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Beschäftigungsverhältnis – sozialversicherungspflichtiges bei Transportfahrer 

LSG Hessen

Az: L 8/14 KR 1188/03

Urteil vom 19.10.2006

Vorinstanz: Sozialgericht Fulda, Az.: S 4/1 KR 573/02, Urteil vom 09.10.2003


Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 9. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
Der Bescheid der Beklagten vom 3. März 2004 wird aufgehoben, soweit darin Sozialversicherungsbeiträge von mehr als 47.778,88 Euro nachgefordert worden sind. Im Übrigen wird die Klage gegen diesen Bescheid abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens vor dem Sozialgericht. Die gerichtlichen Kosten des Berufungsrechtsstreits tragen die Klägerin und die Beklagte jeweils zur Hälfte. Die Klägerin hat die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1.) zur Hälfte zu tragen. Die übrigen außergerichtlichen Kosten werden gegeneinander aufgehoben.

Der Streitwert wird auf 109.582,26 Euro festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob der Beigeladene zu 1.) zur Klägerin in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat.

Der Beigeladene zu 1.) war vom 1. September 1991 bis zum 30. Juni 1998 auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen, zuletzt des Lohnvorvertrages vom 28. Januar 1997, für die Klägerin bzw. ihre Rechtsvorgängerinnen als Transportfahrer im System von „X.“ tätig. Die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1.) bestand darin, mit einem von ihm zur Verfügung gestellten, nach den Vorgaben der Klägerin lackierten und beschrifteten Fahrzeug Paketsendungen von Kunden der Klägerin abzuholen und diese zum Depot der Klägerin zu befördern bzw. im Depot aufgenommene Paketsendungen zu den Empfängern zu bringen. Hierbei war dem Beigeladenen zu 1.) ein bestimmtes Einsatzgebiet zugeteilt. Er hatte sein Fahrzeug in der Zeit von Montag bis Freitag der Klägerin zur Verfügung zu stellen und dieses in den Farben und mit dem Schriftzug der Klägerin zu lackieren. Der Fahrer des Fahrzeugs war verpflichtet, morgens um 6:00 Uhr im Betrieb der Klägerin zu erscheinen, um die von ihm zu transportierenden Pakete entgegen zu nehmen. Bei der Auslieferung der Pakete hatte der Fahrer die von der Klägerin bestimmte „Imagekleidung“ zu tragen. Dem Beigeladenen war es gestattet, zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen andere Fahrer einzusetzen. Für die Fuhrtätigkeit erhielt der Beigeladene zu 1.) eine Grundvergütung („Tagesgarantie“) von 250,00 DM pro Arbeitstag. Für mehr als 95 zugestellte Pakete erhielt er darüber hinaus eine zusätzliche Leistungsvergütung (2,00 DM für zugestellte, 0,40 DM für abgeholte Pakete).

Nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses stritt der Beigeladene zu 1.) mit der Klägerin um die Zahlung von Feiertagslohn und Lohnzahlung. Nachdem das Arbeitsgericht Karlsruhe eine dahingehende Klage mit Urteil vom 26. Juli 1999 (7 Ca 573/98) abgewiesen hatte, änderte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 20. April 2000 diese Entscheidung ab und verurteilte die Klägerin zur Zahlung von Feiertagsvergütung, da der Beigeladene zu 1.) Arbeitnehmer der Klägerin gewesen sei. Der Beigeladene zu 1.) sei über die für einen Frachtführer üblichen Bindungen hinaus in einem Maße weisungsabhängig gewesen, die ihn als Arbeitnehmer qualifiziere. Aufgrund der Vertragsbeziehungen habe der Beigeladene zu 1.) bei der Gestaltung seiner Tätigkeit keinen wesentlichen Spielraum gehabt, insbesondere habe die Klägerin durch einen Vertragsstrafenkatalog den Beigeladenen zu 1.) in vielerlei Hinsicht einem faktischen Weisungsrecht unterworfen.

Gestützt auf diese Entscheidung stellte die Beklagte nach vorheriger Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 22. April 2002 fest, dass der Beigeladene zu 1.) in der Zeit vom 1. September 1991 bis zum 30. Juni 1998 sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer gewesen sei. Den Widerspruch der Klägerin vom 17. Mai 2002 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2002 zurück.

