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Berufsunfähigkeitsversicherung – Wiedereingliederungsmaßnahme und Verweisung

Oberlandesgericht Nürnberg

Az: 8 U 607/11

Urteil vom 23.01.2012


In dem Rechtsstreit wegen Leistung erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg -8. Zivilsenat- auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17.10.2011 folgendes Endurteil

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11.02.2011, Az. 11 O 6107/08, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 40.120,00 € festgesetzt.

Gründe

A. Die Parteien streiten um die Frage, ob die Beklagte ihre Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung berechtigt eingestellt hat.

Wegen der erstinstanzlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Ergänzend hat der Senat festgestellt:

Der Kläger hatte am 22.01.2007 eine Wiedereingliederungsmaßnahme als Produktionsarbeiter bei seiner bisherigen Arbeitgeberin, der Fa. V., begonnen. Im Rahmen dieser von der Deutschen Rentenversicherung, Knappschaft – Bahn – See (Knappschaft) getragenen Maßnahme arbeitete er zunächst zwei Stunden täglich, dann vier Stunden, schließlich im Mai 2007 an einem einzigen Tag sechs Stunden; der Kläger erhielt hierbei ein Überbrückungsgeld von 700,- oder 800,- EUR. Unter dem 29.6.2007 erteilte die Knappschaft dem Kläger den Bescheid: „Die stufenweise Wiedereingliederung gilt mit dem 31.05.2007 als abgebrochen“. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach Auffassung der Knappschaft in der Zeit bis zum 21.07.2007 nicht mehr mit dem Erreichen der vollen Arbeitsfähigkeit von acht Stunden zu rechnen sei, der Erfolg der Maßnahme sei somit ausgeschlossen. Außerhalb dieser Maßnahme arbeitete der Kläger bei derselben Arbeitgeberin – weiterhin als Produktionsarbeiter – sodann ab Juni 2007 drei Stunden täglich, wobei er einen Verdienst von rund 300,- EUR monatlich netto erzielte, während er vor dem Unfall vom 18.08.2005, der zur Anerkennung der Leistungspflicht der Beklagten aus der streitgegenständlichen Versicherung mit Schreiben vom 30.05.2006 geführt hatte, für seine Berufstätigkeit mit netto monatlich 900,- EUR bis 1.050,- EUR entlohnt worden war. Zum 31.03.2009 wurde dem Kläger von seiner Arbeitgeberin mit Zustimmung des Integrationsamts gekündigt. Seit November 2009 arbeitet er als Helfer in einem Autozentrum, wobei er – nach zunächst noch geringfügigerer Beschäftigung und Entlohnung – seit rund einem Jahr bei einer Arbeitszeit von 48 Stunden rund 320,- EUR netto pro Monat verdient. Daneben bezieht der Kläger von der Knappschaft auf Dauer eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 28.6.2010 in diesem Prozess hat die Beklagte den Kläger „auf die aktuell ausgeübte Tätigkeit“ verwiesen, die er vollschichtig ausüben könne.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil ausgeführt, dass die durch die Beklagte mit Schreiben vom 15.01.2008 zum 01.03.2008 vorgenommene Leistungseinstellung unwirksam ist, weil beim Kläger in seinem Beruf, so wie er bis zur Berufsunfähigkeit ausgeübt worden sei, weiterhin bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit bestehe. Mit der Frage der Verweisung hat es sich nicht befasst. Es hat wie folgt erkannt:

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab dem 01.03.2008 bis längstens zum 01.12.2030 eine monatliche Rente von 800,- EUR zu zahlen, zahlbar monatlich im Voraus.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger ab dem 01.03.2008 bis längstens zum 01.12.2035 von der Beitragszahlungspflicht zu der fondsgebundenen Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zum Versicherungsschein Nr. L 020571 244 022 freizustellen.

III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

IV. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

V. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gegen dieses den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 22.02.2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 22.03.2011 beim Oberlandesgericht Nürnberg eingegangene Berufung der Beklagten, die fristgerecht begründet wurde.

Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihr ursprüngliches Begehren weiter. Sie rügt, das Landgericht habe unbeachtet gelassen, dass beim Kläger eine berufliche Veränderung eingetreten sei, die dazu führe, dass keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit mehr vorliege. Mit Schriftsatz vom 28.06.2010 sei der Kläger auf die von ihm von Januar 2007 bis 31.03.2009 ausgeübte Tätigkeit, deren Ausübung ihm auch vollschichtig möglich sei, verwiesen worden. Die Ausgestaltung der Tätigkeit als Wiedereingliederungsmaßnahme stehe einer Verweisung ebenso wenig entgegen wie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dass der Kläger den Verweisberuf nur einige Stunden täglich tatsächlich ausübe, sei unerheblich; entscheidend sei, dass der medizinische Sachverständige festgestellt habe, dass der Kläger diesen Beruf vollschichtig ausüben könne. Die Berufsunfähigkeitsversicherung versichere das Risiko der Einschränkung der Fähigkeit des Versicherungsnehmers, seinen Beruf auszuüben und hieraus ein entsprechendes Einkommen zu erzielen. Es komme somit nicht darauf an, inwieweit der Versicherungsnehmer seinen Beruf ausüben wolle, sondern auf die Fähigkeit, ihn in bestimmtem Umfang zu versehen. Ausschlaggebend sei die Verdienstmöglichkeit, die Erzielbarkeit eines Einkommens aus einer konkret ausgeübten Berufstätigkeit und nicht die tatsächliche Einkommenssituation. Der Versicherer verliere sein Recht zur konkreten Verweisung nicht dadurch, dass der Versicherungsnehmer eine begonnene, zumutbare Tätigkeit nur zeitlich begrenzt verrichte.

Die Beklagte beantragt daher: Das am 11.02.2011 verkündete Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Az.: 1 O 6107/08, wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt hiergegen, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das Ersturteil als zutreffend. Er habe keine Verweisungstätigkeit aufgenommen. Bei der Wiedereingliederungsmaßnahme habe es sich um Leistungen der Knappschaft zur Teilhabe am Arbeitsleben gehandelt. Eine Umsetzung im Betrieb habe jedoch nicht durchgeführt werden können. Eine abstrakte Verweisung sei explizit im Versicherungsvertrag ausgeschlossen. Es käme nur eine Verweisung auf eine tatsächlich ausgeübte Tätigkeit in Betracht und nicht auf eine solche, die bloß ausgeübt werden könnte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Beweis hat der Senat nicht erhoben.

B. Die zulässige Berufung der Beklagten (§§ 511 ff ZPO) hat in der Sache keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Landgericht der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Dem Kläger stehen die bedingungsgemäßen Leistungen aus der bei der Beklagten abgeschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherung weiterhin zu. Die Leistungseinstellung zum 01.03.2008 ist nicht gerechtfertigt.

I. Dass der Kläger hinsichtlich seines ursprünglich ausgeübten Berufs als (angelernter) Elektroniker, so wie er bis zur Berufsunfähigkeit ausgeübt worden ist, nach wie vor bedingungsgemäß berufsunfähig ist, hat das Landgericht zutreffend ausgeführt und wird mit der Berufung nicht angegriffen.

II. Die Beklagte hat aber auch nicht deshalb die Leistung wirksam eingestellt, weil sie den Kläger berechtigt auf eine andere Tätigkeit verweisen konnte.

1. Das Leistungseinstellungsschreiben vom 15.01.2008 (Anlage B 9) führt ausschließlich zur Begründung aus, dass der Kläger wegen Besserung seines Gesundheitszustandes wieder zu mehr als 50 Prozent die Tätigkeit als „Handbestücker“, wie sie dem Anerkenntnis zugrunde lag, ausüben könne, so dass die Leistungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt seien. Eine Verweisung auf eine andere Tätigkeit erfolgte dabei nicht.

