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Berufsunfähigkeitsversicherung – wahrheitswidrig beantwortete Gesundheitsanfragen

OLG Stuttgart – Az.: 7 U 51/14 – Urteil vom 23.06.2014

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 14.2.2014 (Aktenzeichen 22 O 155/13) abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 14.086,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.208,00 € seit 18.7.2012 sowie aus je 34,79 € seit 1.8, 1.9., 1.10., 1.11., 1.12.2012, 1.1., 1.2., 1.3., 1.4., 1.5., 1.6., 1.7. und 1.8.2013 sowie aus 11.426,00 € seit 18.8.2013 zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 446,13 € zu bezahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen trägt die Klägerin 30 %, die Beklagte 70 %.

IV. Das vorliegende Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar. Gleiches gilt für das landgerichtliche Urteil, soweit es nicht abgeändert ist.

Beide Parteien können die Zwangsvollstreckung des Gegners durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Geldbetrags abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor Vollstreckungsbeginn Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Geldbetrags leistet.

V. Die Revision wird zugelassen, soweit die Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte aus der Versicherung Nr. … betroffen sind.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 20.126,47 €

Gründe

I.

Die Klägerin ist Alleinerbin ihres am … geborenen und am … verstorbenen Ehemannes. Dieser begehrte mit der vorliegenden Klage Rückerstattung von Prämien, die er seit Juli 2008 für zwei bei der Beklagten in der Form der betrieblichen Altersversorgung geführte Lebensversicherungen (Direktversicherungen) gezahlt hat. Den Erstattungsanspruch stützte er darauf, dass er im Juli 2008 berufsunfähig geworden sei und beide Direktversicherungen Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen einschlossen, deren Versicherungsleistung in der Befreiung von der Beitragszahlungspflicht zur jeweiligen Hauptversicherung bestand. Die Beklagte verweigerte vorgerichtlich die geltend gemachten Leistungen, nachdem sie ihre Willenserklärungen zu den Vertragsabschlüssen wegen arglistiger Täuschung angefochten hatte (wegen des Inhalts der Anfechtung vgl. Anlage K 13, Bl. 26 d. A.). Der Ehemann der Klägerin (im Folgenden: „Ehemann“) hatte bei der Beantwortung von Fragen nach gesundheitlichen Störungen, die die Beklagte in der zeitlich früher geschlossenen der beiden Versicherungen schriftlich gestellt hatte, eine Parkinson-Erkrankung nicht angegeben.

Nach dem Tode ihres Ehemannes am … führte die Klägerin den Rechtsstreit als Alleinerbin fort.

Wegen des Vorbringens der Parteien und des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug im Einzelnen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Lediglich zum besseren Verständnis soll die Vertragshistorie nochmals dargestellt werden, und zwar unter Einbeziehung des ergänzenden Sachvortrags der Beklagten, den diese auf die Aufklärungsverfügung des Senats vom 10.4.2013 hin gehalten hat:

• Im Jahr 1994 wurde der Ehemann gegen Gehaltsumwandlung als Versicherter in eine Direktversicherung einbezogen, die sein damaliger Arbeitgeber als Gruppen-Lebensversicherung bei der Beklagten genommen hatte. Schutz gegen Berufsunfähigkeit bot diese Versicherung damals nicht.

• Zum Jahresende 1999 schied der Ehemann bei seinem Arbeitgeber aus. Sein neuer Arbeitgeber führte die Direktversicherung als Versicherungsnehmer im bisherigen Umfang weiter.

• Zum Jahresbeginn 2002 wechselte der Ehemann erneut den Arbeitgeber und trat in die Dienste der … AG ein. Die bisherige Direktversicherung wurde zum 1.3.2002 durch Vermittlung des -eigenen Maklerdienstes (im Folgenden: …) in einen Gruppenvertrag übernommen (Versicherungsnr. …, vgl. Anl. K 2, Bl. 14 d. A.), den die … AG zu Gunsten ihrer Mitarbeiter als Direktversicherung abgeschlossen hatte (Anlage B 9, Bl. 67 d. A.). In diesem Gruppenvertrag war eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung eingeschlossen, deren Versicherungsleistung in der Beitragsbefreiung in der Hauptversicherung während der Dauer der Berufsunfähigkeit bestand (vgl. Versicherungsbescheinigung Anl. K 1, Bl. 13 ff). Nach den Vertragsbedingungen des Gruppenvertrags mit der … AG wäre eine Übernahme des Ehemannes in diesen Gruppenvertrag ohne Risikoprüfung nur möglich gewesen, wenn er eine „Dienstobliegenheitserklärung“ abgegeben hätte. Hierfür hätte er seit mindestens 6 Monaten in den Diensten der … AG stehen müssen. Weil der Ehemann im Zeitpunkt der Übernahme in den Gruppenvertrag bei der … AG diese Voraussetzungen noch nicht erfüllt hatte, war dieser Weg nicht gangbar. Die Übernahme des Ehemanns in die Gruppe der Versicherten erforderte daher eine Risikoprüfung. In deren Rahmen stellte die Beklagte schriftliche Fragen nach gesundheitlichen Störungen, die der Ehemann am 8.2.2002 allesamt verneinte (vgl. Anlage K 3, Bl. 15 d. A.).

