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Betriebsratsschulung über die Strafvorschriften des BetrVG

Landesarbeitsgericht Köln

Az.: 14 TaBV 44/07

Beschluss vom 21.01.2008

Vorinstanz: Arbeitsgericht Köln, Az.: 9 BV 138/06


Leitsätze:

1. Die Strafrechtsvorschriften der §§ 119, 120 BetrVG gehören als Teil des BetrVG zum Grundlagenwissen für Betriebsräte.

2. Eine darauf bezogene Betriebsratsschulung kann als erforderlich für die Arbeit des Betriebsrates im Sinne des § 37 Absatz 6 BetrVG angesehen werden.

3. Eine solche Schulung ist nicht erst dann als erforderlich anzusehen, wenn der Arbeitgeber in strafrechtlich relevanter Weise versucht hat, Betriebsräte unter Verstoß gegen § 119 BetrVG zu beeinflussen; vielmehr gehört es zum Grundlagenwissen, solche Beeinflussungsversuche im vorhinein erkennen und abwehren zu können.


1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) wird unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Köln vom 20.06.2007 – 9 BV 138/06 – festgestellt, dass die Teilnahme des Beteiligten zu 2) an der Schulungsveranstaltung der JES Janssen EDV Schulung und Beratung GmbH zum Thema „Strafrechtliche Risiken der Betriebsratstätigkeit“ erforderlich im Sinne von § 37 Abs. 6 BetrVG ist.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten um die Erforderlichkeit einer Schulungsmaßnahme.

Der Beteiligte zu 1) ist der Betriebsrat im Betrieb der Hauptverwaltung K der Beteiligten zu 3), der Deutschen Lufthansa AG. Der Beteiligte zu 2) ist der Betriebsratsvorsitzende.

In seiner Sitzung vom 23.05.2006 beschloss der Beteiligte zu 1), den Beteiligten zu 2) zu dem Seminar „Strafrechtliche Risiken der Betriebsratstätigkeit“ zu entsenden. Dieses 3-tägige Seminar hatte nach der Seminarangebotsbeschreibung (Bl. 14 d.A.) unter anderem folgende Inhalte:

Strafrecht und Betriebsverfassung

Strafrecht als Instrument zur Durchsetzung des Arbeitnehmerschutzes

Strafrecht zur Begrenzung der Handlungsfreiheit der Arbeitnehmervertretung

Strafbarkeit der Handlung des kollektiven Gremiums

Straftatbestände bei der Betriebsratsarbeit zum Schutz des Arbeitgebers

Schutz der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit

Schutz des Vermögens

Geheimnisschutz

Schutz der Persönlichkeitsrechte, des guten Rufs etc.

Weitere Straftatbestände bei der Betriebsratsarbeit 11

Schutz der Arbeitnehmer

Schutz der Betriebsverfassung

Schutz der Allgemeinheit

Die Bitte um Freistellung für das Seminar und Übernahme der Seminarkosten lehnte die Beteiligte letztlich mit E-Mail vom 01.08.2006 ab mit der Begründung, die Teilnahme an der Schulungsveranstaltung sei zwar nützlich, aber für die Betriebsratsarbeit nicht erforderlich.

Daraufhin beschloss der Beteiligte zu 1) am 15.08.2006, die Feststellung die Erforderlichkeit der Schulungsveranstaltung gerichtlich feststellen zu lassen.

Dazu haben die Beteiligten zu 1) und 2) vorgetragen, das Seminar vermittele den Teilnehmern Grundkenntnisse im Umgang mit strafrechtlichen Vorschriften, von denen die Betriebsratsmitglieder des Beteiligten zu 1), wenn überhaupt, nur rudimentäre Rechtskenntnisse hätten. Das Seminar stelle zahlreiche Berührungspunkte der Betriebsratstätigkeit mit dem Strafrecht her, wobei die diesbezüglichen Themenschwerpunkte in der alltäglichen Betriebsratsarbeit allgegenwärtig seien. Die Schulung sei darüber hinaus auch im Hinblick auf die konkrete Betriebssituation erforderlich. Als Betriebsrat der Hauptverwaltung einer großen Konzerngesellschaft stünden die Beteiligten zu 1) und 2) häufig im Blick der Öffentlichkeit und würden gebeten, gegenüber Medienvertretern Erklärungen zu betrieblichen Angelegenheiten abzugeben. In solchen Konstellationen besteht die Unsicherheit, inwieweit über eine bestimmte Angelegenheit gesprochen werden dürfe, oder ob es sich dabei bereits um ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis handele.