An die in der Mitteilung der Leistungseinstellung gegebene Begründung ist der Versicherer gebunden. Erweist sich diese Begründung im Prozess als nicht tragfähig, kann eine andere Begründung nicht „nachgeschoben“ werden, um damit die Leistungseinstellung zu rechtfertigen (vgl. Voit/Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 2. A., Abschnitt …., Das Nachprüfungsverfahren Rdnr. 40). Der Kläger hat somit in jedem Fall zunächst ab dem 01.03.2008 Anspruch auf die bedingungsgemäßen Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung, wie sie vom Erstgericht ausgeurteilt sind.

2. Allerdings ist die Beklagte nicht gehindert, mit einer anderen Begründung ein neues Nachprüfungsverfahren einzuleiten, sie kann dies auch während eines Prozesses über die zuerst gegebene Begründung tun, aber nur mit erneuter Mitteilung und nur mit Wirkung für die Zukunft (vgl. Voit/Neuhaus, aaO.).

Eine derartige erneute Einstellung kann in dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 28.06.2010 gesehen werden; eine Leistungseinstellung käme danach allerdings frühestens zum 01.08.2010 in Betracht. Jedoch beruft sich die Beklagte hierbei schon zu Unrecht auf eine bedingungsgemäße Verweisungstätigkeit des Klägers. Entgegen dem Berufungsvorbringen (Berufungsbegründung vom 19.05.2011, S. 4), das den von der Beklagten gemeinten zeitlichen Bezug der Verweisung klarstellt, wurde eine Verweisungstätigkeit durch den Kläger von Januar 2007 bis 31.03.2009 nicht ausgeübt.

Die Vertragsbedingungen sehen in § 7 (BUZ2004C) vor, dass nach Anerkennung der Leistungspflicht die Beklagte berechtigt ist, das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit und ihren Grad nachzuprüfen. Dabei kann erneut geprüft werden, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit ausübt, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihrer Lebensstellung bei Eintritt der Berufsunfähigkeit entspricht. Ist die Berufsunfähigkeit weggefallen oder hat sich ihr Grad auf weniger als 50 Prozent vermindert, werden die Leistungen eingestellt. § 2 der Vertragsbedingungen definiert, dass vollständige Berufsunfähigkeit vorliegt, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls außer Stande ist, ihrem vor Eintritt des Versicherungsfalls zuletzt ausgeübten Beruf nachzugehen und sie auch keine andere Tätigkeit ausübt, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht. Auf die abstrakte Verweisung wird ausdrücklich verzichtet. Als eine der Ausbildung und Erfahrung sowie der bisherigen Lebensstellung entsprechende berufliche Tätigkeit wird nach Abs. 4 des § 2 nur eine solche Tätigkeit angesehen, die keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und auch in ihrer Vergütung und Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau der bislang ausgeübten Tätigkeit absinkt.

Nach diesem Maßstab konnte der Kläger auf die von Ende Januar bis Ende Mai 2007 ausgeübte Tätigkeit bei der Fa. V. schon deshalb nicht verwiesen werden, weil es sich hierbei nicht um eine normale Beschäftigung auf dem freien Arbeitsmarkt, vergütet von einem Arbeitgeber, handelte. Die genannte Beschäftigung war eine stufenweise Wiedereingliederungsmaßnahme zu Lasten der Knappschaft. Tätigkeiten im Rahmen von Wiedereingliederungsmaßnahmen sollen arbeitsunfähige Versicherte nach länger andauernder schwerer Erkrankung schrittweise an die volle Arbeitsbelastung am bisherigen Arbeitsplatz heranführen und so den Übergang zur vollen Berufstätigkeit erleichtern. Es handelt sich hierbei um eine therapeutische betriebsbezogene Maßnahme, die den Rehabilitationsprozess unterstützen soll; sie wird vom behandelnden Arzt individuell geplant und flexibel ausgestaltet und ist auf maximal sechs Monate angelegt (vgl. Bescheid der Knappschaft vom 29.06.2007). Die Maßnahme wurde demgemäß im Falle des Klägers auch nicht beendet aus Gründen des Arbeitsmarktes, sondern weil die Knappschaft sie wegen der von ihr in Übereinstimmung mit den Feststellungen der Fa. V. (vgl. deren Schreiben vom 11.09.2008 an das Integrationsamt) so eingeschätzten gesundheitsbedingt fehlenden Belastbarkeit des Klägers über drei Stunden hinaus abgebrochen hat. Ein solcher Arbeitsversuch, finanziert mit einem von der Rentenversicherung getragenen Überbrückungsgeld, kann nicht als Verweisungstätigkeit im Sinne der Vertragsbedingungen gewertet werden.

