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Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung – Leistungseinstellung Nachprüfungsverfahren

LG Kiel – Az.: 17 O 169/13 – Urteil vom 28.05.2014

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten Leistungen aus einer privaten Rentenversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung.

Der Kläger ist Hals-Nasen-Ohren-Arzt (im Folgenden: HNO-Arzt). Er zog sich bereits im Jahr 1988 bei einem Segelunfall eine Schulterverletzung zu, die sich im Laufe der Zeit zu einer Knochenzyste in der Schulterpfanne und einem Impingment-Syndrom im Gelenk entwickelte. Eine mehrere Jahre später durchgeführte Operation linderte die Symptome, sodass der Kläger längere Zeit beschwerdefrei war und bis ins Jahr 2000 uneingeschränkt als HNO-Arzt arbeiten konnte.

Zum 1.12.1999 schloss der Kläger bei der xxx Lebensversicherung AG eine Rentenversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung unter der Versicherungsnummer xx ab. Durch Fusion zwischen der Lebensversicherung AG und der xxx im Jahr 2002 ging die streitgegenständliche Rentenversicherung unter identischer Versicherungsnummer auf die Beklagte über. Versicherte Leistungen sind laut Versicherungsschein eine lebenslange Rente mit Rentengarantiezeit oder einmaliger Kapitalzahlung bei Erleben des 1.12.2020, eine Beitragsrückzahlung bei Tod vor Rentenbeginn sowie eine Beitragsbefreiung und monatliche Rente bei Berufsunfähigkeit bis 30.11.2020. Dem Vertrag liegen die BB-BUZ zugrunde, nach deren § 1 bei Berufsunfähigkeit von mindestens 50% die volle Befreiung von der Beitragszahlung für die Hauptversicherung und die eingeschlossenen Zusatzversicherungen sowie die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente erfolgt. Nach § 2 BB-BUZ liegt eine vollständige Berufsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens 3 Jahre außerstande sein wird, seinen Beruf auszuüben und er auch keine andere Tätigkeit ausübt, die seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. In § 6 BB-BUZ ist geregelt, dass die Beklagte im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens erneut prüfen darf, ob der Versicherte eine andere Tätigkeit im Sinne des § 2 BB-BUZ ausübt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die BB-BUZ (Bl. 28-35 AB) Bezug genommen.

Der Kläger war ab 1.1.2000 als selbstständiger HNO-Arzt in einer Gemeinschaftspraxis und ab 1.12.2002 in einer Einzelpraxis in xxx tätig. Bis zum Jahr 2000 konnte er noch das gesamte Tätigkeitsspektrum eines HNO-Arztes abdecken, welches neben ambulanten chirurgischen Eingriffen in seiner Praxis auch operative Tätigkeiten im Belegkrankenhaus umfasste. Er verfügte über ein Bruttoeinkommen von 26.352,- € im Jahr 2003, von 58.085,- € im Jahr 2004, von 85.688,- € im Jahr 2005, von 75.225,- € im Jahr 2006, von 98.960,- € im Jahr 2007, von 104.950,- € im Jahr 2008, von 109.016,- € im Jahr 2009 und von 65.692,- € im Jahr 2010. Ab März 2006 ist in diesem Einkommen die von der Beklagten gezahlte Rente enthalten.

Ab dem Jahr 2000 kam es zu einer kompletten Arthrose des rechten Schultergelenks, was den Kläger in seiner beruflichen Tätigkeit einschränkte. So konnte er seit 2000 nur zwei bis dreimal pro Woche ambulante Eingriffe in seiner Praxis durchführen, ab 2005 führte er keine operativen Eingriffe mehr durch. Er stellte am 01.02.2006 Frau Dr. XXX als Assistenzärztin ein und betrieb mit dieser Jobsharing. Frau Dr. XXX führte kleinere ambulante Eingriffe und andere Tätigkeiten aus, zu denen der Kläger aufgrund der Schulterbeschwerden nicht in der Lage war. Mit Gutachten vom 22.03.2006 attestierte Herr Dr. med. XXX dem Kläger eine auf der Schulterverletzung beruhende Berufsunfähigkeit von 50%.