Die Beteiligten zu 1) und 2) haben beantragt,

es wird festgestellt, dass die Teilnahme des Beteiligten zu 2) an der Schulungsveranstaltung der JES Janssen EDV Schulung und Beratung GmbH zum Thema „Strafrechtliche Risiken der Betriebsratstätigkeit erforderlich im Sinne von § 37 Abs. 6 BetrVG ist.

Die Beteiligte zu 3) hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Zur Begründung hat die Beteiligte zu 3) vorgetragen, es sei zwar richtig, dass es der konkreten Darlegung der Erforderlichkeit des aktuellen Schulungsbedarfes nicht bedürfe, wenn es sich um die Vermittlung von Grundkenntnissen handele.

Hier gehe es jedoch um Spezialthemen ohne aktuellen Anlass. Der pauschale Hinweis auf die „VW-Affäre“ sowie die allgemeine Erklärung, dass Medienvertreter Fragen zu betrieblichen Veränderungen stellen würden, ergäben keinen konkreten betrieblichen Schulungsanlass.

Durch Beschluss vom 20.06.2007 hat das Arbeitsgericht den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung darauf abgestellt, dass es sich bei dem in Rede stehenden Seminar nicht um betriebsverfassungsrechtliche Grundkenntnisse handele. Einen aktuellen betriebs- oder betriebsratsbezogenen Anlass, aus dem sich der Schulungsbedarf ergebe, sei nicht ausreichend dargetan.

Gegen diesen am 18.07.2007 zugestellten Beschluss haben der Beteiligte zu 1) und der Beteiligte zu 2) am 02.08.2007 Beschwerde einlegen und diese am 16.10.2007 begründen lassen.

Zur Begründung machen der Beteiligte zu 1) und der Beteiligte zu 2) geltend, richtigerweise sei davon auszugehen, dass die begehrte Schulung auch ohne konkreten betrieblichen Anlass Kenntnisse vermittle, die zur Ausübung der Betriebsratstätigkeit erforderlich seien und zum Grundlagenwissen gehöre.

Betriebsräte unterlägen als Amtsträger den im Betriebsverfassungsgesetz selbst aufgeführten Strafbarkeitsvorschriften. Dies betreffe nicht nur den Bereich Meinungsäußerung und Geheimnisverrat. Vielmehr könne bereits das allgemeine tägliche Handeln des Betriebsrats unter strafrechtlichen Aspekten relevant werden.

Dies gelte auch für eine mögliche übermäßige Inanspruchnahme finanzieller Ressourcen des Arbeitgebers. Insoweit sei eine vergleichbare Beurteilung angemessen wie bei der Beurteilung der Teilnahme von Betriebsratsvorsitzenden an Rhetorik-Seminaren. Hier werde ebenfalls, ohne aktuellen betrieblichen Anlass, allgemein darauf abgestellt, dass das Betriebsverfassungsgesetz eine Reihe von Aufgaben beinhalte, für deren Erfüllung rhetorische Fähigkeiten notwendig seien.

Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass auch bei der Vermittlung von Kenntnissen, die eher den Spezialkenntnissen zuzuordnen seien, nicht ausnahmslos ein aktueller betriebsbezogener Anlass verlangt werden könne. So sei beispielsweise in größeren Unternehmen die Durchführung einer Schulungsveranstaltung über „Suchtkrankheiten am Arbeitsplatz“ unabhängig davon erforderlich, ob im Betrieb bereits konkrete Suchtfälle aufgetreten seien.

