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Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen – Vorwegnahme des Ergebnisses

OLG München – Az.: 36 W 1320/22 – Beschluss vom 05.10.2022

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts München II vom 02.09.2022, Az. 10 OH 2641/20, wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die Zurückweisung eines Befangenheitsgesuchs durch das Landgericht.

Sie betreibt aufgrund ihres Antrags vom 15.07.2020 ein selbständiges Beweisverfahren wegen behaupteter Mängel eines von ihr erworbenen Kfz. Die gerügten Mängel betreffen u.a. das Infotainmentsystem des Fahrzeugs und die Verbindung zwischen diesem System und einem Smartphone. Aufgrund Beweisbeschlusses vom 06.10.2020 erstattete der nunmehr abgelehnte Sachverständige sein Gutachten vom 25.03.2022 (Bl. 84/128 d.A.). Darin führte er u.a. aus, dass die Verbindung mit dem Datenkabel der Antragstellerin äußerst instabil sei. Soweit er ein Originalkabel des Herstellers S. verwendet habe, sei eine Verbindung problemlos möglich gewesen (vgl. S. 25 des Gutachtens). Mit Schriftsatz vom 11.05.2022 trug die Antragstellerin vor, dass sie am 03.02.2021 ein Originalkabel von S. erworben habe, die von ihr gerügten Probleme aber weiterhin bestünden.

Sie beantragte unter anderem, eine Stellungnahme des Sachverständigen zu der Ergänzungsfrage einzuholen, ob die in den Beweisfragen 5, 7, 9, 13 und 15 behaupteten Mängel auch bei Verwendung eines neu angeschafften Kabels des Herstellers des Smartphones bestehen.

Am 13.05.2022 erließ die Kammer einen entsprechenden Beweisbeschluss.

Mit Schreiben vom 27.06.2022 stellte der Sachverständige einen Antrag auf besondere Vergütung gem. § 13 JVEG und wies zugleich darauf hin, dass seine Überprüfungen zu den o.g. Beweisfragen (auch) mit einem originalen USB-Kabel des Herstellers S. erfolgt seien. Sodann heißt es weiter:

„… womit sich aus technischer Sicht erschließt, dass mit einem anderen neuen und vorausgesetzt unbeschädigten USB-Kabel grundsätzlich keine differierenden Ergebnisse zu den bisherigen Befunden zu erwarten stehen. Sollte jedoch eine nochmalige zeit- und kostenintensive Überprüfung der Beweisfragen Nr. 5, 7, 9,13 und 15 mit dem nunmehr von der Antragstellerin vorgestellten USB-Kabel durchzuführen sein, wird das streitgegenständliche Fahrzeug inklusive dem neuen USB-Kabel für ca. 2 Tage dem Unterzeichner am Büro des Unterzeichners zur Verfügung zu stellen sein. Es wird um Weisung gebeten, inwieweit unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen eine weitere Untersuchung des Fahrzeugs mit dem neuen USB-Kabel durchzuführen ist“.

Daraufhin lehnte die Klägerin den Sachverständigen mit Schriftsatz vom 12.07.2022 wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Der Sachverständige habe in seinem Schreiben das Ergebnis seiner Untersuchung vorweggenommen und dargelegt, dass er erwarte, dass er keine differierenden Ergebnisse feststellen werde. Damit habe er den Eindruck erweckt, eine streitige Behauptung zu Lasten der Antragstellerin für bewiesen zu halten.

 

Mit Schriftsatz vom 22.07.2022 nahm der Sachverständige dazu Stellung. Ihm sei im Auftragsschreiben des Gerichts vom 01.06.2022 aufgegeben worden, rechtzeitig darauf hinzuweisen, wenn der angeforderte Kostenvorschuss erheblich überstiegen werde und im Falle von Zweifeln am Inhalt und Umfang des Auftrags eine Klärung durch das Gericht herbeizuführen sei. Dieser Pflicht sei er mit seinem Hinweis im Schreiben vom 27.06.2022 nachgekommen.

Mit Beschluss vom 02.09.2022 (Bl. 182/184 d.A.) wies das Landgericht das Befangenheitsgesuch als unbegründet zurück. Der Sachverständige habe lediglich ausgeführt, dass „grundsätzlich“ keine differierenden Ergebnisse zu erwarten seien, aber zugleich angeboten, noch weitere Untersuchungen durchzuführen. Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit bestünden daher nicht.

Gegen diesen am 12.09.2022 zugestellten Beschluss wendet sich die Klägerin mit der sofortigen Beschwerde. Der Hinweis des Sachverständigen müsse so verstanden werden, dass er die Darstellung der Antragstellerin, dass die Mangelerscheinungen nicht dauerhaft vorhanden seien, sondern „immer wieder auftreten und danach wieder verschwinden“ als eine erfundene Behauptung betrachte, die keinen realen Hintergrund habe. Deshalb sei zu befürchten, dass er die Ergebnisse einer zweiten Untersuchung nicht objektiv bewerten werde. Mit Beschluss vom 21.09.2022 half das Landgericht der Beschwerde nicht ab und verfügte am selben Tage die Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht München zur Entscheidung über die Beschwerde.

