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Beurteilung Haftungsquoten bei Verkehrsunfalles

Ein folgenschwerer Verkehrsunfall, ausgelöst durch eine Falschfahrerin, wirft vor Gericht eine zentrale Frage auf: War der Verursacherwagen bereits ein stehendes Hindernis oder raste er noch entgegen, als das Unglück geschah? Die minutiösen Details der Kollision müssen nun komplett neu beleuchtet werden, denn das erste Gericht ließ wichtige Zeugen schlichtweg ungehört. So steht die gesamte Schuldfrage nach einer Berufung wieder am Anfang.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 6 U 151/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: OLG Stuttgart
  • Datum: 10.06.2025
  • Aktenzeichen: 6 U 151/24
  • Verfahrensart: Berufung
  • Rechtsbereiche: Verkehrsrecht, Zivilprozessrecht

Beteiligte Parteien:

  • Kläger: Die Kfz-Haftpflichtversicherung eines Pkw VW Golf, der in einen Verkehrsunfall verwickelt war und dessen Fahrer (Zeuge K.) involviert war. Sie begehrt Ausgleich von Schadenszahlungen, die sie an ein drittes Unfallfahrzeug leisten musste.
  • Beklagte: Die Kfz-Haftpflichtversicherung eines Pkw Toyota Aygo, dessen Fahrerin (Zeugin M.) am Unfall beteiligt war. Sie beantragte die Klageabweisung und sieht die Schuld allein beim Fahrer des VW Golf.

Worum ging es in dem Fall?

  • Sachverhalt: Ein Verkehrsunfall ereignete sich, als die Fahrerin des Toyota Aygo auf die Gegenfahrbahn geriet. Der Fahrer des VW Golf versuchte auszuweichen und kollidierte dabei mit einem Pkw Audi A6. Die Kfz-Haftpflichtversicherung des VW Golf fordert von der Kfz-Haftpflichtversicherung des Toyota Aygo die Erstattung von Schadenszahlungen an das dritte Unfallfahrzeug.
  • Kern des Rechtsstreits: Das Oberlandesgericht musste prüfen, ob das Landgericht im erstinstanzlichen Verfahren entscheidende, unter Beweis gestellte Aspekte zum Unfallhergang und zur Verschuldensfrage unberücksichtigt ließ. Ein solcher Mangel würde eine Zurückverweisung des Falls an das Landgericht zur erneuten Verhandlung und Beweisaufnahme rechtfertigen.

Was wurde entschieden?

  • Entscheidung: Das Oberlandesgericht hob das Urteil des Landgerichts auf. Der Fall wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
  • Begründung: Die Zurückverweisung erfolgte, weil das Landgericht wesentliche und unter Zeugenbeweis gestellte Aspekte des Unfallhergangs nicht berücksichtigt hat. Insbesondere wurde der zentrale Vortrag der Beklagten zur Standzeit ihres Fahrzeugs vor dem Unfall sowie ein Beweisantrag zur Warnung durch die Fahrerin übergangen.
  • Folgen: Die Sache muss nun erneut vor dem Landgericht verhandelt werden. Eine umfangreiche Beweisaufnahme, insbesondere die Vernehmung von Zeugen, ist erforderlich, um den Unfallhergang und die Verschuldensbeiträge umfassend zu klären.

Der Fall vor Gericht


Ein Crash, zwei Geschichten: Wer trägt die Schuld, wenn die Fakten strittig sind?

Ein Verkehrsunfall ist schnell passiert, doch die Klärung der Schuldfrage kann kompliziert werden. Besonders dann, wenn die Beteiligten den Hergang völlig unterschiedlich schildern. In einem solchen Fall musste das Oberlandesgericht Stuttgart entscheiden, ob ein erstes Urteil Bestand haben kann, obwohl das Gericht möglicherweise nicht alle entscheidenden Argumente und Beweise berücksichtigt hatte. Im Mittelpunkt stand eine Frage, die für jeden Autofahrer relevant ist: Wie wird die Schuld verteilt, wenn ein Fahrer einen schweren Fehler begeht, der andere Fahrer aber vielleicht nicht optimal reagiert?

Der Fall zeigt, wie wichtig es für ein faires Urteil ist, dass ein Gericht alle Puzzleteile des Geschehens sorgfältig zusammensetzt, bevor es eine Entscheidung trifft.

Der Unfallhergang: Ein Ausweichmanöver mit Folgen

Falschfahrt auf Stadtstraße: Ausweichmanöver führt zu Kollision mit drittem PKW auf Gegenfahrbahn. | Symbolbild: KI-generiertes Bild

Auf einer Straße in der Stadt R., auf der maximal 50 km/h erlaubt sind, kam es zu einem folgenschweren Ereignis. Eine Fahrerin, Frau M., geriet mit ihrem Toyota Aygo aus ungeklärten Gründen über eine durchgezogene doppelte Linie auf die Gegenfahrbahn. Sie wurde zur Falschfahrerin. Auf dieser Gegenfahrbahn war Herr K. mit seinem VW Golf auf der linken von zwei Spuren unterwegs. Um einen Frontalzusammenstoß mit dem Toyota von Frau M. zu verhindern, lenkte Herr K. seinen Wagen abrupt nach rechts. Dabei kollidierte er mit einem Audi A6, der ordnungsgemäß auf der rechten Spur fuhr.

