilnehmer eine grundlegende Pflicht, ihre Fahrweise den jeweiligen Verhältnissen anzupassen. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO), insbesondere § 3 StVO, regeln diese sogenannte „Sorgfaltspflicht“. Bei Regen, Nebel oder auf nasser Fahrbahn bedeutet dies, dass Sie:
- Ihre Geschwindigkeit verringern müssen, um das Fahrzeug jederzeit beherrschen zu können.
- Einen größeren Sicherheitsabstand zu anderen Fahrzeugen halten müssen.
- Besonders vorsichtig beim Bremsen, Lenken und in Kurven sein müssen.
Missachten Sie diese Pflicht zur angepassten Fahrweise, handelt es sich um ein Fehlverhalten, das Ihnen bei der Haftungsverteilung angerechnet werden kann. Für Sie bedeutet das: Wenn ein Unfall passiert und Sie Ihre Fahrweise nicht den nassen Bedingungen angepasst haben, kann Ihnen ein Mitverschulden angelastet werden, selbst wenn der Unfall primär durch das Fehlverhalten eines anderen Fahrers ausgelöst wurde. Das liegt daran, dass Ihr unangemessenes Verhalten zum Unfall beigetragen hat.
Auswirkungen auf die Haftungsverteilung
Die Haftungsfrage bei Verkehrsunfällen wird oft im Rahmen einer Abwägung der beidseitigen Verursachungsbeiträge und des beidseitigen Verschuldens entschieden. Hierbei werden alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt, also auch die Fahrbahnbedingungen und die angepasste oder unangepasste Fahrweise der Beteiligten.
Wenn ein Motorradfahrer beispielsweise auf nasser Straße bremsen muss, weil ein Auto abbiegt, und er dabei stürzt, wird geprüft:
- Hat der abbiegende Autofahrer einen Fehler gemacht?
- War der Motorradfahrer auf die nassen Bedingungen eingestellt? War seine Geschwindigkeit oder sein Bremsverhalten den Umständen angemessen?
Selbst wenn der Autofahrer eine Mitschuld trägt, kann das Gericht einen Teil der Haftung dem Motorradfahrer zuschreiben, wenn dieser die nasse Fahrbahn nicht ausreichend berücksichtigt und seine Fahrweise nicht angepasst hat. Es wird schwieriger, die alleinige Verantwortung einem anderen Verkehrsteilnehmer zuzuweisen, da die ungünstigen Bedingungen oft eine erhöhte Vorsicht von allen Beteiligten verlangen.
Die praktischen Auswirkungen sind, dass die Anwesenheit von ungünstigen Fahrbahnbedingungen dazu führt, dass die Verantwortung für einen Unfall oft nicht klar einem einzelnen Beteiligten zugewiesen werden kann. Die Gerichte berücksichtigen, dass jeder Verkehrsteilnehmer unter solchen Umständen besondere Vorsicht walten lassen muss. Dies kann bedeuten, dass selbst der „Unfallgegner“, der vielleicht den ersten Fehler gemacht hat, nicht die gesamte Haftung trägt, weil der andere Beteiligte seinerseits nicht ausreichend vorsichtig war.
Welche Rolle spielt die sogenannte „Betriebsgefahr“ eines Fahrzeugs bei der Haftung nach einem Unfall?
Die sogenannte „Betriebsgefahr“ eines Fahrzeugs ist ein sehr wichtiger Begriff im deutschen Verkehrsrecht. Sie beschreibt die grundsätzliche, jedem Fahrzeug innewohnende Gefahr, die von seinem Betrieb ausgeht. Stellen Sie sich vor, jedes Auto, Motorrad oder Lkw birgt allein dadurch, dass es im Straßenverkehr bewegt wird, ein gewisses Unfallrisiko – selbst wenn der Fahrer oder die Fahrerin noch so vorsichtig ist. Dieses Risiko ist die Betriebsgefahr.
Was bedeutet Haftung aufgrund der Betriebsgefahr?
Für Sie als Fahrzeughalter bedeutet die Betriebsgefahr, dass Sie im Falle eines Unfalls grundsätzlich für Schäden haften können, die „bei dem Betrieb“ Ihres Fahrzeugs entstehen. Das Besondere daran ist: Diese Haftung kann auch dann entstehen, wenn Sie kein eigenes Verschulden am Unfall trifft. Man spricht hier von einer verschuldensunabhängigen Haftung oder auch von einer „Gefährdungshaftung„. Der Gesetzgeber (§ 7 Straßenverkehrsgesetz, StVG) hat dies so festgelegt, weil der Betrieb eines Fahrzeugs als potenziell gefährliche Tätigkeit angesehen wird.
Betriebsgefahr im Vergleich zum Verschulden
Es ist wichtig zu verstehen, wie sich die Betriebsgefahr von der Haftung aufgrund von Verschulden unterscheidet. Wenn Sie einen Unfall verursachen, weil Sie eine Verkehrsregel missachtet haben (z.B. zu schnell waren oder ein Stoppschild überfahren haben), dann haften Sie wegen Verschuldens. Hier geht es um Ihr persönliches Fehlverhalten. Die Betriebsgefahr hingegen ist eine Haftung, die allein durch das Vorhandensein und den Betrieb des Fahrzeugs entsteht, unabhängig davon, ob jemandem ein konkretes Fehlverhalten nachgewiesen werden kann.
Oft spielen aber beide Aspekte bei einem Unfall eine Rolle. Haben zum Beispiel zwei Fahrzeuge einen Unfall, wird zunächst geprüft, ob ein Fahrer ein schuldhaftes Verhalten gezeigt hat. Gleichzeitig wird aber auch die Betriebsgefahr beider beteiligter Fahrzeuge berücksichtigt. Der Anteil, den die Betriebsgefahr am Unfall hat, hängt davon ab, wie hoch die abstrakte Gefahr im konkreten Fall war – zum Beispiel, ob ein besonders schweres oder schnelles Fahrzeug beteiligt war oder die Wetterverhältnisse ungünstig waren.
Der Zusammenhang „bei dem Betrieb“
Damit die Betriebsgefahr überhaupt eine Rolle spielt, muss der Schaden „bei dem Betrieb“ des Fahrzeugs entstanden sein. Das bedeutet, es muss ein direkter Zusammenhang zwischen dem Schaden und dem Betrieb des Fahrzeugs bestehen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Motorradfahrer, der auf nasser Straße scharf bremsen muss, weil ein abbiegendes Auto die Vorfahrt nimmt. Der Motorradfahrer stürzt. Hier liegt zwar ein klares Verschulden des Autofahrers vor (Vorfahrtsverletzung). Aber die Betriebsgefahr des Motorrads (insbesondere das höhere Risiko bei Nässe zu stürzen, die spezifische Reaktion auf scharfes Bremsen) kann ebenfalls eine Rolle spielen, weil der Sturz „bei dem Betrieb“ des Motorrads unter den gegebenen Umständen (nasse Fahrbahn) passierte. Auch wenn der Motorradfahrer selbst keine Schuld am Bremsmanöver oder am Sturz hatte, trägt sein Fahrzeug aufgrund seiner Betriebsgefahr ein gewisses Risiko mit sich, welches sich in diesem Moment realisiert hat. Die Gerichte müssen dann abwägen, welche Rolle das Verschulden des einen und die Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge im jeweiligen Fall spielen, um die Haftung und die Aufteilung der Schäden festzulegen.
Was kann ich tun, um nach einem Unfall ohne direkten Kontakt meine Ansprüche erfolgreich durchzusetzen?
Nach einem Unfall ohne direkten Kontakt, bei dem beispielsweise ein anderes Fahrzeug eine gefährliche Situation herbeiführt und Sie deshalb ausweichen oder bremsen müssen und stürzen, ist der Nachweis des Geschehens besonders anspruchsvoll. Die Beweislage zu stärken, ist entscheidend, da Sie belegen müssen, dass der Unfall kausal, also ursächlich, durch das Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers entstanden ist.
Unmittelbare Schritte am Unfallort
Sichern Sie Beweise am Unfallort: Direkt nach dem Vorfall sollten Sie so viele Informationen wie möglich sammeln, solange die Spuren noch frisch sind.
- Fotos und Videos machen: Halten Sie die Unfallstelle aus verschiedenen Perspektiven fest. Fotografieren Sie nicht nur Ihren Schaden und Ihre Verletzungen, sondern auch die Straßensitseine (z.B. Nässe, Unebenheiten), die Umgebung (Schilder, Ampeln, mögliche Sichtbehinderungen) und die Position Ihres Fahrzeugs sowie, falls noch vorhanden oder identifizierbar, des unfallverursachenden Fahrzeugs. Auch Bremsspuren, Schleifspuren oder Trümmerteile sind wichtige Spuren. Diese visuellen Beweise können später dabei helfen, den genauen Hergang und den Kausalzusammenhang nachzuvollziehen.