Die Beteiligten zu 1) und zu 2) beantragen,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Köln vom 20.06.2007 festzustellen, dass die Teilnahme des Beteiligten zu 2) an der Schulungsveranstaltung der JES Janssen EDV Schulung und Beratung GmbH zum Thema „Strafrechtliche Risiken der Betriebsratstätigkeit“ erforderlich im Sinne von § 37 Abs. 6 BetrVG ist.

Die Beteiligte zu 3) beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 3) verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss. Es gehe vorliegend nicht um die Vermittlung allgemeiner Grundkenntnisse, sondern um Spezialkenntnisse. Bei einem Handeln entsprechend den Rechten und Pflichten aus dem Betriebsverfassungsgesetz seien die befürchteten strafrechtlichen Konsequenzen der Betriebsratstätigkeit ausgeschlossen. Eine Schulung, im Rahmen derer Kenntnisse über strafrechtliche Folgen bei der Überschreitung der betriebsverfassungsrechtlichen Kompetenzen des Betriebsrates vermittelt würden, könne somit nicht als Schulung hinsichtlich der Vermittlung von Grundkenntnissen angesehen werden. Kenntnisse über strafrechtliche Folgen der Betriebsratstätigkeit würden erst vielmehr dann erforderlich, wenn der Betriebsrat seine betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse überschreite. Dies gelte auch im Hinblick auf die angeführte Geheimhaltungspflicht des Betriebsrates gemäß § 79 BetrVG. Die Regelung des § 79 Abs. 1 BetrVG normiere detailliert, welche Informationen Mitglieder des Betriebsrates nicht offenbaren und nicht verwerten dürften.

Auch hinsichtlich der übermäßigen Inanspruchnahme finanzieller Ressourcen des Arbeitgebers komme eine strafrechtliche Relevant erst in Betracht, wenn der Betriebsrat seine Betriebsratstätigkeit nicht ordnungsgemäß ausübe. Mit der Rechtsprechung zur Erforderlichkeit von Rhetorik-Seminaren sei der vorliegende Fall nicht vergleichbar.

Schließlich bestehe anders als bei Suchtfällen auch keine latente Gefahr strafbarer Handlungen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Beteiligten zu 1) und des Beteiligten zu 2) ist begründet. Antragsgemäß war daher festzustellen, dass die Erforderlichkeit der konkreten Schulung gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG gegeben war.

1.

Der Antrag ist zulässig. Mit Recht hat das Arbeitsgericht festgehalten, dass das Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Erforderlichkeit der Schulung nicht schon deshalb entfallen ist, weil die Schulungsveranstaltung zwischenzeitlich stattgefunden hat. Denn die Rechtsfrage wird auch in Zukunft zwischen den Parteien wieder streitig werden, insbesondere da es sich um eine zukünftig wiederkehrende gleiche Schulungsveranstaltung am selben Ort handelt und die Beteiligten zu 1) und 2) ein fortbestehendes Interesse an einer Teilnahme und damit an der Klärung der zugrunde liegenden Rechtsfrage haben.

2.

Der Antrag ist auch begründet. Die Erforderlichkeit einer Schulungsveranstaltung dieser Thematik ist im Sinne des § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG gegeben.

a) Nach § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG i. V. m. § 37 Abs. 2 BetrVG ist der Betriebsrat berechtigt, Betriebsratsmitglieder zu Schulungs- und Bildungsveranstaltungen zu entsenden, soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. Erforderlich ist dabei all das, was zum Aufgabenbereich des Betriebsrats gehört und dessen Tätigkeit betrifft. Es handelt sich bei der Erforderlichkeit um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der dem Betriebsrat einen gewissen Beurteilungsspielraum lässt. Er bezieht sich auf den Inhalt der Veranstaltung, deren Dauer und die Teilnehmerzahl (siehe BAG Beschluss vom 07.06.1989 – 7 ABR 26/88 -, NZA 1990, Seite 149; Erfurter Kommentar Eisemann, § 37 BetrVG, Randziffer 17; Richardi/Thüsing, BetrVG, § 37 Randziffer 114).

