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Betriebsschließungsversicherung – bei Betriebsschließung wegen des Corona-Virus

LG Bochum – Urteil vom 15.07.2020 – Az.: 4 O 215/20

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Verfügungsklägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin kann die Vollstreckung der Verfügungsbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Verfügungsklägerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes von der Verfügungsbeklagten Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung vor dem Hintergrund der Corona-Krise.

Die Verfügungsklägerin betreibt als gaststättenrechtliche Konzessionsinhaberin ein Restaurant mit Biergarten unter dem Namen „C“ in # S, I #.

Zwischen den Prozessparteien besteht gem. Versicherungsschein-Nr. # für diesen gastronomischen Betrieb eine Betriebsschließungsversicherung. Vereinbart ist eine Haftzeit von maximal 6 Wochen bei einer Versicherungssumme von 250.000,00 EUR. Einbezogen sind die Allgemeinen Bedingungen für die verbundene Firmenversicherung (ABF FirmenPlus), Stand 5.2018. In Teil B der ABF ist unter Ziff. 8.2 „Betriebsschließung“ u.a. Folgendes geregelt:

Betriebsschließungsversicherung - bei Betriebsschließung wegen des Corona-Virus
Symbolfoto: Von Viacheslav Lopatin/Shutterstock.com

8.2.1 Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde auf Grund von Gesetzen zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger gemäß Ziffer 8.2.2

8.2.1.1 den versicherten Betrieb ganz oder teilweise schließt. Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines versicherten Betriebes werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;

(…)

8.2.2 Meldepflichtige Krankheiten oder meldepflichtige Krankheitserreger im Sinne dieses Vertrages sind nur die im Folgenden aufgeführten

8.2.2.1 Krankheiten

Botulismus, Cholera, Diphtherie, akute Virushepatitis, enterophatisches hamolytisch-uramisches Syndrom (HUS), virusbedingte hämorrhagisches Fieber, Masern, Meningokokken- Meningitis oder -Sepsis, Milzbrand, Poliomyelitis (als Verdacht gilt jede akute schlaffe Lähmung, außer wenn traumatisch bedingt), Pest, Tollwut, Typhus abdominalis / Paratyphus, eine behandlungsbedürftige Tuberkulose (auch wenn ein bakteriologischer Nachweis nicht vorliegt), eine mikrobiell bedingte Lebensmittelvergiftung, eine akute infektiöse Gastroenteritis, eine über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende gesundheitliche Schädigung, die Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, -verdächtiges oder -ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers;

8.2.2.2 Krankheitserreger

Adenoviren, Bacillus anthracis, Borrelia recurrentis, Brucella sp., Campylobacter sp. (darmpathogen), Chlamydia psittaci, Clostridium botulinum oder Toxinnachweis, Corynebacterium diphtheriae (Toxinbildend), Coxiella brunetii, Cyrptosporidium parvum, Ebolavirus, Escherichia coli (enterohämorrhagische Stämme (EHEC), Escherichia coli (sonstige darmpathogene Stämme), Francisella tularensis, FSME-Virus, Gelbfiebervirus, Giardia lamblia, Haemophilus influenza, Hantaviren, Hepatitis-A-Virus, Hepatitis-B-Virus, Hepatitis-C-Virus, Hepatits-D-Virus, Hepatitis-E-Virus, Influenzaviren, Lassavirus, Legionella sp., Leptospira interrogans, Listeria monocytogenes, Marburgvirus, Masernvirus, Mycobacterium leprae, Mycobacterium tuberculosis / africanum, Mycobacterium bovis, Neisseria meningitidis, Norwalk-ähnliches Virus, Poliovirus, Rabiesvirus, Rickettsia prowazekii, Rotavirus, Salmonella Paratyphi, Salmonella Typhi, Salmonella (sonstige), Shigella sp., Trichinella spiralis, Vibrion cholerae 0 1 und 0 139,Yersini enterocolitica (darmpathogen), Yersinia pestis, andere Erreger hämorrhagischer Fieber, reponema pallidum, HIV, Echinococcus sp., Plasmodiumsp., Rubellavirus, Toxoplasma gondii.“

Aufgrund der pandemischen Ausbreitung des Corona-Virus sind ab Mitte März 2020 auf entsprechende Weisungen des zuständigen Landesministeriums in Nordrhein-Westfalen zunächst durch die örtlich nach dem Infektionsschutzgesetz zuständigen Städte und Gemeinden und dann einige Tage später direkt durch das Gesundheitsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hoheitliche Regelungen getroffen worden, nach denen u.a. der Betrieb von Restaurants und Gaststätten sowie von Kneipen und Cafés und anderer gastronomischer Einrichtungen untersagt wurde.

