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Berufsunfähigkeitszusatzversicherung für Arbeitnehmer – Vermutung vorvertraglicher Berufsfähigkeit im Gruppenversicherungsvertrag

LG Hamburg, Az.: 319 O 149/99

Urteil vom 02.12.1999

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 14.402,– (in Worten: vierzehntausendvierhundertundzwei Deutsche Mark) nebst 4% Zinsen aus jeweils DM 720,10 seit dem 01.11.1997, 01.12.1997, 01.01.1998, 01.02.1998, 01.03.1998, 01.04.1998, 01.05.1998, 01.06.1998, 01.07.1998, 01.08.1998, 01.09.1998, 01.10.1998, 01.11.1998, 01.12.1998, 01.01.1999, 01.02.1999, 01.03.1999, 01.04.1999, 01.05.1999, 01.06.1999 zu zahlen.

II. Es wird festgestellt, daß der Kläger auch ab dem 01.07.1999 gegen die Beklagte Anspruch auf Leistung aus den zwischen den Parteien bestehenden Berufsunfähigkeitszusatzversicherungs-Lebensversicherungsvertrag mit der Vers.-Nr.:1-27.708.886-7 – in Höhe von DM 720,10 jeweils fällig zum 1. eines Monats – längstens bis zum 31.04.2018 – hat.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von DM 23.000,– vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Berufsunfähigkeitszusatzversicherung für Arbeitnehmer - Vermutung vorvertraglicher Berufsfähigkeit im Gruppenversicherungsvertrag
Symbolfoto: Elnur/bigstock

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger wegen des Eintritts der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit ab dem 1. November 1997 bis Ende der Versicherung am 1. Juni 2018 die zugesagte Rente von monatlich DM 720,10 nebst Zinsen auf rückständige Beiträge zu zahlen und ihn für den genannten Zeitraum von Beitragszahlungen freizustellen habe.

Der Kläger, der seit dem 1. Oktober 1996 bei der … als Pflegedienstleiter in einem Altenheim beschäftigt war, war zunächst aufgrund seines Antrages vom April 1997 (Anlage K 1) im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung über den Abschluß eines Rentendirektversicherungsvertrages, beginnend ab dem 01. Juni 1997 mit der Beklagten verbunden (vgl. Anlage K 4). Mit Schreiben vom 24. Juni 1997, gerichtet an den Kläger persönlich, schlug die Beklagte ihm den Abschluß einer Gruppen-Kapitalversicherung auf den Todes- oder Erlebensfall mit Einschluß einer Unfalltod-Zusatzversicherung und Einschluß einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZ) vor. Sie begründete ihren Vorschlag damit, daß sie bei dem Gruppenvertrag der … ab sofort auf eine Gesundheitsprüfung verzichte (Anlage B 1). Bei diesem Vorschlag ging sie davon aus, daß die zum 1 Juni 1997 abgeschlossene Rentendirektversicherung rückwirkend aufgehoben werden sollte. Die vom Kläger sowie der … unterschriebene, von der Beklagten vorbereitete Annahmeerklärung, ging am 22. Juli 1997 bei der Beklagten ein (vgl. Anlage B 2). Der unter dem 24. Juli 1997 ausgestellte Versicherungsschein (Versicherungsnummer 1-27.708.886-7) entsprach dem Angebot. Für die Dauer einer Berufsunfähigkeit verpflichtete sich die Beklagte, den Kläger von der Zahlungspflicht für den Beitrag der gesamten Versicherung zu befreien und eine monatliche Rente von 720,10 DM zu zahlen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Versicherungsschein gemäß Anlage K 2 verwiesen. Dem Vertrag liegen die Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung nach Tarif BUZn (künftig BBUZ) gemäß Anlage B 6 zugrunde.