Die Versicherung des VW Golf, die für den Schaden am Audi aufgekommen war, verklagte daraufhin die Versicherung des Toyota. Sie forderte die gesamten Kosten in Höhe von über 12.000 Euro zurück. Der Grundgedanke dahinter nennt sich Gesamtschuldnerausgleich. Das kann man sich so vorstellen: Wenn zwei Personen gemeinsam einen Schaden verursachen, haften sie zunächst beide für die gesamten Kosten. Bezahlt einer der beiden die komplette Summe, kann er sich anschließend einen Teil des Geldes vom anderen zurückholen, entsprechend dessen Schuldanteil. Die Versicherung des VW war der Meinung, ihr Fahrer Herr K. habe keine andere Wahl gehabt, als auszuweichen. Der Unfall sei allein durch die Falschfahrt von Frau M. verursacht worden, weshalb deren Versicherung auch zu 100 % haften müsse.

Die Versicherung des Toyota sah das komplett anders. Sie argumentierte, ihr Fahrer Herr K. trage die alleinige Schuld. Zwar sei ihre Fahrerin Frau M. auf die Gegenfahrbahn geraten, habe ihren Fehler aber sofort bemerkt und ihr Fahrzeug angehalten. Der VW von Herrn K. sei erst danach von einer Ampel losgefahren, habe stark auf 80 km/h beschleunigt und sei viel zu schnell gewesen. Hätte Herr K. aufgepasst, hätte er den stehenden Toyota rechtzeitig sehen und einfach bremsen können.

Vor dem ersten Gericht: Ein Urteil auf wackligem Fundament?

Das Landgericht Tübingen musste nun entscheiden, wie die Haftung verteilt wird. Es kam zu dem Schluss, dass die Versicherung des Toyota zwei Drittel des Schadens tragen müsse und die Versicherung des VW ein Drittel. Die Begründung: Frau M. habe als Falschfahrerin die Hauptursache für den Unfall gesetzt. Herr K. treffe aber ebenfalls ein erhebliches Verschulden, da er die erlaubte Geschwindigkeit deutlich überschritten habe.

Doch bei diesem Urteil gab es ein Problem. Das Gericht hatte seine Entscheidung getroffen, ohne alle von der Toyota-Versicherung benannten Zeugen zu befragen. Es meinte, der Unfallhergang sei im Grunde unstrittig und die Schuldfrage könne anhand eines Sachverständigengutachtens geklärt werden. Genau dieser Punkt führte dazu, dass der Fall eine Instanz höher ging.

Die Versicherung des Toyota legte Berufung ein. Wenn eine Partei mit einem Urteil unzufrieden ist, kann sie in Berufung gehen. Das bedeutet, ein höheres Gericht – in diesem Fall das Oberlandesgericht Stuttgart – prüft die Entscheidung der ersten Instanz auf Rechtsfehler.

Der Kern des Problems: Warum wurde der Fall neu aufgerollt?

Das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) kam zu einem klaren Ergebnis: Das Urteil des Landgerichts muss aufgehoben und der Fall dorthin zurückgeschickt werden. Der Grund dafür war ein sogenannter Wesentlicher Verfahrensmangel. Das ist ein schwerwiegender Fehler im Ablauf des ersten Gerichtsverfahrens. Ein solcher Fehler liegt zum Beispiel vor, wenn das Gericht wichtige Argumente oder Beweise einer Partei einfach ignoriert. Das verletzt das Recht auf rechtliches Gehör – das grundlegende Recht jeder Partei, dass ihre Argumente vom Gericht angehört und bei der Entscheidung berücksichtigt werden.

Aber was hatte das Landgericht konkret falsch gemacht?

Die entscheidende Frage: Stand das Auto oder fuhr es noch?

Das OLG stellte fest, dass das Landgericht den wichtigsten Punkt in der Verteidigung der Toyota-Versicherung übergangen hatte: die Behauptung, das Fahrzeug von Frau M. habe bereits gestanden, als Herr K. an der Ampel losfuhr.

Warum ist dieser Unterschied so wichtig? Er verändert die gesamte Situation fundamental. Fährt ein Auto frontal auf einen zu, hat man nur Sekundenbruchteile Zeit für eine Reaktion. Ein Ausweichmanöver, auch wenn es zu einem Folgeunfall führt, kann dann als verständliche Schreckreaktion gewertet werden. Fährt man aber auf ein Hindernis zu, das bereits seit einiger Zeit auf der Fahrbahn steht, sieht die Sache anders aus. Dann stellt sich die Frage: Warum hat der Fahrer das Hindernis nicht rechtzeitig gesehen und gebremst? Die Schuld würde sich dann viel stärker in Richtung Unaufmerksamkeit und überhöhte Geschwindigkeit des Fahrers verschieben.

Das Landgericht hatte Frau M. pauschal als „Geisterfahrerin“ eingestuft und damit die von ihr ausgehende Gefahr als sehr hoch bewertet. Es hatte aber nicht geprüft, ob sich diese Gefahr zum Unfallzeitpunkt überhaupt noch in Form einer dynamischen Fahrt oder nur noch in Form eines statischen Hindernisses ausgewirkt hat. Indem es die Zeugen nicht anhörte, die genau diese Frage hätten klären können, hat es der Toyota-Versicherung die Chance genommen, ihre Version der Geschichte zu beweisen.

Ein übersehener Beweis: Hätte eine Warnung den Unfall verhindert?

Es gab noch einen zweiten Punkt. Die Fahrerin Frau M. hatte im ersten Verfahren ausgesagt, sie sei bereits aus ihrem Auto ausgestiegen und habe durch Winken versucht, den herannahenden Verkehr zu warnen. Auch diesen Aspekt, der ihr Verschulden hätte mindern können, hatte das Landgericht nicht weiterverfolgt. Es glaubte der Fahrerin nicht, weil sich dafür keine Hinweise in der polizeilichen Ermittlungsakte fanden.

