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Berufsunfähigkeitsversicherung: Verweisung auf andere Tätigkeit und Vergleichsmaßstab beim Einkommensvergleich

LG Mannheim, Az.: 10 O 45/11

Urteil vom 11.10.2012

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger aus der Berufsunfähigkeitsversicherung, Versicherungs-Nr. …, Leistungen in Höhe von monatlich …. € zuzüglich weiterer jährlicher Überschussanteile für den Zeitraum vom 01. Juli 2011 an bis längstens zum 31. Dezember 2029, zahlbar monatlich im Voraus jeweils spätestens am ersten banküblichen Arbeitstag des jeweiligen Monats, zu bezahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus …. € seit dem 02. Juli 2011, aus weiteren …. € seit dem 02. August 2011, aus weiteren …. € seit dem 02. September 2011 sowie aus weiteren …. € seit dem 04. Oktober 2011.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger von der Beitragszahlungspflicht für die Berufsunfähigkeitsversicherung, Versicherungs-Nr. ….. vom 01. Juli 2011 bis längstens zum 31. Dezember 2029 freizustellen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 150,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 31.10.2011 zu bezahlen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die … Rechtsschutz Service GmbH von dort an den Kläger erstattete außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von … € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 31.10.2011 zu bezahlen.

5. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger erstrebt weitere Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung für den Zeitraum vom 01. Juli 2011 an.

Berufsunfähigkeitsversicherung: Verweisung auf andere Tätigkeit und Vergleichsmaßstab beim Einkommensvergleich
Symbolfoto: Zinkevych/bigstock

Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit dem 01. Januar 2003 eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Versichert ist dort zum einen die Berufsunfähigkeitsrente PLUS bei Berufsunfähigkeit vor dem 01.01.2030, wobei die Rentenzahlung für die Dauer der Berufsunfähigkeit, längstens bis 31.12.2029 erfolgen soll, und die Beitragsbefreiung PLUS bei Berufsunfähigkeit vor dem 01.01.2030 für die Dauer der Berufsunfähigkeit. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die selbständige Berufsunfähigkeitsvorsorge nach dem Muster E356 der … Lebensversicherungs AG mit der Ergänzung SBV3 und der Änderung SBV2 zugrunde. Nach § 2 der Bedingungen, ergänzt durch SBV2, wird folgendes bestimmt:

„Ist die versicherte Person voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, außerstande oder bereits 6 Monate ununterbrochen außerstande gewesen, ihren Beruf auszuüben, und übt sie auch keine andere Tätigkeit aus, die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht, so gilt dieser Zustand von Beginn an als vollständige Berufsunfähigkeit.

Bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit ist der zuletzt ausgeübte Beruf maßgebend. Falls die versicherte Person infolge einer fortschreitenden Krankheit oder Kräfteverfalls ihren Beruf leidensbedingt geändert hat, ist für die Frage, ob Berufsunfähigkeit vorliegt, der bei Eintritt des Leidens ausgeübte Beruf maßgebend.“

Bezüglich der Nachprüfung der Berufsunfähigkeit bestimmt § 12 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen folgendes:

„(1) Nach Anerkennung oder Feststellung unserer Leistungspflicht sind wir berechtigt, das Fortbestehen der Berufs Unfähigkeit und ihren Grad nachzuprüfen. Dabei können wir erneut prüfen, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ausübt.

(4) Ist die Berufsunfähigkeit weggefallen oder hat sich ihr Grad auf weniger als 50 % vermindert, können wir unsere Leistungen einstellen.

…“

Der im Jahr 1974 geborene Kläger absolvierte ein Studium der Betriebswirtschaftslehre, das er als Diplombetriebswirt abschloss. Anschließend arbeitete er zuerst im Bankwesen, bis er im Jahr 2002 in die Industrie wechselte und eine Tätigkeit als kaufmännischer Leiter des Automobilzulieferers …..aufnahm. Zum 01.09.2004 wechselte er in das Unternehmen …., wo er ebenfalls als kaufmännischer Leiter tätig war.