• Im Jahr 2004 schloss der Ehemann – wieder auf Vermittlung der … (vgl. Anlage K 4, 4 a, Bl. 16 d. A.) – im Rahmen des Gruppenvertrags der … AG eine weitere Lebensversicherung (Direktversicherung, Versicherungsnr. ) unter Einschluss einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (Beitragsbefreiung in der Hauptversicherung während der Berufsunfähigkeit) ab, nachdem der Ehemann eine „Dienstobliegenheitserklärung“ abgegeben hatte. Die Risikoprüfung der Beklagten beschränkte sich deshalb darauf, die Gesundheitserklärung des Ehemanns vom 8.2.2002 anlässlich seiner Übernahme in die Gruppen-Direktversicherung der … AG (Versicherungs-Nr. – …) einzusehen und auf dieser Grundlage eine Risikoeinschätzung vorzunehmen.

Unter Bezugnahme auf ihr gesamtes erstinstanzliches Vorbringen rügt die Klägerin, das Landgericht habe den Sachverhalt unrichtig festgestellt sowie das materielle Recht fehlerhaft angewandt. Sie greift das landgerichtliche Urteil in drei zentralen Punkten wie folgt an:

1. Das Landgericht habe verkannt, dass der Versicherte die Vertragsumgestaltung im Jahr 2002 lediglich als Risikoverminderung betrachtet habe und sich deshalb aus seiner Sicht kein Motiv für eine arglistige Täuschung ergeben habe.

Das Landgericht habe bei seiner Würdigung nämlich nicht bedacht, dass

• aus der Sicht des Versicherten lediglich der schon seit vielen Jahren bestehende Versicherungsvertrag in den Gruppenversicherungsvertrag seines neuen Arbeitgebers übernommen worden sei;

• die damit einhergehenden Risikoerhöhungen in Form einer eingeschlossenen Beitragsbefreiung bei Eintritt des Versicherungsfalles durch Herabsetzung der Todesfallleistung ausgeglichen worden sei;

• der Versicherte keine Möglichkeit gehabt habe, sich für oder gegen die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu entscheiden, weil diese obligatorischer Bestandteil des Vertrags gewesen sei;

•keine der vom Versicherten im Rahmen der Vertragsumstellung unterzeichneten Dokumente einen Hinweis auf die Einbeziehung eines Berufunfähigkeitsschutzes beinhaltet habe, weshalb der Versicherte hiervon keine Kenntnis hatte und zunächst trotz eingetretenem Versicherungsfall keine Versicherungsleistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung beansprucht habe;

Dem Versicherten sei daher nicht bewusst gewesen, dass mit der Vertragsumgestaltung ein neues Risiko versichert würde; er habe die Durchführung einer neuen Gesundheitsprüfung nicht nachvollziehen können. Sein Motiv für die fehlerhafte Beantwortung der Gesundheitsfragen sei daher nicht gewesen, sich hierdurch einen bisher nicht genossenen Versicherungsschutz zu erschleichen, sondern Diskussionen über seinen Gesundheitszustand mit seinem neuen Arbeitgeber zu vermeiden.

2. Auch beim Vertragsschluss im Jahr 2004 habe der Versicherte die Beklagte nicht arglistig getäuscht. Das Landgericht habe insoweit nicht bedacht, dass

• die Beklagte im Jahr 2004 keine Gesundheitsprüfung durchgeführt habe,

• die Beklagte lediglich darauf abgestellt habe, dass sie sich auf die Angaben des Versicherten anlässlich der Vertragsumstellung im Jahr 2002 verlassen habe.

Hieraus lasse sich eine arglistige Täuschung aus Rechtsgründen nicht herleiten.

3. Das Landgericht habe verkannt, dass die absolute Ausschlussfrist gem. § 124 Abs. 3 BGB abgelaufen gewesen sei. Eine Verlängerung dieser Frist komme entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht in Betracht.

Im Hinblick darauf, dass die beiden Versicherungsverträge – vorbehaltlich der im Streit stehenden Anfechtungserklärung der Beklagten – infolge des Todes des Ehemanns der Klägerin beendet sind, änderte die Klägerin im Berufungsrechtszug ihre Klageanträge und bezifferte sämtliche mit der Klage erstrebten Versicherungsleistungen. Neben den bereits bisher streitgegenständlichen Ansprüchen auf Erstattung der – vermeintlich – rechtsgrundlosen Prämienzahlungen zu den Lebensversicherungen erstrebt die Klägerin nun auch die Todesfallleistung aus der im Jahr 2004 abgeschlossenen Versicherung Nr. … . Hinsichtlich des Anspruchs auf Beitragsbefreiung, den die Klägerin aus der in diese Versicherung eingeschlossenen BUZ herleitet, hat die Beklagte in der mündlichen Berufungsverhandlung zugestanden, dass der Ehemann seit Juli 2008 berufsunfähig erkrankt war, insbesondere nach der operativen Behandlung eines aggressiven Glioblastoms am 21.7.2008, und seine Berufsfähigkeit bis zu seinem Tod nicht wieder erlangte.

Wegen der Berechnung der Klageforderung im Einzelnen wird auf Bl. 150 d. A. verwiesen. Die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten stützt die Klägerin darauf, dass ihr Ehemann nach der Leistungsablehnung der Beklagten mit Schreiben vom 18.7.2012 (Anlage K 13, Bl. 26 d. A.) zur Durchsetzung seiner Ansprüche den Versicherungs- und Rentenberater … konsultiert hat. Dieser stellte seine erfolglosen Bemühungen dem Ehemann der Klägerin mit Kostennote vom 9.11.2012 (Anlage K 19, Bl. 32 d. A.) in Rechnung.

Die Klägerin beantragt nunmehr:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 20.126,47 € zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 7.008,00 € seit 18.7.2012 sowie aus je 130,19 € seit 1.8, 1.9., 1.10., 1.11., 1.12.2012, 1.1., 1.2., 1.3., 1.4., 1.5., 1.6., 1.7. und 1.8.2013 sowie aus 11.426,00 € seit 18.8.2013 zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.034,11 € zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Unter Bezugnahme auf ihren bisherigen Sachvortrag verteidigt sie das angefochtene Urteil.

