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Betriebsschließungs-Versicherung  – Betriebsschließung aufgrund  er Corona-Pandemie

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 16 U 25/21 – Urteil vom 10.05.2021

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 8. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt Leistungen aus einer Betriebsschließungs-Versicherung.

Der Kläger ist Betreiber einer Gaststätte in T.. Er unterhält bei der Beklagten im Rahmen einer Sach-Inhaltsversicherung eine (Zusatz-)Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung), der die ZBSV 08 (Anlage K 1, Bl. 10) zugrunde liegen und die ihm einen schließungsbedingten Ertragsausfallschaden bis zu einer Haftzeit von 30 Tagen ersetzen soll. Die Bedingungen lauten auszugsweise:

§ 2 versicherte Gefahren

1. Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;

b) die Desinfektion der Betriebsräume und -einrichtungen des versicherten Betriebes ganz oder in Teilen anordnet oder schriftlich empfiehlt, weil anzunehmen ist, dass der Betrieb mit meldepflichtigen Krankheitserregern behaftet ist;

c) die Desinfektion, Brauchbarmachung zur anderweitigen Verwertung oder Vernichtung von Vorräten und Waren in dem versicherten Betrieb anordnet oder schriftlich empfiehlt, weil anzunehmen ist, dass die Vorräte und Waren mit meldepflichtigen Krankheitserregern behaftet sind;

d) in dem versicherten Betrieb beschäftigten Personen ihre Tätigkeit

– wegen Erkrankungen an meldepflichtigen Krankheiten,

– wegen Infektion mit meldepflichtigen Krankheitserregern,

– wegen entsprechenden Krankheits- oder Ansteckungsverdachts oder

– als Ausscheider von meldepflichtigen Erregern untersagt.

e) Ermittlungsmaßnahmen nach § 25 Abs. 1 IfSG oder Beobachtungsmaßnahmen nach § 29 IfSG anordnet, weil jemand krank, krankheits-, ansteckungsverdächtig oder Ausscheider ist.

2. Meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger

a) (es folgt eine Liste einzelner Krankheiten)

b) (es folgt eine Liste einzelner Krankheitserreger)

Aufgrund einer im Zuge der Corona-Pandemie erlassenen, zum 18. März 2020 wirksamen Landesverordnung der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung schloss der Kläger seine Gaststätte, bot aber einen Lieferdienst außer Haus nach Vorbestellung an. Die von ihm angemeldeten Entschädigungsansprüche wies die Beklagte mit Schreiben vom 27. April 2020 (Anlage K 2, Bl. 12) zurück; ein darin unterbreitetes Angebot einer Einmalzahlung von 7.176,- € (geschätzte 15 % der Tagesentschädigung) nahm der Kläger nicht an.

Mit seiner im Juni 2020 erhobenen Klage auf die Feststellung, dass die Beklagte ihm zur Zahlung von Entschädigung aus der Versicherung verpflichtet sei, hat der Kläger geltend gemacht, die Beklagte sei schon dann eintrittspflichtig, wenn aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten ein Betrieb geschlossen werde; die Klausel erwähne gerade nicht, dass die meldepflichtige Krankheit im Betrieb des Versicherungsnehmers selbst aufgetreten sein müsse (Bl. 5, 6). Unerheblich sei, dass in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 das Corona-Virus nicht ausdrücklich aufgeführt sei; den Bedingungen sei nicht zu entnehmen, dass spätere Änderungen des IfSG nicht unter den Versicherungsschutz fallen sollten (Bl. 7); der Ausdruck „namentlich“ in Nr. 2 könne auch im Sinne von „insbesondere“ verstanden werden (Bl. 77).

Die Beklagte hat sich dem entgegengestellt. Es sei schon die Feststellungsklage unzulässig, weil der Kläger seinen abgeschlossenen Schaden beziffern könne (Bl. 36). Auch liege kein Versicherungsfall vor. Der Katalog des § 2 Nr. 2 ZBSV 08 sei abschließend, und auch im IfSG sei das Coronavirus in den §§ 6, 7 erst seit dem 23. Mai 2020 zu finden (Bl. 38 f.). Auch fehle es an einer bedingungsgemäßen Schließung des versicherten Betriebes; diese sei nicht vom Gesundheitsamt veranlasst worden (Bl. 49), auch nicht etwa aufgrund eines Virus´ im Betrieb (Bl. 53), und überdies habe (dies im Hinblick auf den Außer-Haus- Verkauf) der Kläger seinen Betrieb nicht vollständig geschlossen.

Betriebsschließungs-Versicherung  - Betriebsschließung aufgrund  er Corona-Pandemie
(Symbolfoto: Von Axel Bueckert/Shutterstock.com)

Das Landgericht hat die als zulässig erachtete Klage abgewiesen. Bei der pandemiebedingten Schließung habe es sich nicht um eine bedingungsgemäße Schließung gehandelt, weil die in den Versicherungsbedingungen vereinbarten meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger weder die Krankheit Covid-19 noch den SARS-CoV-2-Virus umfassten. Der Umfang des Versicherungsschutzes werde durch § 2 Nr. 2 ZBSV 08 katalogmäßig abschließend festgelegt. Mit dem (Klammerzusatz-)Verweis in § 2 Nr. 1 ZBSV 08 auf Nr. 2 werde für jeden Versicherungsnehmer erkennbar, dass in Nr. 2 der eigentliche Umfang des Versicherungsschutzes festgelegt werde. Das erschließe sich auch aus der Struktur des § 2 mit den Unterüberschriften „Versicherungsumfang“ (Nr. 1) und „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger“. Die Auslegung von Nr. 2 selbst ergebe, dass sich die dort aufgeführten Kataloge als enumerative Aufzählung und nicht als bloß offen gestaltete Darlegung von Beispielen aus den §§ 6, 7 IfSG darstelle; das folge schon aus dem Wortlaut („die folgenden“), woran auch der systematisch unschöne, aber nur redundante Verweis auf das IfSG („in den §§ 6 und 7 namentlich genannte“) nichts ändere, auch nicht das Wort „namentlich“, das nach allgemeine Verständnis „vom Namen her“ oder „benannt“ bedeute. Das dagegen vorgebrachte Hauptargument einer nicht erkennbaren Deckungslücke überzeuge nicht; hier bestehe keine Lücke, sondern werde vielmehr durch die Definition der Krankheiten und Erreger der Umfang des Deckungsschutzes erst festgelegt.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt.

Er rügt, das Landgericht habe die Bestimmung des § 2 Nr. 2 ZBSV 08, mit der es sich ausschließlich befasst habe, entgegen der ständigen Rechtsprechung des BGH zur Auslegung von Versicherungsbedingungen einseitig zugunsten des Verwenders ausgelegt. Schon der von ihm zugestandene Umstand, die Klausel sei an einer Stelle systematisch unschön, verdeutliche deren Unklarheit (Bl. 127); vom systematischen Aufbau von Versicherungsbedingungen habe ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer keine Kenntnis. Sie brächten nicht klar und eindeutig zum Ausdruck, dass der Versicherungsschutz auf die in den Bedingungen enthaltene Liste beschränkt sein solle (Bl. 127). Ein Versicherungsnehmer verstehe § 2 Nr. 1 Satz 1 ZBSV 08 vielmehr so, dass der Versicherer Entschädigung leiste, wenn die zuständige Behörde beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne des IfSG den Betrieb schließe, wobei § 2 Nr. 2 a) und b), wie das Adverb „namentlich“ ergebe, nur über den aktuellen Inhalt von §§ 6 und 7 IfSG informierten; es fehle an einem Hinweis bzw. einer Warnung, die den Versicherungsnehmer aufhorchen lasse, dass sein Versicherungsschutz eingeschränkt sein könne, wie etwa die Worte „nur“ oder „ausschließlich“ (Bl. 128f.). Die Auslegung des Landgerichtes mache schließlich auch deshalb keinen Sinn, weil es sich bei dem IfSG um ein Gesetz handele, das ständigem Wandel unterliege und in das neue Krankheiten auf- und andere herausgenommen würden (Bl. 129).

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils

1.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm aufgrund der Schließung seines Restaurants in den Räumlichkeiten …, beginnend mit dem 17. März 2020 Entschädigung aus der Betriebsschließung Versicherung zur Versicherungsschein-Nr. … zu zahlen;

2.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.474,89 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (8. Juli 2020, Bl. 24R) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung, verweist auf zahlreiche landgerichtliche Entscheidungen und jene des Oberlandesgerichts Stuttgart (Urteil vom 15. Februar 2021, 7 U 351/20) und des OLG Oldenburg (Hinweisbeschluss vom 11. Februar 2021, 1 U 261/20) welche letztere beide eine Einstandspflicht des Versicherers mit Blick darauf verneinen, dass die dortige, mit der hiesigen gleichlautende Klausel das SARS-CoV-2-Virus bzw. COVID 19 nicht erfasse (Bl. 149ff.). Zutreffend habe der Senat im Übrigen in seiner Hinweisverfügung vom 4. März 2021 (Bl. 133) darauf hingewiesen, dass ein bedingungsgemäßer Versicherungsfall eine von dem Betrieb ausgehende intrinsische Gefahr voraussetze (Bl. 158 mit Verweis auf LG Stuttgart, Urteil vom 17. November 2020, 41 U 36/20 KfH). Außerdem setze der Anspruch eine vollständige Schließung des Betriebes voraus (Bl. 159ff.).

II.

Die Berufung hat keinen Erfolg, § 513 Abs. 1 ZPO.

Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger kann aus der bei der Beklagten unterhaltenen Versicherung Entschädigungszahlung nicht verlangen. Es liegt – in Gestalt der Corona-Pandemie und der in ihrer Folge ergangenen Verordnungen – kein Versicherungsfall vor.

Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen kann. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa zuletzt, BGH, Urteil vom 31. März 2021, IV ZR 221/19, Rn. 26; oder Urteil vom 6. Juli 2016, IV ZR 44/15, Rn. 17 jeweils m.w.N.).

Nach einer solchen Auslegung sind in der Betriebsschließungsversicherung Ansprüche aufgrund einer Schließung infolge des Corona-Virus nicht versichert.

1.

Wenn es in § 2 Nr. 1 a) ZBSV 08 heißt, dass der Versicherer Entschädigung leistet, wenn die zuständige Behörde aufgrund des IfSG den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten oder Krankheitserregern schließt, so ist damit vorausgesetzt, dass eine konkrete, einzelfallbezogene Maßnahme zur Bekämpfung einer gerade aus dem konkreten Betrieb erwachsenden Infektionsgefahr erfolgt.

a)

Der Bezug auf den konkreten Einzelfall ergibt sich für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer schon daraus, dass ein Handeln der zuständigen Behörde vorausgesetzt ist. Dass es um eine von dieser Behörde konkret festgestellte Gefahr geht, die von dem einzelnen Betrieb selbst ausgeht, erschließt sich ihm weiter aus dem Umstand, dass schon in Nr. 1 a) der Schließung zur Verhinderung und Verbreitung von Erregern die Verhängung von Tätigkeitsverboten gegen sämtliche Betriebsangehörige gleichgestellt werden; letzteres ergibt nur Sinn, wenn eine Gefahr von diesen Betriebsangehörigen ausgeht. Das Nämliche – eine von dem Betrieb selbst ausgehende Gefahr – ergibt sich mit Blick auf die weiteren Versicherungsfälle in den lit b) bis c): Die Anordnungen oder Empfehlungen der Desinfektion von Betriebsräumen und/oder -einrichtungen sowie der Desinfektion, Brauchbarmachung oder Vernichtung von Vorräten und Waren sind offensichtlich betriebsbezogen gemeint, wie sich schon aus dem jeweils abschließenden Halbsatz ergibt – „weil anzunehmen ist, dass der Betrieb mit meldepflichtigen Krankheitserregern behaftet ist“. Es handelt sich, wie der Versicherungsnehmer erkennen wird, um Maßnahmen unterhalb des Niveaus einer kompletten Schließung. Nichts anderes gilt für lit d), der die konkrete Infektion von im Betrieb beschäftigten Personen betrifft. Auch lit e), der Ermittlungs- oder Beobachtungmaßnahmen unter dem Vorzeichen betrifft, dass jemand krank usw. ist, bezieht sich offenbar auf Betriebsangehörige. Wenn all diese Unterfälle der lit b) bis e) und auch der in lit a) Hs. 2 dem „Grundfall“ in lit a) Hs. 1 gleichgestellte Fall auf eine aus dem einzelnen Betrieb selbst hervorgehende Gefahr gemünzt sind, so wird sich der Versicherungsnehmer verständigerweise sagen müssen, dass auch für den Grundfall in lit a) Hs. 1 nichts anderes gelten kann.

Eingedenk dieser Überlegungen wird ihm auch einfallen, dass er selbst als Angehöriger einer Branche, die in ihren Betriebsstätten zubereitete Lebensmittel anbietet, die Versicherung – zu einer Zeit, da an einen zu einem praktisch allgemeinen Lockdown führenden pandemischen Virus nicht auch nur entfernt zu denken war – zum Zweck der Absicherung gegen die Gefahr abgeschlossen hat, dass (lebensweltlich gesprochen) das Gesundheitsamt seinen „Laden“ wegen eines dort aufgetretenen Erregers schließt. Und er wird daher – auch mit Rücksicht auf sein gegenwärtiges Interesse an einem möglichst weitgehenden Schutz gegen die Folgen der Corona-Pandemie – zugestehen müssen, dass ein solcher Schutz nicht gemeint ist und dass die auf den ersten Blick womöglich etwas weitergehende Formulierung im Grundfall lediglich dem Umstand geschuldet ist, dass auch der Versicherer bei der Abfassung der Bedingungen den Fall eines pandemiebedingten Lockdowns nicht in seine Überlegungen einbezogen hat. Darin wird er sich bestärkt finden, wenn er weiter in den Blick nimmt, dass die Versicherung ihm nach § 3 Nr. 1 a) ZBSV 08 Ertragsausfälle lediglich für einen Zeitraum von 30 Tagen ersetzt, also für einen Zeitraum, in dem – wie er erkennen wird – nach einer Schließung ein im Betrieb oder bei seinen Mitarbeitern aufgetretener Erreger regelmäßig suffizient bekämpft worden sein wird.

b)

Unter all diesen Vorzeichen ist es aus Sicht des Senates bei verständiger Würdigung mit Rücksicht auf den erkennbaren Sinnzusammenhang abwegig anzunehmen, § 2 Nr. 1 a) ZBSV 08 solle ohne Rücksicht auf die konkreten Verhältnisse des Betriebes auch faktische Betriebsschließungen aufgrund genereller gesellschafts- und gesundheitspolitischer Maßnahmen in einer pandemischen Ausnahmesituation erfassen (im Ergebnis ebenso, allerdings mit wenig guten Argumenten [aus der Nutzung der Versicherung in spezifischen Branchen mit Publikumsverkehr und dem Versicherungsort, § 5, und Meldeobliegenheiten, § 8] Günther/Piontek, RuS 2020, 242, 244f.; ebenfalls im obigen Sinne LG Stuttgart, Urteil vom 6. Oktober 2020, 41 O 35/20 [unveröffentlicht]; ebenso Goergen/Derkum, VersR 2020, 907ff. [Anmerkung zu LG Mannheim, Urteil vom 29. April 2020, 11 O 66/20, VersR 2020, 904).

Im Ausgangspunkt zutreffend geht etwa auch Armbrüster (VersR 2020, 577, 582f.) von der Erkenntnis aus, dass es die Grundidee der Betriebsschließungsversicherung sei, bestimmten Branchen einen Schutz vor Ertragsausfällen durch behördliche Betriebsschließungen wegen eines intern entstandenen Infektionsrisikos zu bieten. Anders als dieser indes ohne nähere Begründung meint, kommt das nach Meinung des Senats in den üblicherweise verwendeten AVB hinreichend klar zum Ausdruck. In den nach Kenntnis des Senats stets absolut identischen Bestimmungen zur Beschreibung der versicherten Gefahren ist nicht lediglich „ganz allgemein von einer behördlichen Betriebsschließung auf Grundlage des IfSG“ die Rede, sondern von einzelnen konkreten Maßnahmen, die sämtlich einen verständigerweise nicht zu übersehenden Bezug auf aus dem Betrieb selbst herrührende Risiken aufweisen.

