Europäischer Gerichtshof (Große Kammer)
Az.: C-127/08
Urteil vom 25.07.2008
„Richtlinie 2004/38/EG – Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten – Familienangehörige, die die Staatsangehörigkeit eines Drittlands besitzen – Drittstaatsangehörige, die vor ihrer Eheschließung mit einem Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist sind“
In der Rechtssache betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom High Court (Irland) mit Entscheidung vom 14. März 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 25. März 2008, in dem Verfahren B… B… M…, H… E… N… I…, C… J… B…, S… Z… I… B…, H… I…, D… I…, R… C…, M… B… C…, H… I…, R… B… gegen Minister for Justice, Equality and Law Reform erlässt DER GERICHTSHOF (Große Kammer) aufgrund der Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 17. April 2008, die Rechtssache gemäß Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs und Art. 104a Abs. 1 der Verfahrensordnung einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juni 2008, unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von B. B… M…, H. E. N… I…, C. J. B… und S. Z. I… B…, vertreten durch M. de B…, SC, und J. St…, BL, im Auftrag von V. C…, S. B… und D. L…, S…,
– von H. I… und D. I…, vertreten durch R. B…, SC, G. O’H…, BL, und A. L…, BL, im Auftrag von S. M…, Solicitor,
– von R. Ch… und M. B… Ch…, vertreten durch A. C…, SC, M. L…, BL, und P. O’S…, BL, im Auftrag von B. B…, Solicitor,
– von H. I… und R. B…, vertreten durch M. F…, SC, und O. L…, BL, im Auftrag von K. T… und W. M…, Solicitors,
– des Minister for Justice, Equality and Law Reform, vertreten durch D. O’H… als Bevollmächtigten im Beistand von B. O’M…, SC, S. M…, SC, und D. C… S…, BL,
– der tschechischen Regierung, vertreten durch M. S… als Bevollmächtigten,
– der dänischen Regierung, vertreten durch J. B… L… und B. W… F… als Bevollmächtigte,
– der deutschen Regierung, vertreten durch M. L… und J. M… als Bevollmächtigte,
– der griechischen Regierung, vertreten durch T. P… und M. M… als Bevollmächtigte,
– der zyprischen Regierung, vertreten durch D. L… als Bevollmächtigten,
– der maltesischen Regierung, vertreten durch S. C… als Bevollmächtigten,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch C. W… und C. ten D… als Bevollmächtigte,
– der österreichischen Regierung, vertreten durch E. R… und T. F… als Bevollmächtigte,
– der finnischen Regierung, vertreten durch A. G…-P… als Bevollmächtigte,
– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch I. R… als Bevollmächtigte im Beistand von T. W…, Barrister,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. M… und M. W… als Bevollmächtigte,
nach Anhörung des Generalanwalts folgendes Urteil:
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, berichtigte Fassungen: ABl. 2004, L 229, S. 35, und ABl. 2007, L 204, S. 28).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von vier vor dem High Court eingeleiteten gerichtlichen Verfahren zur Aufhebung der jeweiligen Entscheidung, mit denen der Minister for Justice, Equality and Law Reform (Minister für Justiz, Gleichberechtigung und Rechtsreform, im Folgenden: Justizminister) einem Drittstaatsangehörigen, der mit einer in Irland ansässigen Unionsbürgerin verheiratet ist, eine Aufenthaltsgenehmigung verweigert hat.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Die Richtlinie 2004/38 ist auf der Grundlage der Art. 12 EG, 18 EG, 40 EG, 44 EG und 52 EG erlassen worden.
Die Erwägungsgründe 1 bis 5, 11, 14 und 31 dieser Richtlinie lauten:
„(1) Die Unionsbürgerschaft verleiht jedem Bürger der Union das elementare und persönliche Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der im Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.
(2) Die Freizügigkeit von Personen stellt eine der Grundfreiheiten des Binnenmarkts dar, der einen Raum ohne Binnengrenzen umfasst, in dem diese Freiheit gemäß den Bestimmungen des Vertrags gewährleistet ist.
(3) Die Unionsbürgerschaft sollte der grundsätzliche Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten sein, wenn sie ihr Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt wahrnehmen. Daher müssen die bestehenden Gemeinschaftsinstrumente, die Arbeitnehmer und Selbständige sowie Studierende und andere beschäftigungslose Personen getrennt behandeln, kodifiziert und überarbeitet werden, um das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht aller Unionsbürger zu vereinfachen und zu verstärken.
(4) Um diese bereichsspezifischen und fragmentarischen Ansätze des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts zu überwinden und die Ausübung dieses Rechts zu erleichtern, ist ein einziger Rechtsakt erforderlich …
(5) Das Recht aller Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, sollte, wenn es unter objektiven Bedingungen in Freiheit und Würde ausgeübt werden soll, auch den Familienangehörigen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit gewährt werden. …
…
(11) Das elementare und persönliche Recht auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat erwächst den Unionsbürgern unmittelbar aus dem Vertrag und hängt nicht von der Einhaltung von Verwaltungsverfahren ab.
…
(14) Um zu vermeiden, dass abweichende Verwaltungspraktiken oder Auslegungen die Ausübung des Aufenthaltsrechts der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen unangemessen behindern, sollte genau und abschließend festgelegt werden, welche Dokumente erforderlich sind, damit die zuständige Behörde eine Anmeldebescheinigung oder eine Aufenthaltskarte ausstellen kann.
