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Arbeitgeber muss Betriebsrat von jeder ausgesprochenen Kündigung informieren und anhören, sonst ist die Kündigung unwirksam!

Arbeitsgericht Frankfurt am Main

Az.: 9 Ca 3428/01

Verkündet am 05.12.2001


In dem Rechtsstreit hat das Arbeitsgericht Frankfurt am Main Kammer 9 auf die mündliche Verhandlung vom 05.12.2001 für Recht erkannt:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 10.05.2001 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Sachbearbeiter im Zollgepäcksammellager weiter zu beschäftigen.

Die Kosten des Rechtsstreites hat die Beklagte zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf DM 21.609,08 festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses.

Der im Jahr 1951 geborene Kläger ist seit 01.10.1973 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundesangestelltentarifvertrag Anwendung. Seit 01.11.1985 übt der Kläger die Tätigkeit eines Sachbearbeiters im Zollgepäcksammellager aus. In diesem Lager werden Gepäckstücke, die nach Ende eines Fluges nicht abgeholt worden sind, gesammelt. Der Inhalt wird untersucht, verderbliche Güter von den Angestellten gewogen, registriert und entsorgt. Bedingt haltbare Güter verbleiben in den Gepäckstücken, deren Inhalt registriert, anschließend mit einer Umreifüngsmaschine verschlossen wird und die nach drei Monaten zur öffentlichen Versteigerung freigegeben werden. Auf die Festlegung der Arbeitsabläufe im Zollgepäcksammellager, Stand August 1992 (BI. 60 d. A.), und den u. a. vom Kläger unterschriebenen Hinweis an alle Mitarbeiter im ZGSL vom 08.12.2000 (BI. 62 d. A.) wird Bezug genommen.

An mehreren Tagen, u.a. dem 24. und 25.02.2001, führte die Kriminalpolizei aufgrund einer Anordnung der Staatsanwaltschaft Frankfurt verdeckte Videoaufzeichnungen (ohne Ton) im Zollgepäcksammellager durch, wovon die Mitarbeiter des Bereichs Flughafensicherheit Kenntnis hatten.

Aufgrund der Aufzeichnungen beabsichtigte die Beklagte, das Arbeitsverhältnis des zu 60 % schwerbehinderten, verheirateten, drei Kindern unterhaltspflichtigen Klägers zu kündigen, dessen Bruttomonatsgehalt DM 5.402,27 betrug. Auf das Anhörungsschreiben vom 20.04.2001, welches beim Betriebsrat am 23.04.2001 einging, sowie auf den Widerspruch des Betriebsrates (BI. 32 bis 35, 8 f. d. A.) wird Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 27.04.2001 (BI. 3 bis 7 d. A.), dem Kläger am gleichen Tag zugegangen, sprach die Beklagte die außerordentliche Kündigung aus.

Nach zustimmendem Bescheid des Landeswohlfahrtsverbandes vom 07.05.2001 kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 10.05.2001 (BI. 14 bis 18 d. A.), welches dem Kläger am darauf folgenden Tag zuging, ein weiteres Mal außerordentlich, ohne den Betriebsrat ein weiteres Mal angehört zu haben.

Gegen diese Kündigungen wendet sich der Kläger mit seiner am 03. Mai 2001 bei Gericht eingegangenen Klage.

Nach seiner Auffassung ist ein wichtiger Grund nicht gegeben und hat die Beklagte nicht deutlich gemacht, ob sie eine Tat- oder Verdachtskündigung ausspreche. Er beruft sich auf eine Festlegung der Arbeitsabläufe im Zollgepäcksammellager vom 27.06.1989, gemäß welcher bedingt verderbliche Waren und Genussmittel in den Räumen des Zolllagers hätten verzeN1 werden dürfen (BI. 70 bis 72 d. A.). Gemäß dieser Regelung sei auch ständig verfahren worden (Beweis: Zeugnis,

Auf seine Stellungnahme zum Ablauf der Videoaufzeichnungen im Schriftsatz vom 23.08.2001 (dessen Seite 3 bis 6, Bl. 65 bis 68 d. A.) wird verwiesen. Zu einer Verdachtskündigung sei er – dies ist unstreitig – nicht gehört worden. Er vertritt den Standpunkt, dass die heimlichen Videoaufzeichnungen nicht verwendbar seien, weil sie gegen sein Persönlichkeitsrecht verstießen.