Auf die Aufklärungsverfügung des Senats vom 10.4.2014 (Bl. 156 d. A.) ergänzte die Beklagte ihr Vorbringen wie folgt:

Hätte der Ehemann in seiner Gesundheitserklärung vom 8.2.2002 wahrheitsgemäß offenbart, dass er an Morbus Parkinson leide, so hätte die Beklagte keinen Versicherungsschutz in Form der Befreiung von den Prämienzahlungspflichten in der Hauptversicherung im Fall der Berufsunfähigkeit angeboten bzw. gewährt.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache Erfolg, soweit die Klägerin Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung („BUZ“) Nr. … nebst Zinsen und anteiligen Rechtsverfolgungskosten geltend macht; hinsichtlich der Ansprüche aus der Versicherung … nebst Nebenforderungen erweist sich die Berufung als unbegründet.

1. Ansprüche aus der BUZ … vom 5.4.2002

Ansprüche auf Versicherungsleistungen aus dieser Versicherung bestehen nicht. Die Beklagte hat den Berufsunfähigkeitszusatzversicherungsvertrag erfolgreich angefochten.

1.1 Der Ehemann hat die Beklagte arglistig getäuscht, indem er der Wahrheit zuwider die schriftlich gestellten Gesundheitsfragen unter dem Datum 8.2.2002 dahingehend beantwortet hatte, unter keinen gesundheitlichen Störungen zu leiden, obwohl er tatsächlich unstreitig unter Morbus Parkinson litt.

1.1.1 Zweifelsfrei handelt es sich bei einer derart schwerwiegenden Erkrankung um eine offenbarungspflichtige Gesundheitsstörung. Die Gefahrerheblichkeit dieser Erkrankung liegt auf der Hand.

1.1.2 Die Erkrankung war dem Ehemann auch bekannt. Aus dem Arztbericht der …klinik, …, vom 24.11.2011 ergibt sich, dass der Ehemann zu jenem Zeitpunkt bereits seit 13 Jahren, also seit 1998, mit dem Medikament Sifrol therapiert wurde und gut eingestellt war. Der Anwendungsbereich dieses Medikaments war dem Ehemann zur Überzeugung des Senats bekannt. Als diplomierter Maschinenbau- und Wirtschaftsingenieur war er in der Lage, den Beipackzettel des Medikaments zu verstehen. Auch dokumentierte sein Hausarzt …, den Ehemann am 14.5.2001 über die Diagnose „Morbus Parkinson“ unterrichtet zu haben. Beide Umstände lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Ehemann bei Abgabe seiner Gesundheitserklärung um seine schwerwiegende Erkrankung wusste .

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1.1.3 Dem Ehemann oblag eine wahrheitsgemäße Beantwortung der Gesundheitsfragen. Dies ergibt sich zwar nicht aus § 19 Abs. 1 VVG. Diese Vorschrift galt im Zeitpunkt der Abgabe der Gesundheitserklärung noch nicht. Sie ist auch nicht gem. Art. 1 Abs. 1 S. 1 EGVVG anwendbar. weil es sich bei den Vorgängen, die zum Vertragsschluss (genauer: zur Vertragsänderung) im Jahr 2002 führten, um vollständig in der Vergangenheit abgeschlossene handelt. Eine Rückwirkung auf diese Vorgänge kommt nicht in Betracht (Prölss/Martin/Armbrüster, VVG, 28. A., Art. 1 EGVVG Rdnr. 9 f m. w. N.). Vielmehr ergibt sich die Obliegenheit zur wahrheitsgemäßen Beantwortung der Gesundheitsfragen aus § 16 Abs. 1 S.1, 3 VVG a. F.

1.1.4 Der Ehemann hat somit durch die Erklärung, unter keinen Gesundheitsstörungen zu leiden, seine Erkrankung entgegen seiner Anzeigeobliegenheit vorsätzlich verschwiegen.

1.1.5 Zur Überzeugung des Senats hat der Ehemann mit dem Verschweigen seiner Erkrankung die Beklagte i. S. v. § 123 Abs. 1 BGB arglistig über seinen Gesundheitszustand getäuscht.

1.1.5.1 Arglistiges Verhalten erfordert das Bewusstsein und die mindestens billigende Inkaufnahme, durch das Verschweigen der Erkrankung im Erklärungsgegner einen Irrtum zu erregen und diesen dadurch zur Abgabe einer konkreten Willenserklärung zu veranlassen (BGH NJW 1957, 988; WM 1974, 866, 867; WM 1990, 505, 506). Für letzteren Umstand genügt es, dass Ehemann wusste oder damit rechnete und dabei billigend in Kauf nahm, dass der Beklagten die Erkrankung nicht bekannt war und bei ihrer Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte (BGH NJW 1994, 253, 254; BGH NJW-RR 1991, 411, 412).

1.1.5.2 Als innerer Vorgang können der erforderliche, mindestens bedingte Vorsatz und die finale Zielrichtung des Verschweigens nur aus äußeren Indizien geschlossen werden. Im vorliegenden Fall zieht der Senat aus dem Umstand, dass der Ehemann die im Rahmen der ihm bekannten Vertragsänderung gestellten Gesundheitsfragen falsch beantwortet hat, den Schluss, dass der Ehemann im vorgenannten Sinne arglistig handelte. Das Verschweigen der Erkrankung war zur Überzeugung des Senats von der mindestens billigend in Kauf genommenen Einsicht getragen, eine wichtige, gefahrerhebliche Erkrankung zu verschweigen, deren wahrheitsgemäße Anzeige die Entschließung der Beklagten, den Übernahmeantrag des Ehemanns in die Gruppenversicherung der … AG anzunehmen, beeinflussen konnte.