Das OLG machte hier deutlich: Nur weil etwas nicht in der Akte steht, heißt das nicht, dass es nicht passiert ist. Ein Gericht muss Beweisangeboten nachgehen, gerade wenn Zeugen, die anfangs als Beschuldigte keine Aussage gemacht hatten, nun zur Verfügung stehen.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts: Zurück an den Start

Aufgrund dieser schweren Verfahrensfehler hob das OLG Stuttgart das Urteil des Landgerichts auf. Es entschied sich für eine Zurückverweisung. Das bedeutet, das Berufungsgericht entscheidet den Fall nicht selbst, sondern schickt ihn zurück an das erste Gericht. Dieses muss den Fall dann noch einmal komplett neu verhandeln und dabei seinen Fehler beheben – also die bisher nicht gehörten Zeugen befragen.

Man gibt dem ersten Gericht damit quasi eine zweite Chance, den Fall ordnungsgemäß zu bearbeiten. Dies schützt das Recht der Parteien auf zwei Tatsacheninstanzen, also die Möglichkeit, dass der Sachverhalt von zwei unterschiedlichen Gerichten geprüft wird.

Die Begründung: Warum eine neue Verhandlung notwendig ist

Das OLG erklärte, dass durch die Fehler eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme notwendig geworden sei. Das ist der Teil eines Gerichtsverfahrens, in dem Beweise gesammelt werden, zum Beispiel durch die Befragung von Zeugen. Nun müssen alle Beteiligten – die Fahrer Herr K. und Frau M., die Insassen der Autos sowie weitere Zeugen – vom Landgericht vernommen werden.

Erst wenn geklärt ist, ob der Toyota stand oder fuhr und ob Frau M. gewarnt hat, kann das Gericht die Schuldanteile der beiden Fahrer fair abwägen. Es ist gut möglich, dass das Landgericht nach der Anhörung aller Zeugen zu einer ganz anderen Haftungsverteilung kommt als zuvor. Vielleicht stellt sich heraus, dass Herr K. tatsächlich grob unachtsam war und eine viel größere Mitschuld trägt. Vielleicht aber auch nicht. Genau das muss die neue Verhandlung klären.



Die Schlüsselerkenntnisse

Das Urteil macht deutlich, dass Gerichte alle wichtigen Beweise und Zeugenaussagen berücksichtigen müssen, bevor sie über die Schuld bei einem Verkehrsunfall entscheiden. Ein Gericht darf nicht einfach Zeugen ignorieren, die entscheidende Details klären könnten – wie etwa ob ein Fahrzeug bei einem Unfall noch fuhr oder bereits stand. Diese scheinbar kleine Unterscheidung kann die gesamte Schuldfrage verändern: Wer gegen ein stehendes Hindernis fährt, trägt meist mehr Verantwortung als jemand, der vor einem plötzlich auftauchenden Fahrzeug ausweicht. Das Urteil zeigt auch, dass eine ordnungsgemäße Beweisaufnahme Zeit braucht, aber notwendig ist, um faire Entscheidungen über Schadensersatz und Haftungsverteilung zu treffen.

Befinden Sie sich in einer ähnlichen Situation? Fragen Sie unsere Ersteinschätzung an.

Symbolbild für Rechtsfragen (FAQ): Allegorische Justitia mit Waage und Richterhammer.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wie werden die Haftungsquoten bei einem Verkehrsunfall festgelegt, besonders wenn die Beteiligten unterschiedliche Angaben zum Hergang machen?

Die Festlegung der Haftungsquoten bei einem Verkehrsunfall, also wer in welchem Umfang für den entstandenen Schaden verantwortlich ist, gehört zu den komplexesten Aufgaben nach einem Unfall. Besonders herausfordernd wird dies, wenn die am Unfall Beteiligten unterschiedliche Versionen des Hergangs schildern. In solchen Fällen ist eine sorgfältige Abwägung aller Umstände durch ein Gericht entscheidend.

Grundlagen der Haftungsfestlegung

Bei der Beurteilung der Haftung werden grundsätzlich zwei zentrale Aspekte berücksichtigt: das Verschulden der Beteiligten und die Betriebsgefahr der Fahrzeuge.

  • Verschulden: Hierbei geht es darum, ob und inwieweit ein Unfallbeteiligter gegen Verkehrsregeln verstoßen oder unvorsichtig gehandelt hat. Beispiele hierfür sind das Missachten einer Vorfahrt, überhöhte Geschwindigkeit oder eine fehlende Aufmerksamkeit. Je größer das Verschulden, desto höher ist in der Regel der Haftungsanteil.
  • Betriebsgefahr: Allein die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Kraftfahrzeug birgt eine sogenannte Betriebsgefahr. Dies bedeutet, dass bereits die Möglichkeit, einen Unfall zu verursachen, eine gewisse Verantwortung mit sich bringt, selbst wenn man scheinbar keine direkten Fehler gemacht hat. Die Betriebsgefahr kann dazu führen, dass auch ein nicht schuldiger Unfallbeteiligter einen kleinen Teil des Schadens selbst tragen muss, da sein Fahrzeug an der Entstehung des Schadens beteiligt war. Die gesetzlichen Grundlagen hierfür finden sich primär in § 17 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Umgang mit unterschiedlichen Angaben und Beweismitteln

Wenn die Unfallbeteiligten unterschiedliche Angaben zum Hergang machen, steht das Gericht vor der Aufgabe, die Wahrheit herauszufinden. Dies geschieht durch eine umfassende Beweisaufnahme. Für Sie als Beteiligten ist es wichtig zu verstehen, dass das Gericht alle verfügbaren Beweismittel genau prüft und würdigt.

