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Betriebskostenabrechnung: Bei Klageänderung sind Streitwerte zu addieren

LG Stendal – Az.: 25 T 86/21 – Beschluss vom 14.07.2021

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Salzwedel vom 13. April 2021 -31 C 142/20 (III)- wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Die weitere Beschwerde wird zugelassen.

Gründe:

A.

Der Kläger hat rückständigen Mietzins und eine Nachzahlung aus einer Betriebskostenabrechnung gegen die Beklagten geltend gemacht. Mit der Klageschrift vom 13. Mai 2020 hat er in der Hauptsache den Antrag angekündigt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 4.396,46 Euro zu zahlen.

Zur Begründung hat er ausgeführt, die Beklagten hätten den Mietzins in Höhe von jeweils 770,00 Euro (Nettomiete zuzüglich Betriebskostenvorauszahlung) für die Monate Januar bis einschließlich Mai 2020, insgesamt also 3.850,00 Euro, sowie eine Nachforderung aus der Betriebskostenabrechnung 2019 in Höhe von 546,46 Euro nicht bezahlt. Nachdem die Beklagten mit Schriftsatz vom 26.08.2020 vorgetragen haben, dass für den Zeitraum Januar bis einschließlich März 2020 die Mietzahlungen erfolgt seien, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 25. September 2020 vorgetragen, dass in den Monaten April bis einschließlich Juni 2020 keine Miete gezahlt worden sei, außerdem auch nicht in den Monaten August und Dezember 2019. Es seien fünf Zahlungsbeträge offen, wie im Klageantrag aufgeführt. Mit Schriftsatz vom 04.01.2021 hat der Kläger schließlich die Klage in der Hauptsache erweitert und in der Hauptsache den Antrag angekündigt, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 5.091,94 Euro zu verurteilen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Beklagten die Miete in Höhe von jeweils 770,00 Euro für die Monate August 2020, Dezember 2020 sowie April bis einschließlich Juni 2020 und die Betriebskostennachforderung in Höhe von 546,46 Euro nicht gezahlt hätten und darüber hinaus für den Monat Juli 2020 eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 695,48 Euro schuldeten. Durch Urteil vom 13. April 2021 hat das Amtsgericht Salzwedel im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 4.551,46 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits hat es den Beklagten zu 62% und dem Kläger zu 38% auferlegt.

Zur Begründung der Kostenentscheidung hat es unter anderem ausgeführt, dass die konkludente Klagerücknahme hinsichtlich der Nettomiete und der Betriebskostenvorauszahlungen für die Monate Januar bis März 2020 mit zu berücksichtigen seien.

Bei Klageänderung sind Streitwerte zu addieren
(Symbolfoto: fizkes/Shutterstock.com)

Durch Beschluss vom 13. April 2021 hat das Amtsgericht den Streitwert des Rechtsstreits auf 7.401,94 Euro festgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich die Summe aus der mit der Klageerweiterung geltend gemachten Ansprüchen in Höhe von 5.091,94 Euro sowie der Nettomiete und Betriebskostenvorauszahlungen für die Monate Januar bis März 2020, hinsichtlich derer die Klage im Zuge der Erweiterung vom 04. Januar 2021 konkludent zurückgenommen worden sei, errechne.

Gegen den ihm am 20. April 2021 zugestellten Beschluss hat der Kläger mit Schriftsatz vom 28. April 2021 Beschwerde eingelegt und beantragt, den Streitwert auf 5.091,94 Euro festzusetzen. Es habe keine konkludente Klagerücknahme stattgefunden, sondern eine sachdienliche Klageänderung. Aus dem neu festzusetzenden Streitwert ergebe sich auch eine zu ändernde Kostenquote.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 14. Juni 2021 nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht Stendal – Beschwerdekammer zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass aufgrund des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs von einer Klagerücknahme auszugehen sei, die in den Gebührenstreitwert einzubeziehen sei und die Höhe des Gebührenstreitwerts nicht reduziere.

B.

Die Streitwertbeschwerde ist gemäß §§ 68 Abs. 1 S. 1 und 3, 63 Abs. 2 und 3 S. 2 GKG zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.

Sie hat in der Sache indes keinen Erfolg. Der Streitwert des Rechtsstreits beträgt 7.401,94 Euro gemäß §§ 39 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG iVm § 3 ZPO.

Zutreffend hat das Amtsgericht ausgehend von dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff (vgl. G. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 33. Aufl., Einleitung Rn 63, 72, 83 mwN) angenommen, dass der Kläger mit Schriftsatz vom 04. Januar 2021 die Klage hinsichtlich des Mietzinses für die Monate Januar bis März 2020 teilweise zurückgenommen und gleichzeitig die Klage um den Mietzins für die Monate August 2019, Dezember 2019 und Juni 2020 sowie die Nutzungsentschädigung für den Monat Juli 2020 erweitert hat.

Es handelt sich, wie die Beschwerde richtig erkannt hat, um eine Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO, mit der das ursprüngliche Rechtsschutzbegehren teilweise aufgegeben worden ist (Greger aaO, § 263 Rn 6).