Die Klägerin hat am 28. August 2002 Klage zum Sozialgericht Fulda erhoben. Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 9. Oktober 2003 den Beigeladenen zu 1.) persönlich gehört. Dieser hat erklärt, er habe morgens spätestens um 6:00 Uhr im Depot erscheinen müssen. Er habe auch andere Personen zur Abholung schicken können. Ein festes Arbeitsende habe es nicht gegeben, die Arbeit sei fertig gewesen, wenn man alles zugestellt und abgeholt habe und die Laufkarte und der Scanner in Ordnung gewesen sei. Er sei verpflichtet gewesen, alle Kunden des ihm zugewiesenen Arbeitsgebietes zu bedienen. Wenn er andere Personen für sich habe einsetzen wollen, habe er dies unter Vorlage des Führerscheins bei der Klägerin anzeigen müssen.

Mit Urteil vom selben Tag hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe zu Recht im Rahmen ihrer Zuständigkeit nach § 28 h Abs. 2 SGB IV die Sozialversicherungspflicht des Beigeladenen zu 1.) festgestellt, weil dieser zur Klägerin in einer abhängigen Beschäftigung im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV gestanden habe. Ausschlaggebend für die Wertung einer Beschäftigung als abhängig sei nach der Rechtsprechung die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers, die sich in der Eingliederung des Beschäftigten in einen fremden Betrieb zeige. Die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1.) bei der Klägerin weise sowohl Merkmale der Selbständigkeit als auch Merkmale einer abhängigen Beschäftigung auf, jedoch würden die für eine Abhängigkeit sprechenden Kriterien überwiegen. Gegen eine abhängige Beschäftigung spreche zwar, dass der Beigeladene zu 1.) sich Urlaub nicht habe genehmigen lassen müssen, es ihm freigestanden habe, ob er selbst oder durch Dritte seine vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Klägerin erfüllte und dass er aufgrund der mit der Klägerin geschlossenen „Kleinversendervereinbarung“ berechtigt gewesen sei, eigenen Kunden die Besorgung des Transportes von Paketen im System der Klägerin anzubieten. Demgegenüber spreche für eine abhängige Beschäftigung, dass der Beigeladene zu 1.) oder von ihm eingesetzte Dritte montags bis freitags um spätestens 6:00 Uhr im Depot der Klägerin zu erscheinen hatten. Dem Beigeladenen zu 1.) sei ein bestimmtes Einsatzgebiet zugewiesen gewesen, innerhalb dessen er alle hierauf entfallenen Aufträge habe erfüllen müssen. Der Tagesablauf des Beigeladenen zu 1.) sei durch Vorgaben der Klägerin vollständig durchgeplant gewesen, wie aus dem Fahrerhandbuch deutlich werde, das die einzelnen Arbeitsschritte vom Entladen über die Auslieferung bis zur Ankunft im Depot bestimme. Der Beigeladene habe nicht die Möglichkeit gehabt, einzelne Aufträge abzulehnen. Die Möglichkeit, den Verlauf der Tour selbst zu gestalten, habe durch die Einbindung in das Ablaufsystem der Klägerin keine Gestaltungsspielräume eröffnet. Für eine abhängige Beschäftigung spreche schließlich der Vertragsstrafenkatalog in Anlage 5 zum Lohnfuhrvertrag. Vertragsstrafen seien u.a. vorgesehen gewesen für das Nichtbekleben eines Fahrzeugs innerhalb von vier Wochen, die Nichtbeseitigung eines Unfallschadens innerhalb von vier Wochen, das Nichtragen der sogenannten Imagekleidung der Klägerin, die Nichterledigung von Rückholaufträgen am Eingangstag als auch für das verspätete Erscheinen zur Bandentnahme. Der Vertragsstrafenkatalog habe damit in weiten Teilen der Sanktionierung von Ordnungs- und Verhaltensregeln gedient, die typischerweise in einem Arbeitsverhältnis bestünden. Der Vertragsstrafenkatalog sei bei dem Beigeladenen zu 1.) auch tatsächlich zur Anwendung gekommen.

