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Beweislast für Zulässigkeit eines Einspruchs

BGH – Az.: I ZR 51/80 – Urteil vom 05.12.1980

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen den Beklagten Zahlungsansprüche in Höhe von insgesamt 7.000,– DM geltend.

Das Landgericht hat entsprechend dem Antrag der Klägerin am 18. Mai 1978 ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten erlassen. Am 23. Mai 1978 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle zwecks Zustellung des Versäumnisurteils an den Beklagten persönlich eine Ausfertigung des Urteils zur Post gegeben. Ebenfalls am 23. Mai 1978 ist bei der Geschäftsstelle ein Schriftsatz vom 18. Mai 1978 der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten eingegangen, mit dem diese sich für den Rechtsstreit als seine Prozeßbevollmächtigten bestellten und darum baten, das Versäumnisurteil ihnen zuzustellen. Einen Tag später, am 24. Mai 1978, ist die Zustellung des Versäumnisurteils an den Beklagten erfolgt. Eine Zustellung des Urteils an die Prozeßbevollmächtigten des Beklagten ist von der Geschäftsstelle nicht veranlaßt worden.

Mit Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom 14. Juli 1978 hat der Beklagte gegen das Versäumnisurteil Einspruch eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist beantragt. Zum Wiedereinsetzungsgesuch hat er geltend gemacht, er sei davon ausgegangen, daß seinen Prozeßbevollmächtigten eine Ausfertigung des Versäumnisurteils vom Gericht unmittelbar zugehen würde; die Prozeßbevollmächtigten hätten den Auftrag gehabt, alsdann unverzüglich Einspruch einzulegen.

Das Landgericht hat durch Urteil vom 28. Juni 1979 das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat den Einspruch gegen das Versäumnisurteil als rechtzeitig und damit zulässig angesehen. Dazu hat es ausgeführt, daß die Zustellung vom 24. Mai 1978 die Einspruchsfrist des § 339 ZPO nicht in Lauf gesetzt habe. Denn es lasse sich nicht mehr feststellen, ob die Geschäftsstelle bereits bei Veranlassung der Zustellung an den Beklagten persönliche Kenntnis von der am selben Tage erfolgten Anwaltsbestellung gehabt habe. Diese Unaufklärbarkeit gehe zu Lasten der Klägerin.

Die Klägerin hat gegen dieses am 29. August 1979 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 27. September 1979 Berufung eingelegt und beantragt, unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils das Versäumnisurteil vom 18. Mai 1978 aufrechtzuerhalten. Sie hat unter anderem die Ansicht vertreten, daß der Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil verspätet erfolgt sei. Der Beklagte hat geltend gemacht, es müsse davon ausgegangen werden, daß sich der Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom 18. Mai 1978 spätestens bei Dienstbeginn am 23. Mai 1978 in der Geschäftsstelle befunden habe.

Das Berufungsgericht hat das Urteil des Landgerichts vom 28. Juni 1979 aufgehoben und die Sache zur Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch des Beklagten vom 14. Juli 1978 an das Landgericht zurückverwiesen.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte den Antrag auf Klageabweisung weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

I. Gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen entgegen der Ansicht der Revision keine Bedenken. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, daß die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 27. September 1979 eingelegte Berufung wirksam ist. Zwar war die Berufungsschrift infolge eines Versehens im Büro der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin an das Landgericht adressiert und diesem am 28. September 1979 zugeleitet worden. Die Berufungsschrift ist jedoch von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle der Berufungskammer des Landgerichts sofort an das zuständige Oberlandesgericht umadressiert und an dieses weitergeleitet worden. Bei dem Berufungsgericht ist sie sodann am 1. Oktober 1979, einem Montag und damit noch innerhalb der Berufungsfrist (§§ 516, 222 Abs 2 ZPO), eingegangen. Danach ist die Berufungsschrift fristgemäß „durch Einreichung bei dem Berufungsgericht“ eingelegt worden, wie es § 518 Abs 1 ZPO vorschreibt. Daß das Landgericht die Weiterleitung der Berufungsschrift ohne Nachfrage bei den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin und somit ohne entsprechenden Auftrag ausführte, ist unschädlich. Entscheidend ist allein, daß, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, die Weiterleitung an das Berufungsgericht und damit der Zugang der Berufungsschrift bei diesem Gericht dem wirklichen Willen der Klägerin bzw ihrer Prozeßbevollmächtigten entsprach.