Die Frage, ob bei einer Klageänderung bei wie hier gegebenen, wirtschaftlich nicht identischen Streitgegenständen die Streitwerte gemäß § 39 Abs. 1 GKG zu addieren sind, ist umstritten. Nachdem in der obergerichtlichen Rechtsprechung zunächst überwiegend die Ansicht vertreten worden war, dass eine Addition gemäß § 39 GKG voraussetze, dass die Streitgegenstände gleichzeitig verfolgt werden (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 28. Februar 2012 -17 W 1/12; OLG Stuttgart, Beschluss vom 20. Dezember 2011 -4 W 74/11; OLG Nürnberg, Beschluss vom 27. September 2010 -8 W 1685/10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. August 2010 -I-24 W 9/10; OLG Frankfurt, Beschluss vom 04. März 2009 -3 W 3/09; OLG Dresden, Beschluss vom 29. Dezember 2006 -5 W 1517/06), wird in der jüngeren obergerichtlichen Rechtsprechung nunmehr mehrheitlich vertreten, dass eine Addition gemäß § 39 GKG auch bei nacheinander verfolgten Streitgegenständen zu erfolgen habe (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 08. Januar 2020 -4 W 25/19; OLG München, Beschluss vom 13. Dezember 2016 -15 U 2407/16; Sächsisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 21. Oktober 2016 -4 Ta 168/16 (5); OLG Celle, Beschluss vom 09. Juni 2015 -2 W 132/15; Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 03. November 2014 -5 Ta 125/14; KG Berlin, Beschluss vom 27. August 2007 -8 W 53/07; OLG Koblenz, Beschluss vom 28. Dezember 2005 -5 W 829/05; OLG Hamm, Beschluss vom 12. Mai 2005 -24 U 7/05).

Die Kammer schließt sich der letztgenannten Meinung an. Eine Begrenzung der vorzunehmenden Zusammenrechnung auf gleichzeitig anhängige Ansprüche lässt sich dem Wortlaut des § 39 Abs. 1 GKG nicht entnehmen. Auch systematische Gründe sprechen dagegen. § 39 GKG ist vorrangig gegenüber § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, so dass § 5 erster Halbsatz ZPO gerade keine Anwendung seit der Einführung des § 39 GKG durch das Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 mehr findet. Eine Vorschrift, welche die Zusammenrechnung wie § 45 GKG von besonderen Voraussetzungen abhängig macht, fehlt. Die Entstehungsgeschichte liefert keinen klaren Anhaltspunkt für einen im Gesetz zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber hat die Regelung des § 39 Abs. 1 GKG allein deshalb in das GKG durch das Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 eingestellt, weil sie für alle Gerichtsbarkeiten Geltung erlangen sollte (vgl. BT-Drs. 15/1971 Seite 154: „Die Grundregel, dass in demselben Verfahren und in demselben Rechtszug die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet werden, ergibt sich derzeit allein durch die Verweisung § 12 Abs. 1 GKG auf Vorschriften der Zivilprozessordnung, hier auf § 5 Hs. 1 ZPO. Diese Regelung soll in das GKG eingestellt werden, weil sie für alle Gerichtsbarkeiten gelten soll.“). Daraus folgt nicht zwingend, dass der Gesetzgeber den Grundsatz der Zusammenrechnung nach § 39 GKG im Sinne des § 5 ZPO verstanden haben wollte. Der Wortlaut des § 39 Abs. 1 GKG ist weiter und erlaubt gegenüber der allgemeinen Verweisung in § 48 Abs. 1 S. 1 GKG ein anderes Verständnis für den Gebührenstreitwert, dem eine andere Funktion zukommt als dem Zuständigkeitsstreitwert. Bei letzterem wäre es sinnwidrig, auf früher anhängige, dann aber nicht mehr geltend gemachte Ansprüche zur Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit abzustellen. Insoweit spricht auch die teleologische Auslegung nach Sinn und Zweck der Vorschrift dafür, § 39 Abs. 1 GKG auch auf nacheinander anhängige Ansprüche anzuwenden. Anders als bei der Bestimmung des Zuständigkeitsstreitwerts gibt es bei der Bemessung der Gerichtsgebühren an Hand der anhängig gewordenen Streitgegenstände gemäß §§ 40, 47 GKG keinen Grund, die Zusammenrechnung auf gleichzeitig geltend gemachte Ansprüche zu beschränken. Dem Gerichtskostensystem in der heute geltenden Fassung ist eine Reduzierung des (Gebühren) Streitwerts im Verlauf des Verfahrens vielmehr fremd, da das Pauschalgebührensystem, dessen Einführung mit dem Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 eingeleitet und mit dem 1. KostRMoG vom 05. Mai 2004 (BGBl. I S. 835) abgeschlossen worden ist, eine Privilegierung nur bei Beendigung des gesamten Verfahrens kennt.

Darüber hinaus ermöglicht – wie der vorliegende Rechtsstreit zeigt – nur die Addition der nacheinander verfolgten Streitgegenstände eine prozessadäquate Kostenverteilung ohne Wertungswiderspruch zu der sonstigen Kostenfolge einer Klagerücknahme (vgl. OLG München, Beschluss vom 13. Dezember 2016, Az.: 15 U 2407/16, auch zur Gegenmeinung).

Der Ausspruch zu den Kosten folgt aus § 68 Abs. 3 GKG.

Die weitere Beschwerde war gemäß § 68 Abs. 1 S. 5 GKG iVm § 66 Abs. 4 S. 1 GKG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zuzulassen. Die Rechtsfrage, ob § 39 GKG auch bei nacheinander verfolgten Streitgegenständen einschlägig ist, hat grundsätzliche Bedeutung, da sie durch das für die weitere Beschwerde zuständige Oberlandesgericht Naumburg, soweit hier ersichtlich, noch nicht entschieden worden ist.

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