Der Kläger bezweifelt, ob die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten hat.

Der Kläger vertritt den Standpunkt, dass die Beklagte vor Ausspruch der zweiten Kündigung den Betriebsrat erneut habe anhören müssen. Es sei auch unklar, ob der Betriebsrat zu einer Tat- oder Verdachtskündigung angehört worden sei.

Er meint, dass die Beklagte die zweite Kündigung nicht unverzüglich nach Zustimmung der Hauptfürsorgestelle ausgesprochen habe.

Nachdem sich die Parteien im Gütetermin vom 19.06.2001 (Niederschrift BI. 37 d. A.) auf die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 27.04.2001 geeinigt haben, beantragt der Kläger noch:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 10.05.01, zugegangen am 11 .05.011, nicht aufgelöst worden ist;

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Sachbearbeiter im Zollgepäcksammellager zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Wegen der erhobenen Vorwürfe wird auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 20.07.2001 Bezug genommen.

Kenntnis der die Kündigung begründenden Umstände hat sie nach ihrem tatsächlichen Vorbringen erst am 17.04.2001 erlangt. Erst an diesem Tag sei sie über ein Telefax des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main vom 10.04.2001 (BI. 57 d. A.) informiert worden (Beweis: Zeugnis ), weil die Mitarbeiter des Bereichs Flughafensicherheit ihr gegenüber zur Verschwiegenheit über die Maßnahmen der Kriminalpolizei verpflichtet gewesen seien.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Es kann dahinstehen, ob die von der Beklagten vorgetragenen Kündigungsgründe vorgelegen haben, ob der Kläger schuldhaft gehandelt hat und ob die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten hat, sowie ob die zweite Kündigung unverzüglich nach der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle ausgesprochen worden ist. Die Kündigung vom 10.05.2001 ist nämlich bereits nichtig gem. § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG. Nach dieser Vorschrift ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Betriebsrat vor j e d e r Kündigung zu hören. Dies folgt bereits aus dem unmissverständlichen Wortlaut des Gesetzes. Die Kammer folgt der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urt. v. 16.09.1993 – 2 AZR 267/93 – DB 1994, 381; so auch KR-Etzel, 5. Aufl., Randnr. 57 a zu § 102 BetrVG). Diese Auffassung ist – entgegen der Meinung von Koch (Ascheid/Preis/Schmid-Großkommentar zum Kündigungsrecht, München 2000, Randnr. 26 zu § 102 BetrVG auch nicht zu restriktiv. Auch bei einer wenige Tage später ausgesprochenen Wiederholungskündigung können sich die Umstände geändert haben, sodass die wiederholte Anhörung keine reine Formalität zu sein braucht. Gerade im Fall der außerordentlichen Kündigung kann die Frist des § 626 Abs. 2 BGB inzwischen verstrichen sein. Änderungen können sich auch dann ergeben, wenn – wie hier – der Arbeitnehmer besonderen Kündigungsschutz genießt und der Arbeitgeber die Zustimmung einer anderen Stelle einzuholen hat und er den Betriebsrat zuvor zu diesem Umstand noch nicht angehört hat.

Da, wie ausgeführt, das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist, hat die Beklagte den Kläger tatsächlich weiter zu beschäftigen. Die Beklagte hat, da sie im Rechtsstreit unterlegen ist, dessen Kosten zu tragen, § 92 Abs. 1 S. 1 ArbGG.

Den Wert des Streitgegenstandes, der gem. § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen ist, hat die Kammer mit vier Gehältern bewertet (drei Gehälter für den Feststellungsantrag gem. § 12 Abs. 7 S. 1 ArbGG und ein Gehalt für den Weiterbeschäftigungsantrag).

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