1.1.5.3 Die von der Klägerin geltend gemachten Argumente, ihr Ehemann habe die Erkrankung lediglich deshalb verschwiegen, um etwaige Unannehmlichkeiten mit seinem neuen Arbeitgeber zu vermeiden, vermag diese Überzeugung nicht zu erschüttern. Gleiches gilt für die Behauptung der Klägerin, ihrem Ehemann sei gar nicht bekannt gewesen, dass mit der Übernahme seiner bisherigen Direktversicherung zusätzlich zum bisherigen Versicherungsschutz das Risiko der Berufsunfähigkeit versichert werde. Er habe den Gesundheitsfragen deshalb weder eine tatsächliche noch eine rechtliche Bedeutung beigemessen.

1.1.5.3.1 Dem Ehemann war mindestens bewusst, dass es mit der beantragten Übernahme seiner bisherigen Direktversicherung um eine Vertragsänderung ging, die für ihn Vorteile bot. Wäre seine bisherige Direktversicherung nicht in den Gruppenvertrag der … AG übernommen worden, so hätte er diese als Einzelversicherung unter Übernahme der Versicherungsnehmer-Eigenschaft fortführen müssen. Es ist senatsbekannt, dass Gruppenversicherungen durchgängig kostengünstiger als Einzelversicherungen kalkuliert werden, weil sie einen Gruppenrabatt beinhalten. Unabhängig von der Prämiensenkung, die der Ehemann anlässlich der Vertragsübernahme in die Gruppenversicherung der … AG wünschte, bot die Gruppenversicherung somit Kostenvorteile. Dass auch der Ehemann subjektiv die Vorstellung hatte, mit der Übernahme in die Gruppenversicherung irgendwie geartete Vorteile zu erlangen, lässt sich aus dem Umstand erschließen, dass er die Übernahme wünschte. Ohne die Annahme, der Ehemann habe sich von der Vertragsänderung einen Vorteil versprochen, lässt sich kein Motiv finden, weshalb er die Übernahme in den Gruppenvertrag hätte betreiben sollen.

1.1.5.3.2 War dem Ehemann klar, dass er eine für ihn vorteilhafte Vertragsänderung erstrebt, so war ihm auch zugleich klar, dass die Gesundheitsfragen eine Bedeutung sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht haben oder mindestens haben können und sei es nur in der Hinsicht, ob die Beklagte die Übernahme in den Gruppenvertrag bewilligt oder nicht. Damit hat der Senat keinen Zweifel daran, dass das Verschweigen der Parkinson-Erkrankung auch von dem erforderlichen finalen Element getragen war, mit der Falschbeantwortung der Gesundheitsfragen die Entschließung der Beklagten – möglicherweise – zu beeinflussen und diese Beeinflussung, sollte sie nicht beabsichtigt gewesen sein, so doch mindestens zu billigen. Auf seine Kenntnis, dass mit der Übernahme in den Gruppenvertrag der … AG auch eine Erweiterung des Versicherungsschutzes um eine Absicherung des Berufsunfähigkeitsrisikos einherginge, kommt es daher für die Feststellung seiner Arglist nicht an.

1.1.5.4 Der Senat hat deshalb keinen vernünftigen Zweifel daran, dass das Verschweigen der Parkinson-Erkrankung von Arglist getragen war.

1.2 Dass die Beklagte die Anfechtung auf ihre Willenserklärung auf Abschluss der Berufsunfähigkeitsversicherung beschränkte, begegnet keinen Bedenken. Der Täuschungsvorsatz des Ehemanns umfasste – wie dargelegt – die gesamte Umstrukturierung der bisherigen Direktversicherung durch Übernahme in den Gruppenvertrag der … AG. Die Falschbeantwortung der Gesundheitsfragen beeinflusste daher die Entscheidung der Beklagten nicht nur zur Frage, ob sie überhaupt eine Übernahme vornehmen würde, sondern auch die – weitere – Entscheidung, zusätzlich zur Lebensversicherung den üblichen, aber nicht zwingenden Berufsunfähigkeitsschutz zu bieten.

1.3 Entgegen der Auffassung der Klägerin war die Beklagte weder verpflichtet, die Übernahme in den Gruppenvertrag der … AG noch die Versicherung des Berufsunfähigkeitsrisikos vorzunehmen. Gem. § 4 (1) Abs. 3 des Gruppenversicherungsvertrags (Anlage B 9, Bl 67 d. A.) besteht ein solcher Kontrahierungszwang gerade nicht. Vielmehr hätte die Beklagte beides mit Rücksicht auf die Gesundheitssituation des Ehemannes verweigern können.

1.4 Der Senat ist aufgrund der Angaben der Zeugin … auch davon überzeugt, dass die Beklagte jedenfalls den Berufsunfähigkeitsschutz nicht geboten hätte, wenn sie von der Vorerkrankung des Ehemann gewusst hätte.

