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Betriebsratsmitglied (freigestelltes) – gleiche Vergütung wie vergleichbarer Arbeitsnehmer?

LAG Baden-Württemberg

Az: 7 Sa 87/05

Urteil vom 17.02.2006


In dem Rechtsstreit hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg – 7. Kammer – auf die mündliche Verhandlung vom 17.02.2006 für Recht erkannt:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 23.06.2005 – 35 Ca 425/05 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob dem in der 35-Stunden-Woche beschäftigten Kläger als faktisch freigestelltes Betriebsratsmitglied die gleiche Arbeitsvergütung zusteht wie einem in der 40-Stunden-Woche arbeitenden behauptetermaßen vergleichbaren Arbeitnehmer, hilfsweise darüber, ob der Kläger von der Beklagten die Heraufsetzung seiner Arbeitszeit auf eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden verlangen kann.

Der am 24.10.1956 geborene Kläger, Industriekaufmann, ist seit 26.06.1980 bei der Beklagten beschäftigt. Nach Nr. 10 des Arbeitsvertrages vom 08.07.1980 findet das Tarifregime der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden Anwendung. Seit März 2002 ist der Kläger Mitglied des Betriebsrates des Betriebes 2 der Beklagten, zu dem die Zentrale der Beklagten gehört. Er ist zum Mitglied im Personalausschuss und im Ausschuss für Arbeitssicherheit, Umwelt und Gesundheit gewählt worden. Insbesondere aufgrund dieser Funktionen ist er seit November 2002 zu 100 % von seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit freigestellt, obwohl seine Freistellung nicht in dem gesetzlichen bzw. mit dem Betriebsrat vereinbarten Freistellungskontingent enthalten ist. Vor seiner Freistellung und Wahl zum Betriebsrat hatte der Kläger als technischer Sachbearbeiter zuletzt den Arbeitsplatz „Preisbeobachtung/Wettbewerber/Transporter“ bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden und einer Monatsvergütung in Höhe von EUR 4 907,03 brutto inne.

Der Arbeitsplatz des Klägers wurde ab November 2002 von dem am 10.02.1978 geborenen Betriebswirt (IFW) S. übernommen.

Im Rahmen der Tarifrunde 2004 berechtigten die Tarifpartner die Betriebsparteien, die tarifvertraglich eingeräumte Befugnis zur Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit auf bis zu 40 Stunden für bis zu 18 % der Beschäftigten für Beschäftigte mit bestimmten Gehaltsgruppen auf bis zu maximal 50 % zu erhöhen. Auf der Grundlage der eingeräumten Befugnis verabschiedeten die Betriebsparteien zur Ausweitung der 18 %-Quote eine Betriebsvereinbarung vom 20.07.2004 mit Wirkung ab 01.08.2004. Darin ist unter I Nr. 6 Folgendes bestimmt:

„- Der Arbeitgeber stellt sicher, dass Beschäftigtengruppen (d. h. Arbeitsteams, Projektgruppen, Organisationseinheiten oder sonstige Arbeitszusammenhänge) möglichst einheitlich entsprechend der betrieblichen Erfordernisse behandelt werden. Abweichungen sind sachlich vom Vorgesetzten zu begründen. Ein individueller Anspruch auf Abschluss eines 40 Stunden-Arbeitsvertrages besteht nicht.“

Auf der Grundlage der Betriebsvereinbarung erhielt Herr S. mit Wirkung ab 01.09.2004 einen Arbeitsvertrag, der eine regelmäßige individuelle wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden vorsieht. Sein Entgelt wurde entsprechend angepasst. Sowohl der Kläger als auch Herr S. erhalten jeweils Vergütung nach Tarifgruppe K 7, Rang 26. Die Vergütungsdifferenz des Klägers im Verhältnis einer 35-Stunden-Woche zur 40-Stunden-Woche beträgt monatlich EUR 701,00 brutto.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stünde auf der Grundlage des § 37 Absatz 4 BetrVG für die Monate September 2004 bis einschließlich Mai 2005 jeweils ein monatlicher Differenzbetrag in Höhe von EUR 701,00 brutto zu. Dem als Betriebsrat tätigen Arbeitnehmer müssten aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten die gleichen Vertragsbedingungen wie seinem am bisherigen Arbeitsplatz beschäftigten Vertreter gewährt werden. Dies lasse sich auch aus I Nr. 6 der Betriebsvereinbarung vom 20.07.2004 ableiten, wonach die dort genannten Beschäftigtengruppen bei der Verteilung der 40-Stunden-Arbeitsverträge einheitlich zu behandeln seien.