II. Zu Recht wendet sich die Revision aber gegen die Annahme des Berufungsgerichts, der Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 18. Mai 1978 müsse aus Gründen der Beweislast als unzulässig behandelt werden, weil der Beklagte nicht habe beweisen können, daß der Bestellungsschriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten schon bei Beginn der Urteilszustellung dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Landgerichts vorgelegen habe. Damit hat das Berufungsgericht die an den Beklagten für den Nachweis der Zulässigkeit des Einspruchs zu stellenden Anforderungen überspannt.

Die Zulässigkeit des Einspruchs, eine Prozeßfortsetzungsbedingung, hat der Richter auch noch im Revisionsrechtszug von Amts wegen zu prüfen, und zwar unabhängig davon, in welcher Instanz das Versäumnisurteil erlassen wurde (BGH, Urt v 29.6.1976 – III ZR 22/75 = NJW 1976, 1940). Bei dieser Prüfung ist im Streitfall mit dem Berufungsgericht zunächst davon auszugehen, daß der Einspruch des Beklagten vom 14. Juli 1978 wegen Versäumung der Einspruchsfrist, § 339 Abs 1 ZPO, unzulässig wäre, falls die Zustellung des Versäumnisurteils an den Beklagten persönlich wirksam war. Dabei beurteilt sich die Wirksamkeit der Zustellung des Versäumnisurteils nach § 176 ZPO. Nach dieser Vorschrift muß in einem anhängigen Rechtsstreit die Zustellung eines Urteils an den für den Rechtszug bestellten Prozeßbevollmächtigten erfolgen; anderenfalls ist die Zustellung unwirksam und beginnt die Einspruchsfrist bzw Rechtsmittelfrist nicht zu laufen. Jedoch setzt die Pflicht des Gerichts, Urteilszustellungen an die Verfahrensbevollmächtigten zu richten, erst ein mit der Kenntnis des Gerichts von der Bestellung (BGH, Urt v 29.10.1973 – Senat für Notarsachen = BGHZ 61, 308, 310). Diese Kenntnis muß dem Gericht bis spätestens zu Beginn der Zustellung vermittelt worden sein. Maßgebend ist danach, ob die Geschäftsstelle in dem Zeitpunkt, in dem sie nach § 211 ZPO verfährt, also das Urteil zur Post gibt oder dem Gerichtswachtmeister aushändigt, Kenntnis von der Bestellung des Prozeßbevollmächtigten hat bzw haben müßte (BAG DB 1977, 919, 920; Stein/Jonas, ZPO, 19. Aufl, § 176 III 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 39. Aufl, § 176 Anm 2 B). Nach den vom Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Landgericht getroffenen Feststellungen ist es im Streitfall ungewiß und nicht aufklärbar, ob der Bestellungsschriftsatz der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten am 23. Mai 1978 in der Geschäftsstelle des Landgerichts vor oder nach dem Zeitpunkt eingegangen ist, in dem das Versäumnisurteil vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zur Post gegeben worden ist. Diese Feststellungen sind nicht zu beanstanden. Den Akten ist kein irgendwie gearteter Hinweis auf die zeitliche Reihenfolge beider sich am selben Tag abspielender Vorgänge zu entnehmen, und die dienstliche Äußerung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle läßt die Möglichkeit offen, daß bei der Herausgabe des Urteils zur Post der Bestellungsschriftsatz der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten bereits in der Geschäftsstelle vorgelegen und dann aber übersehen oder nicht beachtet worden sein könnte. Auch ist eine weitere Aufklärung der Vorgänge vom 23. Mai 1978 ersichtlich nicht möglich.