Am 03.05.2006 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Dabei gab er an, vor Eintritt der Berufsunfähigkeit 48 bis 50 Stunden und seither 46 bis 48 Stunden wöchentlich zu arbeiten, davon 20 Stunden ärztlich und 28 Stunden im Hintergrund/Bürotätigkeit. Die Beklagte erkannte ihre Leistungspflicht an und zahlte an den Kläger ab Mai 2006 eine monatliche Rente in Höhe von 1.600,00 €, ab dem 01.12.2010 in Höhe von 1.780,40 €. Zudem war der Kläger von der monatlichen Beitragspflicht für die Berufsunfähigkeitsversicherung in Höhe von 529,24 € befreit.

Im Jahr 2009 leitete die Beklagte eine Nachprüfung ihrer Leistungspflicht ein. Dazu übersandte sie dem Kläger einen entsprechenden Fragebogen, den der Kläger am 07.11.2009 ausgefüllt an die Beklagte zurückschickte. Mit Schreiben vom 15.8.2010 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass seine HNO-Praxis zum 1.8.2010 in ein MVZ der Ambulanzzentrum gGmbH des UK-SH übergegangen sei und er nunmehr in einem Angestelltenverhältnis arbeite. Laut Anstellungsvertrag vom 6.4.2010 betrug die regelmäßige Arbeitszeit 42 Stunden wöchentlich, aufgeteilt in 30 Stunden kassenärztliche und 12 Stunden sonstige Tätigkeit. Zugleich ist der Kläger als ärztlicher Leiter des MVZ in XXX bestellt worden. Der Kläger erhielt eine jährliche Vergütung von 120.000,- €, wovon 100.000,- € auf die ärztliche Tätigkeit und 20.000,- € auf die Leitungsaufgaben entfielen. Mit Ergänzungsvertrag 3./4.11.2010 wurden die Anteile der wöchentlichen Arbeitszeit dahingehend geändert, dass 20 Stunden auf kassenärztliche und 22 Stunden wöchentlich auf sonstige Tätigkeit entfielen. Zusätzlich erhielt der Kläger eine erfolgsabhängige Bruttojahresvergütung in Höhe von maximal 10% der Grundvergütung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die o.g. Verträge (Anlagen K 5 bis K 7, Bl. 59 bis 74 AB) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 15.04.2011 kündigte die Beklagte an, ihre Versicherungsleistungen zum 31.05.2011 einzustellen. Die Beklagte verwies den Kläger auf seine Tätigkeit im MVZ, die ein sinnvolles Beschäftigungsfeld eröffne, zu dem der Kläger gesundheitlich in der Lage sei und die ihm Gelegenheit zu mindestens halbschichtiger Beschäftigung biete. Der Kläger widersprach der Leistungseinstellung mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 26.5.2011, nahm die monatlichen Beitragszahlungen jedoch – wie von der Beklagten verlangt – zum 1.6.2011 wieder auf.

Zum 31.3.2013 – und damit während des laufenden Rechtsstreits – beendete der Kläger seine Tätigkeit im MVZ und arbeitet seit dem 01.05.2013 als Praxisvertreter in einer Gemeinschaftspraxis in XXX, die über drei HNO-Sitze verfügt. Der Kläger führt dort Akutbehandlungen durch und betreut das ambulante Geschäft. Er erhält für diese Tätigkeit ein Honorar in Höhe von monatlich 7.000,- € bei einer Arbeitszeit von 25 bis 30 Stunden in der Woche.

Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 29.11.2012 informierte der Kläger die Beklagte über die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit dem MVZ zum 31.3.2013 und die voraussichtliche Aufnahme einer Tätigkeit in einer HNO-Praxis in XXX ab April 2013. Zugleich bat er um Prüfung der künftigen Anerkennung der Berufsunfähigkeit und Wiederaufnahme der monatlichen Rentenzahlungen. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 16.1.2013 ab.