Zu den häufigsten Beweismitteln zählen:

  • Zeugenaussagen: Berichte von Personen, die den Unfall beobachtet haben.
  • Fotos und Videos: Aufnahmen vom Unfallort, den beteiligten Fahrzeugen und den Spuren.
  • Unfallspuren: Bremsspuren, Schleifspuren, Trümmerteile am Unfallort.
  • Polizeiliche Unfallberichte: Die Feststellungen und Skizzen der aufnehmenden Beamten.
  • Sachverständigengutachten: Fachliche Einschätzungen von Sachverständigen zum Unfallhergang, den Geschwindigkeiten oder den technischen Defekten.

Das Gericht versucht, aus diesen Beweismitteln ein klares Bild des Unfallgeschehens zu rekonstruieren. Kann eine Partei ihre Version des Unfallhergangs nicht beweisen und bleiben die Fakten unklar, kann dies für sie nachteilig sein. Dies wird als Beweislast bezeichnet: Wer etwas behauptet, muss es im Zweifel auch beweisen können.

Die finale Abwägung der Umstände

Nachdem alle Beweismittel gesichtet und Zeugen gehört wurden, nimmt das Gericht eine Gesamtabwägung vor. Dabei werden folgende Faktoren berücksichtigt:

  • Das Ausmaß des Verschuldens: Wie schwer wiegt der Verkehrsverstoß oder die Unaufmerksamkeit des jeweiligen Fahrers? War es eine grobe Pflichtverletzung oder eine leichte Fahrlässigkeit?
  • Die Größe der Betriebsgefahr: Handelte es sich beispielsweise um einen Lkw, dessen Betriebsgefahr höher eingeschätzt wird als die eines Kleinwagens?
  • Die Kausalität: Wie stark haben die jeweiligen Handlungen oder die Betriebsgefahr zum konkreten Unfall geführt?

Aus dieser komplexen Abwägung ergibt sich dann die Haftungsquote, beispielsweise 70:30 oder 50:50. Jedes Verkehrsunfallgeschehen ist einzigartig und die genaue Festlegung hängt stark von den spezifischen Umständen des Einzelfalls und den verfügbaren Beweismitteln ab.


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Können meine eigenen Handlungen, wie zum Beispiel zu schnelles Fahren oder ein Ausweichmanöver, meine Schuldquote beeinflussen, auch wenn der Unfall hauptsächlich von einer anderen Person verursacht wurde?

Ja, Ihre eigenen Handlungen können die sogenannte Haftungsverteilung oder „Schuldquote“ bei einem Unfall erheblich beeinflussen, selbst wenn die Hauptursache des Unfalls bei einer anderen Person lag. Dies ist ein häufiger und wichtiger Aspekt im deutschen Verkehrsrecht.

Die Bedeutung der eigenen Beteiligung

Im Straßenverkehr tragen alle Beteiligten eine grundsätzliche Verantwortung. Das bedeutet, Gerichte prüfen bei einem Unfall sehr genau, welche Umstände auf Seiten jedes einzelnen Fahrers vorlagen und wie diese zum Unfallgeschehen oder zu dessen Folgen beigetragen haben. Es ist selten, dass nur eine Partei zu 100 Prozent alleine haftet.

Zwei zentrale rechtliche Konzepte spielen hierbei eine Rolle:

  • Betriebsgefahr: Allein die Tatsache, dass Sie ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führen, begründet eine sogenannte „Betriebsgefahr“. Ein Fahrzeug birgt von Natur aus Risiken. Wenn Ihr Fahrzeug in einen Unfall verwickelt ist, haften Sie aufgrund dieser Betriebsgefahr – auch wenn Sie selbst keinen konkreten Fahrfehler gemacht haben. Diese Gefahr wird bei der Haftungsverteilung berücksichtigt und kann dazu führen, dass Sie einen geringen Teil der Haftung tragen, selbst wenn der Unfall primär von jemand anderem verursacht wurde. Diese Betriebsgefahr kann sich erhöhen, wenn das Fahrzeug zum Beispiel sehr schnell ist oder schwer.
  • Mitverschulden (§ 254 BGB): Wenn Ihr eigenes Verhalten oder Ihre Handlungen ebenfalls zum Unfall oder zu dessen Folgen beigetragen haben, spricht man von „Mitverschulden“. Das bedeutet, dass Ihnen ein Teil der Verantwortung für den entstandenen Schaden zugerechnet wird. Ihre eigene Haftungsquote erhöht sich entsprechend.

Beispiele für eigene Handlungen, die die Quote beeinflussen können

Stellen Sie sich vor, ein anderer Fahrer hat Ihnen die Vorfahrt genommen. Er ist der Hauptverursacher des Unfalls. Dennoch können folgende eigene Handlungen Ihre Haftungsquote beeinflussen:

  • Zu schnelles Fahren: Wenn Sie zu schnell unterwegs waren, konnte sich der Unfall aufgrund Ihrer Geschwindigkeit nicht vermeiden lassen, oder die Aufprallenergie war so hoch, dass ein größerer Schaden entstanden ist. Obwohl der andere die Vorfahrt missachtete, wird Ihre überhöhte Geschwindigkeit als mitursächlich für den Schaden oder zumindest dessen Ausmaß bewertet.
  • Fehlerhaftes Ausweichmanöver: Wenn Sie zwar versucht haben, dem anderen Fahrzeug auszuweichen, dabei aber eine unnötige oder unkontrollierte Bewegung gemacht haben, die den Unfall verschlimmerte oder in einen noch größeren Schaden mündete, kann Ihnen ein Anteil daran zugerechnet werden. Es wird geprüft, ob ein „idealer“ Ausweichvorgang (der oft nicht möglich ist) anders ausgesehen hätte.
  • Mangelnde Aufmerksamkeit: Wenn Sie zum Beispiel abgelenkt waren (z.B. durch das Smartphone) und deswegen nicht schnell genug reagieren konnten, um einen Unfall zu verhindern oder zumindest die Folgen zu mildern, kann dies ebenfalls Ihre Haftungsquote erhöhen.
  • Fehlende oder nicht angelegte Sicherheitsgurte: Dies ist ein klassisches Beispiel für Mitverschulden, das nicht den Unfall selbst verursacht, aber die Schwere Ihrer eigenen Verletzungen beeinflusst. Die Gerichte können in solchen Fällen den Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz für Personenschäden erheblich mindern, da Sie durch Ihr Verhalten zur Verschlimmerung Ihres eigenen Schadens beigetragen haben.

Wie die Haftungsverteilung ermittelt wird

Die Gerichte wägen im Einzelfall alle Umstände ab. Dazu gehören die Schwere der verursachten Pflichtverletzungen jedes Beteiligten, die jeweiligen Betriebsgefahren der Fahrzeuge und der Beitrag jeder Handlung zum konkreten Schaden. Das Ergebnis ist eine prozentuale Aufteilung der Haftung, zum Beispiel 70:30 oder 50:50. Für Sie bedeutet das, dass Sie möglicherweise nur einen Teil Ihres Schadens vom Unfallverursacher ersetzt bekommen, wenn Ihnen selbst ein Mitverschulden angelastet wird, oder dass Sie einen Teil des Schadens des Unfallgegners tragen müssen.


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Welche Bedeutung haben Zeugenaussagen, polizeiliche Ermittlungen und Sachverständigengutachten bei der Klärung des Unfallhergangs?

Bei der Klärung eines Unfallhergangs, sei es vor Gericht oder im Rahmen der Schadensregulierung, spielen verschiedene Beweismittel eine zentrale Rolle. Sie dienen dazu, ein möglichst genaues Bild davon zu erhalten, was tatsächlich geschehen ist.

Zeugenaussagen: Persönliche Eindrücke vom Geschehen

Zeugenaussagen sind Berichte von Personen, die den Unfall selbst beobachtet haben oder wichtige Informationen dazu geben können. Dies können Augenzeugen, aber auch Ersthelfer oder Personen sein, die kurz vor oder nach dem Unfall am Ort waren und relevante Beobachtungen gemacht haben. Ihre Bedeutung liegt darin, dass sie direkte Eindrücke des Unfallgeschehens liefern.

Für ein Gericht sind Zeugenaussagen wichtig, um den Ablauf aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Dabei wird geprüft, wie glaubwürdig die Person ist und wie glaubhaft ihre Aussage erscheint. Faktoren wie die Entfernung zum Unfallort, Lichtverhältnisse, Ablenkungen oder auch der zeitliche Abstand zum Ereignis können die Erinnerung beeinflussen. Das Gericht würdigt (bewertet) jede Aussage sorgfältig und vergleicht sie mit anderen Beweismitteln.

Polizeiliche Ermittlungen: Fakten und Spurensicherung

Die Polizei ist oft die erste Instanz am Unfallort und hat die Aufgabe, erste Fakten zu sichern und Spuren festzuhalten. Dazu gehören:

  • Aufnahme des Unfallortes: Anfertigen von Skizzen, Fotos und Messungen.
  • Sicherung von Sachbeweisen: Dokumentation von Fahrzeugschäden, Bremsspuren, Trümmerteilen.
  • Erste Befragungen: Aufnehmen von Aussagen der Beteiligten und eventuellen Zeugen direkt am Unfallort.

Die durch polizeiliche Ermittlungen gesammelten Informationen bilden eine wichtige Grundlage für die weitere Klärung des Unfallhergangs. Sie sind oft die ersten objektiv festgehaltenen Daten, die helfen, ein Bild vom Geschehen zu zeichnen, noch bevor sich Erinnerungen verändern oder Spuren verwischen.

Sachverständigengutachten: Fachwissen für komplexe Fragen

Sachverständigengutachten kommen ins Spiel, wenn spezielle Fachkenntnisse erforderlich sind, um technische oder naturwissenschaftliche Zusammenhänge des Unfalls zu klären. Stellen Sie sich vor, es geht um die genaue Geschwindigkeit eines Fahrzeugs, die Bremswirkung oder die Frage, ob ein bestimmter Schaden zu einem bestimmten Aufprall passt. Ein Gericht kann dann einen unabhängigen Sachverständigen beauftragen, der aufgrund seiner Expertise eine fachliche Einschätzung abgibt.

Der Sachverständige analysiert oft die Polizeiberichte, Fotos, Zeugenaussagen und die beteiligten Fahrzeuge, um beispielsweise Kollisionsgeschwindigkeiten zu berechnen, die Sichtverhältnisse zu beurteilen oder die Entstehung von Verletzungen zu erklären. Ihr Gutachten liefert dem Gericht fundierte technische oder medizinische Erkenntnisse, die für Laien schwer verständlich wären, aber für die Urteilsfindung entscheidend sein können. Das Gericht ist an das Gutachten nicht blind gebunden, prüft es aber auf Plausibilität und Nachvollziehbarkeit.

Ein Gericht prüft alle diese Informationen – die Zeugenaussagen, die Ergebnisse der polizeilichen Ermittlungen und die Sachverständigengutachten – gemeinsam und in ihrer Gesamtheit, um sich ein möglichst umfassendes und korrektes Bild des Unfallhergangs zu machen und eine Entscheidung zu treffen.


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Was bedeutet mein Recht auf rechtliches Gehör und wie kann ich sicherstellen, dass meine Argumente und Beweise von einem Gericht berücksichtigt werden?

Ihr Recht auf rechtliches Gehör ist ein fundamental wichtiges Prinzip in jedem Gerichtsverfahren. Es ist in Deutschland sogar im Grundgesetz verankert (Artikel 103 Absatz 1 GG). Ganz einfach ausgedrückt bedeutet es, dass Sie vor Gericht die Möglichkeit haben müssen, Ihre Sichtweise darzulegen, sich zu allen wichtigen Fakten und Argumenten zu äußern und Beweismittel einzubringen, bevor das Gericht eine Entscheidung trifft.

Was bedeutet das Recht auf rechtliches Gehör konkret für Sie?

Das Recht auf rechtliches Gehör stellt sicher, dass das Gericht alle relevanten Umstände und Standpunkte kennt, bevor es zu einem Urteil kommt. Es bedeutet, dass das Gericht:

  • Ihre Argumente anhören und zur Kenntnis nehmen muss. Es darf keine Entscheidung auf Tatsachen stützen, zu denen Sie sich nicht äußern konnten.
  • Ihnen die Möglichkeit geben muss, auf die Argumente der Gegenseite zu reagieren.
  • Ihre vorgelegten Beweismittel prüfen muss, sofern diese für den Fall relevant sind.
  • Im Ergebnis Ihre Ausführungen in seiner Urteilsfindung berücksichtigen muss. Es geht nicht darum, dass das Gericht Ihnen zustimmen muss, sondern dass Ihre Äußerungen nicht einfach ignoriert werden dürfen.

Dieses Recht soll eine faire und gerechte Entscheidungsfindung gewährleisten, bei der alle Seiten gehört werden. Stellen Sie sich vor, das Gericht würde nur die eine Seite anhören und dann entscheiden – das wäre nicht fair. Ihr Recht auf rechtliches Gehör stellt sicher, dass Ihnen eine solche Situation nicht widerfährt.

Wie Sie Ihre Argumente und Beweise effektiv einbringen können

Um sicherzustellen, dass Ihre Argumente und Beweise von einem Gericht berücksichtigt werden, ist es wichtig, aktiv an dem Verfahren teilzunehmen und Ihre Rechte wahrzunehmen:

  1. Schriftliche Stellungnahmen: Sie haben das Recht, dem Gericht Ihre Sicht der Dinge schriftlich mitzuteilen. Dies geschieht in der Regel durch sogenannte Schriftsätze, also schriftliche Erklärungen oder Begründungen, die Sie oder Ihr Vertreter dem Gericht zukommen lassen. Dort können Sie alle relevanten Tatsachen schildern und Ihre Argumente darlegen.
  2. Mündliche Verhandlung: In einer Gerichtsverhandlung wird Ihnen die Möglichkeit gegeben, sich mündlich zu äußern. Sie können Fragen des Gerichts beantworten, Ihre Position erläutern und auf die Vorträge der Gegenseite reagieren. Das Gericht muss Ihnen hierfür ausreichend Gelegenheit einräumen.
  3. Beweismittel vorlegen: Wenn Sie Unterlagen, Fotos, E-Mails, Zeugen oder andere Belege haben, die Ihre Darstellung untermauern, sollten Sie diese dem Gericht mitteilen und zur Verfügung stellen. Das Gericht ist verpflichtet, alle relevanten und zulässigen Beweismittel, die Sie vorlegen, zur Kenntnis zu nehmen und im Rahmen seiner Entscheidung zu würdigen.
  4. Reaktion auf Gerichtsentscheidungen oder Hinweise: Wenn das Gericht Ihnen beispielsweise rechtliche Hinweise gibt oder die Gegenseite neue Argumente vorbringt, haben Sie das Recht und die Möglichkeit, sich dazu erneut zu äußern, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird.

Indem Sie diese Möglichkeiten nutzen, stellen Sie sicher, dass Ihre Perspektive und Ihre Beweise dem Gericht bekannt sind und es eine fundierte Entscheidung auf Basis aller relevanten Informationen treffen kann. Die aktive Nutzung Ihres Rechts auf rechtliches Gehör ist somit entscheidend für ein faires Verfahren.


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Was kann ich tun, wenn ich mit einem Gerichtsurteil in einem Verkehrsunfallfall nicht einverstanden bin?

Wenn Sie mit einem Gerichtsurteil in einem Verkehrsunfallfall nicht einverstanden sind, bietet das deutsche Rechtssystem Möglichkeiten, eine solche Entscheidung von einer höheren Instanz überprüfen zu lassen. Die primäre Möglichkeit ist die sogenannte Berufung.

Die Möglichkeit der Berufung

Die Berufung ist ein Rechtsmittel, mit dem ein Urteil der ersten Instanz, beispielsweise eines Amtsgerichts, von einem höheren Gericht überprüft werden kann. Im Bereich der Verkehrsunfallfälle, die typischerweise vor dem Amtsgericht beginnen, ist das nächste Gericht, das sogenannte Berufungsgericht, in der Regel das Landgericht.