…
(31) Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und -freiheiten und den Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden. Dem in der Charta enthaltenen Diskriminierungsverbot zufolge sollten die Mitgliedstaaten diese Richtlinie ohne Diskriminierung zwischen den Begünstigten dieser Richtlinie etwa aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung umsetzen.“
Laut ihrem Art. 1 Buchst. a regelt die Richtlinie 2004/38 u. a. „die Bedingungen, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten genießen“.
Nach Art. 2 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 bezeichnet der Ausdruck „Familienangehöriger“ im Sinne dieser Richtlinie u. a. den Ehegatten.
Art. 3 der Richtlinie 2004/38 bestimmt in Abs. 1:
„Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.“
Art. 5 der Richtlinie 2004/38 sieht unter der Überschrift „Recht auf Einreise“ vor:
„(1) Unbeschadet der für die Kontrollen von Reisedokumenten an den nationalen Grenzen geltenden Vorschriften gestatten die Mitgliedstaaten Unionsbürgern, die einen gültigen Personalausweis oder Reisepass mit sich führen, und ihren Familienangehörigen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die einen gültigen Reisepass mit sich führen, die Einreise.
…
(2) Von Familienangehörigen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, ist gemäß der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 oder gegebenenfalls den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften lediglich ein Einreisevisum zu fordern. Für die Zwecke dieser Richtlinie entbindet der Besitz einer gültigen Aufenthaltskarte gemäß Artikel 10 diese Familienangehörigen von der Visumspflicht.
…
(5) Der Mitgliedstaat kann von dem Betroffenen verlangen, dass er seine Anwesenheit im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats innerhalb eines angemessenen und nicht diskriminierenden Zeitraums meldet. Die Nichterfüllung dieser Meldepflicht kann mit verhältnismäßigen und nicht diskriminierenden Sanktionen geahndet werden.
Art. 7 der Richtlinie 2004/38 sieht unter der Überschrift „Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate“ vor:
„(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er
a) Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder
b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder
c) – bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und
– über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen …
…
(2) Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a, b oder c erfüllt.
…“
Art. 9 der Richtlinie 2004/38 bestimmt unter der Überschrift „Verwaltungsformalitäten für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen“ Folgendes:
„(1) Die Mitgliedstaaten stellen den Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, eine Aufenthaltskarte aus, wenn ein Aufenthalt von über drei Monaten geplant ist.
(2) Die Frist für die Einreichung des Antrags auf Ausstellung der Aufenthaltskarte muss mindestens drei Monate ab dem Zeitpunkt der Einreise betragen.(3) Die Nichterfüllung der Pflicht zur Beantragung einer Aufenthaltskarte kann mit verhältnismäßigen und nicht diskriminierenden Sanktionen geahndet werden.“
Art. 10 der Richtlinie 2004/38 bestimmt unter der Überschrift „Ausstellung der Aufenthaltskarte“:
„(1) Zum Nachweis des Aufenthaltsrechts der Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, wird spätestens sechs Monate nach Einreichung des betreffenden Antrags eine ‚Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers‘ ausgestellt. Eine Bescheinigung über die Einreichung des Antrags auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte wird unverzüglich ausgestellt.
(2) Für die Ausstellung der Aufenthaltskarte verlangen die Mitgliedstaaten die Vorlage folgender Dokumente:
a) gültiger Reisepass;
b) Bescheinigung über das Bestehen einer familiären Beziehung oder einer eingetragenen Partnerschaft;
c) Anmeldebescheinigung des Unionsbürgers, den sie begleiten oder dem sie nachziehen, oder, wenn kein Anmeldesystem besteht, ein anderer Nachweis über den Aufenthalt des betreffenden Unionsbürgers im Aufnahmemitgliedstaat;
d) in den Fällen des Artikels 2 Nummer 2 Buchstaben c und d der urkundliche Nachweis, dass die dort genannten Voraussetzungen vorliegen;
…“
Art. 27 der Richtlinie 2004/38, der in deren Kapitel VI – „Beschränkungen des Einreise- und Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit“ – enthalten ist, bestimmt in Abs. 1 und 2:
„(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Kapitels dürfen die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken. Diese Gründe dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht werden.
(2) Bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und darf ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein. Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne Weiteres diese Maßnahmen nicht begründen.
Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.“
Art. 35 der Richtlinie 2004/38 sieht unter der Überschrift „Rechtsmissbrauch“ vor:
„Die Mitgliedstaaten können die Maßnahmen erlassen, die notwendig sind, um die durch diese Richtlinie verliehenen Rechte im Falle von Rechtsmissbrauch oder Betrug – wie z. B. durch Eingehung von Scheinehen – zu verweigern, aufzuheben oder zu widerrufen. Solche Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein und unterliegen den Verfahrensgarantien nach den Artikeln 30 und 31.“
Mit Art. 38 der Richtlinie 2004/38 sind u. a. die Art. 10 und 11 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2434/92 des Rates vom 27. Juli 1992 (ABl. L 245, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1612/68) aufgehoben worden.
Nationales Recht
Zur Zeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ereignisse waren die Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie 2004/38 in den European Communities (Free Movement of Persons) (n° 2) Regulations 2006 (Verordnung Nr. 2 aus dem Jahre 2006 zu den Vorschriften der Europäischen Gemeinschaften über die Personenfreizügigkeit; im Folgenden: Verordnung von 2006) enthalten, die am 18. Dezember 2006 erlassen wurden und am 1. Januar 2007 in Kraft getreten sind.
