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Betreuer verletzt Aufsichtspflicht – Schmerzensgeld und Schadensersatz


Oberlandesgericht Hamm

Az.: 6 U 78/95

Urteil vom 21.12.1995


Tenor

In dem Rechtsstreit hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 6. November 1995 für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das am 15. Februar 1995 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11.336,40 DM nebst 4% Zinsen seit dem 27.10.1994 zu zahlen.

Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen weiteren zukünftigen materiellen Schaden aus dem Sturz vom 25.10.1991 zur Hälfte zu ersetzen, sofern nicht Ansprüche auf Sozialleistungsträger übergegangen sind, ferner den zukünftigen immateriellen Schaden unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens.

Im übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Die Kosten der ersten Instanz tragen zu 4/7 die Klägerin, zu 3/7 der Beklagte.

Die Kosten der Berufungsinstanz werden gegeneinander auf gehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beschwer der Parteien: unter 20.000,00 DM.


Entscheidungsgründe

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch wegen der Verletzungen, die sie am 25.10.1991 bei einem Sturz erlitten hat.

Die eine Untergliederung des beklagten Vereins, veranstaltete vom 19. -25.10.1991 in ein Schachturnier. Dazu wurde die seinerzeit 15 Jahre alte Klägerin, die dem beklagten Verein als Mitglied angehörte, als Teilnehmerin eingeladen. Für die Dauer des Turniers wurden die auswärtigen Teilnehmer, darunter auch die Klägerin, zur Übernachtung im Internat des X untergebracht; inwelchem Umfang von selten des Veranstalters eine Betreuung erfolgte, ist streitig.

In der Nacht vom 24. zum 25.10.1991 wurde von mehreren der jugendlichen Teilnehmer, darunter auch der Klägerin, in deren Zimmer in erheblichem Umfang Alkohol getrunken, u.a. und W gemischt mit X. Im weiteren Verlauf der Nacht kletterte die Klägerin in erheblich alkoholisiertem Zustand aus dem Fenster ihres Zimmers auf ein davor befindliches Vordach. Einige Meter vom Fenster entfernt stürzte sie von dem Vordach 5,80 m tief ab auf einen gepflasterten Freisitz. Dabei erlitt sie Brüche an Kiefer, Zähnen und Handgelenk.

Die Klägerin hat den Beklagten für ihre Schäden verantwortlich gemacht mit der Begründung, dieser habe entgegen der in der Einladung ausgesprochenen Zusage nicht im erforderlichen Maße für eine Betreuung und Beaufsichtigung der jugendlichen Turnierteilnehmer gesorgt.

Mit der Klage hat die Klägerin Ersatz materiellen Schadens in Höhe von 4.051,80 DM nebst Zinsen sowie ein angemessenes Schmerzensgeld verlangt und die Feststellung begehrt, daß der Beklagte ihr zum Ersatz künftigen immateriellen und – vorbehaltlich eines eventuellen Anspruchsübergangs – künftigen materiellen Schadens verpflichtet sei.

Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Schmerzensgeldzahlungsantrag sei mangels Angabe einer ungefähren Größenordnung zu unbestimmt und damit unzulässig. Im übrigen sei die Klage unbegründet, denn eventuelle Betreuungs- und Aufsichtspflichten des Beklagten seien jedenfalls nicht so weit gegangen, daß sie die ständige Anwesenheit einer Betreuungsperson im Zimmer der Klägerin oder ständige nächtliche Kontrollgänge mit Zimmerinspektionen erfordert hätten. Alle anderen notwendigen und möglicherweise nicht erfolgten Aufsichtsmaßnahmen hätten die Geschehnisse der Nacht nicht verhindern können.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter mit der Einschränkung, daß sie sich ein anspruchskürzendes Mitverschulden nach einer Quote von 1/4 anrechnen läßt. Mit dieser Maßgabe beziffert sie auf der Grund-. läge eines Ausgangsbetrages von 30.000,00 DM die Größenordnung des verlangten angemessenen Schmerzensgeldes mit mindestens 22.500,00 DM.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Er hält daran fest, daß von seiner Seite keine Beaufsichtigungs- und Betreuungspflicht verletzt worden sei, und bestreitet die Schadenshöhe.