Gegen das ihr am 11. November 2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 8. Dezember 2003 Berufung eingelegt.

Im Verlauf des Berufungsverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 3. März 2004 für die Zeit vom 1. September 1991 bis 30. Juni 1998 von der Klägerin Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von 109.582,26 Euro nachgefordert.

Die Klägerin wendet sich auch gegen diesen Bescheid und trägt vor:

Das Sozialgericht bejahe zu Unrecht die Arbeitnehmereigenschaft des Beigeladenen zu 1.). Dieser sei selbständiger Lohnfuhrunternehmer gewesen. Es habe in seinem Ermessen gestanden, ob er die Tour höchstpersönlich gefahren oder hierfür Mitarbeiter eingesetzt habe. Sie habe den Einsatz fremder Mitarbeiter bedingungslos geduldet. Dass dem Beigeladenen zu 1.) Rahmenbedingungen vorgegeben worden seien in Bezug auf den Beginn der Tätigkeit, die Beladevorgänge und die Rücklieferung der bei Kunden abgeholten Pakete, habe in der Natur der Sache gelegen. Sie betreibe einen zeitgeführten Paketdienst, der jeden Tag große Mengen von Paketen entgegennehme und an die jeweiligen Empfänger schnell und zuverlässig weiterleite. Sie biete ihren Kunden eine Regellaufzeit von 24 Stunden, deren Einhaltung nur durch Verwendung von hochtechnischen Einrichtungen und einen straffen Zeitplan möglich sei. An die daraus resultierenden Notwendigkeiten müsse sich auch ein selbständiger Fuhrunternehmer halten. Dem Beigeladenen zu 1.) sei weder eine feste Arbeitsdauer, ein festes Arbeitsende noch eine bestimmte Fahrtroute gegeben gewesen. Auch über seine Pausen habe er selbst entschieden. Das Fahrerhandbuch, auf das das Sozialgericht hinweise, beschreibe lediglich Abläufe, deren Einhaltung für die Aufrechterhaltung ihres Systems notwendig sei. Soweit das Sozialgericht anführe, dass der Beigeladene zu 1.) nicht die Möglichkeit gehabt habe, einzelne Aufträge abzulehnen, verkenne es, dass der Beigeladene zu 1.) nicht mit der Zustellung und Abholung einzelner Pakete beauftragt worden sei, sondern dass er insgesamt den Auftrag angenommen habe, alle Pakete, die das von ihm übernommene Einsatzgebiet betroffen hätten, zuzustellen bzw. abzuholen. Die Ablehnung, ein einzelnes Paket zuzustellen bzw. abzuholen, stelle nicht die Ablehnung eines Auftrags, sondern die Nichterfüllung des gesamten bereits übernommenen Auftrags dar, weshalb sie in einem solchen Fall berechtigt gewesen sei, im Fall einer vertragswidrigen Ablehnung der Beförderung eines Pakets dieses auf Kosten des Fuhrunternehmers durch Kuriere zustellen zu lassen. Berücksichtige man weiter, dass der Beigeladene zu 1.) aufgrund der Kleinversendervereinbarung berechtigt gewesen sei, Kunden auf eigene Rechnung den Pakettransport über ihr System anzubieten, müsse insgesamt seine Tätigkeit als nicht sozialversicherungspflichtig qualifiziert werden.