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Ebenso wenig überzeugt die Auffassung von Lüttringhaus/Eggen (RuS 2020, 250, 252). Danach soll gegen die hier vertretene Lesart unter systematischen Gerichtspunkten entscheidend sprechen, dass es sich bei den weiteren Szenarien (in lit b und c) um „eigenständige Varianten des Versicherungsfalls“ handele und der Versicherungsfall im Ausgangspunkt schon eintreten soll, „wenn die zuständige Behörde aufgrund des … IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb … zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt“. Diese Fallgruppe setze bereits nach dem Wortlaut bei Zugrundelegung des maßgeblichen, in Unternehmerkreisen erwartbaren Verständnishorizonts eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers kein Auftreten der Krankheit im Betrieb voraus: Erforderlich und zugleich ausreichend sei vielmehr, dass die Behörde sich auf das IfSG stütze und die Schließung der Verhinderung der Verbreitung der meldepflichtigen Krankheitserreger diene. So liege der Fall beim Corona-Virus. Das überzeugt nicht. Die Argumentation blendet aus, dass schon der Hs. 2 in lit. a) (betroffene Mitarbeiter) eine – dem Fall des Hs. 1 gleichgestellte – betriebsinterne Ursache anspricht. Im Übrigen sind die weiteren Fälle der lit. b) bis e) erkennbar nicht etwa „eigenständige Varianten“ zu lit. a), sondern im Vergleich zur vollständigen Schließung abgestuft minder schwere Unterfälle. Es liegt daher fern, dass diese recht feinstofflichen, gleichsam „absteigenden“ Varianten, die sämtlich Bezug zu einer betrieblichen Ursache haben, Unterfälle eines Hauptfalls sein könnten, der das allein nicht erfordern sollte, sondern Schließungen aufgrund jeder beliebigen (auch externen) Erregergefahr abdeckte, dies zumal man dabei auch noch die Voraussetzung der Anordnung durch die „zuständige Behörde“ extensiv dahin verstehen müsste, dass sie auch generelles Verordnungshandeln der Landesregierung erfasste.

2.

Unabhängig davon greift die Betriebsschließungsversicherung im Falle des Corona-Virus auch deshalb nicht, weil dieser von § 2 Nr. 2 nicht erfasst wird (im Ergebnis ebenso etwa OLG Stuttgart, Urteil vom 15. Februar 2021, 7U 351/20, VersR 2021, 445).

Der Wortlaut von § 2 Nr. 2 ist eindeutig. Es wird ausdrücklich Versicherungsschutz gewährt für die im Einzelnen aufgezählten „folgenden“ Krankheiten (a) und Krankheitserreger (b), indem formuliert wird: „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger.“ Ein verständiger Versicherungsnehmer wird die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger abschließend verstehen. Die Erläuterung, dass die im folgenden Text aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannt sind, unterstreicht lediglich die Herkunft des folgenden Katalogs und Relevanz der genannten Krankheiten und Krankheitserreger. Auf die Idee, dass durch die Nennung dieser gesetzlichen Regelungen über die genannten Krankheiten und Erreger hinausgehend auch die Krankheiten und Erreger, die zusätzlich im Infektionsschutzgesetz genannt werden könnten, in den Versicherungsschutz einbezogen werden sollten, wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht kommen. Schon gar nicht wird er erwägen, dass die Inbezugnahme der gesetzlichen Regelung als dynamische Verweisung auszulegen sein könnte, eine Denkfigur, die ihm als Laien völlig fremd ist.

3.

Die Frage einer AGB-rechtlichen Unwirksamkeit stellt sich nicht. Zutreffend verweist das Landgericht darauf, dass es vorliegend nicht um eine aus den Bedingungen nicht hinreichend hervorgehende Deckungslücke geht, sondern einzig und allein um das rechte Verständnis des versprochenen grundlegenden Deckungsumfangs, den zu bestimmen der Versicherer in Ermangelung gesetzlicher Vorgaben für die vorliegende sehr spezielle Versicherung frei ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat lässt die Revision zu. Die Frage des Deckungsumfangs der Betriebsschließungsversicherung hat grundsätzliche Bedeutung, § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

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