Art. 3 Abs. 1 und 2 der Verordnung von 2006 bestimmt:
„(1) Diese Verordnung gilt
a) für Unionsbürger,
b) vorbehaltlich von Abs. 2 für berechtigte Familienangehörige von Unionsbürgern, die selbst keine Unionsbürger sind, und
c) vorbehaltlich von Abs. 2 für zugelassene Familienangehörige von Unionsbürgern.
(2) Die vorliegende Verordnung gilt nur für einen Familienangehörigen, der sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhält und
a) in den irischen Staat in Begleitung eines Unionsbürgers einreisen will, dessen Familienangehöriger er ist, oder
b) einem Unionsbürger nachziehen will, dessen Familienangehöriger er ist und der sich rechtmäßig im irischen Staat aufhält.“
Zu den „berechtigten Familienangehörigen von Unionsbürgern“ im Sinne von Art. 3 der Verordnung von 2006 gehören die Ehegatten von Unionsbürgern.
Die zugrunde liegenden Rechtsstreitigkeiten
Die Rechtssache M…
Herr M…, ein kamerunischer Staatsangehöriger, reiste am 23. Juni 2006 nach Irland ein und beantragte politisches Asyl. Sein Antrag wurde am 28. Februar 2007 endgültig abgelehnt.
Frau N. I…, die bei ihrer Geburt die kamerunische Staatsangehörigkeit besaß, hat die britische Staatsbürgerschaft erworben. Sie wohnt und arbeitet seit Ende 2006 in Irland.
Herr M… und Frau N… I… hatten sich 1994 in Kamerun kennengelernt und unterhalten seitdem eine Beziehung. Sie haben zwei 1998 und 2006 geborene Kinder. Am 12. Oktober 2006 haben sie in Irland geheiratet.
Am 6. November 2006 beantragte Herr M… eine Aufenthaltsgenehmigung als Ehegatte einer in Irland arbeitenden und wohnenden Unionsbürgerin. Sein Antrag wurde mit Entscheidung des Justizministers vom 28. Juni 2007 abgelehnt, weil er die Voraussetzung eines vorherigen rechtmäßigen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung von 2006 nicht erfülle.
Herr M…, Frau N… I… und ihre Kinder haben gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel eingelegt.
Die Rechtssache Ik…
Herr Ik…, der die Staatsangehörigkeit eines Drittlands besitzt, reiste im November 2004 nach Irland ein und beantragte politisches Asyl. Sein Antrag wurde endgültig abgelehnt, und der Justizminister erließ gegen ihn am 15. September 2005 eine Abschiebeverfügung. Das Rechtsmittel gegen diese Abschiebeverfügung wurde vom High Court mit Beschluss vom 19. Juni 2007 zurückgewiesen.
Frau Ik…, die die britische Staatsbürgerschaft besitzt und Unionsbürgerin ist, wohnt und arbeitet seit Oktober 1996 in Irland.
Herr und Frau Ik… haben sich im Dezember 2004 in Irland kennengelernt und dort am 7. Juni 2006 geheiratet.
Am 6. Juli 2006 beantragte Herr I… eine Aufenthaltsgenehmigung als Ehegatte einer in Irland arbeitenden und wohnenden Unionsbürgerin. Sein Antrag wurde mit Entscheidung des Justizministers vom 12. Januar 2007 abgelehnt, weil er sich aufgrund der Abschiebeverfügung vom 15. September 2005 zum Zeitpunkt der Eheschließung unrechtmäßig in Irland aufgehalten habe.
Herr und Frau Ik… haben gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel eingelegt.
Die Rechtssache Ch…
Herr Ch…, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste im Dezember 2005 nach Irland ein und beantragte politisches Asyl. Sein Antrag wurde am 8. August 2006 endgültig abgewiesen. Frau B…, eine deutsche Staatsangehörige, wohnt in Irland.
Herr Ch… und Frau B… haben am 3. Juli 2006 in Irland geheiratet.
Am 1. August 2006 beantragte Herr Ch… beim Justizminister eine Aufenthaltsgenehmigung als Ehegatte einer in Irland arbeitenden und wohnenden Unionsbürgerin. Sein Antrag wurde mit Entscheidung des Justizministers vom 17. April 2007 abgelehnt, weil er die Voraussetzung eines vorherigen rechtmäßigen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung von 2006 nicht erfülle.
Herr Ch… und Frau B… haben gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel eingelegt.
Die Rechtssache Ig…
Herr Ig…, ein nigerianischer Staatsangehörige, reiste am 2. April 2004 nach Irland ein und beantragte politisches Asyl. Sein Antrag wurde am 31. Mai 2005 abgewiesen, und der Justizminister erließ gegen ihn am 15. September 2005 eine Abschiebeverfügung.
Frau Ba…, eine polnische Staatsangehörige, wohnt und arbeitet seit April 2006 in Irland.
Herr Ig… und Frau Ba… haben sich in Irland kennengelernt und dort am 24. November 2006 geheiratet.
