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Berufsgenossenschaft: Regressansprüche bei grob fahrlässigem Handeln

LG Oldenburg, Az.: 13 O 1173/09, Urteil vom 19.02.2010

1. Hinsichtlich des Beklagten zu 2) ist die Klage dem Grunde nach in vollem Umfang gerechtfertigt.

2. Hinsichtlich des Beklagten zu 1) wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Regressansprüche geltend.

Die Klägerin ist eine gesetzliche Unfallversicherungsträgerin. Die Beklagte zu 1) ist eine gemeinnützige Zeitarbeitsfirma und ein Mitgliedsunternehmen der Klägerin. Die bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer sind bei der Klägerin versichert.

Der Beklagte zu 2) ist seit dem 01.07.1999 bei der Beklagten zu 1) als Baustellen- und Projektleiter beschäftigt. Er hat einen Meistertitel als Gas- und Wasserinstallateur, sowie als Heizungsbauer. Ferner hat er einen Lehrgang für Arbeitsschutz auf Baustellen durchgeführt.

Berufsgenossenschaft: Regressansprüche bei grob fahrlässigem Handeln
Symbolfoto: MartinFredy/Bigstock

Die Beklagte zu 1) war beauftragt worden, ein Grundstück in S, Landkreis W, aufzuräumen und dort Bäume zu fällen. Die bei der Beklagten zu 1) angestellte Fachkraft für Arbeitssicherheit wurde bei der Durchführung des Auftrags nicht hinzugezogen. Auf dem Grundstück befanden sich noch die Fundamente eines Hauses sowie dessen Schornstein. Am 28.04.06 wurden die bei der Beklagten beschäftigen Mitarbeiter F L und M H für die Baumfällarbeiten eingeteilt. Beide hatten zuvor keinerlei Erfahrungen im Fällen von Bäumen. Herr L ist ausgebildeter Tischler, Herr H ist ausgebildeter Holzbearbeiter mit praktischem Abschluss. Beide waren über die Beklagte zu 1) auch als Leiharbeitnehmer im Hafen tätig und haben hierbei auch Lasten angeschlagen. Herr L ist, nachdem er zuvor einen befristeten Arbeitsvertrag hatte, seit dem 14.03.06 unbefristet bei der Beklagten zu 1) angestellt. Herr H hatte einen Zeitvertrag.

Der Beklagte zu 2) wies die beiden ein und erklärte ihnen, dass ein Seil zwischen dem jeweiligen Baumstamm und dem Schornstein angebracht werden sollte. Dieses Seil sollte mit einem Kettenzug gespannt werden. Der Beklagte zu 2) überprüfte nicht, ob der Schornstein noch standfest gewesen ist. Nach der Einweisung verließ der Beklagte zu 1) das Grundstück. Während die beiden Arbeiter das Seil mit dem Kettenzug spannten, – die genauen Umstände sind streitig –, stürzte der Schornstein ein und verletzte M H und F L schwer. M H erlitt einen Bruch des linken Oberschenkels, beider Beckenknochen und der linken Hüftpfanne. Er ist in seiner Erwerbsfähigkeit dauerhaft zu 20 % beeinträchtigt. F L ist seitdem aufgrund mehrerer zertrümmerter Rückenwirbel gelähmt und dauerhaft erwerbsunfähig.

Der Beklagte zu 2) wurde vom Amtsgericht Nordenham wegen fahrlässiger Körperverletzung rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt.

Die Klägerin behauptet, die Beklagte zu 1) habe erstmalig Fällarbeiten durchgeführt. Der Beklagte zu 2) verfüge hinsichtlich derartiger Arbeiten nicht über die erforderlichen Kenntnisse und hätte daher von der Beklagten zu 1) nicht mit der Durchführung derartiger Arbeiten betraut werden dürfen. Die Gefährdungen bei Fällarbeiten und bei der Verwendung eines Kettenzuges seien den Geschädigten nicht vor Augen geführt worden. Mit einem Kettenzug hätten die Geschädigten zuvor noch nicht gearbeitet. Das vom Beklagten zu 2) gewählte Arbeitsverfahren sei ungeeignet gewesen und verstoße gegen Unfallverhütungsvorschriften. So hätte nach seiner Weisung zunächst durch den Kettenzug das Seil unter Spannung gesetzt werden sollen. Danach hätte der Baum angesägt werden soll. Hierdurch hätte dann erreicht werden sollen, dass der Baum aufgrund der Spannung des Kettenzuges in eine bestimmte Richtung falle. Zudem sei der Schornstein durch die vorherigen Abrissarbeiten instabil und brüchig geworden, worauf der Geschädigte L den Beklagten zu 2) auch hingewiesen. Dieser habe entgegnet, dass er bereits zuvor auf diese Weise Bäume gefällt habe und habe seine Einweisung fortgeführt.

Die Geschädigten hätten sodann Probleme gehabt, das Seil mit dem Kettenzug zu spannen. Der Geschädigte L habe daher den Beklagten zu 2) angerufen und mitgeteilt, dass sie beim Fällen Schwierigkeiten hätten. Dieser habe erwidert, dass er keine Zeit habe und dass sie entsprechend seiner Einweisung fortfahren sollten. Die Geschädigten hätten das Seil erneut gespannt, worauf der Schornstein eingestürzt sei.

Bis zum 22.12.2009 habe sie aufgrund des Unfalls für beide Geschädigte insgesamt 890.444,86 Euro aufwenden müssen.

Die Klägerin beantragt zuletzt mit dem Schriftsatz vom 07.01.10:

1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin Euro 890.444,86 Euro zuzüglich Zinsen i. H. von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf Euro 773.459,82 seit 20.02.2009 bis zum Tag vor der Zustellung des Klageerhöhungsschriftsatzes und aus der Klageforderung ab der Zustellung dieses Schriftsatzes zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, über Ziff. I hinaus der Klägerin alle übergangsfähigen Aufwendungen zu ersetzen, welche der Klägerin wegen des Unfalls vom 28.06.06 der Herren M H, geb. … 1978 und F L, gen. … 1982 noch entstehen werden, werden, da diese bei dem Unfall schwer verletzt wurden.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagen behaupten, der Beklagte zu 2) habe in den Jahren 1990-93 im Garten- und Landschaftsbau gleichgelagerte Fällarbeiten erledigt. Danach habe er als Baustellen- und Projektleiter vielfach Fällarbeiten der vorliegenden Art durchgeführt.

Beim Fällen des Baumes hätte der Schornstein nur als Widerlager dienen sollen. Die Spannung des Kettenzuges hätte nur die Fallrichtung des Baumes beeinflussen sollen. Der Beklagte zu 2) habe bei der Einweisung auch erklärt, dass das Seil mittels einer auf dem Grundstück befindlichen Leiter so hoch wie möglich an dem zu fällenden Baum und beim Schornstein an dessen Fußpunkt hätte befestigt werden sollen. Die Wurzeln des Baumes hätten sodann frei gegraben werden sollen. Der Baum hätte dann durch das Freilegen der Wurzeln umstürzen sollen.

Die Geschädigten hätten jedoch entgegen der Arbeitsanweisung gehandelt: Sie hätten das Seil nicht hoch genug am Baum angebracht und versucht, den Baum durch die bloße Seilspannung umzuwerfen, ohne die Wurzeln zunächst frei zu graben. Daher liege, so die Ansicht der Beklagten, ein überwiegendes Mitverschulden der Geschädigten vor.

In dem mit F L geführten Telefonat habe dieser dem Beklagten zu 2) telefonisch mitgeteilt, dass das Seil zu kurz sei. Dieser habe daraufhin gesagt, dass er ein entsprechendes Seil suchen und zur Baustelle bringen werde.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Die Beklagten sind nach § 141 ZPO informatorisch angehört worden. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen G, H und L. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 22.01.10 Bezug genommen. Die Strafakte mit dem Az. 230 Js 47242/06 (Staatsanwaltschaft Oldenburg) ist beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist dem Grunde nach begründet, soweit sie Ansprüche gegen den Beklagten zu 2) betrifft. Hinsichtlich des Beklagten zu 1) ist die Klage unbegründet.

1. Der Beklagte zu 2) ist der Klägerin nach § 110 Sozialgesetzbuch (SGB) VII dem Grunde nach verpflichtet, der Klägerin alle übergangsfähigen Aufwendungen zu ersetzen, die ihr aufgrund des Unfalls ihrer Mitglieder F L und M H am 28.06.06 entstanden sind und noch entstehen werden.

Nach § 110 SGB VII haben Personen, deren Haftung nach den §§ 104 bis 107 beschränkt ist, den Sozialversicherungsträgern die infolge eines Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen zu ersetzen, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben.

Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden sein. Demnach müssten einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt worden sein und es müsste das nicht beachtet worden sein, was im gegebenen Fall jedem einleuchtet.

a) Der Beklagte zu 2) hat nach Ansicht der Kammer objektiv grob fahrlässig gehandelt.

So hat der Beklagte zu 2) zunächst einen Auftrag angenommen, obwohl er über keine ausreichende Berufserfahrung in diesem Bereich verfügt. Zudem hat er für die Durchführung des Auftrags unqualifizierte Personen ausgewählt, hat diese nicht sorgfältig eingewiesen und die Ausführung der Arbeiten nicht ansatzweise überwacht.

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aa) Der Beklagte zu 2) hätte nach Ansicht der Kammer den ihm erteilten Auftrag bereits nicht annehmen dürfen, weil er selbst nicht über die erforderliche Qualifikation und Berufserfahrung verfügt, um andere in Baumfällarbeiten zu unterweisen.

Beim Fällen eines Baumes handelt es sich nicht um eine offensichtlich leichte Arbeit, die auch von Ungelernten ohne besondere Kenntnisse ohne weiteres ausgeführt werden kann. Vielmehr können durch einen umstürzenden Baum Personen erheblich verletzt und zudem Sachwerte erheblich beschädigt werden.

Der Beklagte zu 2) ist von Beruf Installateur bzw. Heizungsbauer und hat unstreitig an keiner Fortbildung oder Schulung teilgenommen, bei der er in der Arbeit des Baumfällens unterwiesen worden wäre. Er verfügt auch nicht über ausreichende praktische Erfahrungen, aufgrund derer er qualifiziert erschiene, andere anzuweisen, wie derartige Tätigkeiten zu verrichten sind:

Die Kammer ist zwar aufgrund der insoweit glaubhaften Angaben des Beklagten zu 2) im Rahmen seiner informatorischen Anhörung davon überzeugt, dass er in den Jahren 1992-94 in den Semesterferien bei einem Garten- und Landschaftsbauunternehmen gearbeitet und dort auch Bäume mit der hier eingesetzten Technik des „Flachlegens“ gefällt hat. Der Beklagte zu 2) hat detailliert beschrieben, wie die Bäume mittels einer Seilspannung und des Ausgrabens der Wurzeln „flachgelegt“ wurden und welche Vorteile diese Methode aufweise. Die Kammer glaubt ihm daher insoweit.

Aufgrund der eigenen Angaben des Beklagten zu 2) folgt aber auch, dass er bei seiner Tätigkeit in den Semesterferien die Baumfällarbeiten nicht geleitet hat. So hat er bekundet, dass seine Aufgabe darin bestanden habe, das Seil mittels einer Leiter anzubringen oder die Wurzeln frei zu graben. Demnach hat er nur nach Anweisung Hilfsarbeiten verrichtet.