Der 1953 geborene Kläger hatte nach einer erfolgreich abgeschlossenen Lehre als Elektroinstallateur eine Krankenpflegeausbildung als Zeitsoldat bei der Bundeswehr abgeschlossen und war seither in diesem Beruf tätig. Mit Bescheid vom 10. Juli 1989 hatte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) seinen Antrag auf Zahlung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit abgelehnt. Ärztlicherseits wurde im Bescheid zwar festgestellt, daß bei dem Kläger eine Coxalgie rechts sowie ein Hals- und Lendenwirbelsäulen-Syndrom vorliegt. Die BfA kam jedoch zu dem Ergebnis, daß der Kläger in seinem bis dahin ausgeübten Beruf als Pflegedienstleiter und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig tätig sein könne. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Anlage K 5 Bezug genommen.

Seit dem Bescheid der BfA aus Juli 1989 war der Kläger vollschichtig als Pflegedienstleiter bei verschiedenen Arbeitgebern bis zum 3. November 1997 tätig. Wegen der Einzelheiten zu den beruflichen Tätigkeiten des Klägers wird auf seinen Lebenslauf vom 19. Februar 1998, Anlage B 7, verwiesen. Die arbeitsmedizinische Einstellungsuntersuchung am 16. September 1996 vor Beginn seiner Tätigkeit als Pflegedienstleiter bei der A ergab keine gesundheitlichen Bedenken unter bestimmten Voraussetzungen. Der untersuchende Arzt kam zum Ergebnis, daß der Kläger für den Fall auch einer direkten „pflegerischen Tätigkeit am Bewohner des Altenheimes“ alle zur Verfügung stehenden Hebehilfen zu benutzen habe und im übrigen keine Bewohner des Altenheimes alleine heben sollte; im übrigen empfahl er regelmäßige haus- und fachärztliche Betreuung (vgl. Anlage K 14). Im Jahre 1995 war der Kläger an insgesamt 13 Tagen arbeitsunfähig erkrankt, im Jahre 1996 war er über zwei längere Zeiträume erkrankt sowie im Jahre 1997 jeweils 5, 10 bzw. 13 und 9 Tage. Wegen der Einzelheiten wird auf Anlage B 9, Auskunft der gesetzlichen Krankenversicherung des Klägers, verwiesen. Im Dezember 1997 schloß der Kläger mit seinem Arbeitgeber einen Auflösungsvertrag, wonach das bestehende Arbeitsverhältnis auf Veranlassung des Arbeitgebers aus gesundheitlichen Gründen im beiderseitigen Einvernehmen zum 31. Januar 1998 aufgelöst wurde (vgl. Anlage K 3). Unter dem 8. Januar 1998 meldete die … „die Direktversicherung“ den Kläger betreffend bei der Beklagten ab und gab an, daß eine Berufsunfähigkeitsrente beantragt sei und erklärte, daß die bestehenden Versicherungen gekündigt werden sollten (vgl. Anlage B 3).

Mit Schreiben vom 20. Mai 1998 stellte die Beklagte fest, daß der Kläger in seinem Beruf als Pflegedienstleiter aufgrund der festgestellten Erkrankungen (Cervical-Syndrom bei beginnender Osteochondrose, BWS-Syndrom bei Spondylosis hyperostotica der BWS, Lumbalsyndrom bei beginnender Spondylosis deformans, Coxarthrose beidseits, Verdacht auf psychosomatischer Störung im Bereich des Gastrointestinaltraktes) berufsunfähig ist, verwies ihn aber auf Alternativtätigkeiten und wies deswegen Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ab (vgl. Anlage K 6).

Seit dem 1. Juni 1998 hält der Kläger von der BfA eine Erwerbsunfähigkeitsrente (vgl. Anlage K 11).