Am 27. Februar 2007 beantragte Herr Ig… beim Justizminister eine Aufenthaltsgenehmigung als Ehegatte einer Unionsbürgerin. Sein Antrag wurde mit Entscheidung des Justizministers vom 27. August 2007 abgelehnt, weil er die Voraussetzung eines vorherigen rechtmäßigen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung von 2006 nicht erfülle.
Herr Ig… und Frau Ba… haben gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel eingelegt.
Am 16. November 2007 wurde Herr Ig… festgenommen und zum Zweck der Vollstreckung der gegen ihn ergangenen Abschiebeverfügung inhaftiert. Er ist im Dezember 2007 nach Nigeria ausgewiesen worden.
Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen
Die vier Rechtssachen wurden im Ausgangsverfahren miteinander verbunden.
Alle Kläger machten im Ausgangsverfahren im Wesentlichen geltend, dass Art. 3 Abs. 2 der Verordnung von 2006 gegen die Richtlinie 2004/38 verstoße.
Ihnen zufolge haben Drittstaatsangehörige, die mit Unionsbürgern verheiratet sind, ein von dem Recht des Unionsbürgers abgeleitetes und abhängiges Recht, sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit der betreffende Unionsbürger besitzt, zu bewegen und aufzuhalten, das allein der familiären Beziehung entspringt.
Die Richtlinie 2004/38 regele die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern mit der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats und von ihren Familienangehörigen abschließend, so dass die Mitgliedstaaten nicht berechtigt seien, zusätzliche Voraussetzungen aufzustellen. Da die genannte Richtlinie in keiner Weise die Voraussetzung eines vorherigen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat, wie sie die irische Verordnung aufstelle, vorsehe, stehe diese Verordnung mit dem Gemeinschaftsrecht nicht im Einklang.
Die Kläger des Ausgangsverfahrens vertraten zudem die Ansicht, dass ein Drittstaatsangehöriger, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers werde, während sich dieser Unionsbürger in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit er besitze, aufhalte, diesen Unionsbürger im Sinne von Art. 3 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 begleite.
Der Justizminister erwiderte darauf im Wesentlichen, dass die Richtlinie 2004/38 der in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung von 2006 vorgesehenen Voraussetzung eines vorherigen rechtmäßigen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat nicht entgegenstehe.
Es gebe eine Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft, der zufolge die Mitgliedstaaten für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zuständig seien, sofern diese von außerhalb des Gemeinschaftsgebiets kämen, während die Gemeinschaft dafür zuständig sei, die Freizügigkeit von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft zu regeln.
Die Richtlinie 2004/38 lasse den Mitgliedstaaten somit ein Ermessen, von Drittstaatsangehörigen, die mit einem Unionsbürger verheiratet seien, die Erfüllung der Voraussetzung eines vorherigen rechtmäßigen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat zu verlangen. Dass eine solche Voraussetzung mit dem Gemeinschaftsrecht im Einklang stehe, gehe außerdem aus den Urteilen vom 23. September 2003, Akrich (C-109/01, Slg. 2003, I-9607), und vom 9. Januar 2007, Jia (C-1/05, Slg. 2007, I-1), hervor.
Das vorlegende Gericht betont, dass es sich bei keiner der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ehen um eine Scheinehe handele.
Da der High Court der Auffassung ist, dass die Auslegung der Richtlinie 2004/38 für die Entscheidung im Ausgangsverfahren erforderlich ist, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1.
Erlaubt es die Richtlinie 2004/38/EG einem Mitgliedstaat, eine allgemeine Voraussetzung aufzustellen, wonach sich ein mit einem Unionsbürger verheirateter Drittstaatsangehöriger vor seiner Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten haben muss, um sich auf die Bestimmungen der Richtlinie 2004/38 berufen zu können?
2.
Fällt in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG ein Drittstaatsangehöriger, der
– der Ehegatte eines Unionsbürgers ist, der sich im Aufnahmemitgliedstaat aufhält und eine der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a, b oder c genannten Voraussetzungen erfüllt, und
– sich somit im Aufnahmemitgliedstaat gemeinsam mit dem Unionsbürger als dessen Ehegatte aufhält,
unabhängig davon, wann oder wo die Ehe geschlossen wurde oder wann oder wie der Drittstaatsangehörige in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist ist?
3.
Falls die vorstehende Frage zu verneinen ist, fällt in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG ein mit einem Unionsbürger verheirateter Drittstaatsangehöriger, der
– der Ehegatte eines Unionsbürgers ist, der sich im Aufnahmemitgliedstaat aufhält und eine der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a, b oder c genannten Voraussetzungen erfüllt, und
– sich im Aufnahmemitgliedstaat gemeinsam mit dem Unionsbürger als dessen Ehegatte aufhält und
– unabhängig vom Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist ist und
– anschließend mit dem Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat die Ehe geschlossen hat?
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2004/38 der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach sich ein Drittstaatsangehöriger, der der Ehegatte eines Unionsbürgers ist, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, vor seiner Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat zunächst rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten haben muss, um sich auf die Bestimmungen dieser Richtlinie berufen zu können.
Erstens ist festzustellen, dass keine Bestimmung der Richtlinie 2004/38 deren Anwendung in Bezug auf Familienangehörige von Unionsbürgern von der Voraussetzung abhängig macht, dass diese sich zuvor in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten haben.