Der Beklagte zu 2) hat ferner in seiner informatorischen Anhörung die Behauptung der Beklagten, er habe zudem als Baustellen- und Projektleiter vielfach Fällarbeiten der vorliegenden Art durchgeführt, nicht bestätigt. Vielmehr hat er angegeben, dass er im April 2006, als es zu dem Unfall kam, erstmalig einen derartigen Auftrag angenommen habe. Zudem hat er erklärt, dass er auch als Privatperson in der Zeit nach 1994 keinen Baum mehr mittels der Seiltechnik gefällt habe.

Die Kammer geht ferner auch nicht von ausreichenden praktischen Kenntnissen des Beklagten zu 2) aus, weil dieser in den Tagen vor dem Unfall bereits weitere Arbeitnehmer der Beklagten zu 1) auf demselben Grundstück angewiesen hatte, mit Hilfe des Schornsteins und eines Seiles Bäume „flachzulegen“. Insoweit hat er nicht etwa aufgrund der qualifizierten Anleitung eines Dritten Kenntnisse, wie Bäume fachgerecht zu fällen sind, erlangt, sondern vielmehr eigenständig andere Arbeiter angewiesen, Fällarbeiten durchzuführen. Hierdurch hat er nur seine – nach Ansicht der Kammer unzulänglichen – Kenntnisse aufgrund seiner Aushilfstätigkeit in den Semesterferien angewandt. Als qualifizierte Arbeitserfahrung kann dies keinesfalls gewertet werden. Vielmehr ist es nur dem Zufall zu verdanken, dass es nicht bereits an jenem Tag zu einem Arbeitsunfall gekommen ist.

Der Beklagte verfügt demnach nur über praktische Erfahrungen als Gehilfe, die zudem zum Zeitpunkt des Unfalls im April 06 bereits über elf Jahre zurücklagen. Der Beklagte zu 2) hätte daher nach Ansicht der Kammer einen derart gefahrträchtigen Auftrag schon nicht annehmen, jedenfalls aber nicht in eigener Verantwortung ohne Hinzuziehung fachkundiger Personen durchführen dürfen.

bb) Zudem hat der Beklagte zu 2) für die Durchführung des Auftrags Personen eingeteilt, die hierfür ersichtlich nicht geeignet waren. Der Geschädigte L ist von Beruf Tischler, der Geschädigte H ist Holzbearbeiter mit praktischem Abschluss. Beide sind demnach nicht darin ausgebildet worden, Bäume zu fällen. Auch wenn beide Geschädigte bereits im Hafen gearbeitet und hierbei Lasten angeschlagen haben, qualifiziert sie dies nach Ansicht der Kammer nicht dazu, unter Zuhilfenahme eines Kettenzuges auch Bäume fällen zu können. Dies gilt insbesondere, weil beide Geschädigte- hiervon ist die Kammer nach der durchgeführten Beweisaufnahme überzeugt-, zuvor noch nicht mit einem Kettenzug gearbeitet haben:

So haben die Zeugen L und H übereinstimmend geschildert, dass sie zuvor noch nicht mit einem Kettenzug gearbeitet hätten. Die Kammer hält diese Angaben für glaubhaft. Zwar sind die Angaben der Geschädigten zu Einzelheiten, wie zum Beispiel zu der Frage, wer später die Kettensäge hätte nehmen sollen, widersprüchlich. Dies führt nach Ansicht der Kammer aber nicht dazu, ihre Angaben insgesamt für nicht glaubhaft zu halten. Soweit die Angaben der Geschädigten in Details nicht übereinstimmen, ist dies aufgrund des Zeitablaufs verständlich. Beide haben aber das Kerngeschehen übereinstimmend geschildert. Zudem hat der Zeuge L nachvollziehbar geschildert, wie der Beklagte zu 2) sie eingewiesen habe und dass alle vier auf der Baustelle anwesenden Mitarbeiter anschließend, nachdem der Beklagte zu 2) gegangen war, „gerätselt“ hätten, wie ein Kettenzug funktioniere. Eine derartige Schilderung ist besonders anschaulich und spricht dafür, dass sich das Geschehen tatsächlich so ereignet hat. Auch die Angaben des Beklagten zu 2) stehen im Übrigen nicht im Widerspruch zu den Aussagen der Geschädigten in Bezug auf den Kettenzug. So hat er nur angegeben, dass er sich nicht erkundigt habe, ob die beiden zuvor bereits mit dem Kettenzug gearbeitet hätten. Dass sie bereits zuvor mit einem Kettenzug gearbeitet haben, behauptet er demnach selbst nicht.