Der Kläger hat beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3 505,00 EUR brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 01.02.2005 zu bezahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Kläger auf Basis einer Beschäftigung von 40 Stunden pro Woche zu vergüten ist.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 2 804,00 EUR brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 01.06.2005 zu bezahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Ansicht vertreten, § 37 Absatz 4 BetrVG umfasse nicht die Entwicklung des Arbeitszeitvolumens. Der dort enthaltene Begriff des Arbeitsentgeltes sei im Sinne der maßgebenden Arbeitsentgelteinheit zu verstehen. Sinn und Zweck des § 37 Absatz 4 BetrVG als Ausprägung des Benachteiligungsverbotes des § 78 Satz 2 BetrVG sei es, eine Benachteiligung des Betriebsratsmitgliedes zu verhindern. Eine unrechtmäßige Ungleichbehandlung liege nicht vor, weil nur die Ersatzkraft und nicht das faktisch freigestellte Betriebsratsmitglied den erhöhten Arbeitsanfall zu bewältigen habe.

Mit Urteil vom 23.06.2005 hat das Arbeitsgericht die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die zulässigen Begehren seien unbegründet, da sich eine Anspruchsgrundlage weder aus § 37 Absatz 2 BetrVG noch aus § 37 Absatz 4 BetrVG ergebe. Da dem Arbeitsverhältnis des Klägers eine 35-Stunden-Woche zugrunde liege, und er somit als faktisch freigestellter Betriebsrat Betriebsratsaufgaben im Umfang von 35 Wochenstunden wahrnehme, würde eine Bezahlung des Klägers auf der Basis eines 40-Stunden-Vertrages gegen § 78 Satz 2 BetrVG verstoßen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf I der Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils Bezug genommen.

Gegen das dem Kläger am 23.09.2005 zugestellte Urteil legte dieser mit beim Landesarbeitsgericht am 21.10.2005 eingegangenem Schriftsatz Berufung ein und führte diese mit beim Berufungsgericht am 23.11.2005 eingegangenem Schriftsatz aus.

Der Kläger rügt unter Verweis auf verschiedene von ihm angezogene Entscheidungen insofern fehlerhafte Rechtsanwendung des Arbeitsgerichts, als die von diesem angenommene verbotene Begünstigung nach § 78 Satz 2 BetrVG nicht mit der Gesetzeslage und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in Einklang zu bringen sei. Es komme nicht darauf an, ob das freigestellte Betriebsratsmitglied auch tatsächlich dasjenige tue, was sich in der beruflichen Entwicklung des vergleichbaren Arbeitnehmers ergebe, sondern es komme allein darauf an, ob dieser vergleichbare Arbeitnehmer eben diese Entwicklung genommen habe mit der Folge, dass dann auch dem Betriebsratsmitglied die vergütungsrechtliche Seite dieser Entwicklung zu gewähren sei. Es sei nämlich nichts dafür vorgetragen, weshalb ihm, wäre er auf seinem Arbeitsplatz verblieben, nicht auch ein 40-Stunden-Vertrag angeboten worden wäre. Der nunmehr zweitinstanzlich gestellte Hilfsantrag werde gestellt, um die Variante zu erfassen, dass § 37 Absatz 4 BetrVG nicht lediglich auf die Gehaltsentwicklung/Arbeitsentgeltentwicklung abstelle, sondern auf den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages entsprechend demjenigen des Vergleichsarbeitnehmers. Hätte er den Arbeitsplatz weiterhin eingenommen, wäre seine Arbeitszeit ebenfalls entsprechend angehoben worden, weil die Anhebung ausschließlich auf sachlichen Motiven beruhe und weil auch insoweit der Arbeitsbedarf von 40 Stunden/Woche vorhanden sei. Soweit nun die Beklagte behaupte, Herrn S. seien weitere Aufgaben übertragen worden, sei dieser Vortrag unschlüssig. Die Herren R. und W. seien mit ihm nicht vergleichbar.