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Unumstritten ist in Rechtsprechung und Literatur darüber hinaus, dass die Intensität der notwendigen Darlegung der Erforderlichkeit davon abhängt, ob Grundkenntnisse oder Spezialkenntnisse vermittelt werden sollen. Die Vermittlung von Grundkenntnissen im Betriebsverfassungsrecht und allgemeinen Arbeitsrecht oder im Bereich der Arbeitssicherheit oder Unfallverhütung gehört zum grundsätzlich erforderlichen Grundlagenwissen.

Dem gegenüber bedarf es , soweit es um die Vermittlung von Spezialkenntnissen geht, konkretere Darlegungen, weshalb ein solcher Schulungsinhalt betrieblich erforderlich ist (siehe BAG Beschluss vom 19.09.2001 – 7 ABR 32/00 -, AP Nr. 9 zu § 25 BetrVG 1972 mit zustimmender Anmerkung von Bengelsdorf; Erfurter Kommentar Eisemann, § 37 BetrVG, Randziffer 17; Wlotzke/Preis, § 37 BetrVG, Randziffer 49; Fitting, § 37 BetrVG, Randziffer 143).

So gehört beispielsweise die Vermittlung allgemeiner Grundkenntnisse des Sozial- und Sozialversicherungsrechts nur dann zu den erforderlichen Schulungsinhalten gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG, wenn dafür ein konkreter betriebsbezogener Anlass besteht, weil dieses Themengebiet im Gegensatz zum Betriebsverfassungsgesetz und allgemeinen Arbeitsrecht keine engen Bezüge zu den Aufgaben des Betriebsrats aufweist (so BAG Beschluss vom 04.06.2003 – 7 ABR 42/02 -, NZA 2003, Seite 1284).

b) Gemessen an diesen Grundsätzen kann vorliegend die Betriebsratsentscheidung über die Erforderlichkeit der Schulungsinhalte nicht beanstandet werden. Schulungsinhalt sind Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes. Das Betriebsverfassungsgesetz ist die Grundlage des Handelns der Betriebsräte. Kenntnisse über die Rechtsgrundlage dieses Handelns gehören daher zum Grundlagenwissen. Die Strafrechtsvorschriften, die nach der Seminarankündigung behandelt werden sollen, sind Teil des Betriebsverfassungsgesetzes. Es handelt sich dabei um § 119 BetrVG, der die Strafbarkeit des Arbeitgebers regelt sowie um § 120 BetrVG, der die Strafbarkeit der Betriebsräte regelt, und zwar in § 120 Abs. 1 in Bezug auf die Verletzung von Arbeitgeberinteressen und in § 120 Abs. 2 BetrVG in Bezug auf die Arbeitnehmerinteressen.

c) Nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 besteht eine Strafbarkeit des Arbeitgebers dann, wenn er die Wahl des Betriebsrats oder einer anderen Arbeitnehmervertretung behindert oder durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflusst. § 119 Abs. 1 Nr. 2 stellt die Störung der Amtstätigkeit der Arbeitnehmervertretungen unter Strafe. Nach § 119 Abs. 1 Nr. 3 macht sich ein Arbeitgeber strafbar, der Mitglieder einer Arbeitnehmervertretung um ihrer Tätigkeit willen benachteiligt oder begünstigt. Allen Strafvorschriften des § 119 Abs. 1 BetrVG ist gemeinsam, dass seitens des Betriebsrats oder einer anderen Arbeitnehmervertretung oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft ein Strafantrag gestellt wird.