Laut ihrem Art. 3 Abs. 1 gilt die Richtlinie 2004/38 für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen Mitgliedstaat als den, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie, die ihn in diesen Mitgliedstaat begleiten oder ihm dorthin nachziehen. Die in Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2004/38 enthaltene Definition der Familienangehörigen unterscheidet nicht danach, ob sich diese bereits rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hatten oder nicht.
Zudem räumen Art. 5, Art. 6 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, den sie in diesen Mitgliedstaat begleiten oder dem sie dorthin nachziehen, das Recht auf Einreise, auf Aufenthalt bis zu drei Monaten und auf Aufenthalt für mehr als drei Monate ein, ohne auf den Ort oder die Bedingungen ihres Aufenthalts vor der Einreise in den betreffenden Mitgliedstaat Bezug zu nehmen.
Insbesondere bestimmt Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2004/38, dass von Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, ein Einreisevisum zu fordern ist, sofern sie nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltskarte gemäß Art. 10 dieser Richtlinie sind. Da, wie aus Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 hervorgeht, die Aufenthaltskarte das Dokument ist, das den Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, das Recht bescheinigt, sich für mehr als drei Monate in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, macht der Umstand, dass der genannte Art. 5 Abs. 2 die Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat hinsichtlich der Familienangehörigen eines Unionsbürgers regelt, die nicht über eine Aufenthaltskarte verfügen, deutlich, dass die Richtlinie 2004/38 auch auf Familienmitglieder Anwendung finden kann, die sich nicht bereits in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten haben.
Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38, der die Dokumente abschließend aufzählt, die Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, im Aufnahmemitgliedstaat gegebenenfalls für die Ausstellung einer Aufenthaltskarte vorlegen müssen, sieht für den Aufnahmemitgliedstaat keine Möglichkeit vor, Dokumente zu verlangen, die belegen, dass sich der Betreffende eventuell vorher rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat.
Unter diesen Umständen ist die Richtlinie 2004/38 in dem Sinne auszulegen, dass sie für jeden Drittstaatsangehörigen gilt, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers im Sinne von Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie ist und den Unionsbürger in einen anderen Mitgliedstaat als den, dessen Staatsangehörigkeit dieser besitzt, begleitet oder diesem dorthin nachzieht, und ihm hinsichtlich dieses Mitgliedstaats das Recht auf Einreise und Aufenthalt verleiht, ohne danach zu unterscheiden, ob sich der betreffende Drittstaatsangehörige bereits rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat oder nicht.
Diese Auslegung wird durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs gestützt, die zu die Freizügigkeit betreffenden Sekundärrechtsakten ergangen ist, die vor der Richtlinie 2004/38 erlassen wurden.
Bereits vor Erlass der Richtlinie 2004/38 hat der Gemeinschaftsgesetzgeber die Bedeutung anerkannt, die der Gewährleistung des Schutzes des Familienlebens der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten für die Beseitigung der Hindernisse bei der Ausübung der vom EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten zukommt (Urteile vom 11. Juli 2002, Carpenter, C-60/00, Slg. 2002, I-6279, Randnr. 38, vom 25. Juli 2002, MRAX, C-459/99, Slg. 2002, I-6591, Randnr. 53, vom 14. April 2005, Kommission/Spanien, C-157/03, Slg. 2005, I-2911, Randnr. 26, vom 31. Januar 2006, Kommission/Spanien, C-503/03, Slg. 2006, I-1097, Randnr. 41, vom 27. April 2006, Kommission/Deutschland, C-441/02, Slg. 2006, I-3449, Randnr. 109, und vom 11. Dezember 2007, Eind, C-291/05, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 44).
Zu diesem Zweck hat er in der Verordnung Nr. 1612/68 und in den vor der Richtlinie 2004/38 erlassenen Richtlinien über die Freizügigkeit die Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der Einreise und des Aufenthalts im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten weitgehend auf die Drittstaatsangehörigen erstreckt, die mit Staatsangehörigen von Mitgliedstaaten verheiratet sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Januar 2006, Kommission/Spanien, Randnr. 41).
Es trifft zu, dass der Gerichtshof in den Randnrn. 50 und 51 des Urteils Akrich entschieden hat, dass sich der mit einem Unionsbürger verheiratete Drittstaatsangehörige, um in den Genuss der Rechte aus Art. 10 der Verordnung Nr. 1612/68 kommen zu können, rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten muss, wenn er sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt, in den der Unionsbürger abwandert oder abgewandert ist. Hieran ist jedoch nicht festzuhalten. Denn der Genuss solcher Rechte kann nicht davon abhängen, dass sich der mit einem Unionsbürger verheiratete Drittstaatsangehörige zuvor in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat (vgl. in diesem Sinne Urteile MRAX, Randnr. 59, und vom 14. April 2005, Kommission/Spanien, Randnr. 28).
Die Richtlinie 2004/38, mit der die Verordnung Nr. 1612/68 geändert wurde und die vorhergehenden Richtlinien über die Freizügigkeit aufgehoben wurden, muss erst recht in diesem Sinne ausgelegt werden. Denn die Richtlinie 2004/38 bezweckt, wie aus ihrem dritten Erwägungsgrund hervorgeht, das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht aller Unionsbürger zu vereinfachen und zu verstärken, so dass es nicht in Betracht kommt, dass die Unionsbürger aus dieser Richtlinie weniger Rechte ableiten als aus den Sekundärrechtsakten, die sie ändert oder aufhebt.
Zweitens steht die vorstehend vorgenommene Auslegung der Richtlinie 2004/38 im Einklang mit der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft.
Es steht nämlich fest, dass der Gemeinschaft aus den Art. 18 Abs. 2 EG, 40 EG, 44 EG und 52 EG – auf deren Grundlage die Richtlinie 2004/38 u. a. erlassen wurde – die Zuständigkeit erwächst, alle Maßnahmen zu erlassen, die erforderlich sind, um die Freizügigkeit der Unionsbürger herzustellen.
Wie bereits in Randnr. 56 des vorliegenden Urteils ausgeführt, würde die Ausübung der Freiheiten, die der Vertrag den Unionsbürgern gewährleistet, schwerwiegend behindert, wenn diese im Aufnahmemitgliedstaat kein normales Familienleben führen dürften.
Folglich kann der Gemeinschaftsgesetzgeber im Rahmen der Zuständigkeit, die ihm die genannten Artikel des Vertrags einräumen, die Voraussetzungen regeln, unter denen die Familienangehörigen eines Unionsbürgers in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen und sich dort aufhalten dürfen, sofern der Unionsbürger dadurch in seiner Freizügigkeit beeinträchtigt sein könnte, dass ihn seine Familie nicht in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nicht dorthin nachziehen darf, weil ihn dies davon abhielte, von seinem Recht Gebrauch zu machen, in diesen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten.
Die Weigerung des Aufnahmemitgliedstaats, den Familienangehörigen eines Unionsbürgers das Recht zur Einreise und zum Aufenthalt einzuräumen, ist aber geeignet, diesen davon abzuhalten, sich in diesen Mitgliedstaat zu begeben oder dort zu bleiben, auch wenn sich seine Familienangehörigen nicht bereits rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhalten.
Demzufolge ist der Gemeinschaftsgesetzgeber dafür zuständig, die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, in Bezug auf den Mitgliedstaat, in dem dieser sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, zu regeln, wie er es mit der Richtlinie 2004/38 getan hat, und zwar auch für den Fall, dass sich dessen Familienangehörige nicht bereits rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten haben.
Die Auffassung, die vom Justizminister sowie von mehreren Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, vertreten worden ist, wonach die Mitgliedstaaten, vorbehaltlich von Titel IV des Dritten Teils des Vertrags, die ausschließliche Zuständigkeit dafür behielten, den erstmaligen Zugang von Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die die Staatsangehörigkeit eines Drittlands besäßen, zum Gemeinschaftsgebiet zu regeln, ist daher zurückzuweisen.
Würde man im Übrigen den Mitgliedstaaten die ausschließliche Zuständigkeit dafür einräumen, Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind und sich nicht bereits in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten haben, die Einreise und den Aufenthalt auf ihrem Hoheitsgebiet zu gestatten oder zu verweigern, so hätte dies zur Folge, dass die Freizügigkeit der Unionsbürger in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, je nach dem nationalen Zuwanderungsrecht unterschiedlich ausgestaltet wäre, weil einige Mitgliedstaaten Familienangehörigen eines Unionsbürgers die Einreise und den Aufenthalt gestatten, während andere ihnen dies verweigern.
Ein solches Ergebnis wäre mit dem in Art. 3 Abs. 1 Buchst. c EG genannten Ziel eines Binnenmarkts, der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist, unvereinbar. Die Schaffung eines Binnenmarkts setzt voraus, dass die Bedingungen, unter denen ein Unionsbürger in einen Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, einreisen und sich dort aufhalten darf, in allen Mitgliedstaaten gleich sind. Folglich ist unter der Freizügigkeit der Unionsbürger das Recht zu verstehen, jeden Mitgliedstaat – insbesondere den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt – zu verlassen, um sich in jedem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, niederzulassen.
Zudem würde die in Randnr. 66 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Auffassung zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass ein Mitgliedstaat aufgrund der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251, S. 12) verpflichtet wäre, dem Ehegatten eines Drittstaatsangehörigen die Einreise in sein Hoheitsgebiet und den Aufenthalt dort zu gestatten, dass er aber dem Ehegatten eines Unionsbürgers die Einreise und den Aufenthalt unter denselben Umständen verweigern dürfte.
Demzufolge verleiht die Richtlinie 2004/38 jedem Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers im Sinne von Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie ist und den Unionsbürger in einen anderen Mitgliedstaat als den, dessen Staatsangehörigkeit dieser besitzt, begleitet oder ihm dorthin nachzieht, unabhängig davon, ob sich der betreffende Drittstaatsangehörige bereits in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat oder nicht, das Recht, in den Aufnahmemitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten.
Der Justizminister sowie mehrere Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, haben jedoch geltend gemacht, dass es in einem von starkem Zuwanderungsdruck geprägten Kontext erforderlich sei, die Zuwanderung an den Außengrenzen der Gemeinschaft zu kontrollieren, was eine individuelle Prüfung aller Umstände voraussetze, die mit der erstmaligen Einreise in das Gebiet der Gemeinschaft verbunden seien. Eine Auslegung der Richtlinie 2004/38, wonach es einem Mitgliedstaat untersagt sei, einen vorherigen rechtmäßigen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat zu verlangen, würde die Fähigkeit der Mitgliedstaaten untergraben, der Zuwanderung an ihren Außengrenzen Herr zu werden.