Die Zeugin … hat glaubwürdig bekundet, dass die im Jahr 2002 geltenden internen Annahmerichtlinien der Beklagten den Risikoprüfern keine andere Möglichkeit gelassen hätten, als den Antrag des Ehemanns auf Aufnahme der BUZ in den Versicherungsschutz abzulehnen. Die Angaben sind auch glaubhaft. Sie sind in hohem Maße plausibel. Ausweislich des Schreibens von Oberarzt … ., Klinik …, vom 24.11.2011 (Anlage B 6, Bl. 64 d. A.) wurde die Parkinson-Erkrankung des Ehemanns bereits in dessen 38. Lebensjahr diagnostiziert und musste ab diesem Zeitpunkt beständig medikamentös behandelt werden. Ein bereits in jungen Jahren auftretender Morbus Parkinson bietet eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Erkrankte vor Erreichen der Regelaltersgrenze krankheitsbedingt aus dem Berufsleben ausscheiden muss, also berufsunfähig wird. Es ist daher plausibel, dass die Beklagte das Berufsunfähigkeitsrisiko nicht gedeckt hätte, wenn sie über diese Erkrankung informiert gewesen wäre. Der Senat hat deshalb keinen Zweifel daran, dass die Zeugin … die Annahmerichtlinien der Beklagten richtig geschildert hat. Der Senat ist deshalb überzeugt, dass die Beklagte bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Anzeigenobliegenheit den Antrag des Ehemanns auf Einbeziehung der BUZ abgelehnt hätte.

1.5 Entgegen der Auffassung der Klägerin war die Beklagte nicht rechtlich gehindert, den Arglistvorwurf auf die falsche Beantwortung der Gesundheitsfragen zu stützen.

Die Gesundheitsfragen waren entgegen der Auffassung der Klägerin nicht deshalb unzulässig und damit wirkungslos gestellt, weil der Ehemann zeitgleich mit der Beantwortung der Gesundheitsfragen auch eine Dienstobliegenheitserklärung abgegeben hat (Anlage K 22, Bl. 82 d. A.). Diese hat nämlich nicht die Beklagte dem Ehemann „abverlangt“; vielmehr handelt es sich um eine Erklärung auf dem Vordruck der Ba., der zur Weiterleitung an die Beklagte vorgesehen war. Die Ba. war unstreitig als Versicherungsmaklerin tätig, stand also im Lager des Ehemannes. Die formularmäßige Erklärung wurde dem Ehemann also von seinem eigenen Versicherungsmakler „abverlangt“ zur Vorbereitung des Versicherungsantrags an die Beklagte. Diese handelte nicht widersprüchlich oder in unzulässiger Weise in einem „Doppelverfahren“, indem sie eine Gesundheitsprüfung verlangte; vielmehr hat sie die Dienstobliegenheitserklärung entsprechend den Vorgaben des Gruppenversicherungsvertrags (Anlage B 9, Bl. 67, dort § 4 (1) Abs. 3) unbeachtet gelassen und stattdessen die erforderliche Gesundheitsprüfung eingeleitet.

1.6 Die Anfechtungserklärung der Beklagten ist auch nicht deshalb wirkungslos, weil sie nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 124 Abs. 3 BGB i. V. m. § 22 VVG abgegeben wurde.

1.6.1 Richtig ist zwar, dass die in § 124 Abs. 3 BGB genannte 10-Jahres-Frist nicht eingehalten ist. Die Beklagte gab ihre Willenserklärung gegenüber dem Ehemann ab, indem sie diesem die aus Anlage K 1 (Bl. 13 d. A.) ersichtliche „Bescheinigung für den Versicherten“ vom 5.4.2002 übersandte. Ihre Anfechtungserklärung hingegen erfolgte erst am 18.7.2012 (vgl. Anlage K 13, Bl. 26 d. A.), also mehr als 10 Jahre später.

1.6.2 Dies hindert die Wirksamkeit der Anfechtungserklärung jedoch nicht. Für den Bereich des Versicherungsvertragsrechts ergibt sich aus dem Regelungsgehalt des § 21 Abs. 3 VVG eine vom allgemeinen Recht abweichende speziellere Regelung. Soweit ersichtlich, gibt es hierzu noch keine obergerichtliche oder gar höchstrichterliche Rechtsprechung; in der Literatur werden die entscheidungserheblichen Rechtsfragen kontrovers, jedoch ohne größere Vertiefung erörtert. Der Senat ließ sich von folgenden Erwägungen leiten:

1.6.2.1 Um Missbrauchsfällen entgegenzuwirken, hat der Gesetzgeber die in §§ 19 Abs. 2, 3 S. 2 VVG normierten Rücktritts- und Kündigungsrechte im Falle schuldhaft verletzter Anzeigeobliegenheiten nicht auf die in § 21 Abs. 3 S. 1 VVG geregelte 5-Jahres-Frist beschränkt, wenn der Versicherungsfall bereits vor deren Ablauf eingetreten ist. Es soll vermieden werden, dass die Meldung eines Versicherungsfalls, für den der Versicherer wegen einer Anzeigepflichtverletzung nicht eintreten müsste, bis nach Ablauf der Ausschlussfrist verzögert wird und der Versicherer seine Rechte deshalb nicht mehr geltend machen kann (BT-Drs. 16/5862, S. 12, 99).

§ 21 Abs. 3 S. 2 VVG erweitert die 5-Jahres-Frist auf einen Zeitraum von 10 Jahren, wenn das Rücktritts- und Kündigungsrecht auf arglistigem Verhalten des Versicherungsnehmers gründet. Der Schutzzweck des § 21 Abs. 3 S. 1 VVG erfordert es, dass auch die 10-Jahres-Frist des nachfolgenden Satzes 2 ebenfalls nur dann Ausschlusswirkung entfaltet, wenn nicht vor Ablauf der Frist der Versicherungsfall eingetreten ist; denn im Falle arglistiger Täuschung bedarf der Versicherer mindestens des gleichen Schutzes vor Missbrauch wie im Falle bloß grob fahrlässiger Verletzung der in § 19 Abs. 1 VVG bezeichneten Anzeigeobliegenheiten.

