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Berufsunfähigkeitsversicherung – Vorerkrankungen Versicherungsnehmer – Rücktritt/Anfechtung

LG Dortmund – Az.: 2 O 421/11 – Urteil vom 06.02.2014

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 11.160,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.12.2010 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab dem 01.12.2011 eine monatliche Rente in Höhe von 830,00 EUR, zahlbar monatlich im Voraus, längstens bis zum 01.12.2032 zu zahlen

3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger von der Verpflichtung, Versicherungsbeiträge zu dem Versicherungsschein mit der Versicherungsscheinnummer: XX… … … ab dem 01.12.2011 längstens bis zum 01.12.2032 freizustellen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die nach dem Versicherungsvertrag XX… … … vereinbarte Überschussbeteiligung zu gewähren.

5. Es wird festgestellt, dass der Versicherungsvertrag mit der Versicherungsscheinnummer: XX… … … fortbesteht und nicht durch Rücktritt oder Anfechtung der Beklagten erloschen ist.

6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.890,91 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.12.2010 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen 1/10 der Kläger und 9/10 die Beklagte nach einem Streitwert von bis zu 70.000,00 EUR.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit 2007 eine von der Generalagentur B vermittelte Rentenversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Letztere gewährt im Versicherungsfall eine monatliche Rente nebst Beitragsbefreiung auch für die Hauptversicherung. Der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung liegen die Bedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ 2007 C) mit 50 %- Klausel zugrunde. Auf den Inhalt der Versicherungsbedingungen wird Bezug genommen.

Im Jahre 2010 stellte der Kläger wegen behaupteter Berufsunfähigkeit ab dem 09.04.2010 nach einem Arbeitsunfall einen Antrag auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Im Zuge der Leistungsprüfung brachte die Beklagte in Erfahrung, dass der Kläger vor Antragstellung wiederholt ärztlich behandelt und auch arbeitsunfähig krankgeschrieben worden war, ohne dass dies im Antragsformular aufgeführt war. Unter anderem war im Jahre 2002 beim Kläger der Verdacht auf eine multiple Sklerose geäußert worden. Da im Antrag vom 14.11.2007 alle Gesundheitsfragen verneint waren, erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 09.12.2010 den Rücktritt vom Vertrag und mit Schreiben vom 24.08.2011 die Arglistanfechtung. Den Antrag auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung wies sie zurück.

Der Kläger behauptet, der Vermittler sei über alle Vorerkrankungen informiert gewesen, weil diesem absprachegemäß eine Kopie der Krankheitsakte des Hausarztes Dr. D überlassen worden sei. Die Gesundheitsfragen seien auch gar nicht vorgelesen worden. Er behauptet weiter, wegen schwerer depressiver episodisch/posttraumatischer Verarbeitungsstörung seit dem Arbeitsunfall vom 09.04.2010 berufsunfähig zu sein. Unstreitig erhält der Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, ist in Pflegestufe II eingeordnet und mit einem Grad der Behinderung von 100 % anerkannt.

Er begehrt mit der Klage die im Versicherungsvertrag vereinbarten Leistungen sowie die Feststellung, dass der Versicherungsvertrag ungeachtet von Rücktritt und Arglistanfechtung fortbesteht.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 17.670,00 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 09.12.2010 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ab dem 01.12.2011 eine monatliche Rente in Höhe von 830,00 EUR, zahlbar monatlich im Voraus, längstens bis zum 01.12.2032, zu zahlen,

3. die Beklagte zu verpflichten, den Kläger von der Verpflichtung, Versicherungsbeiträge zu dem Versicherungsschein mit der Versicherungsscheinnummer: XX… … … ab dem 01.12.2011, längstens bis zum 01.12.2032, freizustellen,

4. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die nach dem Versicherungsvertrag XX… … … vereinbarte Überschussbeteiligung zu gewähren,

5. festzustellen, dass der Versicherungsvertrag mit der Versicherungsscheinnummer: XX… … … fortbesteht und nicht durch Rücktritt oder Anfechtung der Beklagten erloschen ist,

6. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.890,91 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 09.12.2010 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet Berufsunfähigkeit im zuletzt ausgeübten Beruf. Sie hält an Rücktritt und Anfechtung fest und behauptet, der Vermittler sei die Gesundheitsfragen im Einzelnen mit dem Kläger durchgegangen, habe um Antworten gebeten und diese dann eingetragen. Dem Kläger sei das Antragsformular sodann mit der Bitte um Überprüfung zur Unterzeichnung vorgelegt worden.

Das Gericht hat zu den Umständen der Antragsaufnahme den Kläger gemäß § 141 ZPO angehört sowie den Zeugen B vernommen. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll vom 02.08.2012 Bezug genommen. Ferner hat es zur behaupteten Berufsunfähigkeit des Klägers ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Insoweit wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. F vom 13.06.2013 nebst mündlicher Erläuterung im Termin vom 06.02.2014, wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Kläger kann von der Beklagten aus der zwischen ihnen bestehenden Berufsunfähigkeitszusatzversicherung die vereinbarten Leistungen ab 01.12.2010 verlangen, da er bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ab November 2010 nachgewiesen hat und Rücktritt und Anfechtung der Beklagten nicht durchgreifen.