Die Wiedereingliederungsbeschäftigung des Klägers war keine Tätigkeit, die seiner bisherigen Lebensstellung vor Eintritt des Versicherungsfalls entsprach. Die Wertschätzung (soziale Stellung des Versicherten; Ansehen, das ihm in den Augen der Öffentlichkeit sein Beruf vermittelt: Prölls/Martin, VVG, 28 A., § 172 Rdnr. 98) dieser nicht auf Dauer angelegten, therapeutischen, von der Rentenversicherung getragenen Maßnahme entspricht nicht derjenigen eines dauerhaften, am Markt erlangten und bestehenden, von Leistung und Gegenleistung lebenden regulären Arbeitsverhältnisses. Es trifft nicht zu, wie die Beklagte meint, dass die Wiedereingliederung im Vergleich zu einer normalen Beschäftigung „lediglich dazu (führt), dass die übliche, arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitszeit reduziert ist“ (Schriftsatz vom 09.08.2011, S. 4). Hiergegen lässt sich auch nicht die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung zu sogenannten Nischen- oder Schonarbeitsplätzen (zum Begriff: OLG Frankfurt/Main VersR 2007, 1358; Prölls/Martin, aaO., §172 Rdnr. 109 f; Voit/Neuhaus, aaO., Abschnitt J, Das Recht der Verweisung Rdnr. 33) anführen; es handelt sich vorliegend bei der Tätigkeit des Klägers im Rahmen der Wiedereingliederungsmaßnahme nicht um einen solchen Arbeitsplatz.

Ebenso wenig konnte der Kläger auf die ab Juni 2007 bis März 2009 bei der Fa. V. verrichtete Tätigkeit verwiesen werden. Zwar handelte es sich insoweit um eine arbeitsvertragliche Beschäftigung außerhalb der Ende Mai 2007 beendeten Wiedereingliederungsmaßnahme (vgl. Schreiben des Arbeitgebers vom 11.9.2008 an das Integrationsamt). Jedoch entsprach auch diese Tätigkeit nicht der Lebensstellung des Klägers bei Eintritt der Berufsunfähigkeit. Denn der Kläger hat unbestritten vorgetragen, dass er bei der Fa. V. in dem genannten Zeitraum – für eine dreistündige Arbeit pro Tag – lediglich rund 300,- EUR netto im Monat erhalten hat, während sich sein Nettomonatsverdienst zuletzt in gesunden Tagen auf ungefähr 900,- EUR bis 1.050,- EUR belaufen hatte. Die von Mitte 2007 bis Ende des ersten Quartals 2009 erzielte Vergütung war so spürbar unter das Niveau der vor dem Unfall erzielten abgesunken, die betreffende Tätigkeit des Klägers bei der Fa. V. entsprach daher nicht derjenigen vor dem Unfall vom August 2005.

Der Beklagten kann nicht darin gefolgt werden, es sei bei der Verweisung zu berücksichtigen, dass der Kläger nach den Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen in der Lage war, die pro Tag drei Stunden bei der Fa. V. ausgeübte nur mittelschwere Tätigkeit ohne körperliche Zwangshaltungen auch vollschichtig zu verrichten. Denn die vertraglichen Vereinbarungen schließen ausdrücklich eine abstrakte Verweisung aus. Diese Regelungen beziehen sich auf die ausgeübte Tätigkeit und nicht auf die ausübbare Tätigkeit.