Der Kläger behauptet, aufgrund der Schulterbeschwerden habe er die Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden reduzieren müssen, was zur Einstellung von Frau Dr. XXX geführt habe. Es sei ihm nicht mehr möglich, seinen Beruf wie in gesunden Tagen auszuüben. Der Großteil des Einkommens eines HNO-Arztes erfolge über Operationen, die er krankheitsbedingt nicht mehr ausüben könne. Ein operierender HNO-Arzt könne ein 40-60% höheres Einkommen erzielen. Da er im Zusammenhang mit der Praxisgründung hohe Verbindlichkeiten eingegangen sei, sei sein Einkommen in den ersten Jahren noch nicht so hoch gewesen. Letztlich habe die Beklagte durch die lange Bearbeitungszeit im Nachprüfungsverfahren selbst dazu beigetragen, dass er die Tätigkeit im MVZ aufgenommen habe.

Die Tätigkeit als angestellter Leiter des MVZ sei nicht mit der Tätigkeit eines selbstständigen HNO-Arztes, wie sie der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zugrunde läge, vergleichbar. Neben dem Verlust der Wertschätzung des Berufsbildes eines nicht operierenden HNO-Arztes gehe damit auch ein Einkommensverlust von mindestens 50% einher. Auch sei die Stellung eines angestellten Arztes nicht mit der Stellung seines selbstständigen Arztes vergleichbar, da dem Kläger jederzeit gekündigt habe werden können.

Der Kläger behauptet weiter, auch die neue Tätigkeit als Praxisvertreter in der Gemeinschaftspraxis in XXX sei nicht mit der seiner ursprünglichen Tätigkeit als selbstständiger HNO-Arzt vergleichbar. Er habe keinen eigenen Kassensitz oder eine kassenärztliche Zulassung, sondern sei nur als Dauervertreter bestellt, sodass nun ein weiterer Versicherungsfall eingetreten sei. Zudem sei dieser Wechsel letztlich ebenfalls aus gesundheitlichen Gründen erforderlich geworden, da die Unstimmigkeiten betreffend seine Arbeit im MVZ aus seiner fehlenden Möglichkeit, selbst Operationen am Patienten durchzuführen, resultierten.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.548,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 2.309,64 € ab dem 02.06.2011, 2.309,64 € ab dem 02.07.2011, 2.309,64 € ab dem 02.08.2011, 2.309,64 € ab dem 02.09.2011, 2.309,64 € ab dem 02.10.2011 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab dem 01.11.2011 eine monatliche Rente in Höhe von derzeit 1.780,40 €, zahlbar monatlich im Voraus, längstens bis zum Ablauf des 01.12.2020 zu zahlen,

3. festzustellen, dass er berufsunfähig im Sinne des Versicherungsvertrages mit der Beklagten zur Versicherungsschein-Nummer 4.319621.1344 ist und ab 01.11.2011 keine Beiträge zu diesem Vertrag zu zahlen hat,

4. die Beklagte zu verurteilen, ihn von außergerichtlichen Honoraransprüchen der Rechtsanwälte XXX in Höhe von 1.715,02 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe den Kläger auf die im MVZ ausgeübte Tätigkeit verweisen können. Sie behauptet, der Kläger habe im MVZ eine quasi chefärztliche Tätigkeit ausgeübt, bei der er mehr verdient habe, als zu Zeiten seiner Selbstständigkeit. Die Umgestaltung der Arbeitsabläufe habe es dem Kläger, der auch in gesunden Tagen nur wenige Operationen ausgeführt habe, erlaubt, wieder mehr als 40 Stunden wöchentlich tätig zu sein. Die Beendigung der Tätigkeit beim MVZ habe allein arbeitsrechtliche und keine gesundheitlichen Gründe gehabt.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, in der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

Der Kläger kann von der Beklagten keine Fortzahlung einer Rente aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung über den 01.06.2011 hinaus verlangen.

Die Beklagte war berechtigt, die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zum 31.5.2011 einzustellen, nachdem der Kläger zum 1.8.2010 seine Tätigkeit im MVZ der UK-SH in XXX aufgenommen hatte.