Der Kläger hat beantragt:

1. Auf die Berufung des Klägers/Berufungsklägers – des Herrn Sch. – wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart – 35. Kammer – mit dem Aktenzeichen 35 Ca 425/05 – verkündet am 23.06.2005, zugestellt 23.09.2005, wie folgt abgeändert:

a) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3 505,00 EUR brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 01.02.2005 zu bezahlen.

b) Es wird festgestellt, dass der Kläger auf Basis einer Beschäftigung von 40 Stunden pro Woche zu vergüten ist.

c) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 2 804,00 brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 01.06.2005 zu bezahlen.

hilfsweise zum Antrag Ziffer 1 lit. b:

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Angebot zum Abschluss eines Arbeitsvertrages zu unterbreiten, der eine monatliche Vergütung des Klägers auf der Basis einer Beschäftigung von 40 Stunden/Woche in der Tarifgruppe K 7, Rang 26 und Leistungsstufe 13,5 vorsieht.

Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung und verteidigt das angegriffene Urteil. Die Beklagte behauptet, im in Rede stehenden Bereich gebe es zwei weitere Mitarbeiter, nämlich die Herren R. und W., die einen 35-Stunden-Vertrag hätten. Herrn S. habe man aufgrund seiner Fähigkeiten weitere Aufgaben übertragen, die dem Kläger nicht zugeteilt worden wären. Aufgrund dieses konkreten fähigkeitsbezogenen Mehrbedarfes sei mit Herrn S. die 40-Stunden-Woche vereinbart worden. Inzwischen seien die tatsächlichen Aufgaben des Herrn S. nicht mehr mit denen zu vergleichen, die der Kläger einst ausgeübt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufung wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 23.11.2005, 19.01.2006 und 15.02.2006 ergänzend Bezug genommen. Wegen der Einzelheiten der Berufungsbeantwortung wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 11.01.2006 und 30.01.2006 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die statthafte, frist- und formgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Eine Anspruchsgrundlage ist nicht gegeben. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem zweitinstanzlich angebrachten und zur Entscheidung angefallenen Hilfsantrag des Klägers.

A

Die im Wege der objektiven Klagenhäufung zur Entscheidung gestellten Zahlungsbegehren des Klägers gegen die Beklagte für den Zeitraum September 2004 bis einschließlich Mai 2005 (Anträge 1 lit. a und lit. b) in unstreitiger Höhe von monatlich EUR 701,00 brutto (insgesamt EUR 6 309,00 brutto) sind bedenkenfrei zulässig, aber unbegründet.

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1. Für die Zahlungsbegehren des Klägers kommt die Bestimmung in § 37 Absatz 4 BetrVG in Betracht.

a) Hiernach darf das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrates nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung; diese Arbeitsentgeltgarantie erstreckt sich auch auf allgemeine Zuwendungen des Arbeitgebers. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Gesetzesnorm auf Empfehlung des Ausschusses des Bundestages für Arbeit und Sozialordnung in das Betriebsverfassungsgesetz eingefügt worden ist, um sicherzustellen, „dass die Mitglieder des Betriebsrats weder in wirtschaftlicher noch in beruflicher Hinsicht gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung Nachteile erleiden“ (BT-Drucksache VI/2729, Seite 23; vergleiche BAG, Urteil vom 13.11.1987 – 7 AZR 550/86 – AP Nr. 61 zu § 37 BetrVG 1972, zu III 2 a der Gründe). Nach dieser Zielsetzung durch den Gesetzgeber sind im Sinne eines objektiven Kriteriums solche Arbeitnehmer „als vergleichbar“ anzusehen, die im Zeitpunkt der Wahl des Betriebsratsmitgliedes eine im Wesentlichen gleichwertige Tätigkeit wie das Betriebsratsmitglied ausgeübt haben (BAG, Urteil vom 15.01.1992 -7 AZR 194/91 – AP Nr. 84 zu § 37 BetrVG 1972, zu II 1 a der Gründe). Hiervon abweichend kommt es für Ersatzmitglieder auf den Zeitpunkt des Nachrückens in den Betriebsrat an (BAG, Urteil vom 15.01.1992 – 7 AZR 194/91- a. a. O., zu II 1 a der Gründe). Das in § 37 Absatz 4 BetrVG enthaltene Verbot der geringeren Bemessung des Arbeitsentgeltes findet grundsätzlich auch auf nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder Anwendung (BAG, Urteil vom 13.11.1987 – 7 AZR 550/86 – a. a. O., zu IV der Gründe). Bezugspunkt für das anzupassende Arbeitsentgelt ist eine betriebsübliche berufliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer. Betriebsüblich in diesem Sinne ist eine Entwicklung, die bei objektiv vergleichbarer Tätigkeit Arbeitnehmer mit vergleichbarer fachlicher und persönlicher Qualifikation bei Berücksichtigung der normalen betrieblichen und personellen Entwicklung in beruflicher Hinsicht genommen haben (BAG, Urteil vom 15.01.1992 – 7 AZR 194/91 – AP Nr. 84 zu § 37 BetrVG 1972, zu II 1 b bb der Gründe). Eine „Üblichkeit“ entsteht aus einem gleichförmigen Verhalten des Arbeitgebers und einer bestimmten Regel. Der Geschehensablauf muss so typisch sein, dass aufgrund der betrieblichen Gegebenheiten und Gesetzmäßigkeiten grundsätzlich, das heißt wenigstens in der überwiegenden Mehrzahl der vergleichbaren Fälle damit gerechnet werden kann. Der Begriff „üblich“ erfasst sprachlich nur den Normalfall, nicht aber Ausnahmefälle. Der dem § 37 Absatz 4 BetrVG zugrunde liegende Zweck des Schutzes des Arbeitsentgeltes garantiert dem Betriebsratsmitglied allerdings nicht die der Höhe nach absolut gleiche Vergütung, die vergleichbare Arbeitnehmer erhalten. Bezugspunkt für die Anpassung des Arbeitsentgeltes ist dabei nicht der effektive Wochen- oder Monatsverdienst, sondern die maßgebende Arbeitsentgelteinheit (BAG, Urteil vom 21.04.1983 -6 AZR 407/80 – AP Nr. 43 zu § 37 BetrVG 1972, zu 3 der Gründe).

b) Hieran gemessen liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vor. Der Vortrag des Klägers ist unschlüssig.

aa) Soweit sich der Kläger zu Rechtfertigung seines Begehrens auf Herrn S. als Vergleichsperson beruft, ist dies insofern unschlüssig, als, bezogen auf den vorliegend maßgebenden Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamtes im März 2002, Herr S. in einer anderen Abteilung gearbeitet hat.

bb) Die Erhöhung der regelmäßigen individuellen wöchentlichen Arbeitszeit des Herrn S. von 35 Stunden auf 40 Stunden ist nicht die Folge einer betriebsüblichen beruflichen Entwicklung. Grundlage der Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit des Herrn S. ist eine von außen kommende tarifliche Ermächtigung zur Ausweitung der 18 %-Quote für 40-Stunden-Arbeitsverträge. Dieser außerbetriebliche Umstand, der betriebsintern durch Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung mit Zustimmung der hiervon betroffenen Arbeitnehmer (vergleiche I Nr. 2 BV vom 20.07.2004) unter anderem auch bei Herrn S. mit Wirkung ab 01.09.2004 umgesetzt wurde, ist im Hinblick auf die im Betrieb der Beklagten geltende 35-Stunden-Woche kein typischer, regelmäßig vorkommender Geschehensablauf. Dies umso mehr, als die tarifvertraglich festgelegte Arbeitszeitquote als Betriebsnorm im Sinne von § 3 Absatz 2 TVG (BAG, Beschluss vom 17.06.1997 – 1 ABR 3/97 – AP Nr. 2 zu § 3 TVG Betriebsnormen, zu B 1 c der Gründe) tarifvertraglich gedeckelt ist (18 %) und nur durch den betriebsexternen Rechtsakt der tarifvertraglichen Ermächtigung eine Erweiterung erfahren hat. Arbeitszeiterhöhungen sind demnach nur dann betriebsüblich, wenn nach den betrieblich geltenden Regelungen über die Dauer der Arbeitszeit ein Gestaltungsspielraum innerhalb eines Arbeitszeitkorridors verbleibt, von dem auch regelmäßig Gebrauch gemacht wird.