Am 24.11.2004 erlitt der Kläger einen Zusammenbruch und war sodann nachfolgend durchgehend krankgeschrieben, woraufhin die Firma … das Arbeitsverhältnis ordentlich kündigte. Der Kläger befand sich zunächst bis zum 16.03.2005 in stationärer Behandlung und arbeitete in der Folgezeit nicht mehr.

Mit Schreiben vom 19.09.2005 erkannte die Beklagte ihre Leistungspflicht aus dem Versicherungsvertrag ab dem 01.12.2004 gegenüber dem Kläger zunächst an und teilte mit, dass bis auf weiteres keine Beiträge zu zahlen seien (Anlage K 3). Seit dem 01.12.2005 ist der Kläger als Mitarbeiter der …. im Bereich Firmenkunden/freie Berufe/Rhein-Neckar-Pfalz in der Niederlassung ….beschäftigt. Der zunächst befristete Arbeitsvertrag endete am 30.11.2006, wurde aber nahtlos ab 01.12.2006 als unbefristetes Dienstverhältnis fortgeführt. Der Kläger teilte dies der Beklagten jeweils mit (Schreiben vom 28.11.2005, Anlage B 6 und Schreiben vom 23.12.2006, Anlage B 13). Die Beklagte sagte mit Schreiben vom 28.12.2005 (Anlage B 12) die weitere Leistung von Beitragsbefreiung und monatlicher Rentenzahlung zu und kündigte eine Nachprüfung für Mitte 2007 an. Unter dem 23.08.2007 (Anlage K 10) erklärte die Beklagte, dass nach den vorgelegten Unterlagen die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht aus der Berufsunfähigkeitsvorsorge weiterhin im bisherigen Umfang gegeben seien und kündigte erneute Nachprüfung von Zeit zu Zeit an.

Unter dem 24.03.2011 teilte die Beklagte eine erneute Leistungspflichtprüfung mit und forderte ergänzend die Gehaltsabrechnung für Dezember 2010 sowie einen Nachweis über die erhaltene Bonuszahlung im Jahr 2010 an (Anlage B 19), woraufhin der Kläger einen Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für 2010 und die Bonusmitteilung für das Jahr 2009, die im Mai 2010 ausgezahlt wurde, übermittelte. Am 17.05.2011 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Nachprüfung ihrer Leistungspflicht aus der Berufsunfähigkeitsvorsorge abgeschlossen sei. Berufsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen liege nicht mehr vor, weshalb die Leistungspflicht zum 30.06.2011 ende (Anlage K 4). Der Kläger widersprach der Leistungseinstellung, die Beklagte blieb bei der Ablehnung einer weiteren Leistungspflicht.

Der Kläger ist der Auffassung, eine Berufsunfähigkeit nach den Vertragsbedingungen liege weiter vor. Eine Verweisung auf die von ihm derzeit ausgeübte Tätigkeit komme nicht in Betracht. Zwar könne er generell wieder arbeiten, jedoch sei es nicht zu einem Wegfall der Berufsunfähigkeit gekommen.