Im Übrigen gehe die Beklagte in ihrem Bescheid vom 3. März 2004 fälschlicherweise von einer 30-jährigen Verjährungsfrist aus. Sowohl sie selbst als auch der Beigeladene zu 1.) seien übereinstimmend davon ausgegangen, dass dieser als selbständiger Transportunternehmer tätig sei. Ein vorsätzliches Vorenthalten der Sozialversicherungsbeiträge wie z.B. bei Schwarzarbeit liegen nicht vor. Maßgebend sei deshalb die vierjährige Verjährungsfrist, wonach lediglich eine Rückforderung der Sozialversicherungsbeiträge für das Jahr 1998 in Betracht komme.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 9. Oktober 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2002 sowie den Bescheid vom 3. März 2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Der Arbeitsablauf des Beigeladenen zu 1.) sei bis ins Detail von der Klägerin vorgegeben worden. Selbst sein Fahrzeug sei von der Klägerin innen und außen überprüft worden, wie sich aus einem Mängelberichtsblatt vom 10. Juni 1994 ergebe, bei der am Fahrzeug des Beigeladenen zu 1.) eine Beule vorne rechts moniert worden sei. Aufgrund seiner tatsächlichen Inanspruchnahme für die Klägerin sei es dem Beigeladenen zu 1.) nicht möglich gewesen, für andere Auftraggeber und damit selbst unternehmerisch tätig zu werden. Der Beigeladenen zu 1.) habe arbeitstäglich zehn bis zwölf Stunden gearbeitet und dabei oft 200 und mehr Pakete auszuliefern und hierfür ca. 100 und mehr Stellen anzufahren gehabt. Tatsächlich sei der Beigeladene zu 1.) im streitigen Zeitraum auch für keine weiteren Auftraggeber tätig geworden, weil er dafür keine Zeit gehabt habe; auch andere Arbeitnehmer habe er nicht beschäftigt. Hinsichtlich der Beitragsnacherhebung greife die 30-jährige Verjährungsfrist, weil die Klägerin spätestens seit dem Jahr 1998 (Klage zum Arbeitsgericht) damit habe rechnen müssen, dass Beiträge anfallen würden bzw. nachentrichtet werden müssten. Im Übrigen handele es sich bei einer Fahrertätigkeit üblicherweise um ein abhängiges, weisungsgebundenes Beschäftigungsverhältnis, so dass für die Klägerin die Arbeitnehmereigenschaft klar erkennbar gewesen sei.

Der Beigeladene zu 1.) beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er schließt sich der Auffassung der Beklagten an. Von einer unternehmerischen Freiheit sei bei ihm keine Rede gewesen. Es sei ihm fast jeder einzelne Handgriff vorgeschrieben gewesen. Spätestens seit seiner Klage zum Arbeitsgericht D-Stadt wisse die Klägerin auch, dass er möglicherweise als sozialversicherungspflichtig beschäftigter Arbeitnehmer anzusehen gewesen sei.

Die übrigen Beigeladenen stellen keinen Antrag. Sie haben sich zur Sache nicht geäußert.

Die Beklagte hat Steuerunterlagen und Abrechnungen des Beigeladenen zu 1.) vorgelegt, aufgrund derer sie die Nachforderungssumme errechnet hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nur teilweise begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 9. Oktober 2003 ist nicht zu beanstanden, denn der Beigeladene zu 1.) war in der Zeit vom 1. September 1991 bis 30. Juni 1998 bei der Klägerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Teilweise Erfolg hat die Klage lediglich hinsichtlich des Bescheides vom 3. März 2004, mit dem die Beklagte von der Klägerin Sozialversicherungsbeiträge für den gesamten streitigen Zeitraum nachgefordert hat. Denn diese Beitragsforderung ist teilweise verjährt.

Das Sozialgericht hat ausführlich und unter Hinweis auf die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung zutreffend dargelegt, dass der Beigeladene zu 1.) zur Klägerin in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis als Arbeitnehmer gestanden hat. Der Senat nimmt auf diese Ausführungen zunächst Bezug (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) und weist lediglich ergänzend auf Folgendes hin:

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Wie das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 22. Juni 2005 (B 12 KR 28/03 R) dargelegt hat, sind Transportfahrer jedenfalls dann abhängig beschäftigt, wenn ihre Weisungsgebundenheit über das Maß an Weisungsunterworfenheit hinausgeht, dem Frachtführer in Bezug auf die anvertraute Ware sowohl von Seiten des Spediteurs als auch des Absenders und des Empfängers des Frachtgutes nach § 418 HGB unterliegen. Eine derartige gesteigerte Weisungsunterworfenheit lag bei dem Beigeladenen zu 1.) nach den Gesamtumständen vor. Eine Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und eine frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit hatte dieser, wie bereits das Sozialgericht schlüssig dargelegt hat, nicht. Die Berufung zeigt insoweit keine neuen Aspekte auf, sondern wiederholt im Wesentlichen nur das bisherige Vorbringen. Entscheidend ist, dass der Gesamttagesablauf des Beigeladenen zu 1.) durch die Klägerin vollständig vor- strukturiert war. Der Beigeladene zu 1.) war vertraglich verpflichtet, von Montag bis Freitag für die Klägerin zu arbeiten. Er bekam frühmorgens durch die Klägerin Fuhraufträge zugeteilt, deren Zahl so bemessen war, dass ihre Abarbeitung den ganzen Arbeitstag in Anspruch nahm. Zutreffend hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass dem Beigeladenen zu 1.) bei einer täglichen Arbeitszeit von 10 – 12 Stunden inklusive Beladung und Abholung der Pakete und bei einem Auslieferungsvolumen von 200 und mehr Paketen praktisch keinerlei Gestaltungsspielraum bei seiner Arbeits- bzw. Toureinteilung blieb. Verstärkt wurde diese Eingliederung des Beigeladenen zu 1.) noch durch die weiteren Vorgaben des Lohnfuhrvertrags und des Fahrerhandbuchs. Die Behandlung der Paketauslieferung und der Paketrücknahme war dem Beigeladenen zu 1.) darin bis in kleinste Detail vorgeschrieben. Die Einhaltung dieser Vorgaben stellte die Klägerin durch das umfassende Vertragsstrafensystem, dem sich der Beigeladene zu 1.) unterwerfen musste, sicher. Zugleich schaffte sich die Klägerin die Möglichkeit einer umfassenden Kontrolle der von ihr vorgegebenen Regelungen, indem sie im Lohnfuhrvertrag den Frachtführer dazu verpflichtete, „jederzeit und an jedem Ort“ Kontrollen des Fahrzeugs durch X. zu dulden. Bei dieser Reglementierung seines Tagesablaufs und angesichts seiner zeitlichen Beanspruchung war es dem Beigeladenen zu 1.) nicht möglich, noch irgendwelche anderen Erwerbschancen am Markt zu suchen.

Angesichts dieser Umstände kommt dem Argument der Klägerin, der Beigeladene zu 1.) sei bei der Gestaltung seiner Touren und der Inanspruchnahme von Pausen weitgehend frei gewesen, keine Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, dass die Klägerin in allen für ihren Geschäftszweck wichtigen Fragen eine umfassende Kontrolle über den Beigeladenen zu 1.) ausübte. Hingegen war es für sie ohne Bedeutung, wie der Beigeladene zu 1.) seine Tour konkret plante; von Bedeutung war für sie lediglich die Einhaltung der vorgegebenen Liefertermine.

Insgesamt hat sich das Erscheinungsbild des Beigeladenen zu 1.) von einem abhängig beschäftigten Auslieferungsfahrer nicht unterschieden, außer dass er bei den Touren mit seinem eigenen Auto fuhr und nach dem Lohnfuhrvertrag grundsätzlich berechtigt war, auch andere Fahrer einzusetzen. Diese Aspekte treten bei der Gesamtwürdigung jedoch zurück. Dass der Kläger sein eigenes Kraftfahrzeug einsetzte, verschaffte ihm keine zusätzliche Freiheit, da das Kraftfahrzeug letztlich ebenso wie der Beigeladene zu 1.) vollständig in die Betriebsorganisation der Klägerin und ihre Zwecke eingegliedert war. Der Beigeladene zu 1.) war verpflichtet, das Fahrzeug nach den Vorgaben der Klägerin zu lackieren und zu beschriften. Damit war es ihm nicht einmal möglich, für sein „Unternehmen“ in der bei selbständigen Fuhrunternehmen üblichen Weise (durch Aufbringung eigener Schriftzüge) zu werben. Für eine unternehmerische Betätigung stand ihm nur die Zeit nach Feierabend, also nach einem bereits 10- bis 12-stündigen Arbeitstag zur Verfügung. Das reduziert diese Möglichkeit auf eine theoretische Option, auf die es bei der Gesamtwürdigung nicht ankommt (vgl. BSG, a.a.O.).