Insgesamt ist die Kammer daher nach der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Geschädigten zuvor noch nie mit einem Kettenzug gearbeitet haben. Auch wenn sie bereits im Hafen Lasten angeschlagen haben mögen, erscheinen sie daher gleichwohl ungeeignet, mit Hilfe eines ihnen nicht bekannten Geräts bzw. Werkzeugs eine Arbeit zu verrichten, für die sie nicht ausgebildet worden waren.

cc) Auch die Art und Weise der Einweisung der Geschädigten durch den Beklagten zu 2) ist grob fahrlässig. Der Beklagte hat in seiner Anhörung erklärt, dass er den Geschädigten gesagt habe, dass sich das zu verwendende Material noch im Schuppen befunden habe. Er ließ dieses nicht zunächst holen, sondern erklärte den Geschädigten- ohne das Material vor Auge zu haben-, dass ein Ende des Seiles um den Schornstein und das andere um den Baum zu binden sei. Dann müsse dieses Seil mittels eines Kettenzuges auf Spannung, d. h. auf „Zug“ gebracht werden. Er erkundigte sich nicht, ob beide bereits mit dem Kettenzug gearbeitet hätten. Ferner vergewisserte er sich nicht, ob die Geschädigten überhaupt verstanden haben, wann „Zug“ auf dem Seil ist. Er überprüfte zudem nicht, ob der Schornstein, der bereits in den Tagen davor zum Fällen der Bäume benutzt worden war, noch tragfähig ist. Er blieb auch nicht vor Ort, um sich selbst davon zu überzeugen, dass die Geschädigten seine Anweisung verstanden haben und dementsprechend vorgehen. Ein derartiges Vorgehen ist evident grob fahrlässig.

b) Der Beklagte zu 2) hat auch subjektiv schuldhaft gehandelt. Das Verschulden muss sich hierbei nur auf das Handeln oder Unterlassen beziehen, das den Versicherungsfall verursacht hat, nicht aber auf die Schadensfolge. Das Vorliegen von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit ist nach zivilrechtlichen Maßstäben zu beurteilen (vgl. juris PK-SGB VII § 110 Rn. 12). Eine Inanspruchnahme des andernfalls haftungsprivilegierten Schuldners im Wege des Regresses soll die Ausnahme bleiben. Der Regress soll nur ausnahmsweise erfolgen, wenn es angesichts eines krassen Fehlverhaltens nicht mehr gerechtfertigt erscheint, die Folgen des Unfalls auf die in der Berufsgenossenschaft zusammengeschlossene Unternehmerschaft abzuwälzen (BGH Urteil v. 12.01.1988 Az. VI ZR 158/87, zitiert nach juris, Rn. 9). Daher muss auch eine subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegen, die das in § 276 BGB bestimme Maß erheblich überschreitet (OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.09.2003 Az. 15 U 188/02). Hierbei ist auch auf die Erkenntnis- und Handlungsfähigkeit des Schädigers abzustellen (OLG Hamm Urteil v. 20.01.1999 Az. 13 U 84/98, zitiert nach juris, Rn. 70).