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Die Beklagte möchte der Sache nach die Mischform einer konkret-abstrakten Verweisung dergestalt herangezogen wissen, dass einerseits zwar nur auf eine konkret ausgeübte Tätigkeit verwiesen werden darf, dass aber andererseits, was die Frage der Vergütung betrifft, darauf abgehoben wird, ob die versicherte Person aus medizinischer Sicht in dieser konkreten Tätigkeit ihrer Art und ihren Anforderungen nach auch zeitlich umfangreicher und dadurch höher bezahlt zu arbeiten in der Lage wäre. Eine solche Sicht ist jedenfalls bei einer Vertragsgestaltung wie der hier gewählten nicht zulässig. Die Beklagte hat ausdrücklich auf eine abstrakte Verweisung verzichtet, darum würde es sich aber bei ihrer Betrachtungsweise handeln. Die bloße Leistungsfähigkeit des Versicherungsnehmers in der konkret ausgeübten Tätigkeit, die bloße Erzielbarkeit eines bestimmten Einkommens aus dieser Tätigkeit spielt bei der vorliegend maßgeblichen Verweisungsmöglichkeit keine Rolle. Es kommt auch insoweit auf die wirklichen („konkreten“) Gegebenheiten an, also auf den wirklichen Tätigkeitsumfang und das wirklich daraus erzielte Entgelt. Nach den einschlägigen Vertragsbedingungen ist auf die abstrakte Verweisung ohne jede Einschränkung verzichtet, dafür, dass dieser Verzicht in dem von der Beklagten vertretenen Sinne zu verstehe wäre, bietet der Klauseltext (§§ 2 und 7 der Bedingungen) keinen Anhalt. Dies gilt umso mehr, als in den Erläuterungen der Beklagten auch zu dem hiesigen Tarif („Berufsunfähigkeit – kurz und bündig“) unter Nummer 5 eigens ausgeführt wird, die konkrete Verweisung bedeute „die Berücksichtigung einer anderen Tätigkeit, die die versicherte Person zum Zeitpunkt der Leistungsprüfung tatsächlich ausübt. Im Gegensatz zur abstrakten Verweisung kommt es nicht darauf an, ob die versicherte Person arbeiten könnte, sondern dass sie dies auch konkret tut. Die konkret ausgeübte Tätigkeit muss der Ausbildung und Erfahrung sowie der bisherigen Lebensstellung entsprechen.“ Das Wort „tatsächlich“ ist dabei noch fett hervorgehoben.