Nachdem die Beklagte ihre Leistungspflicht zunächst anerkannt hatte, war sie im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens nach § 6 BB-BUZ zu prüfen berechtigt, ob der Kläger eine andere Tätigkeit im Sinne des § 2 BB-BUZ ausübt. In diesem Rahmen konnte sie den Kläger auf seinen bereits im Zeitpunkt des Anerkenntnisses ausgeübten Beruf als HNO-Arzt verweisen, da er durch die Aufnahme der Tätigkeit im MVZ eine seiner bisherigen Lebensstellung entsprechende Tätigkeit ausgeübt hat.

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Gemäß § 6 Abs. 1 BB-BUZ kann die Versicherung nach Anerkennung oder Feststellung ihrer Leistungspflicht das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit nachprüfen, wobei sie erneut prüfen kann, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit im Sinne von § 2 BB-BUZ ausübt. Gemäß § 2 BB-BUZ liegt Berufsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls voraussichtlich mindestens 3 Jahre außerstande ist, seinen Beruf auszuüben und er auch keine andere Tätigkeit ausübt, die seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Da die Beklagte die Verweisung vom 15.4.2011 nicht auf eine Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers, sondern allein auf seine verbesserte berufliche Situation gestützt hat, bedarf es keines Vergleichs des Gesundheitszustandes im Anerkenntniszeitpunkt mit dem im Zeitpunkt der Leistungseinstellung. Auch eine Änderung der Verhältnisse aufgrund neu erworbener Kenntnisse hat die Beklagte nicht geltend gemacht.

Insofern kommt es bei der Überprüfung der hier von der Beklagten vorgenommenen Verweisung allein auf einen Vergleich des Zustandes, der dem Leistungsanerkenntnis zugrunde liegt mit dem Zustand zum Zeitpunkt der Verweisungsentscheidung an (vgl. BGH NJW-RR 2008, 626). Nach der Rechtsprechung ist bei einer Leistungseinstellung wegen neu erworbener Fähigkeiten ein Vergleich der vor dem Anerkenntnis gemäß § 5 Abs. 1 BB-BUZ zuletzt ausgeübten mit derjenigen Tätigkeit, auf die der Versicherungsnehmer verwiesen werden soll, erforderlich; der dem Anerkenntnis zugrunde liegende Zustand ist mithin die Vergleichsbasis für die spätere Prüfung des Fortbestehens der Berufsunfähigkeit und die Entscheidung über die Leistungseinstellung (BGH, aaO.). Diese Grundsätze sind nach Auffassung des Gerichts entsprechend anzuwenden auf den hier zu entscheidenden Fall der Leistungseinstellung wegen Wegfalls der Berufsunfähigkeit bei einem Versicherten, der die Tätigkeit, auf die er verwiesen werden soll, bereits tatsächlich ausübt, deren Ausgestaltung und die Einkommenssituation sich jedoch so verbessert hat, dass sie seiner bisherigen Lebensstellung (in gesunden Tagen) entspricht.

Insofern ist vorliegend ein Vergleich der vom Kläger vor dem Leistungsanerkenntnis der Beklagten ausgeübten Tätigkeit als selbstständiger HNO-Arzt mit der ab August 2010 ausgeübten Tätigkeit als angestellter Facharzt und ärztlicher Leiter des MVZ der UKSH gGmbH in XXX vorzunehmen. Anknüpfungspunkt für die Vergleichbarkeit im Rahmen der Verweisung auf die Tätigkeit im MVZ ist mithin die Tätigkeit als selbstständiger Arzt inklusive Operationen und ambulanter Eingriffe und nicht die Tätigkeit als selbstständiger Arzt nach Umstrukturierung seiner Praxis. Danach war die Beklagte ab 1.6.2011 zur Einstellung ihrer Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung berechtigt.