Der Senat hat die Ermittlungsakten ausgewertet. Er hat die Klägerin gem. § 141 ZPO angehört und Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung. Wegen des Ergebnisses wird auf den darüber gefertigten Berichterstattervermerk Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist teilweise begründet.

Der Beklagte ist der Klägerin gem. §§ 823, 831, 847 BGB zum Ersatz materiellen und immateriellen Schadens verpflichtet, weil die von ihm zur Durchführung und Organisation des Schachturniers eingesetzten Mitglieder die im untergebrachten Jugendlichen nicht ausreichend beaufsichtigt und betreut haben und es durch diese Unterlassung mitverursacht haben, daß die Klägerin sich im Alkoholrausch selbst geschädigt hat. Der Klägerin fällt ein anspruchskürzendes Mitverschulden gem. §§ 254, 828 II BGB zur Last. Die Abwägung der Verursachungsanteile führt zu einer hälftigen Schadensteilung.

l .

Der Beklagte, welcher durch die ihm als Untergliederung angehörende die Klägerin dazu eingeladen hatte, anstelle des zunächst geplanten, dann aber wegen zu geringer Beteiligung ausgefallenen an dem X teilzunehmen, war verpflichtet, die von ihm im Internat des X zur Übernachtung untergebrachten jugendlichen Teilnehmer in einer nach den Umständen und der Dauer der Veranstaltung und einer nach dem Alter und der Eigenart der Jugendlichen erforderlichen Weise zu betreuen und sie nach dieser Maßgabe vor Schäden zu schützen. Diese Verpflichtung hatte der Beklagte konkludent durch die Ausschreibung gegenüber seinen teilnehmenden Mitgliedern übernommen. Außerdem war in der Einladung die Betreuung durch die Referentin für Schachjugend sogar ausdrücklich zugesagt worden. Dem Grunde nach ist auch die Betreuungspflicht des Beklagten nicht im Streit; streitig ist nur, welches Ausmaß sie hatte und ob die vom Beklagten eingesetzten Betreuer ihr ausreichend nachgekommen sind.

Der Umfang der gebotenen Aufsicht über Minderjährige bestimmt sich nach deren Alter, Eigenart und Charakter, nach der Vorhersehbarkeit des schädigenden Verhaltens sowie danach, was den Aufsichtspflichtigen in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann (vgl. BGH NJW 84, 2574). Das gilt sowohl dann, wenn es darum geht, die Schädigung Dritter durch den Jugendlichen zu verhindern, wie auch dann, wenn der Jugendliche vor den Folgen seines eigenen unvernünftigen Verhaltens geschützt werden soll. Die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen richtet sich danach, was verständige Aufsichtspflichtige nach vernünftigen Anforderungen tun müssen, um Schädigungen des Minderjährigen oder Schädigungen Dritter durch den Minderjährigen abzuwenden; es kommt darauf an, ob der Aufsichtspflichtige im konkreten Fall in Bezug auf die zur widerrechtlichen Schadenszufügung führenden Umstände eine ausreichende Aufsicht geführt hat (vgl. BGH a.a.O.; BGH NJW-RR 87, 1043; NJW 95, 3385; Senatsbeschluß vom 02.05.1991 – 6 W 7/91 – OLGZ 92, 95; OLG Hamm. – 9. ZS . – FamRZ 95, 167).