In ihrem Schreiben vom 18. August 1998 (vgl. Anlage B 5) klärte die Beklagte den Kläger über die Folgen der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses für die bei ihr bestehenden Direktversicherung auf und bat ihn, schriftlich mitzuteilen, ob und wie er die Versicherung weiterführen wolle; für den Fall, daß sie bis zum 19. September 1998 keine Nachricht von ihm erhalten sollte, ginge sie davon aus, daß er die Versicherung verfallen lassen wolle.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 20. August 1998 unter Bezugnahme auf das Schreiben der Beklagten vom 20. Mai 1998 bat der Bevollmächtigte des Klägers um bestimmte Auskünfte. Nach Erhalt dieser Auskünfte legte er im einzelnen dar, daß eine Alternativtätigkeit nicht in Betracht käme und forderte die Beklagte auf, die vertraglich vereinbarte Berufsunfähigkeitsrente zu zahlen und den Kläger im übrigen von den Beiträgen zur Lebensversicherung zu befreien (vgl. Anlage K 18). Nach Verlängerung der Klagefrist bis zum 31. Januar 1999 korrespondierten der anwaltliche Berater des Klägers sowie die Beklagte über die Möglichkeit, den Kläger auf andere Berufe zu verweisen. Noch mit Schreiben vom 18. Februar 1999 (Anlage K 8) verlängerte die Beklagte erneut die „Rechtsmittelfrist“ bis zum 30. April 1999, weil sie die Angelegenheit noch nicht vollständig habe klären können. Mit ihrem Schreiben vom 5. März 1999 (Anlage K 9) kam die Beklagte ebenfalls zu dem Ergebnis, daß der Kläger berufsunfähig sei und nicht auf andere Berufstätigkeiten verwiesen werden könne, lehnte aber die Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung nunmehr mit der Begründung ab, daß der Kläger bereits zu Beginn des Versicherungsvertrages am 1. Juni 1997 mindestens zu 50 % berufsunfähig gewesen sei.

Der Kläger behauptet, daß er erst Anfang Januar 1997 berufsunfähig geworden sei. Im übrigen habe die Beklagte Kenntnis von seinem Gesundheitszustand gehabt, weil er dem Außendienstmitarbeiter der Beklagten, Herrn Rainer Winkler; sämtliche Krankheitsbefunde im Jahre 1997 anläßlich der Antragsstellung übergeben habe. Er ist der Ansicht, daß die Beklagte selbst zu erkennen gegeben habe, daß sie eine Überprüfung des Gesundheitszustandes nicht für notwendig halte, so daß sie ihn nunmehr nicht darauf verweisen könne, daß er schon zu Beginn der Versicherung berufsunfähig gewesen sei.

Der Kläger beantragt, wie erkannt.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet die Aktivlegitimation des Klägers und behauptet, daß der Kläger seit 1989 zumindest zu 50 % berufsunfähig sei, so daß eine vorvertragliche Berufsunfähigkeit vorgelegen habe und sie daher nicht zu leisten brauche.

Sie meint, daß in dem Verzicht auf eine Gesundheitsprüfung es ihr nicht verwehrt sei, sich auf die vorvertragliche Berufsunfähigkeit zu berufen, insbesondere sei damit auch keine unwiderlegbare Vermutung für eine vorvertragliche Berufsunfähigkeit gegeben.

Im übrigen sei die Versicherung des Klägers verfallen, weil er auf das Schreiben vom 18. August 1998 (Anlage B 5) nicht geantwortet habe. Er habe nur Leistungen aus Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung gefordert, aber eine Fortsetzung des Versicherungsvertrages erkennbar nicht gewollt.

Dadurch daß der Kläger über den Zeitraum von 1989 bis 1997 trotz seiner zu mindestens zu 50% bestehenden Berufsunfähigkeit gearbeitet habe, habe er Raubbauarbeit geleistet.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat gemäß §§ 1 Nr. 1 lit. b), 2 Nr. 1 der zum Vertragsinhalt gemachten BBUZ Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Berufsunfähigkeits-Rente mit Beginn des Monats November 1997.