Der Kläger war nach eigenen Angaben in gesunden Tagen als selbstständiger HNO-Arzt in XXX tätig, seit 2002 in einer noch im Aufbau befindlichen Einzelpraxis. Er gab an, an zwei Vormittagen in der Woche in seiner Praxis und – sofern erforderlich – im Belegkrankenhaus operiert zu haben. Die OP-Termine im Belegkrankenhaus seien jedoch unregelmäßig gewesen, einen festen OP-Tag dort habe er nicht gehabt. Noch im Jahr 2002 sei ihm bei einer ambulanten Operation die Schulter subluxiert, so dass er nur noch sehr eingeschränkt habe operieren können. Zum Zeitpunkt der Anerkennung habe er ca. 30 Stunden wöchentlich in der Praxis gearbeitet, davon ca. 20 Stunden ärztlich. Operationen und auch ambulante Eingriffe habe er zu dieser Zeit nicht mehr durchführen können. In der Zeit vor dem Leistungsanerkenntnis der Beklagten hat der Kläger als selbstständiger HNO-Arzt ein Bruttoeinkommen von 26.352,- € im Jahr 2003, von 58.085,- € im Jahr 2004, von 85.688,- € im Jahr 2005 und von 75.225,- € im Jahr 2006 erzielt.

Nach Aufnahme der Tätigkeit als angestellter Facharzt und ärztlicher Leiter des vom UKSH betriebenen MVZ XXX arbeitete der Kläger laut Anstellungsvertrag vom 06.04.2010 42 Stunden pro Woche, wovon zunächst 30 Stunden für kassenärztliche und 12 Stunden für sonstige Tätigkeiten vorgesehen waren. Später änderte sich diese Aufteilung in 20 Stunden kassenärztliche zu 22 Stunden für sonstige Tätigkeiten. Er erhielt hierfür eine Vergütung von EUR 120.000,0 brutto jährlich sowie eine weitere erfolgsabhängige Bruttojahresvergütung von 10% aus den Erlösen für Leistungen aus dem Fachbereich HNO. Zudem stand ihm ein Urlaubsanspruch von 28 Tagen zu.

Ein Vergleich der Tätigkeit und der Lebensstellung des Klägers zum Zeitpunkt der Anerkennung ihrer Leistungspflicht durch die Beklagte mit derjenigen zum Zeitpunkt der Nachprüfungsentscheidung zeigt, dass der Kläger mit seiner Tätigkeit im MVZ eine seiner Ausbildung, seinen Fähigkeiten und seiner bisherigen Lebensstellung entsprechende Tätigkeit gefunden hat. Dies ist dann der Fall, wenn die nunmehr ausgeübte Erwerbstätigkeit mit der früheren Tätigkeit vergleichbare Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und auch in ihrer Vergütung wie in ihrer Wertschätzung nicht hinter dem Niveau des bisher ausgeübten Berufs zurückbleibt. Die Verweisungstätigkeit muss also hinsichtlich der Kenntnisse und Fähigkeiten mit der früheren Tätigkeit vergleichbar sein, und die der Tätigkeit entgegengebrachte Wertschätzung muss der des bisher ausgeübten Berufs im wesentlichen entsprechen, was nicht nur, aber auch von dem aus der Berufstätigkeit erzielbaren Einkommen abhängt (vgl. OLG Hamm r+s 2008,250).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zwar konnte der Kläger – im Gegensatz zu gesunden Tagen – weder im Zeitpunkt des Leistungsanerkenntnisses noch demjenigen der Nachprüfungsentscheidung Operationen im HNO-Bereich ausführen. Dies allein rechtfertigt nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht die Annahme, die Ausübung der Tätigkeit als Facharzt für HNO und ärztlicher Leiter des MVZ sei mit der in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit des Klägers als selbstständiger und operierender HNO-Arzt nicht vergleichbar. Dabei ist es Sache des Klägers, vorzutragen und ggfs. zu beweisen, dass und warum die nunmehr ausgeübte Tätigkeit den bedingungsgemäßen Anforderungen an eine Vergleichstätigkeit nicht genügen soll (BGH r+s 2003, 164; OLG Hamm aaO. m.w.N.).