Er ist der Ansicht, die Mitteilung der Beklagten über die Leistungseinstellung sei schon wegen fehlender Nachvollziehbarkeit rechtsunwirksam mit der Folge, dass die von der Beklagten anerkannte Leistungspflicht dadurch nicht geendet habe. Zudem behauptet der Kläger, dass die konkret ausgeübte Tätigkeit mit der bisherigen Tätigkeit nicht vergleichbar sei. Dabei sei auf die Tätigkeit bei der Firma … abzustellen, bei der der Kläger als Gesamtverantwortlicher für den Bereich Finanzen und Personal eine große Verantwortung mit Leitungs- und Personalführungsfunktion innegehabt habe, dem ein Einkommen von etwa … € im Jahr entsprochen habe. Er behauptet weiter, auch die leidensbedingt zum 01. September 2004 gesuchte neue Beschäftigung bei der Firma … seit mit der jetzt ausgeübten Tätigkeit nicht vergleichbar, weil er auch dort als kaufmännischer Leiter mit Prokura, Mitarbeiterverantwortung und Führungsfunktion versehen gewesen sei. Auch sei die Bezahlung wesentlich höher als in seiner jetzigen Funktion gewesen. Der Kläger ist der Auffassung, die derzeitige Tätigkeit entspreche nicht der bisherigen Lebensstellung, da er kein leitender Angestellter sei, keine Prokura habe und nichts alleine unterschreiben dürfe, was nach außen kommuniziert werde, nicht zuletzt stehe ihm auch kein Dienstwagen zur Verfügung und sein soziales Ansehen sei mit dem Ansehen eines kaufmännischen Leiters nicht vergleichbar.

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger aus der Berufsunfähigkeitsversicherung, Versicherungs-Nr. …., Leistungen in Höhe von monatlich … € zuzüglich weiterer jährlicher Überschussanteile für den Zeitraum vom 01. Juli 2011 an bis längstens zum 31. Dezember 2029, zahlbar monatlich im Voraus jeweils spätestens am ersten banküblichen Arbeitstag des jeweiligen Monats, zu bezahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus … € seit dem 02. Juli 2011, aus weiteren … € seitdem 02. August 2011, aus weiteren … € seit dem 02. September 2011 sowie aus weiteren … € seit dem 04. Oktober 2011.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger von der Beitragszahlungspflicht für die Berufsunfähigkeitsversicherung, Versicherungs-Nr. … vom 01. Juli 2011 bis längstens zum 31. Dezember 2029 freizustellen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Anwaltskosen in Höhe von 150,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die … Rechtsschutz Service GmbH von dort an den Kläger erstattete außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 2.609,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, die jetzige Tätigkeit des Klägers entspreche dessen bisheriger Lebensstellung sowohl in finanzieller als auch in qualitativer Hinsicht.

Sie ist der Ansicht, im Rahmen der Vergleichsbetrachtung sei nur auf die im Zeitpunkt der Erkrankung ausgeübte Tätigkeit bei der Firma … abzustellen, eine leidensbedingter Wechsel von der Firma … zur Firma … habe nicht Vorgelegen. Nach den der Beklagten zugänglichen Unterlagen im Zeitpunkt der Mitteilung der Leistungseinstellung ergebe sich allenfalls eine Einkommensdifferenz in Höhe von 11 %, was zumutbar sei. Maßgebliches Kriterium für die Lebensstellung sei die finanzielle Ausstattung, die mit einer Tätigkeit verbunden ist. Außerdem ist die Beklagte der Ansicht, die Leistungsansprüche seien zumindest nicht fällig. Der Kläger habe der Beklagten die für eine tiefergehende Begründung der Leistungseinstellung erforderlichen Informationen nicht zur Verfügung gestellt. Schließlich hält die Beklagte die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten für zu hoch bemessen. Eine 1,8 Rechtsanwaltsgebühr sei übersetzt.

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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen … und … . Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 08.12.2011 (ABl. 56 f.) und 14.06.2012 (ABl. 104 f.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Der Kläger kann von der Beklagten Fortgewährung der Leistungen aus der zwischen den Parteien bestehenden Berufsunfähigkeitsversicherung über den 30.06.2011 hinaus bis längstens 31.12.2029 verlangen, nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 19.05.2005 rückwirkend vom 01.12.2004 an ihre Leistungspflicht gemäß § 11 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen anerkannt hatte und das von ihr durchgeführte Nachprüfungsverfahren sie nicht berechtigte, ihre bedingungsgemäßen Leistungen einzustellen.

1. Bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung kann ein Versicherer sein Ziel, eine von ihm anerkannte Leistungspflicht wieder enden zu lassen, regelmäßig nur über ein sogenanntes Nachprüfungsverfahren erreichen (BGH, Urt. v. 03.11.1999, IV ZR 155/98, dort unter 3.; BGH, Urt. v. 28.04.1999, IV ZR 123/98, II.1 a.; OLG Karlsruhe, Urt. v. 03.07.2008, 12 U 22/08, juris Ziff. 20). Dies setzt nicht nur eine vertraglich erhebliche Veränderung der maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse voraus, sondern auch eine wirksame Mitteilung gemäß den für das Vertragsverhältnis geltenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Wirksam ist eine solche Mitteilung nur, wenn darin nachvollziehbar begründet wird, warum die anerkannte Leistungspflicht wieder enden soll (OLG Karlsruhe, Urt. v. 03.07.2008, 12 U 22/08, juris Ziff. 21).

a. Die Mitteilung der Beklagten über die Leistungseinstellung ist nicht schon formell unwirksam. Die Einstellungsmitteilung des Versicherers muss grundsätzlich eine Vergleichsbetrachtung enthalten, in der die aus ihr abgeleiteten Folgerungen aufgezeigt werden. Dies gilt einerseits, wenn die Einstellung mit einer Gesundheitsbesserung begründet wird, andererseits aber auch dann, wenn auf einen Vergleichsberuf verwiesen werden soll. Liegt der Grund der Leistungseinstellung in einer aufgetretenen Verbesserung des Gesundheitszustands, muss der Versicherer die ärztlichen Gutachten, auf die er sein Verlangen stützen will, dem Versicherungsnehmer zugänglich machen (OLG Karlsruhe, Urt. v. 03.07.2008, 12 U 22/08; OLG München, Urt. v. 12.03.2010, 25 U 4291). Hier stützt die Beklagte die Leistungseinstellung nicht auf eine Gesundheitsprüfung, sondern auf die Ausübung einer anderen Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 der Bedingungen. Nachvollziehbar ist die Änderungsmitteilung grundsätzlich dann, wenn dem Versicherungsnehmer die andere Tätigkeit mit den sie prägenden und wesentlichen Merkmalen aufgezeigt wird. Solcher Angaben bedarf es nicht, wenn der Versicherungsnehmer von den Merkmalen der Tätigkeit schon deshalb Kenntnis hat, weil er sie konkret ausübt (BGH, Urt. v. 03.11.1999, IV ZR 155/98). Die Einstellungsmitteilung der Beklagten lässt hier erkennen, dass sie zunächst die jetzt ausgeübte Tätigkeit nur mit der unmittelbar vor der Erkrankung ausgeübten Tätigkeit bei der Firma … vergleicht. Dabei stellt sie in erster Linie auf die Vergleichbarkeit der Lebensstellung wegen der Vergleichbarkeit der Gehälter ab. In der Einstellungsmitteilung wird zusätzlich die aus Sicht der Beklagten unterschiedlich ausgestaltete Führungsverantwortung beider Positionen berücksichtigt. Mit der Aufführung ihrer Erwägungsgründe erlaubt die Einstellungsmitteilung dem Versicherungsnehmer festzustellen, worauf der Versicherer seine Entscheidung gestützt hat. Ihm ist es möglich, sein Prozessverhalten darauf einzustellen und insbesondere darzulegen, welche Erwägungsgründe, die aus seiner Sicht zu einer ihm günstigen Entscheidung hätten führen müssen, der Versicherer unberücksichtigt ließ. Dem Versicherungsnehmer war auch durch die Übersendung seiner die Vergleichsberufe betreffenden Unterlagen klar, welche Fakten der Versicherer zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat. Eine formal nachvollziehbare Einstellungsmitteilung lag vor.