Der Beklagte zu 2) verfügt über eine nicht unerhebliche Lebens- und Berufserfahrung. Er war zum Zeitpunkt des Vorfalls 45 Jahre alt und hatte bereits seit sechseinhalb Jahren bei der Beklagten zu 1) als Baustellen- und Projektleiter gearbeitet. Ihm war daher hinlänglich bekannt, dass er es bei den Geschädigten nicht mit erfahrenen Arbeitnehmern zu tun hat, sondern mit Personen, die durch berufspraktische Erfahrungen für den „ersten Arbeitsmarkt“ qualifiziert werden sollen. Gleichwohl überforderte er sie und beauftragte sie mit einer Tätigkeit, die auch als offensichtlich gefährlich zu beurteilen ist. Er vergewisserte sich zudem nicht einmal, ob die Geschädigten seine Anweisungen auch verstanden haben.

Die Geschädigten waren ihm auch schon seit längerer Zeit persönlich bekannt. Daher wusste er auch, dass es sich bei dem Geschädigten H um einen nicht sonderlich geduldigen Mitarbeiter handelt. So hat er im Rahmen seiner Anhörung angegeben, dass dieser eher nach dem Motto „Lass uns schnell machen, ich will nach Hause“ arbeite. Auch der Geschäftsführer der Beklagten zu 1) hat bei seiner Anhörung erklärt, dass es sich bei dem Geschädigten H eher um einen „Hau- Ruck Typen“ handele. Der Beklagte zu 2) durfte daher nicht darauf vertrauen, dass der Geschädigte H sorgfältig und umsichtig arbeitet. Er hätte ihn daher nicht ohne fachkundige Aufsicht derart gefahrträchtige Arbeiten verrichten lassen.

Gleiches gilt für den Zeugen L. Auch wenn dieser vom Beklagten zu 2) glaubhaft als „ruhiger Denker“ beschrieben worden ist, hätte der Beklagte zu 2) auch ihn nicht ohne fachkundige Aufsicht anweisen dürfen, die Bäume „flachzulegen“, weil auch der Zeuge L keinerlei Erfahrung in einer derartigen Tätigkeit hatte.

Der Beklagte zu 2) hat zudem die im Unternehmen der Beklagten zu 1) tätige Fachkraft für Arbeitssicherheit nicht hinzugezogen. Hierzu hätte er sich aber veranlasst sehen müssen, da er erstmalig einen derartigen Auftrag für die Beklagte zu 1) angenommen hat. In dem Fall ist die Fachkraft für Arbeitssicherheit zu informieren, damit diese überprüfen kann, ob die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften- die dem Beklagten zu 2) offensichtlich nicht bekannt waren, weil er nicht fachkundig ist- eingehalten werden können und ob die Durchführung des Auftrags durch den Betrieb gefahrlos möglich ist.

Insgesamt liegt daher eine derart krasse Pflichtverletzung vor, dass diese auch in subjektiver Hinsicht als unentschuldbar anzusehen ist.

c) Nach Ansicht der Kammer ist der der Klägerin zustehende Anspruch nicht aufgrund eines den Geschädigten anzulastenden und der Klägerin zuzurechnenden Mitverschuldensanteils nach § 254 BGB zu kürzen.

Ein Mitverschulden liegt schon nicht allein darin, dass die Geschädigten eine derart gefährliche Arbeit ausführten, obwohl sie selbst mit der ihnen gestellten Aufgabe offensichtlich überfordert waren. Denn dem Arbeitnehmer, der auf Weisung hin gefährliche Arbeiten durchführt, kann kein Mitverschuldensanteil angelastet werden, da er nicht autonom handelt, sondern sich in einer tatsächlichen Zwangslage befindet, weil er seinen Arbeitsplatz nicht verlieren möchte. Dies gilt auch für die Geschädigten. Der Geschädigte H war befristet bei der Beklagten zu 1) angestellt. Der Geschädigte L hatte erst sechs Wochen vor dem Unfall einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhalten. Bei beiden handelt es sich um relativ junge Arbeitnehmer. Sie waren zum Zeitpunkt des Unfalls 28 bzw. 24 Jahre alt. Aufgrund ihres Alters und der Dauer ihrer Beschäftigung bei der Beklagten zu 1) ist es ihnen daher nicht zuzumuten, sich einer konkreten Arbeitsanweisung des deutlich älteren, erfahreneren und ihnen gegenüber weisungsberechtigten Beklagten zu 2) zu widersetzen.