Nach diesen Maßstäben reichten die vom Beklagten durchgeführten Maßnahmen zur Betreuung der im X untergebrachten jugendlichen Schachspieler nicht aus. Denn wenn der zu ihrer Betreuung vorgesehene Zeuge, der seinerzeit dem elfköpfigen Jugendausschuß der Schachjugend angehörte, abends gegen 23.00 Uhr die Unterkunft verlassen hatte und heimgefahren war, waren die Jugendlichen auf sich allein gestellt. Eine ordnungsgemäße Betreuung hätte es aber erfordert, daß ein Betreuer die Nacht hindurch in der Unterkunft geblieben wäre, um durch Kontrollen der Jugendlichen solchen alkoholischen Exzessen, wie sie der Klägerin zum Verhängnis geworden sind, vorzubeugen. Das Alkoholverbot, das zu Beginn der Turnierwoche den im X untergebrachten Teilnehmern mündlich erteilt worden war, reichte hierzu nicht aus. Es ist eine bekannte Erfahrungstatsache und für Jugendliche wie die Klägerin und ihre damaligen Sportskameraden geradezu alterstypisch, daß die Freiheit von elterliche Kontrolle sie mitunter dazu bringt, „über die Stränge zu schlagen“. Gerade die gegenseitige Beeinflussung in der Gruppe bringt es mit sich, daß sie auch bei an sich verbotenem Tun schon darum nicht gern zurückstehen, um nicht ängstlich und kindlich zu erscheinen. In dieser Situation kommt es mitunter auch bei sonst gutartigen und unauffälligen Jugendlichen – nicht zuletzt aufgrund der Neugier und des Gruppenverhaltens – zu Alkoholkonsum, der sich um so verheerender auswirken kann, je weniger dem Jugendlichen die Grenzen dessen bekannt sind, was er vertragen kann.. Deswegen müssen bei auswärtiger Unterbringung von Jugendgruppen die Betreuer durch geeignete und wirksame Maßnahmen dafür sorgen, daß es nicht zu solchen Gelagen kommt wie hier, wo die gerade 15 Jahre alte Klägerin und der zwei Jahre ältere Zeuge; zusammen eine Flasche getrunken haben, wie es im Ermittlungsverfahren angegeben hat. Dazu wären auch im weiteren Verlauf der Nacht noch gelegentliche Kontrollen auf den Zimmern erforderlich gewesen, jedenfalls solange, wie noch nicht allgemeine Ruhe eingekehrt war. Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß derartige Kontrollen nicht mit dem Ziel der Erziehung zur Selbständigkeit und mit dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und unangetastete Intimsphäre vereinbar seien, wie es das Landgericht in dem angefochtenen Urteil meint. Derartige Kontrollen, die die Einhaltung der Hausordnung und die Sicherheit der Jugendlichen gewährleisten sollen, sind sowohl bei sportlichen Veranstaltungen- mit Gruppenunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften wie auch bei damit vergleichbaren Klassenfahrten durchaus üblich und werden von den Jugendlichen als berechtigt angesehen und akzeptiert. Wenn sie gleichwohl mitunter versuchen, die Kontrollen zu umgehen, so steht das der prinzipiellen Akzeptanz der Kontrollen und dem Anerkenntnis ihrer Berechtigung nicht entgegen. Richtig ist zwar, daß die Erziehung zur Selbständigkeit es im allgemeinen erfordert, die Beaufsichtigung von Jugendlichen entsprechend dem Fortschreiten ihres Alters und der Festigung ihres Verantwortungsbewußtseins flexibel zu handhaben und mehr und mehr zu lockern. Die Entscheidung darüber, in welchem Maße dies zu geschehen hat, ist jedoch in erster Linie Sache der Eltern und – etwa bei Klassenfahrten – der Lehrer, welche die Jugendlichen regelmäßig auch besser kennen, als es hier bei der Betreuung der von auswärts angereisten Turnierteilnehmer der Fall war. Keinesfalls durfte der Beklagte im Interesse der Erziehung zur Selbständigkeit seine Entscheidung an die Stelle derjenigen der Eltern setzen, welche hier sowohl aufgrund des Textes der Einladung als auch aufgrund der Handhabung bei früheren Turnieren davon ausgehen konnten, daß die Jugendlichen die Nächte in der Gemeinschaftsunterkunft nicht ohne einen vom Beklagten eingesetzten Betreuer verbringen würden. Tatsächlich stand denn auch, wie der Zeuge bei seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren angegeben hat, nicht der Erziehungsgedanke im Vordergrund bei der Entscheidung des elfköpfigen Jugendausschusses der Schachjugend, daß der Jugendwart nicht als Betreuer im X übernachten sollte; ausschlaggebend waren hierfür vielmehr Kostengründe, die allerdings eine derartige Entscheidung nicht rechtfertigen konnten.