Dieser Nachweis ist dem Kläger nicht gelungen. Nach den Angaben im Rahmen seiner persönlichen Anhörung entspricht die Tätigkeit als HNO-Arzt im MVZ – mit Ausnahme der nicht mehr durchführbaren Operationen – grundsätzlich dem gleichen medizinischen Anforderungsprofil hinsichtlich Ausbildung und Erfahrung, wie die Tätigkeit als selbstständiger HNO-Arzt. Zwar konnte der Kläger in gesunden Tagen Operationen im Belegkrankenhaus und ambulante Eingriffe in seiner Praxis durchführen. Allerdings ist die Ausführung von Operationen nur ein Teilausschnitt der früheren Tätigkeit des Klägers gewesen. Dies zeigt sich schon daran, dass der Kläger nach eigenen Angaben nur an zwei Vormittagen in der Woche in seiner Praxis ambulant und unregelmäßig bei Bedarf im Belegkrankenhaus operiert hat. Den weit überwiegenden Anteil seiner Arbeitszeit hat der Kläger danach auch vor dem Eintritt der Berufsunfähigkeit mit anderen Tätigkeiten als dem Operieren verbracht. Dass die in gesunden Tagen durchgeführten Operationen und ambulanten Eingriffe einen Großteil des Praxisumsatzes ausgemacht haben, hat der Kläger nicht dargelegt.

Auch hinsichtlich der Arbeitszeit und des Einkommens ist die Tätigkeit des Klägers im MVZ mit seiner selbstständigen Tätigkeit in gesunden Tagen vergleichbar. Denn der Kläger gab an, vor seiner Schulterverletzung ca. 48 Stunden pro Woche in seiner Praxis gearbeitet zu haben. Die Arbeitszeit im MVZ betrug 42 Wochenstunden. Vor Aufnahme der Tätigkeit im MVZ und auch im Zeitpunkt der Anerkennung durch die Beklagte hat der Kläger nach eigenen Angaben nur ca. 30 Stunden in seiner schon umstrukturierten Praxis arbeiten können. Die Einkommenssituation des Klägers hat sich durch die Aufnahme der Tätigkeit im MVZ ebenfalls erheblich gebessert. So hat der Kläger in den Jahren 2002 bis 2006, also der Zeit vor dem Anerkenntnis, durchschnittlich 61.337,50 € brutto im Jahr verdient, während er ab August 2010 120.000,- € jährlich verdient hat. Selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass seine Einzelpraxis erst im Aufbau begriffen war und in den ersten Jahren noch hohe Verbindlichkeiten zu bedienen sind, liegt darin eine deutliche Einkommenssteigerung.

Ferner ist mit Aufnahme der Tätigkeit im MVZ kein Verlust der bisherigen Lebensstellung mehr verbunden. Hierfür ist die nunmehr vorhandene Lebensstellung mit dem früheren beruflichen und sozialen Status des Klägers in Beziehung zu setzen. Für die Beurteilung ist wesentlich, ob die soziale Stellung wie das soziale Ansehen des Versicherten erhalten bleiben und die neue Tätigkeit bei Ausübung auch nahezu das gleiche Einkommen und die gleichen sozialen Sicherungen verschafft (Benkel/Hirschberg, ALB- und BUZ-Kommentar, 2. Aufl. 2011, § 2 BUZ 2008, Rn. 97).

Danach entspricht die Tätigkeit im MVZ auch hinsichtlich des Ansehens der früheren Tätigkeit des Klägers. Auch wenn der Kläger geltend macht, es schmälere sein Ansehen in der Ärzteschaft, dass er nicht mehr operieren könne, kann darin kein sozialer Abstieg erkannt werden. Sicherlich gehören zum kompletten Leistungsspektrum eines HNO-Arztes auch die Vornahme von Operationen und ambulanten Eingriffen. Allerdings wird der Umstand, dass der Kläger diese aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausführen kann nach Auffassung des Gerichts ohne weiteres dadurch kompensiert, dass er als ärztlicher Leiter eines dem UKSH angegliederten MVZ in größerem Umfang administrative und damit verantwortungsvolle Aufgaben wahrzunehmen hatte. Der Kläger war nach eigenen Angaben für die Ausschreibung und Bestellung medizinischer Geräte und die Einstellung und Betreuung von Personal verantwortlich. Dabei sind Organisation und Mitarbeiterführung in der Regel Aufgaben, die nur erfahrenen und verdienten Mitarbeitern übertragen werden. Da der Kläger zudem auf dem Praxisschild als ärztlicher Leiter bezeichnet war, war seine herausgehobene, verantwortungsvolle Position sowohl für Patienten als auch für Kollegen deutlich erkennbar. Darüber hinaus war der Kläger im MVZ weiterhin als HNO-Arzt tätig, einem Beruf, der allgemein ein hohes Ansehen genießt, unabhängig von der Frage, ob Operationen durchgeführt werden oder nicht. Insgesamt war mit der Tätigkeit im MVZ nach Auffassung des Gerichts ein hohes Maß an Verantwortung verbunden, welche regelmäßig mit einer hohen sozialen Wertschätzung einhergeht, die hier auch deutlich hervorgetreten ist.

