LArbG Berlin-Brandenburg
Az.: 10 Sa 2351/08
Urteil vom 16.03.2009
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. September 2008 – 54 Ca 10048/08 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte bei einem Streitwert von 748,62 EUR zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Gewährung von Zeitgutschriften im Umfang von Ersatz-Ausgangstagen für drei arbeitsfreie Spielverbotstage im Jahre 2006.
Der Kläger ist 54 Jahre alt und seit dem 1. Dezember 1979 bei der Beklagten als Croupier mit zuletzt 5.609,49 EUR brutto monatlich beschäftigt. Aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung findet der Rahmentarifvertrag „Klassisches Spiel“ (RTV) Anwendung auf das Arbeitsverhältnis.
Nach § 5 Abs.3 Satz 1 RTV bleiben für den Arbeitnehmer in jeder Dienstplanwoche (7 Tage) mindestens zwei Tage arbeitsfrei (Ausgänge). Nach § 5 Abs.2 RTV reduziert sich die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 34 bzw. 36 Stunden für jeden gesetzlichen Feiertag, der auf einen Werktag fällt, um die ausgefallene Arbeitszeit. Nach § 9 des Gesetzes über die Zulassung öffentlicher Spielbanken in Berlin (Spielbankengesetz – SpBG) ist am Karfreitag, Volkstrauertag, Totensonntag, am 24. und 25. Dezember sowie an aus besonderem Anlass von der Aufsichtsbehörde bestimmten Tagen das Spielen verboten.
Seit ca. 30 Jahren, mindestens aber von 1991 bis einschließlich 2003 gewährte die Beklagte den Mitarbeitern, die an einem Spielverbotstag nicht zum Dienst eingeteilt waren, eine Zeitgutschrift im Umfang je eines zusätzlichen Ausgangstages.
Unter dem 28. Juni 2004 schlossen die Beklagte und der bei ihr gebildete Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über „Einsparungen“ (Bl. 7-9 d.A.). Nach § 8 trat sie sofort in Kraft und endete am 31. Dezember 2004. In § 3 vereinbarten die Betriebsparteien:
„Gesetzliche Schließtage finden vorläufig befristet bis zum 31.12.2004 im Dienstplan keine Berücksichtigung, d.h., für Schließtage wird kein Mitarbeiter mehr eingeteilt. Der Dienstplan „läuft durch“, indem einem Arbeitstag vor einem Schließtag unmittelbar der Arbeitstag nach einem Schließtag folgt.“
Nach dem Inkrafttreten erfolgte im Jahre 2004 für keinen Arbeitnehmer an Spielverbotstagen mehr eine Zeitgutschrift im Umfang je eines Ersatz-Ausgangstages. Seit dem Jahre 2005 wurden die Dienste wieder wie vor dem Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung geplant. Im Jahre 2005 war der Kläger Karfreitag zum Dienst eingeteilt, am Volkstrauertag und am Totensonntag hatte er Ausgang. Heiligabend und am 1. Weihnachtstag 2005 hatte er Urlaub. Im Jahre 2006 hatte der Kläger an den drei streitigen Tagen 19. November, 26. November und 24. November 2006 Ausgang, war also nicht zum Dienst eingeteilt. Karfreitag und am 1. Weihnachtsfeiertag war er zum Dienst eingeteilt.
Mit Schreiben vom 29. Januar 2007, bei der Beklagten am gleichen Tage eingegangen, erhob der Kläger Einspruch gegen die Gehaltsabrechnungen November 2006 und Dezember 2006, da er für den 19. November 2006 und 26. November 2006 sowie für den 24. Dezember 2006 jeweils keine Zeitgutschrift erhalten habe.
Der Kläger meint, ihm stehe der Anspruch auf Gutschrift im Umfang von drei Ausgangstagen aus betrieblicher Übung zu. Das setze auch die Betriebsvereinbarung grundsätzlich voraus, weil sonst das Aussetzen einer Regelung keinen Sinn machen würde.
Die Beklagte meint, dass der Anspruch schon aufgrund der nachwirkenden Betriebsvereinbarung nicht bestehe. Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung sei der Regelfall. Es handele sich um eine erzwingbare Mitbestimmung da es eine Frage der Verteilung der Arbeitszeit sei. Abweichungen vom gesetzlich vorgeschriebenen Regelfall seien nicht ersichtlich. Auch die Verwendung des Wortes „vorläufig“ in § 3 deute darauf hin, dass die Betriebsparteien keine abschließende und in jedem Fall nicht fortgeltende Regelung hätten vereinbaren wollen.