Der Justizminister trägt insbesondere vor, dass diese Auslegung schwerwiegende Folgen für die Mitgliedstaaten hätte, da sie zu einem enormen Anstieg der Zahl der Personen, die ein Recht auf Aufenthalt in der Gemeinschaft beanspruchen könnten, führen würde.
Dem ist entgegenzuhalten, dass zum einen nicht alle Drittstaatsangehörigen aus der Richtlinie 2004/38 das Recht ableiten, in einen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten, sondern nur diejenigen, die im Sinne von Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, indem er sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, niedergelassen hat.
Zum anderen nimmt die Richtlinie 2004/38 den Mitgliedstaaten nicht jegliche Möglichkeit, die Einreise der Familienangehörigen von Unionsbürgern in ihr Hoheitsgebiet zu kontrollieren. Denn aufgrund von Kapitel VI dieser Richtlinie dürfen die Mitgliedstaaten, wenn dies gerechtfertigt ist, die Einreise und den Aufenthalt aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit verweigern. Eine solche Weigerung muss aber auf eine individuelle Prüfung des Einzelfalls gestützt werden.
Zudem dürfen die Mitgliedstaaten nach Art. 35 der Richtlinie 2004/38 die Maßnahmen erlassen, die notwendig sind, um die durch diese Richtlinie verliehenen Rechte im Falle von Rechtsmissbrauch oder Betrug – wie z. B. durch Eingehung von Scheinehen – zu verweigern, aufzuheben oder zu widerrufen, vorausgesetzt, dass solche Maßnahmen verhältnismäßig sind und den Verfahrensgarantien dieser Richtlinie unterliegen.
Nach Auffassung der genannten Regierungen würde diese Auslegung der Richtlinie 2004/38 zu einer nicht gerechtfertigten umgekehrten Diskriminierung führen, da Angehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die niemals von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätten, aus dem Gemeinschaftsrecht für ihre Familienangehörigen, die die Staatsangehörigkeit eines Drittlands besäßen, nicht die gleichen Rechte auf Einreise und Aufenthalt ableiten könnten.
Nach ständiger Rechtsprechung sind die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit und die zur Durchführung dieser Bestimmungen erlassenen Maßnahmen nicht auf Tätigkeiten anwendbar, die keine Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Gemeinschaftsrecht abstellt, und die mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen (Urteil vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, C-212/06, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 33).
Der Umstand, dass die vorgenannten Unionsbürger hinsichtlich der Einreise und des Aufenthalts von Familienangehörigen möglicherweise anders behandelt werden als diejenigen, die von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, fällt daher nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts.
Zudem ist daran zu erinnern, dass alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sind, in deren Art. 8 das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verankert ist.
Auf die erste Frage ist daher zu antworten, dass die Richtlinie 2004/38 der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach sich ein Drittstaatsangehöriger, der der Ehegatte eines Unionsbürgers ist, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, vor seiner Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten haben muss, um sich auf die Bestimmungen dieser Richtlinie berufen zu können.
Zur zweiten Frage
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Ehegatte eines Unionsbürgers, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, indem er sich in einem Mitgliedstaat niedergelassen hat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 den betreffenden Unionsbürger begleitet oder ihm nachzieht und sich somit unabhängig von dem Ort und dem Zeitpunkt der Eheschließung und den Umständen, unter denen er in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist ist, auf die Bestimmungen dieser Richtlinie berufen kann.
Einleitend ist daran zu erinnern, dass die Richtlinie ihren Erwägungsgründen 1, 4 und 11 zufolge die Ausübung des elementaren und persönlichen Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, das den Unionsbürgern unmittelbar aus dem Vertrag erwächst, erleichtern soll.
Zudem sollte, wie im fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 hervorgehoben wird, das Recht aller Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, wenn es unter objektiven Bedingungen in Freiheit und Würde ausgeübt werden soll, auch den Familienangehörigen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit gewährt werden.
In Anbetracht des Kontexts und der Ziele der Richtlinie 2004/38 dürfen deren Bestimmungen nicht eng ausgelegt und keinesfalls ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Eind, Randnr. 43).
Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 gilt diese Richtlinie für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.
Die Art. 6 und 7 der Richtlinie 2004/38, die das Recht auf Aufenthalt bis zu drei Monaten bzw. das Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate betreffen, verlangen ebenfalls, dass die Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, den betreffenden Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat „begleiten“ oder ihm dorthin „nachziehen“, um ein Aufenthaltsrecht beanspruchen zu können.
Erstens verlangt keine dieser Vorschriften, dass der Unionsbürger zu dem Zeitpunkt, zu dem er sich in den Aufnahmemitgliedstaat begibt, bereits eine Familie gegründet hat, damit seine Familienangehörigen, die die Staatsangehörigkeit eines Drittlands besitzen, die mit dieser Richtlinie geschaffenen Rechte in Anspruch nehmen können.
Indem er vorgesehen hat, dass die Familienangehörigen eines Unionsbürgers diesem in den Aufnahmemitgliedstaat nachziehen können, hat der Gemeinschaftsgesetzgeber im Gegenteil anerkannt, dass der Unionsbürger möglicherweise erst, nachdem er sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, eine Familie gründet.