cc) Die Arbeitszeiterhöhung bei Herrn S. gehört auch nicht zu der (betriebsüblichen) beruflichen Entwicklung eines technischen Sacharbeiters auf dem Arbeitsplatz „Preisbeobachtung/Wettbewerber/Transporter“. Die Arbeitszeiterhöhung betrifft den äußeren Gestaltungsrahmen der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit. Sie gehört nicht zu den Charakteristika der von Herrn S. ausgeübten Tätigkeit.

dd) Die wöchentliche Arbeitszeiterhöhung hat das Arbeitsentgelt im Sinne der insoweit maßgebenden Arbeitsentgelteinheit als Bezugspunkt der Anpassung nicht verändert. Arbeitszeiterhöhungen betreffen unmittelbar nicht den Entgeltbereich. Durch die Arbeitszeiterhöhung wird nur mittelbar der durch § 37 Absatz 4 BetrVG nicht geschützte effektive Monatsverdienst verändert.

ee) In Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht steht dem vom Kläger verfolgten Zahlungsbegehren auf der Grundlage des § 37 Absatz 4 BetrVG auch das Begünstigungsverbot nach § 78 Satz 2 BetrVG entgegen. Da der Kläger seiner Betriebsratstätigkeit im Rahmen einer 35-Stunden-Woche nachgeht, würde er gegenüber dem in der 40-Stunden-Woche arbeitenden Herrn S. rechtsgrundlos begünstigt werden.

2. Die Zahlungsbegehren können auch nicht auf das Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG gestützt werden.

a) Bei dem Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG handelt es sich nicht lediglich um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Absatz 2 BGB, sondern um eine unmittelbar anspruchsbegründende Norm (BAG, Urteil vom 15.01.1992 -7 AZR 194/91 – AP Nr. 84 zu § 37 BetrVG 1972, zu II 2 a der Gründe). § 78 Satz 2 BetrVG enthält außer einem Benachteilungsverbot auch ein an den Arbeitgeber gerichtetes Gebot, dem Betriebsratsmitglied eine berufliche Entwicklung angedeihen zu lassen, wie es sie ohne das Betriebsratsamt genommen hätte. Das Betriebsratsmitglied hat nach § 78 Satz 2 BetrVG einen unmittelbaren gesetzlichen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Erfüllung dieses Gebotes. § 37 Absatz 4 BetrVG enthält auch keine abschließende Sonderregelung. Vielmehr ist § 78 Satz 2 BetrVG neben § 37 Absatz 4 BetrVG anwendbar (BAG, Urteil vom 17.08.2005 – 7 AZR 528/04 – AP Nr. 142 zu § 37 BetrVG 1972, zu 2 a der Gründe). Von dem Benachteilungsverbot erfasst wird nicht nur die berufliche Tätigkeit, sondern auch das sich aus ihr ergebende Entgelt. Ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist, kann daher den Arbeitgeber unmittelbar auf Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nehmen (BAG, Urteil vom 17.08.2005 – 7 AZR 528/04 – a. a. O., zu 2 a der Gründe). Ein Anspruch aus § 78 Satz 2 BetrVG setzt allerdings voraus, dass dem die Darlegungslast obliegenden Betriebsratsmitglied der Nachweis gelingt, dass es ohne seine Tätigkeit als Mitglied einer Betriebsvertretung auch in den Genuss einer Arbeitszeiterhöhung im in Rede stehenden wöchentlichen Umfang gekommen wäre, die ihm den Anspruch auf das begehrte Arbeitsentgelt geben würde. Es bedarf daher der Feststellung, dass das Betriebsratsmitglied diese berufliche Entwicklung ohne seine Amtstätigkeit tatsächlich genommen hätte (BAG, Urteil vom 17.08.2005 – 7 AZR 528/04 – a. a. O., zu 2 b der Gründe).