1. Der Kläger ist aktivlegitimiert. Er ist berechtigt, obwohl nur Versicherter und nicht auch Versicherungsnehmer, die Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit selbst geltend zu machen. Seine ehemalige Arbeitgeberin, … hat als Versicherungsnehmerin mit schriftlicher Erklärung vom 16. Juni 1999 die Versicherung auf den Kläger als Begünstigten übertragen (vgl. Anlage K 13). Dem steht nicht entgegen, daß die … diese Erklärung in Bezug auf die schon seit dem 24. Juli 1997 aufgehobene Renten-Direktversicherung zur Versicherungsnummer 1-30418425-2 abgegeben hat. Aus den bekannten und unstreitigen Umständen kann diese Erklärung nur dahin ausgelegt werden, daß die … dem Kläger die Ansprüche aus dem diesem Rechtsstreit zugrunde liegenden Versicherungsvertrag übertragen wollte und lediglich nicht zur Kenntnis genommen hat, daß der Versicherungsvertrages einschließlich der Versicherungsnummer sich geändert hatte. Der Renten-Direktversicherungsvertrag ist durch den im Rahmen des Gruppenversicherungsvertrages Nr. 792 (vgl. Anlage K 2) abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag in der Weise ersetzt worden, daß der Direktversicherungsvertrag bei Abschluß des Lebensversicherungsvertrages rückwirkend aufgehoben wurde, nachdem sowohl die … wie auch der Kläger die von der Beklagten vorbereiteten Erklärung, bei der Beklagten am 22. Juli 1997 eingegangen, unterschrieben hatten.

Daß die … die Änderung versehentlich übersehen hatte, ergibt sich auch aus der Abmeldung von Anfang Januar 1998 (vgl. Anlage B 3). Auch dort wird auf die zunächst abgeschlossene Direktversicherung Bezug genommen. Daß die Beklagte diese Erklärung richtig zuordnen konnte, zeigt sich daran, daß offensichtlich von ihrer Seite die richtige Versicherungsnummer eingetragen wurde.

2. Der Kläger ist unstreitig seit November 1997 infolge Krankheit nicht mehr in der Lage, seinen Beruf als Pflegedienstleiter auszuüben. Die Beklagte verweist den Kläger auch nicht mehr – wie zunächst vorprozessual – auf eine andere zumutbare Tätigkeit im Sinne von § 2 Nr. 1 BBUZ.

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3. Soweit die Beklagte sich darauf beruft, daß beim Kläger bereits eine vorvertragliche Berufsunfähigkeit vorgelegen habe und deshalb die Voraussetzungen des § 1 Nr.1 BBUZ nicht gegeben seien, weil die Berufsunfähigkeit nicht während der Dauer der Zusatzversicherung eingetreten sei, kann die Beklagte mit diesem Einwand nicht gehört werden.

Die Parteien haben im Wege einer konkludenten Individualvereinbarung die Abrede getroffen, daß die vom Kläger unstreitig im Zeitpunkt der Antragstellung bei … ausgeübte Berufstätigkeit als unwiderlegbare Vermutung der vorvertraglichen Berufsfähigkeit anzusehen ist. Diese Individualvereinbarung geht gemäß § 4 AGBG den entgegenstehenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen vor.