Aus der von den Beklagtenvertretern im Schriftsatz vom 01.12.2011 zitierten Rechtsprechung ergibt sich nichts anderes. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in VersR 1986, 1113 lag eine abstrakte Verweisungsklausel zugrunde, bei der es auf den erzielbaren Verdienst ankommt; um eine solche Klausel geht es im Streitfall gerade nicht. Das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 14.06.1996 (VersR 1997, 688 [OLG Koblenz 14.06.1996 – 10 U 996/95]) hat zwar den Fall einer konkreten Verweisung zum Gegenstand, besagt aber nichts zu der von der Beklagten hier aufgeworfenen Frage, die auch anhand der Literatur, soweit sich dort überhaupt hierzu Äußerungen finden, nicht im Sinne der Beklagten zu beantworten ist. Es ist vielmehr ausgeführt (Prölls/Martin, aaO., § 172 Rdnr. 113 unter Bezug auf OLG Dresden r+s 2008, 208), dass die Bedingungen im Falle einer konkreten Verweisungsklausel keine Verpflichtung zur Annahme einer anderen Tätigkeit begründen, so dass es der Versicherungsnehmer selbst in der Hand hat, der Verweisungsmöglichkeit aus dem Weg zu gehen; warum etwas anderes gelten soll, wenn der Versicherungsnehmer eine andere Tätigkeit zwar aufgenommen hat, aber nicht in einem der bisherigen Lebensstellung entsprechenden Ausmaß, ist nicht ersichtlich. Im selben Sinne äußern sich Voit/Neuhaus, aaO., Abschnitt J, Das Recht der Verweisung Rdnr. 45. Sie legen dar, dass eine konkrete Verweisung nur dann zulässig ist, wenn die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit alle Voraussetzungen der Verweisung erfüllt, also auch der – maßgeblich durch die erzielte Vergütung geprägten – bisherigen Lebensstellung entspricht, ansonsten „muss der Versicherer seine Leistungen erbringen oder weiter erbringen, auch wenn der Versicherte mit seiner anderen Tätigkeit ein gleich hohes oder sogar höheres Einkommen erzielt (keine Schadensversicherung)“. Soweit vereinzelt in den Raum gestellt ist, der Versicherungsnehmer werde „in krassen Fällen“ nach Treu und Glauben so behandelt werden können, als ob er die ihm mögliche und zumutbare Arbeit tatsächlich ausüben würde (Prölls/Martin, aaO.), würde dies der Beklagten ebenfalls nicht weiterhelfen. Ein solcher enger Ausnahmefall wäre vorliegend keineswegs gegeben. Dies gilt umso mehr als der Gerichtssachverständige, auf den sich die Beklagte beruft, bei seiner Begutachtung Erkrankungen und Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule einschließlich eventueller Folgen und Komplikationen unberücksichtigt zu lassen hatte (S. 2 des landgerichtlichen Beweisbeschlusses vom 22.12.2008; S. 17, 19 bzw. S. 2 der Sachverständigengutachten vom 7.7.2009 bzw. 4.1.2010), der Kläger nach dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Altenburg vom 20.10.2010 (Az: S 14R 3234/08) ausgehend von einem Leistungsfall am 02.07.2007 (Rentenantrag) auf Dauer teilweise erwerbsgemindert ist (der dortige Gerichtssachverständige war bei Berücksichtigung der gesamten gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers der Auffassung, dass dieser nur noch in der Lage ist, bestimmten Erwerbstätigkeiten vier Stunden am Tag nachzugehen; s. S. 6 des Bescheids) und die Fa. V. dem Kläger zum 31.03.2009 gerade wegen seiner gesundheitlichen Verfassung und Leistungsfähigkeit mit behördlicher Zustimmung kündigte (vgl. Schreiben der Fa. V. an das Integrationsamt vom 11.9.2009). Auch eine Verweisung des Klägers auf die ab Juni 2007 bei der Fa. V. ausgeübte Tätigkeit scheidet demnach aus.

Nur ergänzend merkt der Senat an, dass eine Verweisung des Klägers auf die ab November 2009 in einem Autozentrum verrichtete Tätigkeit (die an sich „aktuell ausgeübte Tätigkeit“ im Zeitpunkt der Verweisung per Schriftsatz vom 28.06.2010) ebenfalls nicht in Betracht kommt, weil auch diese Tätigkeit, für die der Kläger einen Monatslohn von netto rund 320,- EUR erhält, nicht der bisherigen Lebensstellung im Sinne der maßgeblichen Versicherungsbedingungen entspricht.

C. Veranlassung, erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten, wie dies von den Beklagtenvertretern mit Schriftsatz vom 01.12.2011 erbeten worden ist, hat der Senat nicht, insbesondere ist kein Fall des § 156 Abs. 2 ZPO gegeben.

D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen für eine Zulassung gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Abweichende Rechtsprechung ist ebenso wenig bekannt wie Literatur, die das Verständnis der Beklagten zu der verfahrensgegenständlichen Verweisungsklausel stützen könnte. Eine klärungsbedürftige Frage, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist, liegt nicht vor. Im Übrigen wurzelt die Entscheidung des Senats in den Umständen des Einzelfalls.

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