Soweit die Beklagten behaupten, die Geschädigten hätten das Seil nicht hoch genug am Baum angebracht und, ohne zunächst die Wurzeln frei zu graben, versucht, den Baum durch die bloße Seilspannung umzuwerfen, ist dies unerheblich. Die Kammer ist der Ansicht, dass der Anspruch auch nicht zu kürzen wäre, wenn die Geschädigten entgegen der Weisung des Beklagten zu 2) gehandelt und hierdurch den Unfall zumindest mit verursacht hätten. Denn der Beklagte zu 2) setzte unerfahrene Arbeiter ein und vergewisserte sich nicht ansatzweise, ob sie seine Anweisungen verstanden haben und in der Praxis umsetzen können. Wenn die Geschädigten dann aufgrund ihrer Unerfahrenheit und mangelhaften Einweisung Fehler begehen, überwiegt das Instruktionsverschulden des Beklagten zu 2) derart, dass ein eventuelles Mitverschulden der Geschädigten demgegenüber zurücktreten würde.

2. Die gegen den Beklagten zu 1) geltend gemachte ist unbegründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte zu 1) kein Ausgleichsanspruch nach § 111 SGB VII zu. Demnach haftet ein Unternehmen, wenn sein gesetzlicher Vertreter einen Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat, nach Maßgabe des § 110 SGB.

Der Beklagten zu 1) ist weder der Vorwurf eines Auswahl-, noch eines Organisationsverschuldens zu machen.

Der Geschäftsführer der Beklagten zu 1) hat zunächst nicht grob fahrlässig gehandelt, weil er mit dem Beklagten zu 2) und den Geschädigten ungeeignete Personen mit der Durchführung der Baumfällarbeiten betraut hat. Im Rahmen seiner informatorischen Anhörung hat der Geschäftsführer der Beklagten zu 1) glaubhaft bekundet, dass er vor dem Unfall persönlich keinen Auftrag zur Durchführung von Fällarbeiten auf einem Grundstück in Stadtland erhalten habe und auch keine Kenntnis gehabt habe, dass seine Mitarbeiter einen derartigen Auftrag angenommen hätten. Der Beklagte zu 2) hat dies bestätigt und erklärt, dass er den Auftrag angenommen und die Beklagte zu 1) hierüber nicht informiert habe. Er allein habe auch die Geschädigten ausgewählt.

Ferner ist hinsichtlich des Unfalls auch nicht von einem Verschulden der Beklagten zu 1) auszugehen, weil die Fachkraft für Arbeitssicherheit nicht informiert und zu Rate gezogen worden war. Weil der Geschäftsführer der Beklagten zu 1) nicht wusste, dass der Beklagte zu 2) erstmalig einen derartigen Auftrag angenommen hat, konnte er hierfür auch die Fachkraft nicht heranziehen. Gleiches gilt für die Überwachung der Einhaltung der einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften.

Auch liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die gesamte Organisationsstruktur der Beklagten zu 1) mangelhaft wäre. Der Beklagte zu 2) war berechtigt, eigenständig Aufträge anzunehmen und abzuwickeln. Insoweit käme ein Organisationsverschulden der Beklagten zu 1) nur in Betracht, wenn der Beklagte zu 2) bereits mehrfach eigenständig Aufträge angenommen hätte, zu deren Ausführung er nicht qualifiziert ist. Dies hat die Klägerin jedoch nicht dargelegt.

Demnach haftet aufgrund des Arbeitsunfalls nur der Beklagte zu 2), nicht aber die Beklagte zu 1).

Die Kammer hat zunächst ein Grundurteil nach § 304 ZPO gefällt. Dies erscheint zweckmäßig, weil hinsichtlich der Schadenshöhe noch eine umfangreiche Beweiserhebung erforderlich wäre.

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