Unstreitig hat die Beklagte im Rahmen des mit der … bestehenden Gruppenvertrages ab Juni 1997 auf eine Gesundheitsprüfung bei Abschluß des dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Versicherungsvertrages verzichtet. Sie hat dem Kläger nicht die sonst auch bei ihr üblichen Fragen – wie sich aus auf dem von der Beklagten zuvor verwandten Antragsformular anläßlich des Antrages vom 15. April 1997 auf Abschluß einer Renten-Direktversicherung ergibt (vgl. Anlage K 1-letztes Blatt) – zu seinem gegenwärtigen Gesundheitszustand vorgelegt. Im Rahmen dieses Antrages auf Abschluß der Renten-Direktversicherung durch seine Arbeitgeberin bestand aufgrund des anderen Inhalts der Versicherung kein Anlaß, daß der Kläger die dort vorgesehenen Gesundheitsfragen beantwortet. Die Beklagte hat sich vielmehr damit begnügt und sich darauf verlassen, daß die … als Arbeitgeberin bei der Einstellung des Klägers eine arbeitsmedizinische Einstellungsuntersuchung vornimmt, um sicher gehen zu können, einen leistungs- und arbeitsfähigen Mitarbeiter einzustellen. Die … als Vertragspartnerin der Beklagten hat ein eigenes originäres Interesse daran keinen Berufsunfähigen einzustellen. In dieser Einstellungsuntersuchung im September 1996 ist der untersuchende Arzt zu dem Ergebnis gelangt, daß aus arbeitsmedizinischer Sicht keine gesundheitlichen Bedenken unter bestimmten Voraussetzungen bestanden, den Kläger als Pflegedienstleiter zu beschäftigen. Diese Bedenken bezogen sich allein darauf, daß der Kläger nicht ohne die zur Verfügung stehenden Hebehilfen die Bewohner des Altenheimes heben sollte. Auch wenn dies als ein Indikator dafür gesehen werden könnte, daß bei dem Kläger gesundheitliche Probleme vorgelegen haben, die den Arbeitsmediziner diesen Schluß haben ziehen lassen, hat die … keine Bedenken gehabt, den Kläger einzustellen. Einer der Gründe mag gewesen sein, daß sie als Arbeitgeberin wußte, daß der Kläger nicht bzw. selten selbst pflegerisch tätig sein sollte und es auf die eventuell vorhandenen gesundheitlichen Probleme nicht ankommen konnte.

Aus diesem Verzicht auf eine Gesundheitsprüfung konnten die Versicherungsnehmerin wie insbesondere auch der Kläger als Versicherter nur den Schluß ziehen, daß die Beklagte im Rahmen des Gruppenvertrages mit der … aufgrund der zuvor beschriebenen Umstände es ausreichen läßt, daß die Arbeitgeberin seine Arbeitsfähigkeit festgestellt hat. Der Kläger konnte daher nach dem Grundsatz von Treu und Glauben davon ausgehen, daß die Frage einer schon vorvertraglichen Berufsunfähigkeit nicht noch einmal anläßlich des Versicherungsfalles seitens der Beklagten aufgeworfen werden würde. Vielmehr konnte der Kläger davon ausgehen, daß seine vorvertragliche Berufsfähigkeit mit seiner Unterschrift auf die von der Beklagten vorbereitete Erklärung gemäß Anlage B 2 abschließend verbindlich festgelegt werden sollte. Den Hinweis der Beklagten, daß sie im Rahmen des Gruppenvertrages mit der … auf eine Gesundheitsprüfung verzichtet, konnte der Kläger nur so verstehen, daß dieser Vorteil nur den Arbeitnehmern, die bei der … fest angestellt sind und deren Arbeitsfähigkeit damit indiziell feststeht, zugute kommen sollte. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger in dem Bewußtsein, schon seit längerer Zeit berufsunfähig gewesen zu sein, die Erklärung im Juli 1997 abgegeben haben könnte, um die Beklagte zum Abschluß der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung im Rahmen der Lebensversicherung zu veranlassen. Aus der Sicht des Klägers kommt hinzu, daß er jahrelang vollschichtig in seinem Beruf trotz seiner Beschwerden, die ihn im Jahre 1989 veranlaßt hatten, bei der BfA einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente zu stellen, tätig war. Nachdem die BfA diesen Antrag abgelehnt hatte, konnte er subjektiv davon ausgehen, uneingeschränkt berufsfähig zu sein. Entsprechend hat er sich in den Folgejahren auch verhalten und immer gearbeitet. Selbst wenn unterstellt wird, daß er sogenannte „Raubbauarbeit“ betrieben habe, weil er nur unter Inkaufnahme objektiv unzumutbarer Beschwerden seine Berufstätigkeit ausgeübt hat, so dürfte er aufgrund des Umstandes, daß er eine mehr als achtjährige vollschichtige Tätigkeit in seinem Beruf durchgehalten hat, auf jeden Fall subjektiv davon ausgehen, daß er berufsfähig war. In den Jahren bis 1996 war er selten arbeitsunfähig erkrankt. Soweit er 1996 über einen Zeitraum von annähernd sechs Monaten wegen verschiedener Erkrankungen arbeitsunfähig erkrankt war, hatte er die arbeitsmedizinische Untersuchung anläßlich seiner Einstellung bei der … in der Weise bestanden, daß der untersuchende Arzt keine durchgreifende Bedenken gegen eine Einstellung des Klägers aufgrund seiner zuvor gegebenen Erkrankungen hatte. Auch insoweit konnte der Kläger davon ausgehen, arbeitsfähig zu sein.