Der Tatsache, dass der Beigeladene zu 1.) berechtigt war, auch andere Fahrer einzusetzen, misst der Senat angesichts der übrigen Umstände keine entscheidende Bedeutung zu. Die Möglichkeit der Leistungserbringung durch Dritte spricht nicht automatisch für eine selbständige Tätigkeit, vor allem dann nicht, wenn die persönliche Leistungserbringung die Regel und die Leistungserbringung durch Dritte die Ausnahme ist (BAG, Urteil vom 19. November 1997, 5 AZR 653/96; HessLSG, Urteil vom 27. November 2003, L 1 KR 879/02). So verhielt es sich im Fall des Beigeladenen zu 1.), der in dem gesamten Zeitraum nahezu ausschließlich selbst gefahren ist. Hinzu kommt, dass für die Klägerin aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen und der Arbeitsorganisation die persönliche Leistungserbringung durch den „Fuhrunternehmer“ nicht von Bedeutung war. Denn dadurch, dass der Beigeladene zu 1.) hinsichtlich der Behandlung der Pakete aufgrund des Lohnfuhrvertrages, des Fahrerhandbuchs und des Vertragsstrafenkatalogs in umfassendster Weise dem Weisungsrecht der Klägerin unterlag, war es für die Klägerin egal, ob die Auslieferung der Pakete durch den Beigeladenen zu 1.) persönlich oder durch einen anderen Fahrer erfolgte; durch das umfangreiche Sanktionssystem, welches Vertragsstrafen schon bei kleinsten Abweichungen vorsah, war in jedem Fall sicher gestellt, dass auch andere Fahrer dem Ordnungssystem der Klägerin in vollem Umfang unterworfen waren.

Auch die übrigen für eine selbständige Tätigkeit sprechenden Aspekte treten, wie das Sozialgericht zu Recht dargelegt hat, zurück. Das gilt auch im Hinblick darauf, dass der Beigeladene zu 1.) keinen Urlaubsanspruch und keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hatte. Das zeigt allenfalls, dass die Beteiligten bei Vertragsschluss von einer selbständigen Tätigkeit ausgingen, weshalb der Vertrag übliche Arbeitnehmerrechte nicht vorsah. Maßgebend ist jedoch nicht die subjektive Vorstellung der Beteiligten, sondern das Gesamtbild der Arbeitsleistung nach den tatsächlichen Verhältnissen (BSG, a.a.O.).

Hingegen erweist sich die Klage gegen den Bescheid vom 3. März 2004 als teilweise begründet. Dieser Bescheid, der gemäß §§ 96, 153 Abs. 1 SGG zum Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist und über den der Senat insoweit auf Klage zu entscheiden hat (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 96 Rdnr. 7 m.w.N.) ist rechtswidrig, soweit er Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Zeit bis zum 31. Dezember 1995 nachgefordert hat; denn diese Beiträge sind verjährt. Hingegen ist die Beitragsforderung im Übrigen – also für die Zeit vom 1. Januar 1996 bis 30. Juni 1998 – rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IV werden laufende Beiträge, die geschuldet werden, entsprechend den Regelungen der Satzungen der Kranken- und Pflegekassen fällig. Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt oder dem Arbeitseinkommen zu bemessen sind, werden spätestens am 15. des Monats fällig, der dem Monat folgt, in dem die Beschäftigung oder die Tätigkeit, mit der das Arbeitsentgelt oder das Arbeitseinkommen erzielt wird, ausgeübt worden ist oder als ausgeübt gilt. Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind.

Der Senat kommt unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 30. März 2000, B 12 KR 14/99 R) zu dem Ergebnis, dass die Klägerin erst seit April 2000 die streitigen Beitragsansprüche vorsätzlich vorenthalten hat.

Nach der Rechtsprechung des BSG ist es für den Eintritt der 30-jährigen Verjährungsfrist erforderlich, dass der Beitragsschuldner mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat, er also seine Beitragspflicht zumindest für möglich gehalten und die Nichtabführung der Beiträge billigend in Kauf genommen hat. Dabei ist es allerdings nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber von vornherein mit dem Willen handelt, die Beiträge nicht zu entrichten. Vielmehr genügt es, wenn seine Bösgläubigkeit innerhalb der vierjährigen Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV eingetreten ist (BSG, Urteil vom 13. August 1996, 12 KR 76/94).