Die Strafvorschrift gehört zum Grundlagenwissen für Betriebsräte. Insbesondere die Bestimmung des § 119 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG weist einen unauflöslichen Bezug zu der zentralen Vorschrift des Betriebsverfassungsgesetzes über die Amtstätigkeit der Betriebsräte in § 37 Abs. 1 BetrVG auf. Danach ist das Amt des Betriebsrates ein privatrechtliches Ehrenamt. Es muss in äußerer und innerer Unabhängigkeit wahrgenommen werden. Insbesondere dürfen Betriebsratsmitglieder in keiner Weise Vergütungen zufließen, auch nicht in mittelbarer oder versteckter Form (siehe Fitting, 23. Auflage § 37 BetrVG Rz. 6 ff mit umfangreichen weiteren Nachweisen). Weil die Sicherung der Unabhängigkeit der Amtstätigkeit ein solch hohes Gewicht hat, untersagt die Strafrechtsbestimmung des § 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG die Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern um ihrer Tätigkeit willen. Diese Begünstigung darf auch nicht in mittelbarer oder versteckter Form stattfinden. Unzulässig sind zum Beispiel die Gewährung von Entgelt für nicht notwendige Arbeitsversäumnis, die Zuweisung einer besonders verbilligten Werkswohnung, die Einräumung besonders günstiger Konditionen bei einem Firmendarlehen, die Gewährung eines längeren Urlaubs, die Zahlung von Sitzungsgeldern zusätzlich zum fortgezahlten Entgelt, die Freistellung von der Arbeit, ohne dass dies zur Erfüllung der Betriebsratsarbeit erforderlich wäre, die ungerechtfertigte Beförderung oder Höhergruppierung von Betriebsratsmitgliedern, die zur Verfügungstellung von sonstigen Firmenleistungen, zum Beispiel die Bevorzugung bei der Gestellung von Firmenwagen oder Gewährung von Personalrabatten. Der Umfang der Kommentarliteratur zu § 37 Abs. 1 BetrVG macht deutlich, dass es vielfältige und subtile Formen der Begünstigung gibt, und die Grenzziehung zwischen erlaubter Behandlung und verbotener Vorzugsbehandlung im Einzelfall schwer zu bestimmen ist. Angesichts dessen muss es als erforderlich angesehen werden, dass Betriebsräte über die Ausprägung dieser Grenzziehung durch Rechtsprechung und Literatur informiert sind.

In diesem Zusammenhang dürfen die Anforderungen an die Darlegung der Erforderlichkeit nicht überspannt werden. Eine Erforderlichkeit der Kenntnis ist nicht erst dann gegeben, wenn der Arbeitgeber einen konkreten strafbaren Begünstigungsversuch unternommen hat. Vielmehr muss der Betriebsrat schon im Vorfeld wissen, was als unerlaubter und strafbarer Begünstigungsversuch anzusehen ist und wie darauf reagiert werden kann. Dies gilt insbesondere angesichts des Strafantragserfordernisses für den Betriebsratsvorsitzenden, der in der Lage sein muss, darauf reagieren zu können, wenn ihm bekannt wird, dass ein Mitglied des Betriebsrats eine strafbare Begünstigung des Arbeitgebers angeboten bekommen oder angenommen hat.

Soweit die Beteiligte zu 3) vorträgt, die Erforderlichkeit sei nicht gegeben, weil strafrechtliche Kenntnisse erst erforderlich seien, wenn der Betriebsrat seine Befugnisse überschreite, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Denn Kenntnisse über die Strafbarkeit und das Strafantragsrecht des Betriebsrats sind bereits dann erforderlich, wenn der Arbeitgeber die Strafrechtsvorschrift des § 119 BetrVG verletzt, beispielsweise durch eine strafbare Benachteiligung. Dasselbe gilt, wenn einzelne Betriebsratsmitglieder sich unrechtmäßig Vorteile vom Arbeitgeber zuwenden lassen.

Nicht zu überzeugen vermag auch der Hinweis der Beteiligten zu 3), anders als bei Suchterkrankungen gebe es im Bereich von Straftaten keine latente Gefahr, dass diese begangen würden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Aussage von Rieble und Klebeck, NZA 2006, Seite 758 ff. zu folgen ist, wonach Rechtstreue und Rechtsbewusstsein allgemein sowohl im Arbeitgeber- wie im Arbeitnehmerlager geringer würden. Jedenfalls zeigen die strafrechtlich relevanten Vorgänge in den Großunternehmen Siemens und VW, in denen jeweils unrechtmäßige Begünstigungen in Millionenhöhe in Rede stehen, dass eine erhebliche praktische Relevanz gegeben ist. Diese Relevanz dokumentiert sich auch darin, dass gerade größere Unternehmen umfangreiche Compliance-Regelungen erlassen, die sicherstellen sollen, dass in Unternehmen gesetzeskonform gehandelt und Straftaten vermieden werden. Hierzu werden in Unternehmen Compliance- Systeme eingeführt und so genannte Compliance-Officer bestellt (siehe im Einzelnen ausführlich hierzu Mengel/Hagemeister, Betriebsberater, 2006, Seite 2466 ff. und Betriebsberater 2007, Seite 1386 ff.).