II.

Die gemäß §§ 567 Abs.1 Nr.1, 406 Abs.2 ZPO statthafte Beschwerde ist zulässig erhoben worden, erweist sich in der Sache aber als unbegründet. Das Landgericht hat das Befangenheitsgesuch der Antragstellerin zu Recht zurückgewiesen, da ein Ablehnungsgrund nicht vorliegt.

1. Gemäß § 406 Abs. 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Für die Besorgnis der Befangenheit kommt es nicht darauf an, ob der vom Gericht beauftragte Sachverständige parteiisch ist oder ob das Gericht Zweifel an seiner Unparteilichkeit hat. Vielmehr rechtfertigt bereits der bei der ablehnenden Partei erweckte Anschein der Parteilichkeit die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, wenn vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus genügend Gründe vorhanden sind, die in den Augen einer verständigen Partei geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu erregen. Dieser Anschein muss sich auf Tatsachen oder Umstände gründen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BGH DS 2008, 266; OLG München BauR 2021, 291 = BeckRS 2020, 20319; jeweils zitiert nach beck-online). Rein subjektive, unvernünftige oder eingebildete Vorstellungen des Ablehnenden scheiden aus (vgl. z.B. BVerfG NJW 1993, 2230; BGHZ 156, 269). Unerheblich ist dabei auch, ob sich der abgelehnte Sachverständige selbst für befangen hält (vgl. BVerfG 73, 330, 335). Ausreichend ist schon der „böse Schein“, das heißt der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität (vgl. BVerfG NJW 2012, 3228, beck-online).

2. Gemessen an diesen Maßstäben liegt im hier zu entscheidenden Fall ein Ablehnungsgrund nicht vor.

Zwar kann es die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn der Sachverständige das Ergebnis einer von ihm durchzuführenden Untersuchung vorwegnimmt bzw. zu erkennen gibt, dass er sich hinsichtlich des mutmaßlich zu erwartenden Ergebnisses schon festgelegt hat. Der Sachverständige hat sich grundsätzlich nicht vorab zu den zu erwartenden Ergebnissen einer von ihm durchzuführenden Untersuchung zu äußern. Ebenfalls kann es die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn Umstände vorliegen, die auch bei einer vernünftigen, nüchtern denkenden Partei die Befürchtung rechtfertigen können, der Sachverständige habe sich einseitig festgelegt und glaube den Angaben der einen Partei mehr als den Angaben der anderen (vgl. OLG München NJW 1992, 1569, beck-online). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Wie sich nicht nur aus der Stellungnahme des Sachverständigen zum Befangenheitsgesuch, sondern bereits aus dem Schreiben vom 27.06.2022 ergibt, sah es der Sachverständige als seine Pflicht an, im (Kosten-)Interesse der Parteien darauf hinzuweisen, dass er bereits eine Untersuchung mit einem Originalkabel des Herstellers S. durchgeführt habe und dass es aus sachverständiger Sicht nicht naheliegend sei, dass mit einem anderen Originalkabel andere Ergebnisse erzielt würden. Ob diese Hinweispflicht objektiv tatsächlich bestand, kann dahinstehen, denn es kommt nur darauf an, ob die Äußerung des Sachverständigen im konkreten Fall den Schluss auf seine Voreingenommenheit zulässt. Das ist zu verneinen. Zum einen ist die vom Sachverständigen angestellte Überlegung, dass bei der Verwendung von zwei Original-Kabeln des Herstellers „grundsätzlich“ keine abweichenden Ergebnisse zu erwarten seien, auch für einen technischen Laien nachvollziehbar. Zugleich wird diese Aussage durch das Wort „grundsätzlich“ abgemildert, denn dadurch wird deutlich, dass der Sachverständige einen Ausnahmefall für möglich hält, in dem es doch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt. Zugleich hat er deutlich gemacht, dass er auf jeden Fall eine (immerhin zwei Tage in Anspruch nehmende) weitere Untersuchung mit dem Kabel der Antragstellerin durchführen werde, falls dies gewünscht sei. Insgesamt ist erkennbar, dass es dem Sachverständigen darum ging, die Parteien auf die mutmaßlichen Kosten einerseits und den aus sachverständiger Sicht voraussichtlich geringen Erkenntnisgewinn einer weiteren Untersuchung andererseits hinzuweisen. Damit sind die Grenzen für eine Annahme der Voreingenommenheit aber noch nicht überschritten worden.

III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO.

2. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens war nicht festzusetzen (vgl. Nr. 1812 KV-GKG, § 33 Abs.1 RVG; Zöller- Herget, 34. Aufl., § 3 Rn. 16.6).

IV.

Die Rechtsbeschwerde war nicht gem. §§ 574 Abs.1 Nr.2, Abs.3 ZPO zuzulassen, denn die Voraussetzungen des § 574 Abs.2 liegen nicht vor. Es handelt sich lediglich um eine Einzelfallentscheidung.

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