Rücktritt und Vertragsanfechtung der Beklagten haben keinen Erfolg. Denn die Beweisaufnahme hat ergeben, dass dem Vermittler, dem Zeugen B, im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss ein Arztbericht sowie Angaben der Krankenkasse durch den Kläger bzw. dessen Ehefrau zur Verfügung gestellt worden sind, aus denen sich der Verdacht einer MS-Erkrankung, einer darauf beruhenden Arbeitsunfähigkeit sowie einer Erkältungskrankheit ergeben haben. Der Zeuge B hat bekundet, dass er diese ihm überlassenen Unterlagen an die Zentrale der Beklagten gefaxt hat. Unabhängig davon, ob diese Unterlagen bei der Zentrale der Beklagten angekommen sind, hat die Beklagte jedenfalls über ihren Agenten Kenntnis von diesen Erkrankungen gehabt. Damit waren die Ausübungsfristen für Rücktritt und Anfechtung bei Ausübung der Gestaltungsrechte längst abgelaufen, so dass Rücktritt und Vertragsanfechtung jedenfalls auf die aus den Krankenblättern genannten Erkrankungen nicht mehr gestützt werden konnte. Im Übrigen liegt es fern, dass der Kläger arglistig Erkrankungen verschwiegen haben könnte, wenn er selbst dem Agenten der Beklagten ärztliche Unterlagen hat zukommen lassen, aus denen sich der Verdacht einer so gravierenden Erkrankung wie einer multiplen Sklerose ergibt. Das Gericht kann deshalb nicht davon ausgehen, dass die Beklagte berechtigt war, den Versicherungsvertrag wegen weitaus weniger gravierender Erkrankungen zu beenden, wenn sie schon den Verdacht auf eine multiple Sklerose nicht zum Anlass genommen hat, eine Vertragsbeendigung herbeizuführen.

Bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ab November 2010 hat der Kläger durch das Gutachten des Sachverständigen Dr. F nachgewiesen. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 13.06.2013 festgestellt, dass der Kläger aufgrund einer strukturellen Störung seiner Persönlichkeit den Arbeitsunfall vom 09.04.2010 in fataler Weise fehlverarbeitet hat, unter anderem, weil ihm der Arbeitgeber die Anerkennung dieses Arbeitsunfalles versagt hat. Dies hat der Kläger als Kränkung aufgefasst und daraufhin depressiv und stark regressiv reagiert. Als Folge musste der Kläger im Februar 2011 in einem schwer depressiven Zustand in die LWL-Klinik in E aufgenommen werden, wo eine antidepressive Behandlung mit Duloxetin stattgefunden hat, ohne dass eine vollständige gesundheitliche Rehabilitierung erreicht werden konnte. Der Kläger wurde lediglich teilremittiert im März 2011 entlassen. Bei der klinischen Untersuchung durch den Sachverständigen hat der Kläger ein eindrückliches Bild einer psychogenen Bewusstseinsstörung geboten. Durch seine Untersuchungen konnte der Sachverständige ausschließen, dass der Kläger diesen Zustand nur simuliert hat. Wie der Sachverständige in der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens im Termin vom 06.02.2014 erklärt hat, haben die von ihm veranlassten toxischen Untersuchungen keinen Hinweis darauf erbracht, dass sich der Kläger durch die Einnahme von Medikamenten bewusst in den bei der Untersuchung durch den Sachverständigen vorgefundenen Zustand versetzt haben könnte. Der Sachverständige hat weiter erläutert, dass der körperliche Befund des Klägers unauffällig war und er – der Sachverständige – bei einer Intoxikation Anzeichen darauf hätte finden müssen. Der Sachverständige war sich sicher, dass die schon vor dem Arbeitsunfall vom 09.04.2010 vorhandene strukturelle Persönlichkeitsstörung des Klägers durch den Arbeitsunfall und die mangelnde Anerkennung durch den Arbeitgeber in einem ungewöhnlichen Ausmaß virulent geworden ist, so dass sie schließlich in eine Berufsunfähigkeit mündete. Der Sachverständige konnte mit Sicherheit sagen, dass diese Berufsunfähigkeit seit dem 01.11.2010 bestand. Für den Zeitraum ab dem Arbeitsunfall konnte er diese Aussage nicht mit der hinreichenden Sicherheit treffen, weil nach einem Bericht des evangelischen Krankenhauses Unna vom 19.04.2010 zum damaligen Zeitpunkt keine Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestanden hat, da dieser in subjektivem Wohlbefinden mit leichten Restbeschwerden damals aus dem Krankenhaus entlassen worden ist. Auch wenn der Sachverständige in rückschauender Betrachtung Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit gehegt hat, sah er sich außer Stande mit der erforderlichen Sicherheit ein durchgehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers bereits ab dem Arbeitsunfall vom 09.04.2010 festzustellen, woraus dann auch die Berufsunfähigkeit zu folgern gewesen wäre.

Dementsprechend stehen dem Kläger die bedingungsgemäßen Leistungen nicht – wie beantragt – ab Mai 2010, sondern erst ab Dezember 2010 zu, so dass die Leistungsklage nur teilweise – wenn auch zum ganz überwiegenden Teil – erfolgreich war. Den Antrag zu Ziffer 4. hat das Gericht in ein Feststellungsbegehren umgedeutet, weil das Leistungsbegehren wegen fehlender Vollstreckbarkeit unzulässig war. Dem Antrag zu Ziffer 5. konnte das Gericht ebenfalls stattgeben, da – wie ausgeführt – Rücktrittserklärung und Vertragsanfechtung der Beklagten nicht berechtigt waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und deren Abwendung aus §§ 708 Nr. 11, 709 und 711 ZPO.

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