Im vorliegenden Fall gibt es keinen ausreichenden Hinweis darauf, dass die Klägerin bereits in den Jahren ab 1991 wusste, dass das Vertragsverhältnis mit dem Beigeladenen zu 1.) in Wirklichkeit ein Arbeitsverhältnis war. Auch der Beigeladene zu 1.) hat bis zur Beendigung der Vertragsbeziehung im Juni 1998 – soweit ersichtlich – dies nicht in Zweifel gezogen. Konkrete Tatsachen, welche ansonsten den Schluss erlauben würden, dass die Klägerin die Vertragsbeziehung zu dem Beigeladenen zu 1.) selbst als Arbeitsverhältnis ansah, hat die Beklagte nicht vorgetragen.

Für die Annahme von Vorsatz auf Seiten der Klägerin reicht es auch nicht aus, dass der Beigeladene zu 1.) nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses mit der Klägerin Klage zum Arbeitsgericht Karlsruhe erhob und geltend machte, er sei Arbeitnehmer gewesen. Die Klägerin hat im gesamten arbeitsgerichtlichen Verfahren die Auffassung vertreten, der Beigeladene zu 1.) sei kein Arbeitnehmer, sondern Selbständiger. Das Arbeitsgericht Karlsruhe hat in seinem Urteil vom 26. Juli 1999 zu der materiell-rechtlichen Frage einer Arbeitnehmereigenschaft des Beigeladenen zu 1.) keine Stellung genommen, sondern die Klage aus anderen Gründen abgewiesen. Auch aufgrund dieses Urteils kann deshalb nicht von einer Kenntnis der Klägerin von der Arbeitnehmereigenschaft des Beigeladenen zu 1.) ausgegangen werden.

Anders beurteilt dies der Senat für die Zeit ab dem 20. April 2000. Denn durch das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg wurde festgestellt, dass der Beigeladene zu 1.) Arbeitnehmer der Klägerin gewesen war. Dabei sprach das Urteil des Landesarbeitsgerichts bereits alle wesentlichen Aspekte an, die in eindeutiger Weise auf die fehlende Unternehmereigenschaft des Beigeladenen zu 1.) hinwiesen. Auch wenn die Klägerin mit dieser Entscheidung subjektiv nicht einverstanden gewesen sein mag, so konnte für sie kein Zweifel daran bestehen, dass damit auch in Bezug auf den sozialversicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen zu 1.) die Entscheidung gefallen war. Ein lediglich fahrlässiges Nichterkennen der Arbeitnehmereigenschaft des Beigeladenen zu 1.) scheidet ab diesem Zeitpunkt aus.

Mithin erstreckt sich die Beitragsnachforderung der Beklagten rechtmäßig auf alle Beiträge, die im April 2000 (unter Beachtung der 4-jährigen Verjährungsfrist) noch nicht verjährt waren. Dies sind die Sozialversicherungsbeiträge bis einschließlich Dezember 1995, die satzungsgemäß am 15. Januar 1996 fällig wurden. Die darüber hinausgehenden Beitragsansprüche für die Zeit bis einschließlich November 1995 sind hingegen bereits mit Ablauf des 31. Dezember 1999 verjährt.

Die rechnerische Höhe der sich daraus ergebenden Beitragsnachforderung der Beklagten, welche die Beklagte im Schriftsatz vom 10. Oktober 2006 spezifiziert hat, steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Da der Beigeladene zu 1.) dem Vortrag der Beklagten beigetreten ist und einen eigenen Antrag gestellt hat, ist es angemessen, seine Kosten teilweise der Klägerin aufzuerlegen. Eine Kostenpflicht des Beigeladenen zu 1.) scheidet hingegen gemäß § 197 a Abs. 2 S. 2 SGG trotz seiner Antragstellung aus, da er zu den Personen gehört, für die § 183 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren ausdrücklich Kostenfreiheit anordnet.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).

Gründe für die Zulassung der Revision lagen nicht vor.

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