Diese Auslegung steht im Einklang mit der Zielsetzung der Richtlinie 2004/38, die die Ausübung des den Unionsbürgen zustehenden elementaren Rechts erleichtern soll, sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, aufzuhalten. Denn wenn ein Unionsbürger eine Familie gründet, nachdem er sich im Aufnahmemitgliedstaat niedergelassen hat, könnte die Weigerung dieses Mitgliedstaats, seinen Familienangehörigen, die die Staatsangehörigkeit eines Drittlands besitzen, zu gestatten, ihm in den Aufnahmemitgliedstaat nachzuziehen, diesen davon abbringen, sich weiter dort aufzuhalten, und ihn veranlassen, den Aufnahmemitgliedstaat zu verlassen, um ein Familienleben in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittland zu führen.
Demzufolge haben Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, aufgrund der Richtlinie 2004/38 das Recht, diesem in den Aufnahmemitgliedstaat nachzuziehen, gleichgültig, ob dieser sich dort niedergelassen hat, bevor oder nachdem er eine Familie gegründet hat.
Zweitens muss geprüft werden, ob der Drittstaatsangehörige, der in den Mitgliedstaat eingereist ist, bevor er Familienangehöriger eines dort ansässigen Unionsbürgers geworden ist, diesen begleitet oder ihm nachzieht im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38.
Es spielt keine Rolle, ob Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist sind, bevor oder nachdem sie Familienangehörige des Unionsbürgers wurden, da die Weigerung des Aufnahmemitgliedstaats, ihnen ein Aufenthaltsrecht einzuräumen, gleichermaßen geeignet ist, den betreffenden Unionsbürger davon abzuhalten, sich weiter in diesem Mitgliedstaat aufzuhalten.
In Anbetracht der Notwendigkeit, die Bestimmungen der Richtlinie 2004/38 nicht eng auszulegen und diese nicht ihrer praktischen Wirksamkeit zu berauben, muss der in Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie verwendete Begriff „Familienangehörige [eines Unionsbürgers], die ihn begleiten“ folglich dahin gehend ausgelegt werden, dass er sowohl die Familienangehörigen eines Unionsbürgers umfasst, die mit diesem in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist sind, als auch diejenigen, die sich mit ihm dort aufhalten, ohne dass im zweiten Fall danach zu unterscheiden wäre, ob die Drittstaatsangehörigen vor oder nach dem Unionsbürger oder bevor oder nachdem sie dessen Familienangehörige wurden, in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist sind.
Würde die Richtlinie 2004/38 nur auf Familienangehörige eines Unionsbürgers angewandt, die diesen „begleiten“ oder ihm „nachziehen“, käme dies folglich einer Beschränkung des Einreise- und Aufenthaltsrechts von Familienangehörigen eines Unionsbürgers auf den Mitgliedstaat gleich, in dem dieser sich aufhält.
Hat ein Drittstaatsangehöriger, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, aufgrund der Richtlinie 2004/38 das Recht, in den Aufnahmemitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten, darf der Aufnahmemitgliedstaat dieses Recht nur unter Beachtung der Art. 27 und 35 dieser Richtlinie beschränken.
Der genannte Art. 27 ist insbesondere dann zu beachten, wenn der Mitgliedstaat gegen den Drittstaatsangehörigen eine Sanktion verhängen möchte, weil dieser unter Verstoß gegen die nationalen Zuwanderungsbestimmungen in sein Hoheitsgebiet eingereist ist und/oder sich dort aufgehalten hat, bevor er Familienangehöriger eines Unionsbürgers wurde.
Auch wenn der Erlass von Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit im Sinne von Art. 27 der Richtlinie 2004/38 aufgrund des persönlichen Verhaltens des Betreffenden nicht gerechtfertigt ist, behält der Mitgliedstaat jedoch das Recht, gegen diesen andere Sanktionen zu verhängen, die die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht nicht beeinträchtigen, wie etwa eine Geldbuße, sofern sie verhältnismäßig sind (vgl. in diesem Sinne Urteil MRAX, Randnr. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Drittens enthält weder Art. 3 Abs. 1 noch irgendeine andere Bestimmung der Richtlinie 2004/38 Anforderungen hinsichtlich des Orts der Eheschließung zwischen dem Unionsbürger und dem Drittstaatsangehörigen.
Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 dahin gehend auszulegen ist, dass sich ein Drittstaatsangehöriger, der der Ehegatte eines Unionsbürgers, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, ist und diesen Unionsbürger begleitet oder ihm nachzieht, auf die Bestimmungen dieser Richtlinie unabhängig davon berufen kann, wann oder wo ihre Ehe geschlossen wurde oder wie der betreffende Drittstaatsangehörige in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist ist.
Zur dritten Frage
In Anbetracht der Antwort auf die zweite Vorlagefrage ist die dritte Frage nicht zu beantworten.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
1.
Die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG steht der Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, wonach sich ein Drittstaatsangehöriger, der der Ehegatte eines Unionsbürgers ist, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, vor seiner Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten haben muss, um sich auf die Bestimmungen dieser Richtlinie berufen zu können.
2.
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 ist dahin gehend auszulegen, dass sich ein Drittstaatsangehöriger, der der Ehegatte eines Unionsbürgers, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, ist und diesen Unionsbürger begleitet oder ihm nachzieht, auf die Bestimmungen dieser Richtlinie unabhängig davon berufen kann, wann oder wo ihre Ehe geschlossen wurde oder wie der betreffende Drittstaatsangehörige in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist ist.