1.6.2.2 Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, muss diese Einschränkung der Ausschlussfrist des § 21 Abs. 3 VVG erst Recht im Falle arglistiger Täuschung gelten. Wenn vorsätzlich oder arglistig verletzte Anzeigepflichten unter den Voraussetzungen des § 21 Abs. 3 S. 1 VVG ein Rücktrittsrecht auch nach Ablauf der 10-Jahres-Frist ermöglichen, muss dies auch für das auf die arglistige Täuschung gestützte Anfechtungsrecht gelten. Es wäre ein nicht hinnehmbarer Wertungswiderspruch, wenn die 10-Jahres-Frist bei arglistiger Verletzung der Anzeigepflicht dem Versicherer die einseitige Lösung vom Versicherungsvertrag durch Rücktritt ermöglich würde, nicht jedoch die Vernichtung des Vertrags durch Anfechtung.

Eine solche unterschiedliche Handhabung ließe sich auch nicht durch die unterschiedlichen Rechtsfolgen beider Gestaltungsrechte erklären. Diese erweisen sich im Kern nämlich als gleichartig. Während der Versicherungsvertrag als Folge des Rücktritts gem. §§ 346 ff BGB rückabzuwickeln ist, erfolgt die Rückabwicklung im Falle der Anfechtung gem. §§ 812 ff BGB. Beide Rückabwicklungsverfahren erfahren jedoch die gleiche Modifikation, indem der Versicherer gem. § 39 Abs. 1 S. 2 VVG die erhaltene Prämie behalten darf. Damit sind die wesentlichen Rückgewähransprüche des Versicherungsnehmers gem. § 346 Abs. 1 BGB bzw. § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Altern. BGB in gleicher Weise ausgeschlossen. Das Rechtsfolgesystem von Rücktritt und ungerechtfertigter Bereicherung kann daher keine Argumente dafür liefern, die zeitliche Befristung des Anfechtungsrechts wegen arglistiger Täuschung anders vorzunehmen als die Befristung des Rücktrittsrechts aus demselben Grund.

1.6.3 Der Rechtsgedanke des § 21 Abs. 3 VVG muss vorliegend angewandt werden, obwohl die im Jahr 2002 erfolgte Vertragsänderung selbst sich nach den Vorschriften des VVG a. F. beurteilt. Bei der vorliegenden Rechtsfrage geht es nicht um eine Rückwirkung neuer Vorschriften auf bereits in der Vergangenheit abgeschlossene Vorgänge. Auch nach altem Recht wirkte die Anfechtbarkeit einer durch arglistige Täuschung beeinflussten Willenserklärung 10 Jahre nach (§§ 22 VVG a. F, 124 Abs. 3 BGB), reichte also weit in den Zeitraum der Gesetzesänderung zum 1.1.2008 hinein. Es bestehen daher keine Bedenken, die in die Zeit nach der Gesetzesneufassung fallenden gleichartigen Rechtsfolgen der Anfechtbarkeit den neuen Vorschriften zu unterwerfen, zumal schutzwürdige Interessen des arglistigen Täuschenden nicht zu erkennen sind. Der Ehemann durfte nicht darauf vertrauen, dass nach Ablauf von 10 Jahren seine arglistige Täuschung unabhängig von jeder Gesetzesänderung ohne Sanktion bleiben würde.

1.6.4 Die Regelungen des § 21 Abs. 3 S. 2 VVG sind auch nicht aus dem Grund unanwendbar, weil sie sich auf die in § 19 Abs. 1 VVG bezeichneten Anzeigepflichten beziehen, der im Zeitpunkt der vorliegend in Rede stehenden Gesundheitserklärung noch nicht galt. Dem Ehemann hätte nämlich auch dann die wahrheitsgemäße Beantwortung der Gesundheitsfragen oblegen, wenn § 19 Abs. 1 VVG schon am 8.2.2002 gegolten hätte. § 19 Abs. 1 VVG hat die Anzeigenobliegenheiten zu Gunsten der Versicherten gegenüber dem zuvor herrschenden Rechtszustand eingeschränkt. Wenn der Ehemann aber selbst nach neuem Recht zur Anzeige seiner Parkinson-Erkrankung verpflichtet gewesen wäre – was zweifelsfrei der Fall ist – so besteht kein Anlass, die Rechtsfolgen des neuen Rechts auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden.

1.6.5 Demnach ist das Anfechtungsrecht der Beklagten nicht durch Ablauf der 10-Jahres-Frist des § 124 Abs. 3 BGB ausgeschlossen.

1.7 Als Folge der wirksamen Arglist-Anfechtung erweist sich die Willenserklärung der Beklagten als rückwirkend nichtig (§ 142 Abs. 1 BGB). Damit wurde jedenfalls die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung rückwirkend unwirksam mit der Folge, dass Leistungsansprüche aus dieser Versicherung nicht bestehen.

1.8 Die Klage ist daher wegen eines Teilbetrags von

Beitragsbefreiung 8/2008 – 7/2012: 48 Monate * 100 €/Monat = 4.800,00 €

Beitragsbefreiung 8/2012 – 8/2013:  13 Monate * 95,40 €//Monat = 1.240,20 €

Summe: 6.040,20 €

abzuweisen. Dies gilt auch für die auf diesen Streitteil entfallenden Nebenforderungen.

2. Ansprüche aus der BUZ Nr. … vom 20.10.2004

Demgegenüber bestehen die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche aus der Versicherung Nr. … vom 20.10.2004. Die Anfechtungserklärung der Beklagten entfaltet insoweit keine Wirkung.