Die Betreuungsmängel waren ursächlich für den Schaden der Klägerin.

Dem Landgericht ist zwar zuzugeben, daß nicht alle auf jugendtypischen Unverstand zurückzuführenden Schäden durch Kontrollen verhindert werden können, und daß es durchaus denkbar gewesen wäre, daß die Klägerin sich still und heimlich mit verbotswidrig eingeschmuggeltem Alkohol betrunken hätte und dann ebenso, wie es jetzt geschehen ist, infolge der Trunkenheit aus dem Fenster geklettert und sodann vom Vordach abgestürzt wäre. Darum geht es hier aber nicht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist vielmehr, nachdem der als Betreuer eingesetzte Zeuge das X verlassen hatte, auf dem Zimmer der Klägerin noch von mehreren Jugendlichen, die teilweise kamen und gingen, Alkohol getrunken worden. Das Ausmaß wird dadurch verdeutlicht, daß die Polizei am folgenden Tage neben etlichen leeren Bierflaschen auch mehrere leere Flaschen vorgefunden hat, in denen sich sog. harte Alkoholika befunden hatten. Daß unter diesen Umständen das gesellige Beisammensein der Jugendlichen im Zimmer der Klägerin nicht lautlos vonstatten gegangen ist, liegt auf der Hand und wird auch dadurch illustriert, daß am folgenden Tag eines der Betten zerbrochen vorgefunden wurde. Wäre ein Betreuer im X verblieben, so wäre diesem, sofern er seine Kontrollpflichten ernst genommen und auch nach 23.00 Uhr noch Kontrollgänge unternommen hätte, ohne weiteres aufgefallen, daß hier in erheblichem Maße -gegen das Alkoholverbot verstoßen wurde, und er hätte diese Verstöße unterbinden müssen. Da es – wie oben ausgeführt – darauf ankommt, ob der Aufsichtspflichtige in Bezug auf die im konkreten Fall zur widerrechtlichen Schadenszufügung führenden Umstände eine ausreichende Aufsicht geführt hat, ist es nicht entscheidend, ob unter anderen Umständen die Klägerin sich ebenfalls durch Alkoholmißbrauch hätte schädigen können.

Die Versäumnisse bei der Beaufsichtigung der Klägerin .sind dem Beklagten zuzurechnen.

Dabei kann offenbleiben, ob der elfköpfige Jugendausschuß als verfassungsmäßiger Vertreter des Beklagten i.S.d. § 31 BGB anzusehen ist, und ob ihm zum Vorwurf gemacht werden kann, daß er aus finanziellen Gründen davon abgesehen hat, den als Betreuer vorgesehenen Zeugen durchgehend, also auch nachts, im unterzubringen, oder ob aus damaliger Sicht die Betreuung durch die Beauftragte für Mädchen-Schach, Frau, als ausreichend angesehen werden konnte. Denn nachdem sich herausgestellt hatte, daß Frau ihre Teilnahme abgesagt hatte und daß damit nachts kein für die Betreuung aller jugendlichen Teilnehmer zuständiger Erwachsener mehr im sein würde, hätten die mit der Organisation des Turniers und der Betreuung der Jugendlichen betrauten Mitglieder des Beklagten, nämlich die Zeugen und für Abhilfe sorgen müssen. Ihre Unterlassung ist dem Beklagten gem. § 831 BGB zuzurechnen, denn sie waren mit der Organisation und der Betreuung beauftragt und sind demgemäß als Verrichtungsgehilfen des Beklagten i.S. dieser Vorschrift anzusehen.

2.