Der Kläger kann der Verweisung auf die Tätigkeit im MVZ auch nicht mit dem Argument entgegentreten, dass dies eine Arbeit in abhängiger Stellung gewesen ist, er zuvor aber als selbstständiger HNO-Arzt tätig war. Nach der Rechtsprechung des BGH ist einem früher beruflich Selbstständigen die Aufnahme einer Tätigkeit in sozial abhängiger Stellung nicht generell unzumutbar (BGH NJW-RR 2003, 383 m.w.N.) Dies wäre nur dann der Fall, wenn mit dem Wechsel in eine abhängige Stellung ein sozialer Abstieg verbunden wäre. Davon kann hier aber – wie oben bereits dargelegt – keine Rede sein. Der Kläger übte im MVZ eine Tätigkeit aus, die ein hohes soziales Prestige mit sich brachte, welches nicht geringer war, als das eines selbstständig tätigen HNO-Arztes, der auch Operationen durchführen kann.

Insofern liegt aufgrund der deutlichen Verbesserung der beruflichen Situation des Klägers ab August 2010 im Vergleich zu der im Zeitpunkt des Anerkenntnisses im Hinblick auf das Einkommen, die Gestaltungsmöglichkeiten und den sozialen Status bzw. die soziale Wertschätzung eine Berufsunfähigkeit nicht mehr vor.

Auch der Umstand, dass der Kläger seine Tätigkeit im MVZ XXX zum 31.3.2013 beendet hat und nunmehr als Praxisvertreter in einer HNO-Praxis in XXX arbeitet, führt nicht zu einer erneuten Leistungspflicht der Beklagten. Voraussetzung dafür wäre wiederum das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit des Klägers nach § 2 BB-BUZ.

Der Kläger macht jedoch gar nicht geltend, dass dieser Arbeitsplatzwechsel durch eine aktuelle Veränderung seines Gesundheitszustandes erforderlich geworden ist. Vielmehr gibt er selbst an, dass es aufgrund von Unstimmigkeiten zwischen ihm und dem MVZ in Bezug auf die Frage, wohin Patienten für Operationen zu überweisen seien, zu einem Zerwürfnis und damit zur Beendigung des Anstellungsverhältnisses gekommen sei. Anders als der Kläger meint, ist diese berufliche Entwicklung jedoch nicht ausschließlich auf seine fehlende Möglichkeit, selbst Operationen durchzuführen, zurückzuführen. Wie bereits dargestellt, hatte der Kläger auch ohne selbst zu operieren eine mit seiner bisherigen Lebensstellung vergleichbare berufliche Position erreicht. Dass es bei der Zusammenarbeit mit anderen Menschen – sei es im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit in einer Berufsauübungsgemeinschaft mit anderen Ärzten oder im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses – zu unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten betreffend die Gestaltung der Arbeitsabläufe und auch der fachlichen Einschätzungen kommen kann, ist allgemein bekannt und entspricht letztlich dem allgemeinen Lebensrisiko. Dieses hätte der Kläger auch in gesunden Tagen tragen müssen. Die Tatsache, dass der Kläger nicht mehr selbst operieren kann und Patienten entsprechend überweisen muss, besteht bereits seit 2005 unverändert fort. Unstreitig erfolgte der Arbeitsplatzwechsel des Klägers freiwillig, zumindest nicht aus gesundheitlichen Gründen bzw. aufgrund einer aktuellen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes. Auch die Rahmenbedingungen seines derzeitigen Arbeitsverhältnisses – eine Wochenarbeitszeit von 25 Stunden – sind nicht auf einen verschlechterten Gesundheitszustand des Klägers zurückzuführen. Insofern liegt der erneute Eintritt einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.

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