Das Ziel einer Berufung ist es, dass das höhere Gericht den Fall sowohl in Bezug auf die rechtliche Beurteilung als auch auf die festgestellten Tatsachen neu bewertet. Das bedeutet, das Landgericht prüft, ob das Amtsgericht das Recht korrekt angewendet hat und ob die Beweiswürdigung (also die Bewertung der vorgelegten Beweise und Zeugenaussagen) richtig war.

Für eine Berufung gibt es eine gesetzlich festgelegte Frist, die in der Regel einen Monat nach der Zustellung des vollständigen Urteils beträgt. Diese Frist ist sehr streng; wird sie versäumt, ist eine Berufung meist nicht mehr möglich.

Konsequenzen und Risiken einer Berufung

Das Berufungsverfahren ist eine neue Prüfung des Falles. Das Berufungsgericht kann das Urteil der ersten Instanz:

  • Bestätigen: Das ursprüngliche Urteil bleibt unverändert.
  • Abändern: Das ursprüngliche Urteil wird ganz oder teilweise zugunsten oder zu Ungunsten einer Partei geändert.
  • Zurückverweisen: In seltenen Fällen, etwa wenn das erste Gericht erhebliche Verfahrensfehler gemacht hat, kann das Berufungsgericht den Fall an das erste Gericht zurückschicken. Dort muss der Fall dann unter Beachtung der Hinweise des Berufungsgerichts erneut verhandelt und entschieden werden.

Es ist wichtig zu wissen, dass ein Berufungsverfahren zusätzliche Kosten verursachen kann. Neben den Gerichtsgebühren können weitere Auslagen entstehen. Grundsätzlich gilt im deutschen Zivilprozessrecht der Grundsatz, dass die Partei, die den Prozess verliert, die gesamten Verfahrenskosten tragen muss. Dies schließt auch die Kosten des Berufungsverfahrens ein. Es besteht also das Risiko, dass die finanzielle Belastung für die Partei, die Berufung einlegt, bei einem Misserfolg steigt.

Die Entscheidung, Berufung einzulegen, sollte daher immer wohlüberlegt sein und die Erfolgsaussichten sowie die potenziellen Risiken sorgfältig abgewogen werden.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Juristisches Glossar: Symbolbild der Justitia mit Waage und Richterhammer.

Glossar


Juristische Fachbegriffe kurz erklärt

Gesamtschuldnerausgleich

Der Gesamtschuldnerausgleich beschreibt eine Situation, in der mehrere Personen gemeinsam für einen Schaden haften und zunächst jeweils für die gesamte Schadenssumme verantwortlich sind. Wenn eine Person den gesamten Schaden bezahlt, kann sie von den anderen eine Rückzahlung im Anteil ihrer Mitschuld verlangen. Dieses Prinzip soll sicherstellen, dass der Geschädigte den Schaden vollständig ersetzt bekommt, egal wer von den Schuldigen wie viel bezahlt hat. Im Verkehrsrecht ist es eine praktische Lösung beim Zusammenwirken mehrerer Unfallbeteiligter, deren jeweilige Verantwortung oft unterschiedlich hoch ist.

Beispiel: Wenn zwei Fahrer gemeinsam einen Unfallschaden von 10.000 Euro verursachen, zahlt einer die gesamte Summe. Dann kann er vom anderen entsprechend dessen Verschuldensanteil 3.000 Euro zurückfordern.

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Recht auf rechtliches Gehör

Das Recht auf rechtliches Gehör ist ein grundlegendes Verfahrensprinzip, das im deutschen Grundgesetz (Artikel 103 Abs. 1 GG) verankert ist. Es garantiert, dass jede Partei vor Gericht die Möglichkeit haben muss, ihre Sichtweise vollständig darzustellen, sich zu Tatsachen und Argumenten der Gegenseite zu äußern und Beweise vorzulegen. Ohne dieses Recht darf das Gericht keine Entscheidung treffen, weil eine faire und unparteiische Verhandlung sonst nicht gewährleistet wäre. Im konkreten Fall bedeutet dies, dass alle wichtigen Zeugen gehört und alle Beweisangebote geprüft werden müssen.

Beispiel: Werden Zeugen der Toyota-Versicherung nicht angehört, verletzt das Gericht das Recht auf rechtliches Gehör und das Urteil kann deshalb aufgehoben werden.

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Wesentlicher Verfahrensmangel

Ein wesentlicher Verfahrensmangel liegt vor, wenn bei der Durchführung eines Gerichtsverfahrens ein schwerwiegender Fehler gemacht wird, der die Fairness und Rechtmäßigkeit der Entscheidung beeinträchtigt. Das kann beispielsweise das Auslassen wichtiger Beweise, die Nichtberücksichtigung von Argumenten einer Partei oder eine fehlerhafte Verfahrensführung sein. Ein solcher Mangel führt häufig dazu, dass das Urteil aufgehoben und die Sache neu verhandelt wird, um eine faire Prüfung sicherzustellen. Im vorliegenden Fall war der wesentliche Verfahrensmangel die Nichtbefragung wichtiger Zeugen.

Beispiel: Wenn ein Gericht eine Zeugenaussage, die für den Unfallhergang zentral ist, unbeachtet lässt, ist das ein wesentlicher Verfahrensmangel.