2.1 Anspruch auf Todesfallleistung in Höhe von 11.426 €:

2.1.1 Gegen die Zulässigkeit der Erweiterung der Klage im 2. Rechtszug um die Todesfallleistung bestehen keine Bedenken. Neuer Sachvortrag ist nicht erforderlich. Dass der Ehemann im Laufe des 1. Rechtszugs verstorben ist, steht außer Streit. Die versprochene Todesfallleistung ist aus den bereits im 1. Rechtszug vorgelegten Unterlagen ersichtlich (vgl. Anlage K 5, Bl. 17 d. A.). Die Klageerweiterung ist auch sachdienlich, weil ein weiterer Prozess über diesen Streitteil vermieden wird. Die Voraussetzungen des § 533 Abs. 1, 2 ZPO liegen damit vor.

2.1.2 Der Anspruch auf die Todesfallleistung ist begründet.

2.1.2.1 Der Vertragsabschluss vom 20.10.2004 bezüglich der Versicherung Nr. … wird durch die Anfechtungserklärung der Beklagten nicht berührt. Es fehlt an einem Anfechtungsrecht der Beklagten. Die Beklagte kann nämlich nicht geltend machen, der Ehemann habe sie beim Vertragsabschluss arglistig getäuscht.

2.1.2.1.1 Die Beklagte hat keine Gesundheitsprüfung durch Stellung von Gesundheitsfragen durchgeführt. Insoweit kommen falsche Angaben des Ehemanns nicht in Betracht. Dass die Beklagte sich bei ihrer internen Prüfung auf die falschen Angaben des Ehemanns im Jahr 2002 verlassen hat, stellt keine arglistige Täuschung dar. Es fehlt daran, dass der Ehemann bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen im Jahr 2002 nicht zugleich den – mindestens bedingten – Vorsatz hatte, eine Willensbildung der Beklagten bezüglich eines zukünftigen, noch gar nicht absehbaren weiteren Vertrags zu beeinflussen. Das finale Vorsatzelement der Täuschung über seinen wahren Gesundheitszustand beschränkte sich vielmehr auf die konkret im Jahr 2002 anstehende Vertragsänderung und erschöpfte sich darin.

2.1.2.1.2 Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich eine arglistige Täuschung auch nicht aus der Dienstobliegenheitserklärung des Ehemanns vom 5.10.2004. Darin hatte der Ehemann lediglich erklärt, seinen Dienst „derzeit uneingeschränkt aus[zu]übe[n]“. Dass diese Erklärung falsch war, ist nicht ersichtlich. Die von der Beklagten geltend gemachte Tagesmüdigkeit bedeutet nicht, dass der Ehemann nicht seinen Dienst uneingeschränkt ausgeübt hätte.

2.1.3 Der Vertrag Nr. … ist mithin wirksam. Die Beklagte schuldet somit die versprochene und mit der Klageerweiterung im Berufungsrechtszug verfolgte Todesfallleistung in Höhe von 11.426,00 €

2.2 Anspruch auf Beitragsbefreiung:

Auch dieser Anspruch ist begründet.

2.2.1 Die Beklagte hat in der mündlichen Berufungsverhandlung zugestanden, dass der Ehemann – wie von der Klägerin geltend gemacht – seit Juli 2008, insbesondere seit seiner Operation am 21.7.2008 wegen eines aggressiven Glioblastoms, berufsunfähig erkrankt war und bis zu seinem Tode blieb.

2.2.2 Ebenso wenig wie den Anspruch auf die Todesfallleistung berührt die Anfechtungserklärung der Beklagten den Anspruch aus der in die Versicherung Nr. … eingeschlossenen BUZ auf Befreiung von der Prämienzahlungspflicht in der Hauptversicherung. Die obigen Ausführungen zu 2.1.2 bis 2.1.2.1.2 gelten entsprechend.

2.2.3 Ansprüche auf Beitragsbefreiung für die Zeit vor dem 19.1.2012 sind nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie für eine zurückliegende Zeit vor Anspruchsanmeldung geltend gemacht werden. Nach den Versicherungsbedingungen schuldet die Beklagte Beitragsbefreiung ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit (§ 1 Abs. 2 BVB Berufsunfähigkeitsvorsorge, Anlage K 8, Bl. 21 d. A.). Ausschlusstatbestände für verspätete Anzeigen des Versicherungsfalles sind nicht vereinbart.

2.2.4 Gem. § 5 (1) BVB Berufsunfähigkeitsvorsorge (Anlage K 8, Bl. 21 d. A.) traf den Ehemann zwar die Obliegenheit, den Eintritt der Berufsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen. Dies führt jedoch nur unter den Voraussetzungen des § 8 S. 1, 2 BVB Berufsunfähigkeitsvorsorge (Anlage K 8, Bl. 21 d. A.) zur Leistungsfreiheit.

2.2.4.1 Eine vorsätzliche Verletzung der Obliegenheit gem. § 8 S. 1, 1. Altern. BVB Berufsunfähigkeitsvorsorge (Anlage K 8, Bl. 21 d. A.) lässt sich auf der Grundlage des Vorbringens beider Parteien sowie der vorgelegten Unterlagen nicht feststellen. Die Gründe, weshalb der Ehemann seine vermeintlichen Ansprüche so spät angemeldet hat, bleiben im Dunkeln. Dies geht zu Lasten der Beklagten, die die Darlegungs- und Beweislast für die Leistungsbefreiung gem. § 8 S. 1 BVB Berufsunfähigkeitsvorsorge trägt.