Von der weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) abgesehen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 16. September 2008 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass der Anspruch aufgrund betrieblicher Übung bestehe. Mindestens 13 Jahre lang habe die Beklagte uneingeschränkt und vorbehaltlos die Ausgleichstage gewährt. Sie habe freiwillig den Arbeitnehmern Einzelleistungen nach einem generalisierenden Prinzip erbracht, so dass von einem Bindungswillen der Beklagten auszugehen sei. Eine Öffnung zur Abänderung der Regelung etwa durch Betriebsvereinbarung habe die Beklagte sich nicht vorbehalten. Der RTV enthalte keine diesbezüglichen Regelungen und die Betriebsvereinbarung vom 28. Juni 2004 habe die Ansprüche aufgrund des Günstigkeitsprinzips nicht beseitigen können. Da die Regelungen der Betriebsvereinbarung auch bei einem kollektiven Günstigkeitsvergleich verschlechternd seien und ein Änderungsvorbehalt nicht gegeben sei, komme es auf die Frage der Nachwirkung der Betriebsvereinbarung nicht an. Es gelte die betriebliche Übung fort. Der Anspruch sei auch nicht durch eine gegenläufige betriebliche Übung wieder beseitigt worden.
Gegen dieses der Beklagten am 31. Oktober 2008 zugestellte Urteil legte sie am 27. November 2008 Berufung ein und begründete diese am 29. Dezember 2008.
Zur Begründung führt die Beklagte aus, dass es der Beklagten bei der bis zum Jahre 2004 gewährten Praxis an einem Rechtsbindungswillen gefehlt habe. Anders als bei Sachverhalten, die die Wechselbeziehungen zwischen Leistung und Gegenleistung betreffen würden, sei dieser bei Gegenständen mit dem Schwerpunkt im Bereich der Betriebsorganisation, insbesondere bei Fragen der Arbeitszeit, eher nicht anzunehmen. Die ursprüngliche kollektive Handhabung und die spätere Fixierung in der Betriebsvereinbarung vom 28. Juni 2004 würden belegen, dass es sich um einen typischen kollektiven Tatbestand handele, der nicht von einer Vielzahl einzelvertraglicher Absprachen abhängen solle.
Die Beklagte führt weiter aus, dass es sich um eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit handele, deren Regelung nachwirke. Angesichts der fehlenden betrieblichen Übung komme es darauf auch an. Schließlich liege aber auch eine gegenläufige betriebliche Übung vor, wenn ein Arbeitnehmer dreimal einer gegenläufigen Handhabung nicht widerspreche. Da der Kläger sowohl für das Jahr 2004 wie auch für das Jahr 2005 keine zusätzlichen Ausgangstage verlangt habe, obwohl ihm gerade aufgrund der Betriebsvereinbarung die Nichtgewährung deutlich gemacht worden sei, sei eine gegenläufige betriebliche Übung entstanden. So sei der Kläger am Volkstrauertag und am Totensonntag 2005 sowie am Karfreitag, dem 12. April 2006 nicht zum Dienst eingeteilt gewesen.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. September 2008, Aktenzeichen 54 Ca 10048/08, die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger erwidert, dass der Bindungswille der Beklagten anzunehmen sei. Hier gehe es nicht um eine Frage der Arbeitszeit, sondern um eine Frage der Freistellung von der Arbeit. Und bei Arbeitsbefreiungen aus bestimmten Anlässen sei eher von einem Bindungswillen auszugehen. Eine gegenläufige betriebliche Übung sei nicht anzunehmen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung der Beklagten vom 29. Dezember 2008, ihre Schriftsätze vom 9. März 2009 und 12. März 2009 sowie auf die Berufungsbeantwortung des Klägers vom 13. Februar 2009 und das Sitzungsprotokoll vom 16. März 2009 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden.
II.
Die Berufung ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Der Kläger hat einen Anspruch auf eine Zeitgutschrift im Umfang von drei Ersatz-Ausgangstagen.
Sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung hat das Arbeitsgericht zu Recht der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht folgt dem Arbeitsgericht Berlin im Ergebnis und im Wesentlichen auch in der Begründung. Die Kammer sieht gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG von einer ausführlichen, nur wiederholenden Begründung ab.
1. Denn das Arbeitsgericht hatte unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts mit zutreffenden Erwägungen ausgeführt, dass von einer betrieblichen Übung auszugehen sei. Soweit die Beklagte meint, dass Arbeitszeitfragen eher nicht einer betrieblichen Übung unterfallen würden, weil sie stark in das Organisationsgefüge des Betriebes eingreifen würden, übersieht die Beklagte zum einen, dass in diesem Bereich dennoch eine betriebliche Übung entstehen kann und zum anderen, dass es hier eher nicht um das Organisationsgefüge geht.