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Zurückverweisung

Die Zurückverweisung bezeichnet die gerichtliche Entscheidung, einen Fall aus Gründen von Verfahrensfehlern oder unvollständiger Sachverhaltsaufklärung an das erstinstanzliche Gericht zurückzugeben. Das Berufungsgericht entscheidet dann nicht über den Streit selbst, sondern gibt dem ursprünglichen Gericht die Gelegenheit, den Fall neu zu verhandeln und die beanstandeten Fehler zu beheben. Die Zurückverweisung dient der Wahrung der Verfahrensgerechtigkeit und stellt sicher, dass alle relevanten Fakten gründlich geprüft werden.

Beispiel: Das Oberlandesgericht Stuttgart hat den Unfallfall an das Landgericht Tübingen zurückverweist, weil dort wichtige Beweise nicht gewürdigt wurden.

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Beweisaufnahme

Die Beweisaufnahme bezeichnet den Prozess im Gerichtsverfahren, in dem alle relevanten Beweise gesammelt und geprüft werden, um den Sachverhalt aufzuklären. Dazu zählen das Vernehmen von Zeugen, die Vorlage von Urkunden, Gutachten oder anderen Beweismitteln. Ziel ist es, ein möglichst vollständiges und objektives Bild des Geschehens zu erhalten, um eine fundierte Entscheidung zu treffen. Im Unfallfall ist die Beweisaufnahme entscheidend, wenn die Parteien unterschiedliche Versionen des Unfallhergangs vortragen.

Beispiel: Die Beweisaufnahme umfasst hier das Anhören der Zeugen, die klären können, ob das Auto bereits stand oder noch fuhr, sowie die Auswertung von Sachverständigengutachten.

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Wichtige Rechtsgrundlagen


  • Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG): Das Recht auf rechtliches Gehör ist ein grundlegendes Prozessrecht in Deutschland und ein wesentlicher Pfeiler der rechtsstaatlichen Ordnung. Es garantiert jeder Partei in einem Gerichtsverfahren die Möglichkeit, sich zu äußern, ihre Argumente vorzutragen und Beweismittel einzubringen, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Das Gericht muss diese Argumente und Beweise zur Kenntnis nehmen und in seine Entscheidungsfindung einbeziehen, um ein faires Verfahren zu gewährleisten. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Landgericht hatte im vorliegenden Fall Zeugen nicht angehört, die von der beklagten Partei benannt wurden, und damit deren zentrale Argumentation übergangen, was eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör darstellte und zur Aufhebung des Urteils führte.
  • § 17 Straßenverkehrsgesetz (StVG): Diese Vorschrift regelt, wie die Haftung für Schäden aus einem Verkehrsunfall verteilt wird, wenn der Unfall durch mehrere beteiligte Fahrzeuge verursacht wurde. Dabei werden die jeweiligen Verursachungsbeiträge der Fahrzeuge und ihrer Fahrer, einschließlich aller Umstände wie Verschulden, Betriebsgefahr oder besondere Gefährdungen, gegeneinander abgewogen. Das Gericht ermittelt dann, welcher Anteil des Schadens auf welchen Beteiligten entfällt. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Im Kern des Falles ging es um die Verteilung der Schuld zwischen Frau M. und Herrn K., wobei das OLG eine erneute Abwägung der Verursachungsanteile nach § 17 StVG forderte, nachdem alle relevanten Tatsachen geklärt sind.
  • § 7 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG): Diese Norm begründet die sogenannte Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters. Das bedeutet, dass der Halter eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich für Schäden haftet, die durch den Betrieb seines Fahrzeugs entstehen, und zwar unabhängig davon, ob ihn ein eigenes Verschulden trifft. Es reicht die bloße „Betriebsgefahr“ des Fahrzeugs aus, also die typische Gefahr, die von einem sich bewegenden Fahrzeug ausgeht. Diese Haftung besteht auch ohne Nachweis eines schuldhaften Verhaltens des Fahrers. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Die ursprüngliche Klage der VW-Versicherung gegen die Toyota-Versicherung basiert auf der Gefährdungshaftung beider Fahrzeuge, da der Schaden aus dem Betrieb beider Fahrzeuge resultierte und diese Vorschrift die Grundlage für jegliche Diskussion über die Haftungsverteilung bildet.
  • § 426 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Diese Vorschrift regelt den sogenannten Gesamtschuldnerausgleich. Wenn mehrere Personen gemeinsam für denselben Schaden haften (Gesamtschuldner sind) und einer von ihnen den Geschädigten vollständig entschädigt hat, kann dieser von den anderen Mitverursachern anteilig Ersatz verlangen. Die Höhe des Anteils richtet sich nach dem jeweiligen Verschulden und Verursachungsbeitrag. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Versicherung des VW Golf hatte den Schaden am Audi vollständig beglichen und forderte nun von der Toyota-Versicherung den ihr zustehenden Anteil zurück, was genau dem Prinzip des Gesamtschuldnerausgleichs entspricht.
  • § 538 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO): Diese Norm ermöglicht es einem Berufungsgericht, einen Fall an die erste Instanz zurückzuverweisen, wenn das erstinstanzliche Urteil aufgrund eines wesentlichen Verfahrensmangels, wie der Verletzung des rechtlichen Gehörs, aufgehoben wird. Eine solche Zurückverweisung ist insbesondere dann vorgesehen, wenn eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist, die das Berufungsgericht nicht selbst durchführen soll. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Das OLG Stuttgart hob das Urteil des Landgerichts auf und schickte den Fall gemäß dieser Vorschrift zurück, weil das Landgericht eine notwendige Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung) unterlassen hatte und diese nun zwingend nachgeholt werden muss.

Das vorliegende Urteil


OLG Stuttgart – Az.: 6 U 151/24 – Urteil vom 10.06.2025


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