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Berufsunfähigkeitsversicherung – Verweisung auf Vergleichsberuf

BGH, Az.: IV ZR 226/93, Urteil vom 28.09.1994

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 7. Juli 1993 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Kläger unterhält bei der Beklagten drei Lebensversicherungen jeweils mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Nach den Verträgen und den der Zusatzversicherung jeweils zugrundeliegenden Bedingungen hat die Beklagte bei Berufsunfähigkeit von mindestens 50% Beitragsfreiheit sowie Rentenleistungen in Höhe von jährlich 10% der jeweiligen (Lebens-)Versicherungssumme für eine Höchstdauer von sechs Jahren zu gewähren. Nach sechsjähriger ununterbrochener Rentenzahlung wegen Berufsunfähigkeit erlischt die Versicherung; die jeweils vereinbarte Versicherungssumme wird zur Auszahlung fällig. Den Begriff Berufsunfähigkeit definiert § 2 der Bedingungen in Übereinstimmung mit § 2 der Musterbedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung aus dem Jahre 1975 (VerBAV 1975, 2).

Der Kläger hat keinen Beruf erlernt. Er war als Kraftfahrer tätig, 19 Jahre als Molkereifahrer und seit 1979 als Kraftfahrer für einen Biergroßvertrieb (Bierfahrer). Nachdem er im Oktober 1990 aus einer Kurklinik als – nach Maßgabe des ärztlichen Entlassungsberichts – arbeitsunfähig für seinen zuletzt ausgeübten Beruf als Bierfahrer entlassen worden war, beantragte er bei der Beklagten Leistungen wegen Berufsunfähigkeit. Diese erklärte mit Schreiben vom 20. September 1991, daß beim Kläger Berufsunfähigkeit im Sinne ihrer Bedingungen nicht vorliege; mit Rücksicht auf eine Umschulungsmaßnahme werde sie aber für deren Dauer (Oktober 1991 bis Oktober 1994) die bei eingetretener Berufsunfähigkeit vorgesehenen Leistungen erbringen. Mit weiterem Schreiben vom 6. Dezember 1991 lehnte es die Beklagte ab, eine die Berufsunfähigkeit des Klägers bestätigende Leistungszusage zu erteilen.

Der Kläger nimmt die Beklagte aus den drei Verträgen auf Beitragsfreistellung und monatliche Rentenleistungen von insgesamt 398 DM ab 1. November 1990 bis zum 31. Oktober 1996 in Anspruch; weiter begehrt er die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihm am 1. November 1996 die Lebensversicherungssummen von insgesamt 47.752 DM zu zahlen. Er macht geltend, ab Oktober 1990 sei er – insbesondere wegen Wirbelsäulenschäden – nicht mehr imstande, als Bierfahrer, anderweit als Kraftfahrer oder in vergleichbarer Beschäftigung tätig zu sein. Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger sei nicht gesundheitlich gehindert, weiterhin als Kraftfahrer – wenn auch nicht als Bierfahrer – zu mehr als 50% tätig zu sein. Er müsse sich auch auf Tätigkeiten als Hausmeister, Lagerist oder als Pförtner verweisen lassen; demnach sei er bislang nicht berufsunfähig geworden.

Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt er seine Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit des Klägers sei nicht gegeben. Zwar sei zwischen den Parteien unstreitig, daß der Kläger den Beruf eines Bierfahrers gesundheitsbedingt nicht mehr ausüben könne. Er sei aber in der Lage, von der Beklagten aufgezeigte, ihm zumutbare Verweisungstätigkeiten in einem bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließenden Umfang wahrzunehmen. Das gelte für eine Tätigkeit als Kraftfahrer außerhalb des Tätigkeitsbereichs eines Bierfahrers. Denn nach einer von der Beklagten vorgelegten ergänzenden ärztlichen Stellungnahme der Kurklinik könne der Kläger eine Tätigkeit als Kraftfahrer ausüben mit der Einschränkung, daß es sich dabei um eine leichte bis mittelschwere Tätigkeit in wechselnder Körperhaltung, ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten und ohne lang andauernde Lkw-Fahrten handelt. Als Verweisungstätigkeit komme auch die eines Hausmeisters in Betracht. Sie scheide nicht schon gesundheitsbedingt aus, weil sie nach der Behauptung des Klägers das Heben von Lasten erfordere. Letzteres sei für eine Hausmeistertätigkeit nicht charakteristisch, der Vortrag des Klägers insoweit also unsubstantiiert. Auch auf fehlende handwerkliche Grundkenntnisse, fehlendes Geschick könne sich der Kläger nicht berufen; die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten seien in kurzer Einarbeitungszeit zu erwerben. Schließlich müsse sich der Kläger auch auf eine Tätigkeit als Pförtner verweisen lassen; er habe nicht dargelegt, daß sie als Verweisungstätigkeit nicht in Betracht komme.

2. Mit dieser Begründung hat das angefochtene Urteil keinen Bestand.

Da das Berufungsgericht zugrunde legt, der Kläger könne seinen Beruf als Bierfahrer gesundheitsbedingt nicht weiter ausüben, kam es für seine Entscheidung darauf an, ob die Beklagte einen nach ihren Versicherungsbedingungen für den Kläger in Betracht kommenden Vergleichsberuf aufgezeigt hat, dessen Nichtausführbarkeit der Kläger beweisen müßte (so schon Senatsurteil vom 11. November 1987 – IVa ZR 240/86 – VersR 1988, 234 unter 2). Das Berufungsgericht hat dabei die Anforderungen an die Darlegungslast der Beklagten verkannt.

a) Mit dem Hinweis auf eine Tätigkeit als Kraftfahrer unter bestimmten Einschränkungen, die den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers Rechnung tragen sollen, ist ein Vergleichsberuf noch nicht hinreichend substantiiert aufgezeigt (vgl. Senatsurteil vom 29. Juni 1994 – IV ZR 120/93 – VersR 1994, 1095).

Allerdings trifft es im Ansatz zu, daß es für einen Kraftfahrer, der als Bierfahrer tätig war, nicht mehr um seinen bislang ausgeübten Beruf, vielmehr um eine Vergleichstätigkeit geht, wenn er anderweit unter eingeschränkten körperlichen Einsatzmöglichkeiten als Kraftfahrer tätig werden soll. Ein einheitliches Berufsbild mit einem einheitlichen Anforderungsprofil gibt es für einen Kraftfahrer nicht, wie schon ein Vergleich zwischen einer Tätigkeit als Bierfahrer und z.B. Tätigkeiten im Bereich der Personenbeförderung verdeutlicht. Deshalb ist es für eine Vergleichbarkeit der Tätigkeiten bedeutsam, welche berufsbildprägenden Merkmale die Verweisungstätigkeit aufweist. Diese aber erstrecken sich nicht nur auf Art und Umfang des körperlichen Einsatzes und den dazu vorauszusetzenden Gesundheitszustand, sondern z.B. auch auf erforderliche Vorbildung und Zuverlässigkeit, Arbeitszeiten und Entlohnung. Dem trägt das Berufungsgericht nicht in gebotenem Maße Rechnung, wenn es für die Darlegung einer Verweisungstätigkeit als Kraftfahrer als ausreichend ansieht, daß lediglich bestimmte Möglichkeiten des körperlichen Einsatzes von der „allgemeinen“ Tätigkeit eines Kraftfahrers ausgenommen worden sind. Denn mit den angeführten Einschränkungen (nur leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, kein häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten, ohne lang andauernde Lkw-Fahrten) ist nur aufgezeigt, welche Betätigungsmöglichkeiten der Kläger nicht mehr hat. Damit aber ist noch nicht dargelegt, daß es berufliche Tätigkeitsfelder für einen Kraftfahrer gibt, die der Kläger auch unter diesen Einschränkungen nach Ausbildung und Erfahrung in einem bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließenden Umfang unter Wahrung seiner bisherigen Stellung wahrnehmen kann.

Fehlt es also bereits an hinreichend substantiiertem Vorbringen der Beklagten zu einer Vergleichstätigkeit als „Kraftfahrer“, so fehlt es zugleich an einer Grundlage für die Annahme des Berufungsgerichts, es stünde nunmehr zur Beweislast des Klägers, daß er „allgemein“ die Tätigkeit eines Kraftfahrers nicht ausüben könne. Da der Versicherungsnehmer beweispflichtig für den Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit ist, hat er zwar auch die Nichtausübbarkeit eines Vergleichsberufs oder das Fehlen der Vergleichbarkeit eines bestimmten Berufs mit seinem bislang ausgeübten zu beweisen. Diese Negativbeweise kann er jedoch nur dann antreten, wenn der Versicherer den von ihm beanspruchten Vergleichs-/Verweisungsberuf bezüglich der ihn jeweils prägenden Merkmale (insbesondere erforderliche Vorbildung, übliche Arbeitsbedingungen, z.B. Arbeitsplatzverhältnisse, Arbeitszeiten, ferner übliche Entlohnung, etwa erforderliche Fähigkeiten oder körperliche Kräfte, Einsatz technischer Hilfsmittel) näher konkretisiert. Nur dann kann der beweisbelastete Versicherungsnehmer insoweit das Bestreiten von Berufsunfähigkeit mit substantiierten Beweisangeboten bekämpfen, die nicht als Ausforschungsversuch zu werten sind, denen vielmehr nachgegangen werden muß (Senatsurteil vom 29. Juni 1994, aaO).