Selbst wenn sich der untersuchende Arbeitsmediziner geirrt haben sollte, kann daraus zugunsten der Beklagten kein anderer Schluß gezogen werden.

Diesen Antrag hat die Beklagte mit Übersendung des Versicherungsscheines widerspruchslos angenommen.

Mit OLG Nürnberg (NJW RR 1992,673 f.) ist diese Vereinbarung inhaltlich als eine unwiderlegbare Vermutung vorvertraglicher Berufsfähigkeit auszulegen. Der Beklagten kann nicht darin gefolgt werden, daß der dem zitierten Urteil zugrundeliegende Sachverhalt dem hier zur Entscheidung anstehenden Fall nicht vergleichbar sei. Die Versicherung dort hatte ebenfalls auf eine Gesundheitsprüfung verzichtet und lediglich eine Arbeitsfähigkeitserklärung in der Form vom dortigen Versicherungsnehmer verlangt, daß er im Zeitpunkt der Antragstellung seine berufliche Tätigkeit voll ausübe und nicht arbeitsunfähig geschrieben sei. Die Beklagte hat zwar neben der Gesundheitsprüfung auch auf eine vergleichbare Erklärung seitens des Klägers bzw. seiner Arbeitgeberin verzichtet. Stattdessen ergibt sich aber aus der oben beschriebenen Gestaltung der Vertragsbeziehungen, daß sie allein im Rahmen des Gruppenvertrages auf die Gesundheitsprüfung verzichtet hat, weil sie erkennbar davon ausging, daß ihre Versicherungsnehmerin bei Einstellung und Übernahme eines Arbeitnehmers nach Ablauf der Probezeit dessen Arbeitsfähigkeit selbst geprüft hatte. Diese Vorgehensweise der Beklagten mag aus ihrer Sicht auch sinnvoll erschienen sein. Bei der insoweit ähnlichen Interessenlage in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit eines Arbeitnehmers bzw. Berufsfähigkeit des Versicherten hat die Beklagte sich von der Erwägung leiten lassen, daß ein Arbeitgeber kein Interesse daran haben kann, einen über kurz oder lang ständig arbeitsunfähig erkrankten Mitarbeiter einzustellen. Im Ergebnis hat sich die Beklagte ebenso wie im dortigen Fall damit zufrieden, allein die tatsächliche Berufsausübung abzuklären.

Die Regelung der Beklagten in § 1 Nr. 1 BBUZ enthält aufgrund der mit der in Bezug auf den Kläger getroffenen Individualvereinbarung soweit sie erneut die Frage der vorvertraglichen Berufsunfähigkeit für erheblich erklärt eine Überraschungsklausel im Sinne des auch im Versicherungsrecht geltenden § 3 AGBG mit der Folge, daß die genannte Klausel nicht Vertragsinhalt geworden ist (vgl. OLG Nürnberg a.a.O. m.w.N.). Wie dargelegt, brauchte der Kläger nicht damit zu rechnen, daß die Beklagte die Frage seiner vorvertraglichen Berufsfähigkeit nochmals aufwerfen würde, nachdem sie im Rahmen des Gruppenvertrages auf eine Gesundheitsprüfung verzichtet hatte. Die dadurch entstandene Vertragslücke ist entgegen § 6 Abs. 1 AGBG durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen, da das Gesetz selbst keine ergänzende Regelung bereit hält und die ersatzlose Streichung der Klausel keine interessengemäße Lösung darstellt. Diese Lückenausfüllung kann bei Zugrundelegung der obigen Ausführungen wiederum nur im Sinne einer unwiderlegbaren Vermutung der vorvertraglichen Berufsfähigkeit erfolgen.