Für das Stadtgebiet von Recklinghausen erließ der Bürgermeister unter dem Datum 17.03.2020 und bekanntgemacht im Amtsblatt für die Stadt Recklinghausen Nr. 16 vom 17.03.2020 eine Allgemeinverfügung, die u.a. folgende Regelung enthält:

„2. Folgende Einrichtungen und Angebote sind zu schließen beziehungsweise einzustellen:

a. Alle Bars, Schankwirtschaften, Clubs, Diskotheken, Tanzschulen, Tanzveranstaltungen, Theater, Varieté, Kinos, Tierparks, Museen, Teestuben, Shisha-Bars, Veranstaltungshallen, Internet-Cafés, Kulturvereine (…);“

Entsprechende Regelungen befanden sich auch in weiteren von der Stadt Recklinghausen erlassenen Allgemeinverfügungen, die in den Amtsblättern Nr. 17 vom 18.03.2020 und Nr. 19 vom 20.03.2020 bekanntgemacht worden waren.

Die letzte, im Amtsblatt der Stadt Recklinghausen mit der Nr. 19 vom 20.03.2020 bekanntgemachte Allgemeinverfügung wurde dann mit Bekanntmachung im Amtsblatt für die Stadt Recklinghausen Nr. 20 vom 23.03.2020 aufgehoben und durch eine landesweit unmittelbar geltende Regelung auf der Grundlage einer ministeriellen Rechtsverordnung ersetzt, und zwar durch die „Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Corona SchVO) des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 22. März 2020, die gemäß § 15 am Tag nach der Verkündung, also zum 23. März 2020, in Kraft trat. Diese Rechtsverordnung des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministers enthielt in § 9 folgende Regelung:

“ § 9 Gastronomie

(1) Der Betrieb von Restaurants, Gaststätten, Imbissen, Mensen, Kantinen, Kneipen, Cafes und anderen gastronomischen Einrichtungen ist untersagt (…)

(2) Abweichend von Absatz 1 sind die Belieferung mit Speisen und Getränken sowie der Außer-Haus-Verkauf durch Restaurants, Gaststätten, Mensen, Cafes und Kantinen zulässig, wenn die zum Schutz der Infektionen erforderlichen Abstände eingehalten werden. Der Verkehr ist in einem Umkreis von 50 Metern um die gastronomische Einrichtung untersagt.“

Diese am 20. April 2020 außer Kraft getretene Regelung war dann durch zwei weitere Rechtsverordnungen des Gesundheitsministers zunächst bis zum 03. Mai 2020 und sodann nochmals bis zum 10. Mai 2020 verlängert worden.

Die Verfügungsklägerin hat aus staatlichen Mitteln eine Soforthilfe für den Betrieb der Gaststätte „C“ i.H.v. 25.000,00 EUR erhalten. Nach den Bedingungen des Zuwendungsbescheides ist dieser Betrag jedoch zurückzuzahlen, soweit die Verfügungsbeklagte Leistungen aus dem streitgegenständlichen Versicherungsverhältnis erbringt.

Nachdem die Verfügungsbeklagte zunächst auf telefonische Nachfrage der Verfügungsklägerin mitgeteilt hatte, dass kein Versicherungsschutz bestehe, zeigte die Verfügungsklägerin die durch die Allgemeinverfügung der Stadt Recklinghausen zum 18.03.2020 unter Berufung auf das Infektionsschutzgesetz ausgesprochene Betriebsschließung des „C“ an. Mit Schreiben vom 05.05.2020 lehnte die Verfügungsbeklagte den Versicherungsschutz ab.

Der auf den 05.06.2020 datierte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ging sodann per Fax am 19.06.2020 bei Gericht ein.

Die Verfügungsklägerin macht geltend, dem Eintritt des Versicherungsfalls stehe nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Jahr 2018 weder das neuartige Corona-Virus als Krankheitserreger noch die bei einer Infektion auftretende Krankheit Covid-19 in der Auflistung unter Ziff. 8.2.2.1 bzw. 8.2.2.2 Teil B ABF enthalten seien. Denn den Versicherungsbedingungen sei zu entnehmen, dass diese Auflistung maßgeblich auf die gesetzlichen Regelungen im Infektionsschutzgesetz (IfSG) abheben solle und gezielt darauf verweise. Die Regelung in Teil B Ziff. 8.2.2 müsse nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont dahin ausgelegt werden, dass der Versicherungsschutz einer Betriebsschließungsversicherung für hoheitlich angeordnete Betriebsschließungen immer dann zum Tragen komme, wenn sich die betreffende Krankheit bzw. der betreffende Krankheitserreger zum Zeitpunkt der Betriebsschließung in der Liste der meldepflichtigen Krankheiten nach § 6 IfSG bzw. in der Liste der Krankheitserreger nach § 7 IfSG befinde. Die Bedingungen seien nicht als „statische Verweisung“ auf die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in den genannten gesetzlichen Normen aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger zu verstehen, vielmehr müssten sie im Sinne einer „dynamischen Verweisung“ schlichtweg alle, auch die erst durch nachträgliche Gesetzesänderungen in das Gesetz aufgenommene, meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger, umfassen.

Im Hinblick auf den erforderlichen Verfügungsgrund ist die Verfügungsklägerin der Auffassung, dass die strengen Maßstäbe für die Zulassung einer Leistungsverfügung mit einer Vorwegnahme der Hauptsache im Streitfall nicht anwendbar seien. Denn mit dem Hinweis auf die Zuerkennung einer Abschlagszahlung innerhalb von drei Wochen nach Meldung des Schadens gemäß der Versicherungsbedingungen habe die Verfügungsbeklagte sich selbst zu einer kurzfristigen Zahlung des dem jeweiligen Versicherungsnehmer entstandenen Betriebsschadens – auch auf der Grundlage einer pauschalen Berechnung – verpflichtet. Zudem stehe die erhaltene staatliche Soforthilfe der Annahme des Verfügungsgrundes nicht entgegen. Die Gewährung staatlicher Soforthilfen sei autark zu betrachten; die begehrten Versicherungsansprüche seien gänzlich unabhängig von derartigen staatlichen Vergünstigungen zu behandeln.

Zur Berechnung des geltend gemachten Betriebsschließungsschadens wird auf die Ausführungen zu IV. auf S. 9 ff. der Antragsschrift (Bl. 28 d.eA) Bezug genommen.

Die Verfügungsklägerin beantragt, die Verfügungsbeklagte zu verpflichten, an die Verfügungsklägerin 30.465,71 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.04.2020 zu zahlen.

Die Verfügungsbeklagte beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, es fehle an einem Verfügungsanspruch, da keine bedingungsgemäße Betriebsschließung vorliege. Nach dem Wortlaut des Versicherungsvertrages habe sich bereits keine der versicherten Gefahren realisiert. Da das Corona-Virus in Teil B Ziff. 8.2.2 ABF nicht genannt sei, zähle dies schon nach dem eindeutigen Wortlaut der Bedingungen nicht zu den versicherten Gefahren. Dies sei für einen durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung ohne weiteres erkennbar und nachvollziehbar. Zudem sei die Regelung interessengerecht; die positive Risikobeschreibung durch die ausdrückliche abschließende Aufzählung offensichtlich bekannter Krankheiten oder Krankheitserreger gebe dem Versicherungsnehmer wie auch dem Versicherer die Möglichkeit, den Umfang des Versicherungsschutzes genau nachzuvollziehen.

Darüber hinaus fehle es an einer bedingungsgemäßen behördlichen Schließungsmaßnahme. Bei den von der Verfügungsklägerin ins Feld geführten Maßnahmen handele es sich um allgemeingültige social-distancing-Maßnahmen zur Regulierung des gesellschaftlichen Zusammenlebens als Teil der weltweiten Reaktion auf das neuartige Corona-Virus. Derartige Maßnahmen bezögen sich nicht unmittelbar auf den Betrieb, sondern entfalteten allenfalls Reflexwirkungen und seien daher für einen verständigen Versicherungsnehmer erkennbar nicht versichert. Eine versicherte Betriebsschließung setze im Mindestmaß die Manifestierung einer versicherten Krankheit oder eines versicherten Krankheitserregers im versicherten Betrieb und eine dadurch verursachte Schließung des versicherten Betriebes voraus.

Des weiteren wird ein Betriebsschließungsschaden in Abrede gestellt.

Schließlich fehle es an einem Verfügungsgrund, da die strengen Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache nicht gegeben seien.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unbegründet.

Ein Verfügungsanspruch ist nicht gegeben. Darüber hinaus fehlt es am erforderlichen Verfügungsgrund.

1.

Der Verfügungsklägerin steht kein Verfügungsanspruch zu. Sie hat keinen Anspruch gegen die Verfügungsbeklagte auf bedingungsgemäße Versicherungsleistungen aus der Betriebsschließungsversicherung.

Es gibt keine allgemeingültige rechtliche Bewertung von Ansprüchen aus Betriebsschließungsversicherungen im Hinblick auf die Corona-Problematik. Vielmehr ist eine differenzierte Betrachtung der Versicherungsverträge, insbesondere der jeweils verwendeten Vertragsbedingungen im konkreten Einzelfall notwendig.

Nach den im Streitfall wirksam einbezogenen Versicherungsbedingungen ABF FirmenPlus, Stand 5.2018, fehlt es schon deshalb an einem Versicherungsfall, weil das Corona-Virus nicht zu dem mit dem Versicherungsvertrag abgedeckten Katalog meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger gehört.

Maßgeblich ist die Bedingung in Ziff. 8.2.2 ABF, die eine enumerative Auflistung der einzelnen Krankheiten (8.2.2.1) und Krankheitserreger (8.2.2.2) beinhaltet, auf die sich der Versicherungsschutz beziehen soll. Der Einleitungssatz in Ziff. 8.2.2 enthält mit dem Wort „nur“ eine ausdrückliche Erklärung, wonach eben nur die im Folgenden aufgeführten meldepflichtige Krankheiten oder meldepflichtigen Krankheitserreger solche im Sinne dieses Vertrages sind. Das zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht bekannte Corona-Virus ist in dieser enumerativen Auflistung nicht enthalten.

Entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin kommt eine Auslegung dieser Klausel dahingehend, dass auch künftige, erst später in das Infektionsschutzgesetz aufgenommene Krankheiten oder Krankheitserreger dem Versicherungsschutz unterfallen, nicht in Betracht.

Maßstab für die Auslegung ist, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse die jeweilige Klausel bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Zusammenhangs verstehen muss, ein individuelles Sonderwissen eines Versicherungsnehmers ist zu berücksichtigen, die Entstehungsgeschichte der Bedingung hingegen nicht (vgl. BGH, VersR 2004, 1039; BGH, VersR 2002, 1503). Verbleibende Zweifel gehen nach § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders.

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Legt man diesen Maßstab an, kann angesichts des klaren Wortlauts und des eindeutigen Sinnzusammenhangs der Klauseln zu Ziff. 8.2. ff. ABF ein Verständnis dahin, dass auch weitere, etwa erst zum Zeitpunkt der Betriebsschließung bekannte und in das Infektionsschutzgesetz aufgenommene Krankheiten oder Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst seien, obwohl sie in der Auflistung nicht genannt sind, nicht angenommen werden. Anders als in dem vom Landgericht Mannheim entschiedenen Fall (LG Mannheim, Urteil vom 29.04.2020, Az. 11 O 66/20, Beck RS 2020, 7522 = COVuR 2020,195 = r+s 2020, 338) stellt sich bei der hier einschlägigen Klausel schon gar nicht die Auslegungsfrage, ob eine statische oder dynamische Verweisung auf das Infektionsschutzgesetz gegeben ist. Denn die Klauseln zu Ziff. 8.2 ff. ABF beinhalten überhaupt keine Verweisung auf das Infektionsschutzgesetz, sondern listen eigenständig die vom Versicherungsschutz umfassten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger auf. Aufgrund des unmissverständlichen Wortlauts der abschließenden Auflistung, welcher einleitend noch durch die Bezeichnung „nur“ verstärkt wird, verbietet sich eine Auslegung dahin, dass die Aufzählung etwa lediglich beispielhaft gemeint sein könnte.

Die Klausel ist auch interessengerecht. Die klare enumerative Auflistung ermöglicht es dem Versicherungsnehmer wie auch dem Versicherer gleichermaßen, den Umfang des Versicherungsschutzes klar nachzuvollziehen und möglichen Streitigkeiten hierüber von vornherein aus dem Weg zu gehen. Nicht zuletzt ist auch der Risikoeinschätzung des Versicherers, insbesondere in Bezug auf die Prämienhöhe bei der eher als Nischenprodukt zu bezeichnenden Betriebsschließungsversicherung im Hinblick auf den Schutz der Versichertengemeinschaft Rechnung zu tragen, was für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer durchaus erkennbar ist.

Bedenken im Hinblick auf die Wirksamkeit der Klausel im Rahmen einer AGB-Kontrolle sind nicht ersichtlich. Derartiges ist von der Verfügungsklägerin auch nicht gerügt worden.

2.