b. Der Wirksamkeit der Einstellungsmitteilung steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte trotz Kenntnis von der Aufnahme der Tätigkeit des Klägers bei der … die weitere Leistungserbringung mit Schreiben vom 28.12.2005 (Anl. B 12) und erneut nach Festanstellung mit Schreiben vom 23.08.2007 (Anl. K 10) zusagte. Darin liegt kein dauerhafter Verzicht auf eine konkrete Verweisung. Die Entscheidung des Versicherers, nach einem Nachprüfungsverfahren trotz nachträglich eingetretener positiver Veränderungen die Leistung nicht einzustellen, verschafft dem Versicherungsnehmer keine Rechtsposition, die über das die Versicherungsleistungen seiner Zeit begründete Anerkenntnis des Versicherers hinausgehen (BGH, Beschl. v. 30.01.2008, IV ZR 48/06).

2. Allerdings tragen die in der Einstellungsmitteilung genannten Gründe die Verweisung des Klägers auf den jetzt von ihm ausgeübten Beruf nicht. Die Leistungseinstellung zum 01.07.2011 ist nicht gerechtfertigt. Die vom Kläger ausgeübte jetzige Berufstätigkeit ist nicht mit derjenigen vergleichbar, die er im Zeitpunkt seiner Erkrankung ausgeübt hat und sichert ihm somit nicht seine bisherige Lebensstellung.

a. Die im Zeitpunkt der Erkrankung ausgeübte Stellung bei der Firma … hatte der Kläger bis zur Arbeitsunfähigkeit nur wenige Wochen inne. Allerdings war die zuvor ausgeübte Tätigkeit bei der Firma … mindestens ebenso anspruchsvoll und wurde vom Kläger seit 01.07.2002 ausgeübt. Stellt man bei der Vergleichsbetrachtung mit der jetzigen Tätigkeit auf die berufliche Position bei der Firma … ab, wird nicht die nunmehrige Berufstätigkeit mit einer nur kurzfristig erlangten Aufstiegsposition verglichen. Die Tätigkeit als kaufmännischer Leiter übte der Kläger schon seit über zwei Jahren aus, so dass die zuletzt ausgeübte Tätigkeit bei der Firma … eine bisher prägende Lebensstellung im Sinne von § 2 Abs. 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen darstellt.

