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Beweisverwertungsverbot – Videogeschwindigkeitsmessung

 AG Grimma

Az.: 3 OWi 166 Js 35228/09

Beschluss vom 31.08.2009


1. Der Betroffene wird freigesprochen.

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.

Gründe

a)

Der Betroffene war freizusprechen. Die vorgeworfene Ordnungswidrigkeit war dem Betroffenen nicht nachzuweisen. Der Betroffene hat die Fahrereigenschaft nicht zugestanden. Zu einer Überführung wäre eine Verwertung des Beweisfotos notwendig. Bezüglich dieses Beweismittels besteht aber ein Verwertungsverbot. Rechtsgrundlage für das Handeln der Polizei bei der Kontrolle und der Aufnahme des Beweismittels sollen laut Auskunft der Landesdirektion Chemnitz vom 25.08.09 §§ 46 I OwiG, 100 h I Nr. 1 StPO in Verbindung mit einem Erlass des sächsischen Staatsministeriums des Innern sein.

Diese Rechtsgrundlage entspricht nicht dem vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Beschluss 2 BvR 941/08 geforderten Ansprüchen an eine gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

b)

Das BVerfG hat in seinem Beschluss ausgeführt, die Rechtsauffassung, die mittels einer Videoaufzeichnung vorgenommene Geschwindigkeitsmessung könnte auf einen Erlass eines Ministeriums gestützt werden, sei unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar und daher willkürlich, die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.

In seiner Begründung hat das Gericht ausgeführt, in der vom Beschwerdeführer angefertigten Videoaufzeichnung liege ein Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Durch die Aufzeichnung würden die beobachteten Lebensvorgänge technisch fixiert. Sie könnten später zu Beweiszwecken abgerufen, aufbereitet und ausgewertet werden. Eine Identifizierung des Fahrers sei möglich und beabsichtigt. Auf den gefertigten Bildern seien das Kennzeichen des Fahrzeugs und der Fahrzeugführer deutlich zu erkennen.

Die Rechtsauffassung des AG und des OLG, Rechtsgrundlage für einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung könne ein Erlass des Wirtschaftsministeriums sein zur Überwachung des Sicherheitsabstandes, sei verfehlt und unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar. Bei dem Erlass handele es sich um eine Verwaltungsvorschrift und damit um eine verwaltungsinterne Maßnahme. Diese könne für sich aber keinen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung rechtfertigen, da dieser einer formell gesetzlichen Grundlage bedürfe. Eine verwaltungsinterne Regelung aber stelle kein Gesetz im Sinne des Art 20 GG dar und sei Gegenstand und nicht Maßstab der richterlichen Kontrolle.

Vielmehr habe der Gesetzgeber und damit das Parlament über einen solchen Grundrechtseingriff zu beschließen und dessen Voraussetzungen, Umfang und Grenzen klar festzulegen.

Eine – wie vom BVerfG gefordert – formell gesetzliche Grundlage für die Abstandsmessung ist, wie oben ausgeführt, auch in Sachsen zurzeit nicht gegeben. Die Ermächtigungsgrundlage § 100 h StPO meint die Herstellung von Bildern zur Observation, wie sich aus dem Zusammenhang mit I Nr. 2 ergibt. Die Fertigung von Bildern zur Beweissicherung und Auswertung fällt nicht unter diese Vorschrift (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., zum gleichlautenden § 100 f a.F.).

c)

Nach den allgemeinen strafprozessualen Grundsätzen, die über § 46 I OwiG auch für das Ordnungswidrigkeitenverfahren gelten, kann aus einem Beweiserhebungs- auch ein Beweisverwertungsverbot folgen. Dieses ist, wenn ein Verwertungsverbot nicht ausdrücklich geregelt ist, im Einzelfall zu entscheiden. Hierbei ist zu beachten, ob das Beweismittel auch auf ordnungsgemäßen Wege ebenso sicher hätte erlangt werden können, weil „Verwertungsverbote zwar dem Schutz von Individualinteressen dienen, doch Einschränkungen anzuerkennen sind, wenn das schützenswerte Gut auch legalen Eingriffen ausgesetzt sein könnte“ (vgl. Meyer-Goßner, OwiG, 14. Aufl., § 46 RN 10 c). Je gravierender die Rechtsverletzung bei der Beweisgewinnung, umso eher kommt ein Beweisverwertungsverbot in Betracht (vgl. Hentschel-König, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 26 RN 2).

Nach dem oben Ausgeführten ist unter Berücksichtigung der Ausführungen des BVerfG (Unvertretbarkeit der Auffassung des AG unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt) nach der heutigen Gesetzeslage einem Beweiserhebungs- und auch -verwertungsverbot auszugehen. Eine den Anforderungen des BVerfG entsprechende Rechtsgrundlage für die Aufnahmen ist nicht ersichtlich.

Hierbei ist auch die Rechtssprechung des BVerfG und des OLG Dresden zur Blutentnahme zur BAK-Feststellung und dem Richtervorbehalt zu beachten. Wenn aus dem Verstoß gegen den Richtervorbehalt ein Beweisverwertungsverbot folgt, muss dieses erst recht bei einer fehlenden Gesetzesgrundlage gelten. Zwar sind die Folgen nach dem OWiG geringer als diejenigen des Strafrechts, weshalb nicht jedes Beweisverwertungsverbot nach der StPO auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren gilt, allerdings haben weder BVerfG noch OLG auch nur in einem Nebensatz festgesetzt, dass im BAK Fall für Ordnungswidrigkeiten kein Verwertungsverbot gelten könnte.

11

Über den vom BVerfG entschiedenen Fall der Videoüberwachung aber gilt das Verwertungsverbot auch für jede Art von Verkehrsverstößen, bei welchen eine Identifizierung des Fahrers nur mittels des Tatbildes möglich ist, d.h. auch für Geschwindigkeitsmessungen (stationär und mobil außer Lasermessungen) und stationäre Rotlichtüberwachung. Auch in diesen Fällen müssen die Ausführungen des BVerfG Anwendung finden. Auch diese Aufzeichnungen werden technisch fixiert als Beweismittel und dienen der Identifizierung des Fahrzeuges und des Fahrzeugführers. Auch in diesen Fällen sind Kennzeichen, Fahrzeug und Fahrzeugführer deutlich zu erkennen. Hier kann nichts anderes gelten als bei den vom BVerfG angegriffenen Videoaufzeichnungen.

Das BVerfG hat sich ausdrücklich nicht darauf gestützt, dass (nur) die Aufzeichnung von Verkehrsteilnehmern unzulässig sei, welche keine Verstöße begangen haben oder, dass die Messung ohne konkreten Anfangsverdacht durchgeführt wurde, sondern beruft sich ausschließlich auf die Rechte des Betroffenen, der unstreitig einen Verstoß begangen hat. Die Tatsache, dass bei den „Blitzern“ nur diejenigen aufgezeichnet werden, welche Verstöße begehen, ist daher nicht relevant. Auch hat sich das BVerfG nicht auf die Daueraufzeichnung eines Videos bezogen. Im Urteil ist ausdrücklich von „Bildern“ zur Identifizierung die Rede, nicht nur vom Video.

Spätestens mit Aufzeichnung der Daten, die ein Verhalten als bußgeldbewehrte Zuwiderhandlung erkennen lassen, ist der Beginn eines personenbezogenen Bußgeldverfahrens anzunehmen. In diesem Augenblick greift dann aber auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung mit den vom BVerfG ausgeführten Konsequenzen.

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