Darüber hinaus fehlt es an einem Verfügungsgrund.

Bei einer Leistungsverfügung – wie vorliegend – als Unterfall der Regelungsverfügung gemäß § 940 ZPO ist ein Verfügungsgrund aufgrund der dadurch eintretenden Vorwegnahme der Hauptsache nur in Ausnahmefällen und unter strengen Vorgaben anzunehmen. Hierzu müssen kumulativ drei Voraussetzungen erfüllt sein: Die Verfügungsklägerin muss sich in einer existenziellen Notlage befinden, die die erstrebte Zahlung so dringlich macht, dass sie nicht bis zum Erlass eines vollstreckbaren Urteils in der Hauptsache warten kann; sie muss mit hoher bis an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Hauptsacheverfahren obsiegen und das Interesse der Verfügungsklägerin an der Zuerkennung des Zahlungsanspruchs bereits im Verfahren der einstweiligen Verfügung muss das Interesse der Verfügungsbeklagten unter Abwägung der beiderseitigen Belange, insbesondere des der Verfügungsklägerin aus der Nichterfüllung entstehenden oder drohenden Schadens einerseits und des von der Verfügungsbeklagten aus der sofortigen Erfüllung zu erwartenden Schadens andererseits, bei weitem überwiegen. (vgl. OLG Koblenz, NJW-RR 2013, 234; OLG München, Beck RS 2018, 13312).

Die Argumentation der Verfügungsklägerin, wonach diese strengen Maßstäbe im Streitfall nicht anzuwenden seien, überzeugt nicht. Aus dem Sinn und Zweck der Betriebsschließungsversicherung, insbesondere aus der Vereinbarung von Abschlagszahlungen innerhalb von drei Wochen nach Meldung des Schadens, ergeben sich keine Gründe, von den oben genannten strengen Voraussetzungen im Hinblick auf das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache abzusehen.

a)

Die Verfügungsklägerin hat bereits eine existenzielle Notlage nicht dargelegt. Anders als möglicherweise bei einer GmbH (vgl. BGH, Beschluss vom 14.07.2005, Az.: IX ZB 224/04) kann dies zwar bei der Verfügungsklägerin als GbR grundsätzlich in Betracht kommen. Jedoch ist eine tatsächliche existenzielle Notlage nach eigenem Vorbringen der Verfügungsklägerin nicht ersichtlich. Sie hat unstreitig eine staatliche Soforthilfe i.H.v. 25.000,00 EUR erhalten. Nach eigenen Angaben soll diese vorbehaltlich einer möglichen Versicherungsleistung gezahlt worden sein. Soweit die Verfügungsbeklagte also Versicherungsleistungen erbringt, wäre die Soforthilfe zurückzuzahlen. Vor diesem Hintergrund ist schon nicht nachvollziehbar, wie die Verfügungsklägerin mit einem Überschuss bei Auskehrung der begehrten Versicherungsleistung von lediglich noch rund 5.000,00 EUR eine wirkliche existenzielle Notlage abwenden will. Hierbei ist auch zu beachten, dass ohnehin nur eine Betriebsschließungszeit von maximal 6 Wochen versichert ist. Angesichts der Rückzahlungsverpflichtung ist schlicht unverständlich, warum die Verfügungsklägerin zur Abwendung einer aktuellen existenziellen Notlage dringend auf die Versicherungsleistung – die sie wirtschaftlich betrachtet im Saldo gar nicht behalten darf – angewiesen sein will, ohne die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens abwarten zu können.

b)

Wie die obigen Ausführungen zu I.1. zeigen, besteht gerade keine hohe Wahrscheinlichkeit des Obsiegens im Hauptsacheverfahren.

c)

Schließlich lässt sich auch bei der erforderlichen Interessenabwägung ein überwiegendes Interesse der Verfügungsklägerin nicht begründen. Dagegen spricht neben den oben bereits erörterten Umständen unter anderem auch, dass schon aus dem eigenen Verhalten der Verfügungsklägerin eine besondere Dringlichkeit für eine Entscheidung im Eilverfahren nicht erkennbar ist. Der unter dem 05.06.2020 datierende Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist erst am 19.06.2020 per Fax bei Gericht eingereicht worden. Die Antragstellung erfolgte damit erst zwei Monate nach der Ablehnungsentscheidung der Verfügungsbeklagten und sieben Wochen nach Ende des behaupteten Schließungszeitraums.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.

Der Streitwert wird auf 15.232,86 EUR festgesetzt (1/2 des Hauptsachewertes).

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