Die Klägerin, an deren Verantwortlichkeit gem. § 827 I l BGB kein Zweifel besteht, hat den Unfall dadurch mitverschuldet, daß sie erheblich mehr Alkohol getrunken hat, als sie vertragen konnte, und1 dadurch solche Einbußen an ihrer Kontrollfähigkeit erlitten hat, daß sie aus dem Fenster auf das Vordach geklettert und von diesem abgestürzt ist. Dieses Mitverschulden führt gem. § 254 BGB zu einer Anspruchskürzung. Unter Berücksichtigung aller Umstände hält der Senat eine hälftige Schadensteilung für sachgerecht. Er hat hierbei berücksichtigt, daß es auf selten des Beklagten durch eine unglückliche Verkettung von Umständen zu der mangelnden Beaufsichtigung gekommen ist. Denn zunächst war durchaus eine durchgehende Beaufsichtigung vorgesehen. Erst nachdem Frau ihr Erscheinen abgesagt hatte, ist es dadurch zu der Lücke in der Beaufsichtigung gekommen, daß der Zeuge an den Vorgaben des Jugendausschusses festgehalten hat, der für ihn keine durchgehende Unterbringung im vorgesehen hatte.

Auf selten der Klägerin ist einerseits berücksichtigt worden, daß von ihr im Alter von 15 Jahren durchaus schon einiges an Selbstverantwortung erwartet werden konnte, andererseits aber auch, daß sie aus eigenem Erleben offenbar noch keine Erfahrung mit den u.U. verheerenden Wirkungen des übermäßigen Alkoholkonsums hatte. Insgesamt ist es demgemäß angemessen, bei der Abwägung die Verantwortlichkeit auf beiden Seiten gleich hoch anzusetzen.

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3.

Der geltend gemachte materielle Schaden ist in Höhe von 2.772,81 DM ersatzfähig.

Die Klägerin hat für die Mehraufwendungen für Nahrung und Zahnpflege Belege über 313,99 DM vorgelegt. Dem stehen hierdurch ersparte sonstige Aufwendungen gegenüber. Mit Rücksicht darauf schätzt der Senat in Anwendung des § 287 ZPO die Mehraufwendungen auf 200,00 DM.

Für den Krankentransport ist laut vorgelegtem Beleg ein Eigenanteil von 20,00 DM auf die Klägerin entfallen.

Die Besuchsfahrten, welche die Eltern während der stationären Aufenthalte der Klägerin in unternommen haben, sind nicht in vollem Umfang ersatzfähig, sondern nur insoweit, wie sie zu den Heilungskosten gehören (vgl. BGH NJW 91, 2340). Insoweit hält der Senat angesichts des Zustandes der Klägerin nach dem Unfall und der Dauer der stationären Behandlung die erste Besuchsfahrt unter dem Gesichtspunkt des materiellen Schadensersatzes für erstattungsfähig (§ 287 ZPO). Im übrigen sind die Belastungen, die für die Dauer der stationären Behandlung durch die Trennung vom Elternhaus aufgetreten sind, als Bemessungsgesichtspunkt bei der Festsetzung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen.

Die Fahrten zur ambulanten Behandlung sind als Teil der Heilungskosten erstattungsfähig. Es sind damit an erstattungsfähigen Fahrten angefallen:

Fahrt nach 370 km,

Fahrten zu 828 km,

Fahrten zur Klinik 272 km,

insgesamt 1.470 km.

Der Senat bemißt den Kilometersatz in Anlehnung an § 9 II-I Nr. 2 ZSEG mit 0,40 DM. Insgesamt sind damit an erstattungsfähigen Fahrtkosten 588,00 DM angefallen.

Der Eigenanteil der Klägerin für die Zahnbehandlung in Höhe von 1.864,81 DM ist erstattungsfähig. Das betrifft auch die von der nicht übernommenen Mehrkosten für die X, denn aufgrund der Bescheinigung des Kieferchirurgen vom 06.01.1995 steht zur Überzeugung des Senats fest, daß durch diese Kronenart ein geringerer Zahnabtrag vorgenommen werden mußte, so daß angesichts des Alters der Klägerin die Wahl dieser Behandlung sachgerecht und damit erforderlich i.S.d. § 249 BGB war.