- Zeugen suchen und Daten aufnehmen: Sprechen Sie aktiv Passanten, andere Verkehrsteilnehmer oder Anwohner an, die den Vorfall möglicherweise beobachtet haben. Nehmen Sie deren vollständigen Namen, Adressen und Telefonnummern auf. Eine spätere Zeugenaussage kann den entscheidenden Unterschied machen, um Ihre Darstellung zu bestätigen.
- Die Polizei informieren: Auch wenn kein direkter Kontakt stattfand, ist es ratsam, die Polizei zu rufen und den Unfall aufnehmen zu lassen. Die Polizei erstellt einen Unfallbericht, der den Hergang dokumentiert und gegebenenfalls erste Ermittlungen einleitet. Dieser offizielle Bericht ist ein wichtiges Beweismittel und zeigt, dass der Vorfall polizeilich registriert wurde.
Dokumentation von Schäden und Verletzungen
Umfassende Dokumentation von Folgen: Die nachfolgende genaue Erfassung aller Konsequenzen des Unfalls ist ebenso wichtig.
- Ärztliche Atteste und Befunde: Suchen Sie bei Verletzungen umgehend einen Arzt auf. Lassen Sie alle Verletzungen detailliert dokumentieren. Ärztliche Berichte, Diagnosen und Behandlungsnachweise belegen das Ausmaß Ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Zusammenhang mit dem Unfall.
- Schadensdokumentation am Fahrzeug: Lassen Sie Schäden an Ihrem Fahrzeug umgehend durch einen Kostenvoranschlag oder ein Sachverständigengutachten dokumentieren. Hierbei wird der Schadenumfang professionell bewertet, was für die Geltendmachung von Reparaturkosten unerlässlich ist. Bewahren Sie alle Rechnungen und Belege auf.
Die Bedeutung jeder Information für den Beweis
Jede gesammelte Information, sei es ein Foto der nassen Straße, die Aussage eines Augenzeugen oder ein detaillierter Arztbericht, ist ein Baustein für die Beweisführung. Sie helfen, den Kausalzusammenhang – also die direkte Verbindung zwischen dem Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers und Ihrem Schaden oder Ihrer Verletzung – glaubhaft darzulegen. Bei Unfällen ohne direkten Kontakt ist es entscheidend, dass Sie trotz fehlender physischer Berührung nachweisen können, dass der andere Verkehrsteilnehmer durch sein Fahrverhalten eine gefährliche Situation geschaffen hat, die ursächlich zu Ihrem Sturz oder Schaden geführt hat. Das Sammeln dieser Beweise erhöht die Chancen erheblich, dass Ihre Ansprüche später erfolgreich geltend gemacht werden können.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Anscheinsbeweis
Der Anscheinsbeweis ist eine juristische Regel, die die Beweisführung vor Gericht erleichtert. Sie kommt zur Anwendung, wenn ein Geschehensablauf so typisch ist, dass er nach allgemeiner Lebenserfahrung eindeutig auf eine bestimmte Ursache oder ein bestimmtes Fehlverhalten hindeutet. In solchen Fällen kann das Gericht vorläufig von dieser typischen Ursache ausgehen, ohne dass sie im Detail bewiesen werden muss. Die Gegenpartei müsste dann beweisen, dass der Fall untypisch war oder eine andere Ursache vorlag.
Beispiel: Fährt ein Auto an einer roten Ampel in eine Kreuzung und es kommt zum Unfall, deutet die Lebenserfahrung typischerweise auf ein Verschulden des Rotlichtfahrers hin. Im Fall des Motorradsturzes wurde der Anscheinsbeweis nicht angewendet, da auf nasser Fahrbahn mehrere Ursachen für einen Sturz typisch sind.
Berührungsloser Verkehrsunfall
Ein berührungsloser Verkehrsunfall liegt vor, wenn im Straßenverkehr ein Schaden entsteht, obwohl es keinen direkten physikalischen Kontakt zwischen den beteiligten Fahrzeugen gab. Entscheidend ist, dass das Schadensereignis dennoch ursächlich durch den Betrieb oder das Fahrverhalten eines anderen Fahrzeugs ausgelöst wurde. Der Geschädigte muss hierbei beweisen, dass das andere Fahrzeug eine konkrete Gefahr geschaffen hat, die zum Unfall führte. Solche Fälle sind oft schwer zu beweisen, da typische Spuren wie Lackschäden fehlen.