d) Die Strafvorschrift des § 120 BetrVG muss durch ihren Bezug zu § 79 BetrVG im vorliegenden Fall ebenfalls zu den erforderlichen Schulungsinhalten gezählt werden. § 120 BetrVG schützt in Satz 1 die Geheimhaltungsinteressen des Arbeitgebers, in Abs. 2 die Vertraulichkeitsinteressen anderer Arbeitnehmer. Was geheimhaltungsbedürftig ist, richtet sich vor allem nach § 79 BetrVG. Dabei handelt es sich um keine einfache Rechtsmaterie, wie die umfangreiche Literatur zu § 79 BetrVG ausweist (siehe Fitting, § 79 BetrVG, Randziffer 3 ff.; Henssler/Willemsen/Kalb, § 79 BetrVG, Randziffer 4 ff.; Wlotzke/Preis, § 79 BetrVG, Randziffer 1 ff., jeweils m. w. N.).

Von Bedeutung ist vor allem, dass neben dem Erfordernis, das der Arbeitgeber geheimhaltungsbedürftige Umstände ausdrücklich als solche bezeichnet haben muss, es zusätzlich erforderlich ist, dass es sich jeweils auch um ein materielles Geheimnis handelt. Der Arbeitgeber muss ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung haben, es muss jeweils objektiv feststellbar sein, ob ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis vorliegt oder nicht. Besteht kein objektives Geheimhaltungsinteresse, so kann eine Angelegenheit nicht willkürlich – etwa durch ihre Bezeichnung als vertrauliche Mitteilung – zum Geschäftsgeheimnis gemacht werden (siehe Fitting, § 79 BetrVG, Randziffer 3; Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 2. Auflage, § 79 BetrVG, Randziffer 4). Unlautere oder gesetzeswidrige Vorgänge, zum Beispiel Steuerhinterziehungen genießen keinen Geheimschutz (siehe Erfurter Kommentar Kania, § 79 BetrVG, Randziffer 6). Die dafür maßgeblichen Abgrenzungskriterien sowie auch die Bedingungen des Aussagerechts gegen den Arbeitgeber im Strafverfahren zu kennen (siehe dazu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 02.07.2001 – 1 BVR 2049/00 -, NJW 2001, Seite 3474 ff.), muss als erforderliches Grundlagenwissen angesehen werden. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass beispielsweise § 89 Satz 1 Satz 2 BetrVG der Betriebsrat bei der Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren, die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden durch Anregung, Beratung und Auskunft zu unterstützen hat, und diese Verpflichtungen nicht generell hinter den Geheimhaltungsinteressen und dem Datenschutz zurückstehen können (BAG Beschluss vom 03.06.2003 – 1 ABR 19/02 -, AP Nr. 1 zu § 89 BetrVG 1972).

All diese Fragen sind zudem in einem Großunternehmen wie dem der Beteiligten zu 3), das in besonderer Weise im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, von erheblich größerer Relevanz als in einem kleinen oder mittleren Unternehmen. Die Entscheidung des Beteiligten zu 1) über die Erforderlichkeit der Schulungsinhalte kann daher auch im Hinblick auf die diese Umstände nicht in Frage gestellt werden.

e) Schließlich geben die übrigen Bedingungen des Seminars keinen Grund zur Beanstandung. Die lediglich dreitätige Dauer wie auch die Kosten können nicht als unangemessen gewertet werden.

3.

Aus den genannten Gründen konnte insgesamt daher festgestellt werden, dass die Schulung erforderlich im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG war. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) hatte daher Erfolg. Da über ein Seminar der vorstehenden Art, soweit ersichtlich, höchstrichterlich noch nicht entschieden worden ist, hat die Kammer die Rechtsbeschwerde zugelassen.

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