b) Auch mit dem nicht substantiierten Hinweis, der Kläger könne eine Tätigkeit als Hausmeister oder Pförtner ausüben, hat die Beklagte entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts einen Vergleichsberuf nicht aufgezeigt (so ausdrücklich schon Senatsurteil vom 30. September 1992 – IV ZR 227/91 – VersR 1992, 1386 unter 4). Es fehlt auch insoweit an jedwedem Vorbringen der Beklagten zu den oben genannten prägenden Merkmalen dieser beruflichen Tätigkeiten, auf die sich der Kläger verweisen lassen soll. Deshalb war es nicht Sache des Klägers, im einzelnen darzulegen, inwieweit bei der von der Beklagten nur abstrakt benannten Hausmeistertätigkeit das Heben von Lasten anfällt, welche Kenntnisse und Fähigkeiten zu deren Ausübung erforderlich sind und welches Einkommen erzielt werden kann. Für die Tätigkeit eines Pförtners gilt nichts anderes. Auch hier fehlte es an Vorbringen der Beklagten, das diese Tätigkeit näher konkretisiert. Deshalb gab es für den Kläger auch noch nichts, was er im Gegenzug durch eigene substantiierte Beweisangebote hätte bekämpfen können und müssen. Noch weniger war es Sache des Gerichts, mit Blick auf die Vergleichbarkeit Sachverhalte zur Grundlage seiner Entscheidung zu machen, die nicht Gegenstand des Parteivorbringens gewesen sind (vgl. Senatsurteil vom 11. November 1987 – IVa ZR 240/86 – VersR 1988, 234 unter 2 c).

Weil beide Vorinstanzen mit der Beklagten der unzutreffenden Ansicht waren, die Beklagte habe ihrer Vortragslast hinsichtlich der in Betracht zu ziehenden Vergleichsberufe genügt, ist ihr mit der Zurückverweisung Gelegenheit zur Ergänzung ihres bisherigen Vorbringens zu geben.

3. Entgegen der Auffassung der Revision ist der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Beitragsfreistellung und Rentenleistungen auch nicht jedenfalls für die Zeit ab Oktober 1991 schon deshalb begründet, weil die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 20. September 1991 ein sie bindendes Leistungsanerkenntnis erklärt habe. Dieses Schreiben enthält – wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – kein Leistungsanerkenntnis gemäß § 5 der Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (wortgleich mit § 5 der Musterbedingungen BB-BUZ). Die Beklagte hat mit ihm das Vorliegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit vielmehr ausdrücklich verneint. Vor diesem Hintergrund stellt sich ihr Angebot, dennoch für die Zeit der Umschulung die bei eingetretener Berufsunfähigkeit vorgesehenen Leistungen zu erbringen, erkennbar als Kulanzentscheidung dar. Daß auch der Kläger die Erklärung der Beklagten in diesem Sinne verstanden hat, erweist im übrigen der Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 21. November 1991, mit dem erneut der Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit ab September 1990 geltend gemacht und zugleich das „Vergleichsangebot“ der Beklagten vom 20. September 1991 zurückgewiesen wird.

4. Für das weitere Verfahren gibt der Senat noch folgende Hinweise: Wenn es für die Entscheidung darauf ankommen sollte, ob und inwieweit der Kläger einem ausreichend konkret aufgezeigten Vergleichsberuf noch gesundheitlich gewachsen ist, wird bei der Beauftragung medizinischer Sachverständiger zu beachten sein, daß diesen die nähere Ausgestaltung der Verweisungstätigkeit ebenso wie diejenige der bislang ausgeübten als Bierfahrer als Grundlage ihrer Gutachtenerstattung bekanntzugeben ist.

Beim Leistungsantrag wird zu berücksichtigen sein, für welchen Zeitraum die Beklagte gemäß ihrer Erklärung vom 20. September 1991 bereits Rente geleistet und den Kläger von Beiträgen freigestellt hat; wegen des Feststellungsantrages wird auf das Senatsurteil vom 27. Mai 1987 – IVa ZR 56/86 – VersR 1987, 808 hingewiesen.

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