b. Es kann dahinstehen, ob der berufliche Wechsel des Klägers von der Firma .. zur Firma … leidensbedingt war, da sich die Lebensstellung des Klägers bereits im Vergleich zur Tätigkeit bei der Firma … verschlechtert hat. Es ist zwar nicht zu verkennen, dass der Kläger sich mittlerweile wieder in einer – bezogen auf die Gesamtheit aller Arbeitnehmer – gehobenen beruflichen Position befindet. Auch ist es dem Kläger gelungen, nach seiner Erkrankung wieder eine Tätigkeit zu finden, die sich in seinem früheren Tätigkeitsfeld befindet. Es war also keine gänzliche berufliche Neuorientierung nötig, wie sie insbesondere dann erforderlich ist, wenn die bisher ausgeübte Tätigkeit Anforderungen an die körperliche Belastbarkeit stellt und die Ausübung wegen eines körperlichen Leidens nicht mehr möglich ist. Trotzdem fehlt es aus mehreren Gründen an der Gleichwertigkeit beider Tätigkeiten. Die Tätigkeit des Firmenkundenbetreuers einer Großbank setzt nicht zwingend ein abgeschlossenes Hochschulstudium voraus, es genügt eine abgeschlossene Ausbildung im Finanzbereich. Dagegen ist die Stellung des kaufmännischen Leiters eines Unternehmens von der Größe der Firma … (außer ggf. im Bereich der Unternehmensnachfolge familiengeführter Unternehmen) insbesondere für einen jungen Mann nicht ohne abgeschlossenes Studium zu erlangen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war der Kläger bei der Firma … als kaufmännischer Leiter mit Gesamtprokura tätig. In dieser Stellung war er ausschließlich dem Geschäftsführer unterstellt. Nach Aussage des Zeugen …. war der Kläger Leiter des Finanz- und Rechnungswesens in Deutschland und für das Reporting gegenüber Investoren, Controlling sowie die Lohn- und Gehaltsabrechnung zuständig. Darüber hinaus hatte er auch die Verantwortung innerhalb der gesamten Unternehmensgruppe hinsichtlich Planung und Budgetierung. Die Tätigkeit bei der Firma …. erforderte also eine unternehmerisch gestaltende Persönlichkeit, von der neben umfassenden betriebswirtschaftlichen Kenntnissen auch strategische Impulse für die Ausrichtung des Unternehmens erwartet werden. Die Tätigkeit eines Firmenkundenbetreuers erfordert das nicht. Es ist zwar angesichts der Größe des jetzigen Arbeitgebers nicht ausschlaggebend, dass vom Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit keine Impulse zur Ausrichtung des Gesamtunternehmens erwartet wurden, aber es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger mit der strategischen Planung bezüglich der Niederlassung in … betraut wäre. Eine Leitungsfunktion kommt seiner Tätigkeit als Vertriebsmitarbeiter ebenfalls nicht zu, wohingegen schon die Stellenbeschreibung der früheren Tätigkeit Führungsverantwortung vorsah und ihm fünf Mitarbeiter unterstellt waren. Hinzu kommt, dass die Tätigkeit als kaufmännischer Leiter eines mittelgroßen Unternehmens regelmäßig geprägt ist von hoher zeitlicher Belastung über die übliche Arbeitszeit hinaus, wobei die Wahrnehmung als Führungskraft sich im Gegenzug auch außerhalb des Berufslebens in gesellschaftlicher Anerkennung wiederspiegelt. Im Rahmen eines Großkonzerns kommt eine entsprechende soziale Wertschätzung zwar nicht nur den Vorständen und ggf. Bereichsleitern zu, sondern auch den Niederlassungsleitern. Der Kläger befindet sich jedoch als Vertriebsmitarbeiter – jetzt in der Niederlassung … – nicht in einer herausgehobenen Stellung.

c. Bei ihren Erwägungen hat die Kammer nicht verkannt, dass das Gehalt des Klägers – wenngleich geringer als das im Vergleichsberuf bei der Firma … – sich jedenfalls nicht in einer gänzlich anderen Größenordnung bewegt. Trotzdem handelt es sich um eine spürbare Einkommenseinbuße, die die Lebensgestaltung des Versicherten betrifft. Dabei ist neben der Tatsache, dass das jetzige Gehalt – wegen der in die Betrachtung einzubeziehenden fest vereinbarten Bonuszahlungen und des nur zu versteuernden Dienstwagens bei der Firma …, was die Grundvergütung erhöht – dennoch um etwa 20 % geringer ausfällt, zu berücksichtigen, dass die Vergütung bei der Firma … dem Stand des Jahres 2004 entsprach und bei ungehindertem Ablauf der dortigen Tätigkeit zumindest eine Anpassung an die gestiegenen Lebenshaltungskosten erhalten hätte, was den Abstand der Gehälter noch erhöht. Vergleichsmaßstab ist auch grundsätzlich der Verdienst im Zeitpunkt der Einstellungsmitteilung. Nachgeschobene Gründe oder eine im jetzigen Zeitpunkt erfahrene weitere positive Gehaltsentwicklung können die Leistungspflicht nicht rückwirkend entfallen lassen. Hinzu kommt, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung nicht die Einkommenseinbuße des Versicherten ersetzt, sondern als Summenversicherung eine im Voraus vertraglich vereinbarte Leistung erbringt (OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.05.2011, 12 U 45/11, unter II. 5.). Sie muss deshalb auch dann leisten, wenn der Versicherte durch den Eintritt der Berufsunfähigkeit keine oder nur eine geringe Einkommenseinbuße erleidet. Ob die Versicherungsleistung mangels eines konkreten Schadens zu einer Bereicherung des Versicherten führt oder nicht, ist unerheblich (OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.05.2011, 12 U 45/11, unter II. 5. m.w.N.).