b) Auch daran gemessen ist das Vorbringen des Klägers unschlüssig. In seiner Berufungsbegründung vom 23.11.2005 (Seite 4 = Blatt 34 der Akte) führt der Kläger selbst aus, dass sich die Beklagte bei der Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit des Herrn S. ausschließlich von sachlichen Motiven hat leiten lassen. Das Vorbringen des Klägers zeigt nicht auf, dass ein objektiver Kausalzusammenhang zwischen der Erhöhung der wöchentlichen individuellen Arbeitszeit des Herrn S. und der Amtstätigkeit des Klägers besteht. Die Beklagte hat unter Vorlage der Stellenbeschreibung des Herrn S. vom 07.10.2004 behauptet, die Erhöhung seiner wöchentlichen individuellen Arbeitszeit um fünf Stunden resultiere aus der Übertragung von fähigkeitsspezifischen weiteren Aufgaben. Die Stellenbeschreibungen des Klägers und die des Herrn S. seien nur teilweise deckungsgleich. Zusätzlich übertragene Aufgaben fänden sich in den Positionen 1, 2, 5 und 6 der Stellenbeschreibung vom 07.10.2004. Das stellt der Kläger in Abrede und hält das Vorbringen für unschlüssig. Dabei verkennt der Kläger, dass nicht etwa der Beklagten, sondern ihm die Darlegungslast für die nach § 78 Satz 2 BetrVG erforderliche Benachteiligung obliegt. Nicht nur, dass der Kläger keine objektive Benachteilung schlüssig dargelegt hat; die Kammer ist auch nach Anhörung der Parteien insbesondere in der Berufungsverhandlung vom 17.02.2006 davon überzeugt, dass eine solche Benachteiligung nicht vorliegt. Die Anhörung der Vertreterin der Beklagten hat die Kammer davon überzeugt, dass die Erhöhung der wöchentlichen individuellen Arbeitszeit des Herrn S. durch individuelle fachliche und persönliche Qualifikationen bedingt ist. Dafür spricht auch, dass Herr S. in einer Potentialanalyse mit dem Adjektiv outstanding (= außerordentlich hervorragend, herausragend) bewertet wurde. Die Überzeugung der Kammer wird auch dadurch bestätigt, dass mit Herrn S. vergleichbare Arbeitnehmer, beispielsweise Herr W., weiterhin eine regelmäßige individuelle wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden haben.

B

Der Feststellungsantrag des Klägers ist zulässig. Seine Unbegründetheit ergibt sich aus den Erwägungen unter A.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Zulässigkeit der Zwischenfeststellungsklage gemäß § 69 Absatz 2 ArbGG Bezug genommen. Von daher bedarf es keiner erneuten systematischen Darstellung der Obersätze und der Subsumtion.

C

Der zweitinstanzlich gestellte zur Entscheidung angefallene Hilfsantrag des Klägers ist zulässig, aber in der Sache unbegründet.

1. Der in einem Eventualverhältnis zum Feststellungsantrag des Klägers stehende eigentliche Hilfsantrag ist infolge dessen Abweisung zur Entscheidung der Berufungskammer angefallen.

2. Der Hilfsantrag ist zulässig.

a) Die zweitinstanzlich eingetretene nachträgliche objektive, als Klageänderung zu bewertende eventuelle Antragshäufung ist bedenkenfrei zulässig (vergleiche BGH, Urteil vom 10.01.1985 – III ZR 93/83 – NJW 1985, 1842, zu 4 der Gründe: „wie Klageänderung zu behandeln“). Nach § 533 ZPO, der über die Bestimmung des § 64 Absatz 6 Satz 1 ArbGG auch auf das arbeitsgerichtliche Berufungsverfahren Anwendung findet, ist eine Klageänderung nur zulässig, wenn erstens der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und zweitens diese auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung zugrundezulegen hat. So verhält es sich vorliegend. Zum einen hat sich die Beklagte, ohne der Änderung zu widersprechen, in der Berufungsverhandlung auf den Hilfsantrag eingelassen; zum anderen liegt den Begehren des Klägers ein einheitlicher Lebenssachverhalt zugrunde, der keine gesonderte Tatsachenfeststellung für den Hilfsantrag zur Folge hat.