Beispiel: Ein Motorradfahrer stürzt nach einer Notbremsung, weil ein Auto plötzlich ohne Vorwarnung abbiegt, es aber zu keiner Kollision kommt. Der Sturz ist dann eine Folge des Abbiegemanövers des Autos.
Berufung
Die Berufung ist ein Rechtsmittel, mit dem ein Urteil einer unteren Gerichtsinstanz von einer höheren Instanz überprüft werden kann. Wenn eine Partei mit dem erstinstanzlichen Urteil nicht einverstanden ist, kann sie Berufung einlegen, um eine erneute rechtliche und teilweise auch tatsächliche Prüfung des Falls zu erreichen. Ziel ist es, das Urteil auf Fehler zu untersuchen und gegebenenfalls aufzuheben oder abzuändern. Im vorliegenden Fall legte der Motorradfahrer Berufung gegen das Urteil des Landgerichts ein.
Beschluss
Ein Beschluss ist eine Form der gerichtlichen Entscheidung, die oft in Verfahren oder für bestimmte Verfahrensfragen erlassen wird. Im Gegensatz zu einem Urteil kann er auch ohne mündliche Verhandlung ergehen und regelt häufig prozessuale Dinge oder die Zurückweisung offensichtlich aussichtsloser Rechtsmittel. Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg wies die Berufung des Motorradfahrers im vorliegenden Fall durch einen einstimmigen Beschluss zurück, weil es diese für offensichtlich unbegründet hielt. Für den Kläger war die Entscheidung damit endgültig.
Betriebsgefahr
Die Betriebsgefahr beschreibt die grundsätzliche, jedem Kraftfahrzeug innewohnende Gefahr, die von seinem bloßen Betrieb im Straßenverkehr ausgeht. Sie ist der Grund, warum ein Fahrzeughalter auch ohne eigenes Verschulden für Schäden haften kann, die „bei dem Betrieb“ seines Fahrzeugs entstehen. Diese sogenannte Gefährdungshaftung erkennt an, dass der Einsatz eines Fahrzeugs ein erhöhtes Risiko mit sich bringt. Bei ungünstigen Bedingungen wie Nässe oder hohem Gewicht des Fahrzeugs kann die Betriebsgefahr sogar erhöht sein.
Halterhaftung
Die Halterhaftung, geregelt in § 7 Straßenverkehrsgesetz (StVG), besagt, dass der Halter eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich für Schäden haftet, die „bei dem Betrieb“ seines Fahrzeugs entstehen. Diese Haftung ist besonders, da sie in der Regel auch ohne eigenes Verschulden des Halters oder Fahrers greift. Allein die Tatsache, dass das Fahrzeug im Straßenverkehr betrieben wird, begründet eine potenzielle Gefahr, für die der Halter einstehen muss. Im vorliegenden Fall musste der Motorradfahrer beweisen, dass sein Sturz eine direkte Folge des Betriebs von Frau W.s Auto war.
Verschulden
Verschulden bezeichnet im juristischen Sinne ein persönliches Fehlverhalten, das zu einem Schaden führt und rechtliche Haftung nach sich zieht. Es liegt vor, wenn jemand eine Sorgfaltspflicht verletzt, eine Verkehrsregel missachtet oder eine Handlung nicht vornimmt, obwohl er es hätte tun müssen und können (z.B. zu schnell fahren). Die Haftung aufgrund von Verschulden unterscheidet sich von der Betriebsgefahr, die auch ohne konkretes Fehlverhalten zur Haftung führen kann. Oft spielen beide Aspekte bei einem Unfall eine Rolle, um die Haftung aufzuteilen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Straßenverkehrsgesetz (StVG), § 7 Haftung des Halters: Das Straßenverkehrsgesetz regelt die Haftung für Schäden, die beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstehen. Nach § 7 StVG haftet der Halter eines Fahrzeugs grundsätzlich für solche Schäden, auch wenn selbst kein direktes Verschulden trifft. Diese sogenannte Gefährdungshaftung berücksichtigt die potenzielle Gefahr, die vom Betrieb eines Fahrzeugs ausgeht. Es muss jedoch ein direkter Zusammenhang zwischen dem Fahrzeugbetrieb und dem entstandenen Schaden bestehen.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Im vorliegenden Fall bildete § 7 StVG die Grundlage für den Schadensersatzanspruch des Motorradfahrers, der seine Verletzungen und Schäden auf den Betrieb des Autos von Frau W. zurückführte, obwohl es zu keiner Berührung kam.
- Kausalität (Ursachenzusammenhang): Kausalität ist ein grundlegendes Prinzip im Haftungsrecht und beschreibt den notwendigen Ursachenzusammenhang zwischen einem Ereignis (z.B. einem Fahrverhalten) und einem daraus resultierenden Schaden. Damit jemand für einen Schaden haftbar gemacht werden kann, muss feststehen, dass sein Handeln oder das Ereignis, für das er verantwortlich ist, den Schaden tatsächlich verursacht hat. Ohne einen nachweisbaren Kausalzusammenhang gibt es keine Haftung. Die Rechtsprechung prüft hierbei oft, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Schaden entfiele.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Die entscheidende Frage im Fall war, ob der Betrieb des Autos von Frau W. den Sturz des Motorradfahrers tatsächlich verursacht hat, was das Landgericht verneinte und das Oberlandesgericht bestätigte.
- Beweislast im Zivilprozess: Die Beweislast regelt im Zivilprozess, welche Partei die Verantwortung dafür trägt, bestimmte Tatsachen zu beweisen. Wer einen Anspruch geltend macht (hier der Motorradfahrer), muss in der Regel die anspruchsbegründenden Tatsachen beweisen. Gelingt dieser Beweis nicht, geht dies zu Lasten der beweisbelasteten Partei, und ihr Anspruch wird abgewiesen. Das Gericht muss von der bewiesenen Tatsache überzeugt sein.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Motorradfahrer trug die Beweislast dafür, dass der Betrieb des Autos von Frau W. seinen Sturz verursacht hatte; da ihm dies nicht gelang, wurde seine Klage in beiden Instanzen abgewiesen.
- Anscheinsbeweis (Prima-facie-Beweis): Der Anscheinsbeweis ist eine juristische Beweiserleichterung, die auf der Lebenserfahrung basiert. Wenn ein bestimmter Geschehensablauf so typisch ist, dass er nach allgemeiner Erfahrung auf eine bestimmte Ursache oder ein bestimmtes Verschulden hindeutet, kann das Gericht diese Ursache als bewiesen ansehen. Die Gegenpartei kann diesen Anscheinsbeweis jedoch entkräften, indem sie Umstände darlegt, die die Typizität des Ablaufs in Frage stellen oder eine andere Ursache nahelegen. Die Anwendung erfordert immer einen typischen Sachverhalt.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Motorradfahrer versuchte, mit dem Anscheinsbeweis den fehlenden Nachweis des Ursachenzusammenhangs zu überwinden, scheiterte jedoch, da das Gericht keinen typischen Geschehensablauf für seinen Sturz feststellen konnte.
- Zivilprozessordnung (ZPO), § 522 Zurückweisung der Berufung durch Beschluss: § 522 ZPO ermöglicht es einem Oberlandesgericht, eine Berufung gegen ein Urteil der ersten Instanz durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, wenn es die Berufung für offensichtlich unbegründet hält. Dies geschieht, wenn das Gericht überzeugt ist, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat und keine mündliche Verhandlung erforderlich ist. Ziel ist eine effiziente Verfahrensbeendigung bei klaren Sachlagen. Das Rechtsmittel der Berufung wird damit endgültig ohne weitere Hauptverhandlung abgelehnt.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg wies die Berufung des Motorradfahrers nach § 522 ZPO zurück, da es seine Argumentation, insbesondere zum Anscheinsbeweis, für offensichtlich aussichtslos hielt und keine weitere Verhandlung für nötig befand.
Das vorliegende Urteil
Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg – Az.: 14 U 24/23 – Beschluss vom 05.02.2024
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Ich bin seit meiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahr 2003 Teil der Kanzlei der Rechtsanwälte Kotz in Kreuztal bei Siegen. Als Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht, sowie als Notar setze ich mich erfolgreich für meine Mandanten ein. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Mietrecht, Strafrecht, Verbraucherrecht, Reiserecht, Medizinrecht, Internetrecht, Verwaltungsrecht und Erbrecht. Ferner bin ich Mitglied im Deutschen Anwaltverein und in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. Als Rechtsanwalt bin ich bundesweit in allen Rechtsgebieten tätig und engagiere mich unter anderem als Vertragsanwalt für […] mehr über Dr. Christian Gerd Kotz