Die geltend gemachten materiellen Schäden sind demgemäß in folgendem Umfang ersatzfähig:

Mehraufwendungen für Nahrung und Zahnpflege 200,00 DM

Eigenanteil Krankentransportkosten 20,00 DM

Fahrtkosten 588,00 DM

Eigenanteil Zahnbehandlungskosten 1.864,81 .DM

insgesamt 2.672,81 DM.

Hiervon hat der Beklagte entsprechend seiner Haftungsquote die Hälfte = 1.336,40 DM zu ersetzen.

4 .

Unter Berücksichtigung aller Umstände, auch des Mitverschuldens der Klägerin, bemißt der Senat das gem. § 847 ZPO zu zahlende Schmerzensgeld mit 10.000,00 DM.

Maßgebend hierfür waren neben den erheblichen Primärschäden und der Dauer des Krankenhausaufenthalts, der wegen der Entfernung vom Elternhaus besonders belastend war, vor allem die langwierige Heilungsdauer und die Belastungen durch die kieferchirurgische operative Behandlung, während derer die Klägerin zeitweise nur flüssige oder pürrierte Nahrung zu sich nehmen konnte.

Von besonderer Bedeutung sind die Dauerschäden, die sich aus der Kronenfraktur der Zähne 22 und 42 und der Schmelzdentalfrakturen und der Schmelzabsprengungen an den Zähnen 25, 32, 36, 41 und 43 ergeben haben. Die Klägerin hat noch einen Draht im Kiefer behalten, und sie verspürt beim Öffnen des Mundes mitunter ein Knacken. Außerdem verspürt sie Störungen bei Wärme und Kälte. Sie hat auch noch Narben am Kinn und an den Knien.

Unter Berücksichtigung aller Umstände erschien dem Senat – auch bei einem Vergleich mit ähnlichen Fällen – der zuerkannte Betrag von 10.000,00 DM als angemessen.

5.

Die Feststellungsanträge sind zulässig und im Hinblick darauf, daß Dauerschäden vorliegen, auch begründet.

Zur Abgrenzung und Klarstellung weist der Senat darauf hin, daß er bei der Schmerzensgeldbemessung davon ausgeht, daß es im wesentlichen beim derzeitigen Zustand bleiben wird, so daß die zur Zeit existierenden Dauerschäden auch für die Zukunft durch das zuerkannte Schmerzensgeld abgedeckt sind. Nicht erfaßt sind jedoch erhebliche Verschlechterungen, wie etwa eine Arthrose infolge der Verletzungen des rechten Arms. Sollte diese eintreten, so wäre auf der Grundlage des Feststellungsausspruchs Raum für ein weiteres Schmerzensgeld.

6.

Die Zinsentscheidung und die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 291 BGB, §§ 92, 97 I, 708 Nr. 10, 713, 546 ZPO. Entgegen der Auffassung des Beklagten war es nicht angezeigt, in Anwendung des § 97 II ZPO der Klägerin die Kosten des Rechtsmittelverfahrens teilweise aufzuerlegen, weil sie in erster Instanz die Größenordnung des verlangten Schmerzensgeldes nicht ausdrücklich angegeben hatte. Zwar mag anfangs aus diesem Grunde der Schmerzensgeldzahlungsantrag unzulässig gewesen sein. Das kann aber offenbleiben. Denn nachdem die Kammer den Streitwert für den Schmerzensgeldzahlungsantrag durch Beschluß vom 20.10.1994 auf 24.000,00 DM festgesetzt hatte und die Klägerin sich nicht dagegen gewandt hat, konnte die Kammer nicht ohne Verstoß gegen § 139 ZPO davon ausgehen, daß die Klägerin die Größenordnung des Schmerzensgeldes, die ohnehin in gewissem Rahmen durch die Streitwertangabe für die gesamte Klage eingegrenzt war, in unzulässiger Weise offenhalten wollte. Es war vielmehr davon auszugehen, daß sich die Klägerin größenordnungsmäßig die Bewertung in dem Streitwertbeschluß zu eigen gemacht und demgemäß auch bezüglich der Schmerzensgeldzahlung mit einem zulässigen Klageantrag verhandelt hat (vgl. hierzu BGH, NJW 84, 1807, 1809).


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