b) Der Klageantrag ist auch hinreichend bestimmt (§ 253 Absatz 2 Nr. 2 ZPO). Der Kläger begehrt die Unterbreitung eines Angebotes zum Abschluss eines Arbeitsvertrages. Der Anspruch des Klägers ist somit auf Abgabe einer Willenserklärung gerichtet, die nach § 894 ZPO mit Rechtskraft der Entscheidung als abgegeben gilt. Dass der Kläger als Gläubiger seinerseits noch die Annahmeerklärung abzugeben hat, steht der Bestimmung des § 894 ZPO nicht entgegen (vergleiche zum Beispiel Zöller/Stöber, ZPO, 25. Auflage, § 894 Randziffer 7). Das vom Kläger verlangte Vertragsangebot ist auch durch Angabe der wöchentlichen Arbeitszeit und der Vergütungsmodalitäten für die Beklagte als Schuldnerin hinreichend deutlich bestimmt. Im Hinblick auf das in § 894 ZPO vorgesehene Verfahren und der darin auch festgelegten Rechtsfolge ist es für das Bestimmtheitsgebot des § 253 Absatz 2 Nr. 2 ZPO nicht erforderlich, dass im Klageantrag der gewünschte Beginn der vom Kläger begehrten Vertragsänderung in Bezug auf die Erhöhung seiner wöchentlichen Arbeitszeit nicht genannt ist (BAG, Urteil vom 14.10.2003 – 9 AZR 636/02 – AP Nr. 6 zu § 8 TzBfG, zu B I der Gründe). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger eine solche Vertragsänderung mit Wirkung ab 01.09.2004 begehrt, können weder dem Antrag noch seiner Begründung entnommen werden. Einer solchen Auslegung stünde jedenfalls nicht entgegen, dass damit eine rückwirkende Vertragsänderung beansprucht wird; denn die Rechtslage hat sich mit dem Inkrafttreten des § 311a Absatz 1 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts (vom 26.11.2001 – BGBl I Seite 3138) ab dem 01.01.2002 geändert. Der rückwirkende Abschluss eines Vertrages ist nicht mehr nichtig (BAG, Urteil vom 27.04.2004 -9 AZR 522/03 – AP Nr. 12 zu § 8 TzBfG, zu A II 1 der Gründe). Ergeben sich weder aus dem Antragsinhalt noch aus seiner Begründung für eine rückwirkende Verurteilung Anhaltspunkte, ist im Zweifel von einem zukünftigen Verlangen auszugehen. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger mit seinen Zahlungsanträgen Vergütung ab dem 01.09.2004 begehrt; denn der Kläger hat den Hilfsantrag ausdrücklich für den Fall des Unterliegens mit dem Feststellungsantrag gestellt.

3. Der Hilfsantrag ist unbegründet. Eine Anspruchsgrundlage ist nicht gegeben.

a) Als Anspruchsgrundlage kommt § 37 Absatz 4 BetrVG nicht in Betracht, da diese Bestimmung ausschließlich die Anpassung des Arbeitsentgeltes zum Gegenstand hat.

b) Der Kläger kann seinen Hilfsantrag auch nicht auf § 78 Satz 2 BetrVG stützen; er hat jedenfalls keine objektive Benachteilung schlüssig vorgetragen. Auf die Erwägungen unter A 2 wird Bezug genommen.

c) Ein solcher Anspruch ergibt sich auch nicht aus der Betriebsvereinbarung vom 20.07.2004; denn nach I Nr. 6 Satz 2 ist ein individueller Anspruch auf Abschluss eines 40-Stunden-Arbeitsvertrages nicht gegeben.

d) Ein Anspruch folgt auch nicht aus dem Gesichtspunkt des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Der Kläger hat aus seiner Sicht konsequent für den Anwendungsbereich dieses Institutes keinen Vortrag gehalten.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Absatz 1 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Die Entscheidung beruht auf den vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Rechtssätzen.

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