2.2.4.2 Nachdem die Beklagte die Berufsunfähigkeit des Ehemanns ab Juli 2008 zugestanden hat, wirkt sich eine etwaige grob fahrlässige Verletzung der Anzeigenobliegenheit gem. § 8 S. 1, 2. Altern. BVB Berufsunfähigkeitsvorsorge (Anlage K 8, Bl. 21 d. A.) weder auf die Feststellung noch auf den Umfang der Leistungspflicht der Beklagten aus. Gem. § 8 S. 2 BVB Berufsunfähigkeitsvorsorge bleibt die Leistungspflicht der Beklagten selbst dann bestehen, wenn der Ehemann die eingetretene Berufsunfähigkeit grob fahrlässig verspätet angezeigt hätte.

2.2.5 Die Beklagte schuldet daher Beitragsbefreiung in der Versicherung Nr. … für den Zeitraum vom 1.8.2008 bis zum 31.8.2013. Die in dieser Zeit entrichteten Prämien hat sie wie folgt zurückzuerstatten:

Beitragsbefreiung von 8/2008 bis 7/12: 48 Monate * 46,00 €//Monat = 2.208,00 €

Beitragsbefreiung von 8/2012 bis 8/13:   13 Monate * 34,79 €//Monat = 452,27 €

Summe: 2.660,27 €

2.3 Die Klage erweist sich daher in der Hauptsache wegen einer

Todesfallleistung in Höhe von 11.426,00 €

Beitragsbefreiung von 8/20008 bis 8/12 in Höhe von:  2.660,27 €

als begründet, sonach in der Summe von 14.086,27 €

2.4 Die Beklagte schuldet aus den rückständigen Beträgen jeweils Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Beklagte im Zeitpunkt ihrer Leistungsablehnung am 18.7.2012 dem Ehemann lediglich die Prämienzahlungen für den Zeitraum von August 2008 bis Juli 2012, also für 48 Monate zu je 46,00 € = 2.208,00 €, hätte erstatten müssen. Mit der Erstattungspflicht für die erst später gezahlten Prämien befand sich die Beklagte hingegen ab der jeweiligen Einziehung zum Fälligkeitsdatum in Verzug, weil sie diese Prämien in Erfüllung ihrer Pflicht zur Beitragsbefreiung nicht hätte einziehen dürfen.

2.5 Die Beklagte schuldet unter dem Gesichtspunkt des Verzugsschadensersatzes gem. §§ 286 Abs. 1, 2 Nr. 3, 280 Abs. 2 BGB Ersatz der durch den Verzug verursachten Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung mit Hilfe des Renten- und Versicherungsberaters Begas. Dessen Beauftragung im August 2012 (vgl. Anlage K 14, Bl. 27 d. A.) war nur insoweit veranlasst, als der Ehemann berechtigt nur die Anfechtungserklärung der Beklagten bezüglich des Versicherungsvertrags Nr. … angreifen und Versicherungsleistungen in Form der Beitragsbefreiung einfordern lassen konnte.

2.5.1 Maßstab für die Erstattung dieser Aufwendungen der außergerichtlichen Rechtsverfolgung sind diejenigen Kosten, die ein zugelassener Rechtsanwalt bei einem entsprechenden Auftrag hätte abrechnen können.

2.5.2 Dieser hätte eine 1,3-fache Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG nebst Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG und Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG abrechnen können.

2.5.3 Der Geschäftsgebühr hätte dabei ein Geschäftswert in Höhe von 4.140,00 € zu Grunde gelegt werden müssen. Das Interesse des Ehemanns an der Fortführung des Versicherungsvertrags ist nämlich anhand der damals absehbaren, von der Beklagten geschuldeten Versicherungsleistung zu bewerten. Diese bestand in der Beitragsbefreiung in der Hauptversicherung. Das in die Zukunft gerichtete Interesse ist entsprechend § 23 Abs. 1 S. 3 RVG i. V. m. §§ 48 Abs. 1 S. 1 GKG, 9 ZPO mit dem 42-fachen Monats-Prämienbetrag, von dem die Beklagte hätte befreien müssen, zu bewerten, also mit 42 Monate * 46,00 €/Monat = 1.932,00 €. Entsprechend § 42 Abs. 3 S. 1 GKG sind die bei Beauftragung des Versicherungs- und Rentenberaters bereits fällig gewordenen Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht eingezogener Prämien in der Zeit von August 2008 bis Juli 2012, also 48 Monate zu je 46,00 €/Monat = 2.208 € hinzuzurechnen. Der Geschäftswert summiert sich daher auf 2.208,00 € + 1.932,00 € = 4.140,00 €

2.5.4 Damit ergeben sich folgende erstattungsfähigen Aufwendungen der außergerichtlichen Rechtsverfolgung:

1,3-fache Geschäftsgebühr aus Geschäftswert 4.140 €:  354,90 €

Auslagenpauschale: 20,00 €

Zwischensumme: 374,90 €

Umsatzsteuer 19 %: 71,23 €

Summe: 446,13 €

2.5.5 Weitergehende Ansprüche auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten bestehen nicht.

III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1 ZPO, soweit die Berufung zurückgewiesen wurde, im Übrigen auf § 92 Abs. 1 ZPO.

2. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf §§ 708 Nr. 10 S. 1, 2, 711, 709 S. 2 ZPO.

3. Hinsichtlich des Streitteils bezüglich der Versicherung Nr. 6/660 659/1471 ist die Revision zuzulassen. Die in diesem Streitteil aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Vorschrift des § 21 Abs. 3 S. 1 VVG entsprechend anzuwenden ist auf die Ausschlussfrist zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung hat zum einen grundsätzliche, über den Einzelfall hinausweisende Bedeutung; zum anderen erfordert die vom Senat vorgenommene Rechtsfortbildung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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