Soweit das Berufungsgericht aber im Gegensatz zum Landgericht aus der Unaufklärbarkeit des zeitlichen Ablaufs von Eingang des Bestellungsschriftsatzes in der Geschäftsstelle des Landgerichts und Beginn der Urteilszustellung gefolgert hat, daß dies zu Lasten des Beklagten gehe und deshalb die Zustellung des Versäumnisurteils am 24. Mai 1978 als wirksam anzusehen sei, kann dem nicht zugestimmt werden. Allerdings trägt im Grundsatz der Einsprechende die Beweislast für die Zulässigkeit des Einspruchs (vgl Stein/Jonas, aaO, § 341 Anm I 1c; vgl für die Rechtzeitigkeit der Berufung BGH, Urt v 28.6.1977 – VI ZR 195/76 = VersR 1977, 967, 968; BGH, Beschl v 25.10.1979 – III ZB 13/79 = VersR 1980, 90, 91 mwN). Demgemäß hat regelmäßig der Einsprechende darzutun und zu beweisen, daß die Geschäftsstelle vor Zustellungsbeginn von der Anwaltsbestellung in Kenntnis gesetzt wurde, wenn er sich darauf beruft, daß das Urteil an den Prozeßbevollmächtigten und nicht an ihn persönlich hätte zugestellt werden müssen. Dabei darf ihm jedoch nicht auch die Beweislast für Vorgänge aufgebürdet werden, die er nicht aufklären kann, weil sie sich ausschließlich im gerichtsinternen Bereich abgespielt haben und ihm daher unbekannt sind, und deren Unaufklärbarkeit allein in den Verantwortungsbereich des Gerichts fällt. Die gegenteilige Auffassung widerspräche auch unter Berücksichtigung der Belange des Einspruchsgegners dem verfassungsrechtlichen Gebot des effektiven Rechtsschutzes, nach dem der Zugang zu Gericht nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf (vgl BGH, Urt v 25.10.1979 aaO). Danach durfte das Berufungsgericht keine nachteilige Beweislastfolge für den Beklagten daraus herleiten, daß der Eingang des Bestellungsschriftsatzes seiner Prozeßbevollmächtigten bereits vor Zustellungsbeginn in der Geschäftsstelle zwar einerseits nicht ausgeschlossen, aber andererseits auch nicht nachweisbar ist. Der zeitliche Ablauf des Eingangs des Schriftsatzes vom 18. Mai 1978 in der Geschäftsstelle am 23. Mai 1978 und der Herausgabe des Versäumnisurteils zur Post am selben Tag durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ist ein ausschließlich gerichtsinterner Vorgang, in den der Beklagte keinen Einblick hatte und den aufzuklären und nachzuweisen er keine Möglichkeit hat. Folglich muß davon ausgegangen werden, daß gem § 176 ZPO die Zustellung des Versäumnisurteils an die Prozeßbevollmächtigten des Beklagten hätte erfolgen müssen und die stattdessen an den Beklagten persönlich veranlaßte Zustellung unwirksam gewesen ist.

Dem steht nicht die Postzustellungsurkunde vom 24. Mai 1978 entgegen, auf die das Berufungsgericht maßgeblich abgestellt hat. Denn die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde erstreckt sich jedenfalls nicht darauf, daß die Geschäftsstelle die Urteilszustellung an den nach den §§ 170ff ZPO richtigen Adressaten veranlaßt hat. Die von dem Zustellungsbeamten (§§ 211, 212 ZPO) bezeugte Tatsache ist insoweit allein, wer Adressat des Urteils war, nicht dagegen auch, ob die Geschäftsstelle den Adressaten der Sendung unter Beachtung der §§ 170ff ZPO benannt hatte.

III. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben. Die Sache war zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das nunmehr über die geltend gemachten Ansprüche zu entscheiden haben wird.

 

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