4. Die Beklagte kann den Kläger auch nicht darauf verweisen, daß die Versicherung deswegen verfallen sei und er daher keine Ansprüche mehr geltend machen könne, weil er der Beklagten auf ihr Schreiben vom 18. August 1998 (Anlage B 5) nicht mitgeteilt habe, ob und wie er die Versicherung fortsetzen wolle.

Entgegen der Annahme der Beklagten hat der Kläger über seinen außergerichtlichen Bevollmächtigten sehr wohl die Fragen in diesem Schreiben beantwortet. In diesem Schreiben bat sie den Kläger schriftlich mitzuteilen, wie er die Versicherung weiterführen wolle („Beitrag, Versicherungssumme, Zahlungsweise, etc.“); abschließend heißt es, daß sie davon ausginge, wenn sie bis zum 19. September 1998 keine Nachricht vom Kläger erhalten haben sollte, daß die Versicherung verfallen solle. Die Fragen nach dem Beitrag und der Zahlungsweise hat der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 17. September 1998 (Anlage K 18) beantwortet, in dem er der Beklagten mitteilen ließ, daß er die vertraglich vereinbarte Berufsunfähigkeitsrente sowie eine Befreiung von den Beiträgen zur Lebensversicherung verlange. Auch wenn in diesem anwaltlichen Schreiben kein Bezug auf das Schreiben der Beklagten vom 18. August 1998, sondern nur auf ein weiteres, in diesem Verfahren nicht vorgelegtes Schreiben der Beklagten vom 3. September 1998 Bezug genommen wird, konnte die Beklagte dieses Verlangen des Klägers nur dahin verstehen, daß er die Versicherung gerade nicht „verfallen“ lassen wollte, sondern die Leistungen einer bestehenden Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung geltend gemacht hat. Wenn die Beklagte dies anders verstanden haben sollte, insbesondere auch deswegen, weil der Kläger entgegen § 1 Nr. 5 BBUZ die Beiträge nicht in voller Höhe bis zur Entscheidung über die Leistungspflicht weiter entrichtet hatte, hätte sie sich nicht darauf zurückziehen dürfen, daß die Versicherung verfallen ist. Sie hat sich weiterhin insoweit widersprüchlich verhalten, als sie auf der einen Seite mit dem Kläger auch noch nach dem 19. September 1998 über Leistungen wegen eingetretener Berufsunfähigkeit verhandelt hat, ohne ihn darauf hinzuweisen, daß sie davon ausgeht, daß die Versicherung durch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 1998 verfallen sei und er längstens bis zu diesem Zeitpunkt einen Leistungsanspruch gehabt hätte.

Darüber hinaus ist zwischen den Parteien unstreitig, daß der Versicherungsfall zum 1. November 1997 in der Weise eingetreten ist, daß der Kläger seitdem berufsunfähig ist. Ein Verfall der Versicherung, durch den die Beklagte von ihrer Leistungspflicht befreit worden sein könnte, dürfte schon aus diesem Grunde nicht möglich sein. Zu diesem Zeitpunkt war das Arbeitsverhältnis noch nicht beendet und die Versicherungsnehmerin hatte die Versicherung noch nicht abgemeldet. So das der Versicherungsfall während des laufenden, bestehenden Versicherungsschutzes entstanden ist.

Die Entscheidung über die Zinsen beruht auf §§ 284 Abs. 2, 288 Abs. 1 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

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