3. Die Ansprüche des Klägers sind auch fällig. Wie sich aus dem vorgelegten Schriftwechsel ergibt, war die neue Tätigkeit des Klägers als Firmenkundenberater der Beklagten durchgängig bekannt. Schon im Jahr 2005 wurde der erste Arbeitsvertrag übermittelt, im Jahr 2006 der unbefristete Arbeitsvertrag. Die vorgelegten Unterlagen genügten der Beklagten bisher, um in den früheren Nachprüfungen eine Fortdauer der Berufsunfähigkeit zu bejahen. Bei der erneuten Nachprüfung im Jahr 2011 wurde der Kläger, der weiterhin in ungekündigter Stellung bei der … tätig war, lediglich um Übermittlung seiner Gehaltsabrechnung vom Dezember 2010 sowie um den Nachweis über die erhaltene Bonuszahlung 2010 gebeten (Anl. B 19), sowie um die Mitteilung einer etwaigen Gehaltserhöhung, was der Kläger dann auch veranlasste. Der Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für 2010 und das Schreiben über eine Bonuszahlung für das abgelaufene Jahr 2009 genügten der Beklagten für die Mitteilung der Leistungseinstellung am 17.05.2011 (Anl. B22). Die Beklagte hat dann lediglich auf das Monierungsschreiben des Klägers hin für eine etwaige Abhilfeentscheidung weitere Unterlagen angefordert. Die Leistungseinstellung war zu diesem Zeitpunkt aber bereits erfolgt und wurde auch nicht etwa – ggf. bis zur Prüfung weiterer Unterlagen – ausgesetzt, im Gegenteil, der Kläger wurde erneut zur Zahlung der Versicherungsbeiträge aufgefordert (Anl. B27).

4. Nachdem die Beendigung einer förmlich anerkannten Leistungspflicht von einem formalen Nachprüfungsverfahren abhängig ist, kann offen bleiben, ob die Beklagte ihre Leistungen aus anderen Gründen einstellen könnte. Der Versicherer kann zwar grundsätzlich auch ohne Änderung des Gesundheitszustandes des Versicherungsnehmers geltend machen, dass sich dessen Einkommen in dem Zeitpunkt früherer Nachprüfungen ausgeübten Beruf soweit erhöht hat, dass es mit dem vor Eintritt der Erkrankung erzielten Verdienst vergleichbar ist und deshalb eine Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliegt (OLG Hamm, Beschl. v. 17.05.2006, 20 U 31/06). An die in der Mitteilung der Leistungseinstellung gegebene Begründung und die dort nicht zutreffend zugrunde gelegten Vergleichszahlen und Bewertung der Vergleichsberufe ist der Versicherer gebunden. Erweist sich diese Begründung im Prozess als nicht tragfähig, kann eine andere Begründung nicht nachgeschoben werden, um damit die Leistungseinstellung zu rechtfertigen (OLG Nürnberg, Urt. v. 23.01.2012, 8 U 607/11). Dem Kläger stehen somit zunächst ab dem 01.07.2011 die bedingungsgemäßen Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung zu.

II.

Der Kläger hat einen Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB gegen die Beklagte auf Ersatz außergerichtlicher Anwaltskosten in Gesamthöhe von … € brutto (Ziffer 3 und 4 der Anträge). Die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger rechtfertigt es, über die üblicherweise anzusetzende 1,3-fache Gebühr hinauszugehen. Ausweislich der vorgelegten Anlagen ist eine umfangreiche vorgerichtliche Tätigkeit erforderlich gewesen, die neben einer umfangreichen Einarbeitung in die Umstände des Einzelfalls spezielle Rechtskenntnisse im Privatversicherungsrecht erforderte.

III.

Der zuerkannte Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 BGB. Die Fälligkeit der Berufsunfähigkeitsleistung war kalendertäglich bestimmt.

1.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

Beschluss: Der Streitwert wird auf … € festgesetzt.

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