Mit Urteil vom 21. Januar 1997 – 1 AZR 572/96 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die Annahme einer betrieblichen Übung nicht etwa von vornherein ausgeschlossen sei, weil es um die Festlegung eines betrieblichen Schichtsystems gehe und nicht um eine Leistung oder Vergünstigung des Arbeitgebers. Da eine betriebliche Übung durch ein als Willenserklärung zu wertendes Verhalten des Arbeitgebers und dessen stillschweigende Annahme durch die Arbeitnehmer zustande komme, sei sie grundsätzlich für jeden Gegenstand vorstellbar, der arbeitsvertraglich in einer so allgemeinen Form geregelt werden könne. Dazu gehöre auch die Festlegung von Schichtzeiten. Der fragliche Gegenstand sei lediglich für die Bewertung, ob die Arbeitnehmer aus einem bestimmten Verhalten des Arbeitgebers auf einen entsprechenden individualrechtlichen Bindungswillen schließen durften, von Bedeutung.
Dieses auf den vorliegenden Fall übertragen bedeutet, dass die vorbehaltlose Gewährung von Zeitgutschriften für auf Spielverbotstage fallende Ausgangstage über mindestens 13 Jahre eine betriebliche Übung darstellt. Der Rechtsbindungswille ist in jedem Fall anzunehmen, da es sich dabei nicht um die Frage des Arbeitseinsatzes, sondern nur um die Frage einer Zeitgutschrift handelt. Diese ist jedoch eher als Leistung oder Vergünstigung anzusehen und hat mit dem Organisationsgefüge im Betrieb nichts zu tun..
2. Zutreffend hat das Arbeitsgericht auch die etwaige Nachwirkung der Betriebsvereinbarung vom 28. Juni 2004 dahinstehen lassen. Denn aufgrund des vom Arbeitsgericht zutreffend gewürdigten Günstigkeitsprinzips kann die Betriebsvereinbarung den durch betriebliche Übung individualrechtlichen Anspruch des Klägers nicht mehr beseitigen.
3. Auch eine gegenläufige – negative – betriebliche Übung hat das Arbeitsgericht im Ergebnis zu Recht nicht angenommen. Grundsätzlich kann eine bestehende betriebliche Übung nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts durch eine neue, für den Arbeitnehmer ungünstigere betriebliche Übung zwar abgelöst werden (vgl. zuletzt BAG, Urteil vom 28. Mai 2008 – 10 AZR 274/07 und 275/07). Ebenso wie bei der Entstehung einer betrieblichen Übung kommt es entscheidend auf Art, Dauer und Intensität des Leistungsverzichts sowie auf die Zahl der Anwendungsfälle im Verhältnis zur Belegschaftsstärke an. Danach ist mindestens eine dreimalige gegenläufige Handhabung erforderlich.
Nach den Darlegungen der Beklagten im Schriftsatz vom 12. März 2009 war der Kläger im Jahre 2004 an allen Spielverbotstagen zum Dienst eingeteilt. Aber selbst wenn er an diesen Tagen Ausgang gehabt hätte, wäre – jedenfalls ab dem 28. Juni – nicht von einem Bindungswillen des Klägers auf einen Verzicht der Zeitgutschrift auszugehen gewesen, denn aufgrund der seinerzeit unstreitig gültigen Betriebsvereinbarung war kein Anhaltspunkt ersichtlich, dass der Kläger unabhängig von dieser Betriebsvereinbarung auch auf die Zeitgutschrift verzichtet hätte. Es kann auch für die Jahre 2005 und 2006 dahinstehen, ob wie vom Arbeitsgericht angenommen aufgrund der Argumentation der Beklagten in diesem Rechtsstreit, dass die Betriebsvereinbarung nachwirke, ein Bindungswille des Klägers aus Sicht der Beklagten nicht hätte angenommen werden können. Zwar hat die Beklagte im Schriftsatz vom 12. März 2009 behauptet, dass der Kläger Im Jahre 2005 am Volkstrauertag und am Totensonntag sowie im Jahre 2006 am Karfreitag, dem 12. April 2006 Ausgang gehabt habe, ohne die Zeitgutschrift im Umfang eines Ersatzausgleichstages geltend zu machen, tatsächlich war aber Karfreitag im Jahre 2006 am 14. April. Und an diesem Tag hatte der Kläger unstreitig keinen Ausgangstag. Wenn aber der Kläger nicht mindestens dreimal wiederkehrend auf die Geltendmachung der Zeitgutschrift verzichtet hat, liegt jedenfalls keine gegenläufige betriebliche Übung vor.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs.6 ArbGG in Verbindung mit §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO. Als unterlegene Partei hat die Beklagte die Kosten der Berufung und des Rechtsstreits zu tragen.
Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs.2 ArbGG kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben.