Leitsätze:
1. Bei einem einem polizeilichen Vermerk handelt es sich um eine öffentliche Urkunde iSd § 415 Abs. 1 ZPO.
2. Ein Haftbefehl ist eine öffentliche Urkunde über amtliche Anordnungen, Verfügungen oder Entscheidungen iSd § 417 ZPO.
3. Die inhaltliche Richtigkeit der in einer Urkunde enthaltenen Erklärungen und Beschreibungen, also die Wahrheit der dort getroffenen Aussagen und Stellungnahmen, kann durch die Urkunde nicht bewiesen werden, sondern unterliegt der freien Beweiswürdigung iRv § 286 ZPO.
4. Voraussetzung der Beweiskraft aus § 418 ZPO ist, dass die zur Beurkundung berufene Amtsperson die bekundete Tatsache entweder selbst verwirklicht oder aufgrund eigener Wahrnehmung zuverlässig festgestellt haben muss; auf Schlussfolgerungen oder das Ergebnis einer rechtlichen Bewertung bezieht sich die förmliche Beweiswirkung des § 418 ZPO hingegen nicht (BGH BeckRS 2012, 7668).
5. § 258 StGB schützt die deutsche Strafrechtspflege mit ihrer Aufgabe, den staatlichen Strafanspruch und die Maßnahmen iSd § 11 Abs. 1 Nr. 8 ZPO im Interesse einer wirkungsvollen Verbrechensbekämpfung durchzusetzen; der Normzweck betrifft daher das Gemeininteresse, individuelle Interessen sind nicht geschützt.
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 75.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin macht gegen den Beklagten einen Schmerzensgeldanspruch geltend.
Die Klägerin ist die Mutter der am Montag, den 07.05.2001, im Alter von neun Jahren verschwundenen … aus …, Landkreis … wurde zuletzt von mehreren Zeugen gegen 13:24 Uhr am … lebend gesehen. Von da an verlor sich ihre Spur.
Die Staatsanwaltschaft … führte unter dem Az … ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes zum Nachteil von …. Es kam zu einer Anklageerhebung gegen …, der nach einem Indizienprozess mit Urteil des Landgerichts … vom 30.04.2004 wegen Mordes zum Nachteil von … zu lebenslanger Freiheitsstrafe und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verurteilt wurde. Am 09.12.2013 ordnete das Landgericht … ein Wiederaufnahmeverfahren an. Mit Urteil vom 14.05.2014 hob es das Urteil des Landgerichts … aus dem Jahr 2004 auf, soweit … wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden war, und sprach ihn frei. Der Freispruch ist rechtskräftig.
Im Sommer 2016 wurden in einem Waldstück in der Nähe von … in … (ca. 16 km von … entfernt) die sterblichen Überreste von … aufgefunden. Damit bestand Gewissheit, dass … unmittelbar nach ihrem Verschwinden verstorben sein musste.
Darüber hinaus begannen erneut intensive Ermittlungsmaßnahmen, um das Verbrechen zum Nachteil von … aufklären zu können. Die Staatsanwaltschaft … führte unter dem Az. … ein Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten.
Am 12.09.2018 wurde der Beklagte durch die Polizei als Beschuldigter vernommen. In seiner Vernehmung gab der Beklagte an, den leblosen Körper von … am 07.05.2018 in einem Bushäuschen in … von … übernommen, in ein Waldstück verbracht und dort abgelegt zu haben. Durch die ermittelnden Beamten der KPI … wurden die Angaben des Beklagten in einem Aktenvermerk vom 05.12.2018 auszugsweise wiedergegeben (Anlage K7).
Unter dem 10.12.2018 erließ das Amtsgericht … Haftbefehl gegen den Beklagten (Anlage K5). Im Rahmen dieses Haftbefehls wurde dem Beklagten zur Last gelegt, am 07.05.2001 gegen 13.24 Uhr im Ortszentrum von … auf … getroffen zu sein und sie sodann im Bereich … zwischen 13.24 Uhr und 15.17 Uhr getötet zu haben, um ein im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang oder wenige Tage zuvor an ihr begangenes Sexualdelikt zu verdecken, wozu auch das Verbringen der Leiche im Wald bei … gedient habe.
Am Tag nach der Inhaftierung, am 11.12.2018, widerrief der Beklagte vor dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts … sein in der Vernehmung am 12.09.2018 abgegebenes Teilgeständnis.
Der Beklagte legte gegen den Haftbefehl Beschwerde ein, woraufhin das Amtsgericht … den Haftbefehl mit Beschluss vom 24.12.2018 im Abhilfeverfahren aufhob (Anlage B4). Gegen die Aufhebung des Haftbefehls legte dann die Staatsanwaltschaft … Beschwerde ein. Das Landgericht … wies die Beschwerde der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 13.02.2019 als unbegründet zurück (Anlage K6). In den Gründen führte das Landgericht … u.a. aus, dass das Teilgeständnis des Beklagten vom 12.09.2018 gegen diesen verwendet werden könne, jedoch nach derzeitigem Stand der Ermittlungen der dringende Tatverdacht hinsichtlich der Begehung eines Mordes zum Nachteil … durch den Beklagten nicht bestehe.
Mit Verfügung vom 16.10.2020 stellte die Staatsanwaltschaft … das Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten ein.
Die Klägerin behauptet, aus dem Geständnis des Beklagten vom 12.09.2018 gehe hervor, dass der Beklagte zeitnah nach dem Verschwinden von … Kenntnis davon gehabt habe, wo sich ihre sterblichen Überreste befinden. Demzufolge hätte bereits im Jahre 2001 der Klägerin Gewissheit geben können, dass ihr Kind verstorben ist.
Indem der Beklagte bewusst verschwiegen habe, dass … verstorben ist und den Leichnam allein in ein Waldstück verbracht habe, sei er maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich die Klägerin 15 Jahre mit dem Gedanken habe quälen müssen, was mit ihrem Kind geschehen sei und wo dieses ist oder was ihm gerade passieren könne.
Die Klägerin sei 15 Jahre lang zwischen Hoffnung, Sorge und Angst gefangen und nicht in der Lage gewesen, einen ordentlichen Abschluss der Geschehnisse und eine Bewältigung dieses furchtbaren erlitten Traumas zu finden.
Bis zum Auffinden der sterblichen Überreste ihrer Tochter sei die Klägerin massiven Angriffen aus der Öffentlichkeit ausgesetzt gewesen. Es sei im Laufe der Jahre immer wieder, z.B. in Internetforen, der Verdacht geäußert worden, die Klägerin selbst hätte etwas mit dem Verschwinden ihrer Tochter zu tun.
Die psychischen Belastungen seien erheblich verstärkt worden, als im Jahr 2006 der Fall der N. K. bekannt geworden sei.
Wegen der massiven psychischen Belastungen (Schlaflosigkeit, Depressionen, Angstzustände, Schweißausbrüche, Rückzug aus der Öffentlichkeit, Empfinden einer inneren Leere und Unruhe) durch das Verschwinden des Kindes und die 15 Jahre, in denen das Schicksal des Kindes ungeklärt gewesen sei und sich die Klägerin immer wieder besonderen Anfeindungen in der Öffentlichkeit ausgesetzt gesehen habe, habe sich die Klägerin zunächst nach dem Verschwinden für mehrere Wochen ab dem 11.05.2001 in einer therapeutischen Einrichtung in … und später dann in psychiatrischer Behandlung befunden, die mit Unterbrechungen seit 2014 regelmäßig fortgeführt werde.
Die Klägerin leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung und an Depressionen. Ihr seien seit 2001 regelmäßig Medikamente verschrieben worden, die sie tagsüber und in der Nacht eingenommen habe und einnehme, damit sie den Alltag bewältigen, ihre Ängste beherrschen, zur Ruhe kommen und Schlaf finden könne.
Die Angstzustände, die bereits mit dem Verschwinden am 07.05.2001 begonnenen hätten, hätten sich von Mal zu Mal verstärkt und im Jahr 2006 zu einer Tachykardie – einer Erkrankung des Herzens – bei der Klägerin geführt, die seitdem fortbestehe.
Da nach dem Auffinden der sterblichen Überreste von … im Jahr 2016 die Berichterstattung in den Medien massiv zugenommen habe, seien die Angstzustände bei der Klägerin wieder akuter worden.
Der Beklagte habe billigend in Kauf genommen, dass die Klägerin auf Grund seines Schweigens in diesem langen Zeitraum nie einen Abschluss erhalte, die Aufklärung des Sachverhaltes erschwert oder gar unmöglich werde und dadurch die Klägerin nie erfahre, ob ihr Kind verstorben sei oder ob es noch lebe und weitere Qualen leide.
Indem der Beklagte das Kind in den Wald verbracht und nicht mitgeteilt habe, wo sich die sterblichen Überreste befanden, sei der Beklagte ursächlich für die der Klägerin entstandenen psychischen Belastungen, insbesondere die posttraumatische Belastungsstörung und die darin begründete Tachykardie.
Die Klägerin habe erst nach Erlass des Beschlusses des Landgerichts … am 13.02.2019 und danach erfolgter Akteneinsicht im Jahr 2019 durch ihre Prozessbevollmächtigte erstmals Kenntnis davon erlangt, dass der Beklagte für die Verbringung der sterblichen Überreste der Tochter der Klägerin verantwortlich sei.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass der Beklagte sich durch das Verbringen und das Ablegen des Leichnams im Wald, der Störung der Totenruhe gemäß § 168 StGB strafbar gemacht habe. Allein die Tatsache, dass dies ein Vergehen darstelle, welches bereits 3 Jahre nach Tatbegehung verjähre, habe dazu geführt, dass es zu keiner Anklageerhebung gegen den Beklagten bezüglich dieses Straftatbestandes gekommen sei.
Da das Handeln des Beklagten ursächlich für die erlittenen seelischen Schmerzen und psychischen Qualen der Klägerin sei, stehe ihr ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 1 und § 823 Abs. 2 BGB, § 253 BGB auf Zahlung von Schmerzensgeld zu.
Für den dauerhaften psychischen Stress über mehr als 15 Jahre, der durch die Ungewissheit ausgelöst worden sei, sei ein Schmerzensgeld von mindestens 75.000,00 € (15 Jahre × 5.000,00 €) angemessen.
Die Klägerin beantragt: Die beklagte Partei wird verurteilt, an die klägerische Partei ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichtes gestelltes Schmerzensgeld mindestens 75.000,00 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt: Die Klage wird abgewiesen.
Der Beklagte bestreitet, dass er den Leichnam der Tochter der Klägerin übernommen und weggeschafft habe.
Das Teilgeständnis hinsichtlich der Verbringung der Leiche am 12.09.2018, welches er lediglich auf Druck der Ermittler abgegeben habe, sei tatsächlich vollumfänglich falsch.
Als der Beklagte am 13.09.2018, also unmittelbar nach seiner Vernehmung am 12.09.2018, bei seinem Prozessbevollmächtigten – seinem damaligen Verteidiger – vorstellig geworden sei, habe er sofort erzählt, dass er am gestrigen Tag, da er sich nicht anders zu helfen gewusst habe, den Ermittlern eine falsche Geschichte erzählt habe. Diese wolle er sofort widerrufen.
Der Prozessbevollmächtigte, der zu diesem Zeitpunkt weder den Beklagten noch den Ermittlungsinhalt gekannt habe, habe jedoch von einem sofortigen Widerruf abgeraten, da er sich zunächst ein umfangreiches Bild über den Fall habe verschaffen und nach Möglichkeit zuerst auch Akteneinsicht habe erlangen wollen. Dies sei der einzige Grund, weshalb der Widerruf des falschen Geständnisses vom 12.09.2018 erst am 10.12.2018, also am Tag der Inhaftierung des Beklagten, erfolgt sei.
Selbst wenn man unterstelle, dass das Teilgeständnis des Beklagten in seiner Vernehmung vom 12.09.2018 verwertbar und wahr sei, so erschließe sich in keinster Weise, woraus sich darauf eine Selbstanzeigepflicht des Beklagten gegenüber der Klägerin ergeben solle. Eine Rechtsverletzung oder ein Verstoß gegen ein Schutzgesetz sei nicht ersichtlich.
Das von der Klägerin geltend gemachte Schmerzensgeld sei – selbst wenn die Voraussetzungen hierfür gegeben wären – bei weitem überhöht angesetzt. Der Beklagte bestreitet, dass die von der Klägerin behaupteten gesundheitlichen Folgen – unterstellt dass sie tatsächlich circa 15 Jahre lang nicht gewusst habe, dass ihre Tochter wohl bereits im Jahr 2001 verstorben ist – aufgrund dieses Umstands gravierend schlimmer ausgefallen seien, als wenn sie bereits unmittelbar nach dem Verschwinden ihrer Tochter von deren Tod erfahren hätte. Die Klägerin wäre selbst wenn sie bereits unmittelbar nach dem Verschwinden ihrer Tochter im Jahre 2001 von deren Tod und deren Verbleib erfahren hätte, nicht davor gefeit gewesen, von dritten Personen verdächtigt zu werden, etwas mit dem Verschwinden und dem Tod ihres Kindes zu tun zu haben. Die Vorwürfe gegen die Klägerin in der Öffentlichkeit hätte es sicherlich ebenfalls gegeben, da allein durch das Auffinden des Leichnams ihrer Tochter ja in keinster Weise die tatsächlichen Umstände ihres Verschwindens und ihres Todes aufgeklärt worden seien.
Der Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Die Klägerin habe spätestens seit einer Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft B.vom 21.09.2018, in der der vollständige Name des Beklagten genannt worden sei, Kenntnis von der Person des Beklagten erlangt, so dass etwaige Ansprüche der Klägerin bereits mit Ablauf des Jahres 2021 verjährt seien.
Schließlich ist der Beklagte der Auffassung, etwaige Ansprüche der Klägerin seien zumindest verwirkt. Die Klägerin habe bis zur Klageerhebung keine Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüche an den Beklagten herangetragen. Der Beklagte habe daher mit einer Inanspruchnahme nicht mehr rechnen müssen.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird ergänzend auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.04.2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
I.
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht … ist örtlich zuständig, weil der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand i.S.v. § 12, § 13 ZPO im Gerichtsbezirk hat. Die sachliche Zuständigkeit folgt aus § 1 ZPO i.V.m. § 23 Abs. 1, § 71 Abs. 1 GVG.
II.
Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Schmerzensgeld aus § 823 BGB zu.
1. Kein Nachweis des behaupteten haftungsbegründenden Sachverhalts
Die Klage basiert auf der strittigen Behauptung der Klägerin, dass der Beklagte die Leiche ihrer Tochter … im Wald abgelegt hat (und niemanden – auch nicht durch einen anonymen Hinweis – darüber informiert hat). Dass der Beklagte die Leiche verbracht hat, konnte die Klägerin, die die Darlegungs- und Beweislast für alle anspruchsbegründenden Umstände trägt, jedoch nicht zur Überzeugung der Kammer nachweisen.
a) Die von der Klägerin in Bezug genommenen Urkunden (Anlagen K5 bis K7) sind nicht geeignet, den vollen Beweis der streitigen Tatsachen zu erbringen.
Bei dem Haftbefehl des Amtsgerichts … vom 10.12.2018 (Anlage K5), der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts … vom 13.02.2019 (Anlage K6) und dem polizeilichen Aktenvermerk vom 05.12.2018 (Anlage K7) handelt es sich zwar um öffentliche Urkunden i.S.v. §§ 415 ff. ZPO.
Diese öffentlichen Urkunden erbringen aber über die Richtigkeit ihrer Begründungen weder nach § 415 ZPO noch nach § 417 ZPO oder § 418 ZPO Beweis.
Urkunden erbringen im Zivilprozess nach allgemeiner Auffassung allenfalls formelle (äußere), nicht aber materielle (innere) Beweiskraft. Damit ist gemeint, dass die inhaltliche Richtigkeit der in der Urkunde enthaltenen Erklärungen und Beschreibungen, also die Wahrheit der dort getroffenen Aussagen und Stellungnahmen durch eine Urkunde nicht bewiesen werden kann, sondern letztlich der freien Beweiswürdigung im Rahmen von § 286 ZPO unterliegt (vgl. BeckOK ZPO/Krafka, 52. Ed., 01.03.2024, ZPO, § 415, Rn. 7).
aa) Eine Urkunde, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse in der vorgeschriebenen Form aufgenommen ist, begründet nach § 415 Abs. 1 ZPO, wenn sie über eine vor der Behörde abgegebene Erklärung errichtet ist, den vollen Beweis des beurkundeten Vorgangs.
Die unter den Voraussetzungen des § 415 Abs. 1 ZPO gegebene Beweiskraft erstreckt sich darauf, dass alle Erklärungen vollständig und richtig nach Inhalt und Begleitumständen (Zeit, Ort) wiedergegeben sind. Ob die Erklärung inhaltlich richtig ist, ist dagegen nicht von der Beweiskraft des § 415 Abs. 1 ZPO umfasst, sondern obliegt der freien gerichtlichen Würdigung nach § 286 ZPO (vgl. Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 45. Aufl., 2024, ZPO, § 415, Rn. 5).
Die Beweiskraft des § 415 Abs. 1 ZPO betrifft nur sog. Erklärungsurkunden, also solche, die über eine vor der Behörde oder der Urkundsperson abgegebene Erklärung Dritter errichtet sind. Die Beweiskraft von sonstigen öffentlichen Urkunden, in denen die Wahrnehmung anderer Vorgänge oder Handlungen des Urkundenausstellers bezeugt werden, bestimmt sich nach § 418 ZPO (sog. Zeugnisurkunden). Öffentliche Urkunden, die eigene Erklärungen bzw. Maßnahmen der Behörde beinhalten (bewirkende Urkunden), unterfallen demgegenüber § 417 ZPO (vgl. MüKoZPO/Schreiber, 6. Aufl., 2020, ZPO, § 415, Rn. 24; BeckOK ZPO/Krafka, 52. Ed., 01.03.2024, ZPO, § 415, Rn. 6).
Danach handelt es sich bei dem polizeilichen Aktenvermerk vom 05.12.2018 (Anlage K7) um eine öffentliche Urkunde gemäß § 415 Abs. 1 ZPO. Soweit darin die Aussage des Beklagten aus seiner Beschuldigtenvernehmung vom 12.09.2018 wiedergegeben ist, greift die Beweisregel des § 415 Abs. 1 ZPO ein. Es ist daher zugrundezulegen, dass die Aussagen des Beklagten im Aktenvermerk richtig wiedergegeben wurden. Dies ist vorliegend unproblematisch, da der Beklagte selbst nicht bestreitet, dass er diese Aussagen in seiner Vernehmung am 12.09.2018 getätigt hat.
Nicht von der formellen Beweiskraft des § 415 Abs. 1 ZPO erfasst ist jedoch die Frage der inhaltlichen Richtigkeit der im Aktenvermerk festgehaltenen Aussagen. Ob die Aussagen des Beklagten also tatsächlich der Wahrheit entsprechen, hat das Gericht im Rahmen des § 286 ZPO zu beurteilen.
bb) Der Haftbefehl des Amtsgerichts … vom 10.12.2018 (Anlage K5) und die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts … vom 13.02.2019 (Anlage K6) stellen öffentliche Urkunden über amtliche Anordnungen, Verfügungen oder Entscheidungen i.S.v. § 417 ZPO dar.
§ 417 ZPO enthält für derartige öffentliche Urkunden eine Beweisregel, die besagt, dass die öffentliche Urkunde „vollen Beweis ihres Inhalts“ begründet. „Vollen Beweis ihres Inhalts“ zu begründen bedeutet in prozessrechtlicher Hinsicht, dass die Anordnung, Verfügung oder Entscheidung tatsächlich erlassen wurde und hierbei denjenigen Inhalt hat, der sich aus der Urkunde ergibt und unter den in der betroffenen Urkunde angegebenen Umständen ergangen ist, also Beweis erbringt auch hinsichtlich Aussteller oder Entscheidungsperson, Ort und Zeit (BVerwG, NVwZ-RR 2013, 125; OLG Frankfurt a. M., NJOZ 2019, 670). Weitere Angaben, wie insbesondere Entscheidungsgründe, in welchen die Rechtslage beschrieben wird, sind als Motive für § 417 ZPO irrelevant und daher von der Beweiskraft der Urkunde nicht umfasst (OLG Frankfurt a. M., NJOZ 2019, 670), soweit sie nicht im Entscheidungstenor enthalten sind (vgl. BeckOK ZPO/Krafka, 52. Ed., 01.03.2024, ZPO, § 417, Rn. 4-7; Anders/Gehle, 82. Aufl., 2024, ZPO, § 417, Rn. 4).
Keine Bedeutung hat § 417 ZPO für die Frage der sachlichen Richtigkeit der in der Urkunde beschriebenen Umstände. Inwieweit der Urkunde auch insoweit Bedeutung zukommt, hat das Gericht daher in freier Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO zu entscheiden (BGH, NJW 1980, 1000; NJW-RR 2012, 823, Rn. 21).
Daraus folgt, dass die Klägerin aus den Entscheidungen des Amts- und Landgerichts … (Anlagen K5 und K6) keine Beweiskraft für die Richtigkeit ihrer Behauptung, der Beklagte habe die Leiche in den Wald verbracht, herleiten kann.
cc) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in §§ 415, 417 ZPO bezeichneten Inhalt haben, begründen gemäß § 418 Abs. 1 ZPO vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen (sog. Zeugnisurkunden). Beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson, so bestimmt § 418 Abs. 3 ZPO, dass § 418 Abs. 1 ZPO nur dann anzuwenden ist, wenn sich aus den Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist.
Voraussetzung der Beweiskraft aus § 418 ZPO ist also, dass die zur Beurkundung berufene Amtsperson die bekundete Tatsache entweder selbst verwirklicht oder auf Grund eigener Wahrnehmung zuverlässig festgestellt haben muss. Auf Schlussfolgerungen oder das Ergebnis einer rechtlichen Bewertung bezieht sich die förmliche Beweiswirkung des § 418 ZPO hingegen nicht (vgl. BGH, NJOZ 2009, 4763, Rn. 8; NJW-RR 2012, 823, Rn. 21).
Soweit man also davon ausgeht, dass die Entscheidungen des Amts- und Landgerichts … (Anlagen K5 und K6) – neben § 417 ZPO – auch § 418 ZPO unterfallen, begründen diese Urkunden jedenfalls keinen Beweis dahingehend, dass der vom Amtsgericht … im Haftbefehl vom 10.12.2018 angenommene Tatverdacht tatsächlich auch der Wahrheit entspricht. Dies muss schon deshalb ausscheiden, weil im Haftbefehl eben „nur“ ein dringender Tatverdacht angenommen wird, der gerade noch keine volle Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit der Tatsachen erfordert. Gleiches gilt für den Beschluss des Landgerichts … vom 13.02.2019. Auch dort wird hinsichtlich der Verbringung der Leiche allenfalls ein Tatverdacht bejaht, nicht jedoch eine Überzeugung des Gerichts. Das Landgericht … verweist vielmehr ausdrücklich darauf, dass die endgültige Bewertung einer Hauptverhandlung vorbehalten bleiben müsse. Auch dass das Landgericht … zu der rechtlichen Einschätzung gelangt, dass die Angaben des Beklagten aus seiner Beschuldigtenvernehmung vom 12.09.2018 gegen diesen verwertet werden können, begründet keine Beweiskraft i.S.d. § 418 ZPO hinsichtlich der Wahrheit des von der Klägerin im hiesigen Verfahren behaupteten Geschehensablaufs.
b) Mangels Eingreifens einer aus, §§ 415 ff. ZPO folgenden Beweiskraft hat die Kammer gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob die Behauptung der Klägerin, dass der Beklagte die Leiche ihrer Tochter übernommen und im Wald abgelegt hat, für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist.
Die Kammer kann sich unter Berücksichtigung aller Umstände jedoch keine Überzeugung von der Richtigkeit der klägerischen Behauptungen bilden.
aa) Im Ausgangspunkt verkennt die Kammer nicht, dass der Beklagte in seiner Vernehmung am 12.09.2018 eingeräumt hat, dass erden Leichnam von … in den Wald gebracht habe. So hat er angegeben, dass er mit seinem Pkw von … an einem Bushäuschen in der Poststraße in … angehalten worden sei und den leblosen Körper der … im Bushäuschen vorgefunden habe. Er habe erfolglos den Versuch einer Reanimation durch Mund-zu-Mund-Beatmung unternommen. Von … sei er unter Druck gesetzt worden, den Leichnam wegzubringen. Daraufhin habe er eine rote Decke aus seinem Pkw geholt, den Leichnam darin eingewickelt und in den Kofferraum seines Pkw gebracht. Später sei er mit seinem Pkw ein Stück weit gefahren, in einen Waldweg abgebogen, habe den Leichnam in der Decke aus dem Kofferraum entnommen, diesen ein Stück weit in den Wald hineingetragen und die Leiche dort abgelegt.
Dass der Beklagte diese Angaben, die in der Ermittlungsakte … der Staatsanwaltschaft … dokumentiert sind, getätigt hat, begründet ein gewisses Indiz dafür, dass sich das Geschehen so abgespielt hat, wie es der Beklagte ursprünglich geschildert hat.
Dies gilt umso mehr, als die Schilderungen des Beklagten an einigen Stellen spezielle Details aufweisen, was im Allgemeinen als Kriterium für die Glaubhaftigkeit einer Aussage herangezogen werden kann. So berichtete der Beklagte in seiner Vernehmung etwa von dem Wortlaut der Äußerungen, mit denen der … den Beklagten angehalten und um Hilfe gebeten hat. Ein anderes Detail ist z.B. die rote Decke, in die er den Leichnam zum Zwecke des Transports eingewickelt habe. Die rote Decke wurde zuvor nicht von den Vernehmungsbeamten durch Vorhalte o.ä. eingeführt, sondern vom Beklagten von sich aus erwähnt.
bb) Auf der anderen Seite muss aber berücksichtigt werden, dass der Beklagte sein „Teilgeständnis“ hinsichtlich der Verbringung der Leiche anlässlich der Eröffnung des Haftbefehls des Amtsgerichts … vom 10.12.2018 widerrufen hat.
Sicherlich ist allein der Widerruf einer Aussage nicht ohne Weiteres geeignet, die vorher getätigte Aussage vollständig aus der Welt zu schaffen und zu entwerten. Es kommt insoweit entscheidend darauf an, wie der Widerruf begründet wird. Ein ohne substanzielle Begründung erfolgter Widerruf einer Aussage ist weniger geeignet, die ursprüngliche Aussage in Frage zu stellen, als ein plausibel und nachvollziehbar begründeter Widerruf.
Der Beklagte hat hier zu den Gründen des Widerrufs seines „Teilgeständnisses“ durchaus plausiblen Vortrag erstattet. Er trägt insoweit vor, dass er sich im Zuge des fast zehnstündigen Verhörs einem immensen Druck durch die Ermittler ausgesetzt gesehen habe und dass er dann, da er sich nicht mehr anders zu helfen gewusst habe, den Ermittlern eine falsche Geschichte erzählt habe.
Dass der Beklagte am 12.09.2018 aufgrund der Vernehmungssituation unter einem erheblichen Druck gestanden hat, ist im Grundsatz nachvollziehbar. Soweit das Landgericht … im Beschluss vom 13.02.2019 ausgeführt hat, der Videoaufzeichnung der Vernehmung sei kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass vorliegend Druck auf den Beklagten ausgeübt worden wäre, ist diese Bewertung des Landgerichts … in dem spezifischen Kontext zu sehen, in dem sie vorgenommen wurde. Das Landgericht … hatte im Rahmen des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls gegen den Beklagten vorliegen und musste in diesem Zusammenhang die rechtliche Wertung vornehmen, ob das Teilgeständnis des Beklagten vom 12.09.2018 als Beweismittel zur Begründung des dringenden Tatverdachts genutzt werden konnte. Dies hat das Landgericht … bejaht, indem es ausführte, dass kein (unzulässiger) Druck auf den Beklagten ausgeübt worden war.
Auch wenn sich also aus der Vernehmung bzw. deren Verschriftung keine Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass die Vemehmungsbeamten einen Druck ausgeübt hätten, der zur Überschreitung gesetzlicher Grenzen bezüglich der Vernehmungsmethoden geführt hätte, steht nach Auffassung der Kammer gleichwohl außer Frage, dass ein Befragungsdruck auf den Beklagten aufgebaut wurde. Die Kammer kann jedenfalls nicht ausschließen, dass vom Beklagten in der damaligen Situation ein erheblicher Druck empfunden worden ist, wie er es auch in seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 18.04.2024 zum Ausdruck gebracht hat.
Dass es zur Abgabe falscher Geständnisse bzw. falscher Zeugenaussagen kommen kann, weil der Aussagende dem Erwartungsdruck der Vernehmungspersonen genügen und sich der unangenehmen Situation entziehen will, ist als allgemeines Phänomen bekannt. Es kann im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen werden, dass auch die Aussage des Beklagten am 12.09.2018, wie er behauptet, auf diese Weise zustande gekommen ist.
Der Beklagte hat – von der Klägerin nicht bestritten – vorgetragen, dass er schon am 12.09.2018, nachdem er nach der Vernehmung nach Hause gekommen war, gegenüber seiner Frau gesagt habe, dass er nur irgendeine Geschichte erzählt habe und dass er am 13.09.2018, also unmittelbar nach seiner Vernehmung am 12.09.2018, bei seinem jetzigen Prozessbevollmächtigten vorstellig geworden sei und erzählt habe, dass er da er sich nicht anders zu helfen gewusst habe, den Ermittlern eine falsche Geschichte erzählt habe, die er sofort widerrufen wolle. Weiter trägt der Beklagte vor, dass ihm sein Prozessbevollmächtigter von einem sofortigen Widerruf abgeraten habe, da er sich zunächst Akteneinsicht sowie ein umfassendes Bild von dem Fall habe verschaffen wollen. Das sei der einzige Grund, weshalb der Widerruf des Geständnisses erst am Tag der Inhaftierung erfolgt sei.
Damit hat der Beklagte nachvollziehbar begründet, aus welchem Grund er seine Angaben aus der Vernehmung vom 12.09.2018 nicht sofort widerrufen hat. Er hat sich unmittelbar in anwaltliche Beratung begeben. Der Widerruf wurde erklärt, nachdem mit dem Haftbefehl des Amtsgerichts … ein unmittelbarer Anlass hierfür entstanden war. Das Zustandekommen des Widerrufs des Teilgeständnisses ist somit plausibel begründet. Umstände, die das vom Beklagten vorgetragene Zustandekommen des Widerrufs widerlegen, sind nicht ersichtlich.
Freilich kann die Kammer nicht ausschließen, dass der Beklagte nach seiner Vernehmung am 12.09.2018 bereut hat, die geständige Einlassung hinsichtlich der Verbringung der Leiche gemacht zu haben und dass er deshalb den Plan gefasst hat, das Teilgeständnis nach Möglichkeit wieder aus der Welt zu schaffen und in Ausführung dieses Plans direkt im Anschluss seiner Frau mitgeteilt hat, er habe ein falsches Geständnis abgelegt, um auf diese Weise seinen Widerrufsplan möglichst glaubwürdig umzusetzen. Auch das unmittelbare Aufsuchen eines anwaltlichen Beistands könnte selbstverständlich in diese Richtung gedeutet werden. Genauso gut denkbar ist jedoch, dass der Beklagte tatsächlich unter dem Eindruck eines unter Druck abgegeben erfundenen Geständnisses gehandelt hat und sich deswegen zunächst seiner Frau und dann am darauffolgenden Tag seinem Anwalt anvertraut hat. Auch der Umstand, dass der Widerruf nicht sofort erfolgte, ist, wie bereits erörtert, plausibel begründet. Von daher erscheint es aus Sicht der Kammer nach dem tatsächlichen Ablauf möglich, dass sich der Beklagte, wie er behauptet, die Einlassung zur Verbringung der Leiche tatsächlich in der vom ihm als Drucksituation empfundenen mehrstündigen Vernehmung ausgedacht hat.
cc) Über die vorstehend dargestellten Umstände hinaus sind weitere Gesichtspunkte festzustellen, die den Vortrag des Beklagten hinsichtlich der Unwahrheit seines Geständnisses vom 12.09.2018 stützen bzw. die geeignet sind, Zweifel an der Wahrheit der Angaben des Beklagten in der Vernehmung am 12.09.2018 zu begründen.
(1) Zunächst ist das Zustandekommen des Geständnisses hinsichtlich der Leichenverbringung in den Blick zu nehmen.
Bereits ab Beginn der Vernehmung verwies der Beklagte immer wieder darauf, dass er sich nicht erinnern könne. Es sei ein Tag wie jeder andere gewesen. Jegliche Beteiligung an der Tötung oder der Verbringung der Leiche stritt er ab. Gegen 10.50 Uhr äußert er dann: „Weil ich die ganze Zeit überleg, ob ich euch nur sage, ich hab sie weggeschafft, bloß, dass ich meine Ruhe hab.“ (Vernehmungsniederschrift S. 59, Bl. 316 d.A. …).
Anschließend beteuert der Beklagte wieder, er könne sich nicht erinnern und es mache doch keinen Sinn, eine Geschichte zu erfinden, er könne sich nichts zusammendichten. Ab. ca. 11.16 Uhr beginnt der Beklagte dann im Konjunktiv über seine mögliche Beteiligung an der Verbringung der Leiche zu sprechen, z.B. wie folgt: „Also, wenn ich irgendwas zu tun, beteiligt gewesen sein sollte, dann allerhöchstens so, dass ich wirklich unter dem Druck gehandelt hab und hab ihm geholfen die Leiche zu verschaffen. Also das ist das Einzige, wo ich tätig gewesen sein könnte.“ (Vernehmungsniederschrift S. 69 ff., S. 73, Bl. 326 ff., 330 d.A. …). Im Anschluss erwägt der Beklagte wiederholt Teile seiner später geschilderten Geschichte, äußert aber zugleich mehrmals, dass er sich an nichts erinnern könne (z.B.: „Es könnte durchaus gewesen sein, dass ich dann raus in die Scheune gefahren bin und er hat mich angehalten.“ – Vernehmungsniederschrift S. 79, Bl. 336 d.A. …; „Na, aber da müsste ja die … auch dort gewesen sein, wenn er mit der irgendwas gemacht hat. Wie gibts’n das; passt ja auch wieder nicht zusammen. Ich weiß nicht, wie ich das in Verbindung bring.“ – Vernehmungsniederschrift S. 80, Bl. 337 d.A. …; „Na, dass das so war, dass er mich am Bushäuschen angehalten hat und ich hab die wiederbelebt im Bushäuschen und das ist nix geworden und unter dem Druck und alles. Aber da müsst ich mich doch wenigstens an irgendwelche Details, ich meine, sowas macht man doch nicht und vergisst das. Das gibt’s doch überhaupt gar nicht.“ – Vernehmungsniederschrift S. 91, Bl. 348 d.A. …).
Um ca. 12.37 Uhr äußert der Beklagte dann: „Ich glaub, der hat mich damals wirklich am Bushaus angehalten und hat gesagt, die … rührt sich nimmer …“ (Vernehmungsniederschrift S. 103, Bl. 360 d.A. …). Um ca. 12.42 Uhr: „Ja, das muss so gewesen sein, dass ich raus in die Scheune gefahren bin und der … hat mich angehalten.“ (Vernehmungsniederschrift S. 105, Bl. 362 d.A. …). Um ca. 12.54 Uhr dann: „Ich weiß, dass ich, ich hab immer eine Decke im Auto gehabt und ich glaube ich hab sie in die Decke gewickelt und bin dann einfach gefahren. Und der hat mich angefleht, ich soll’s keinem sagen, ich soll’s keinem sagen.“ (Vernehmungsniederschrift S. 107, Bl. 364 d.A. …).
Im Weiteren Verlauf äußert der Beklagte dann auf Fragen der Vernehmungsbeamten immer weitere Angaben, bis er ab ca. 14.35 Uhr das Geschehen so wiedergibt, wie es auch in der Klageschrift unter Bezugnahme auf den Aktenvermerk vom 05.12.2018 dargestellt ist (Vernehmungsniederschrift S. 150 ff., Bl. 407 ff. d.A. …).
Gegen Ende der Vernehmung äußert der Beklagte dann: „Es ist einfach so, dass ich die ganze Story da jetzt mir erdacht habe, weil, weil um nicht, um jetzt aus der Schlinge zu gehen für irgendwas. Es ist ja nur des Zeitfenster da offen und wenn ich an dem Tatort gewesen sein soll, wo die verbracht worden ist, aber ich habe keinen Film im Kopf dazu.“ (Vemehmungsniederschrift S. 281, Bl. 538 d.A. …).
Aus dieser Entstehungsgeschichte der Aussage lassen sich gewisse Zweifel ableiten, ob diese auf tatsächlichen Erinnerungen des Beklagten basiert. Der Beklagte betont immer wieder, dass er keine Erinnerung habe. Dennoch schildert er nach und nach in der stundenlangen Vernehmung einen Ablauf, gibt aber am Ende wiederum an, er habe sich die Geschichte erdacht. Dies ist zumindest ein Indiz, welches für eine erfundene Aussage sprechen könnte, die sich der Beklagte angesichts des Erwartungsdrucks der Vernehmungspersonen ausgedacht hat.
(2) Beachtenswert sind auch die Angaben des Beklagten in Bezug auf die Schuhe der ….
Um ca. 15.10 Uhr hält ein Vernehmungsbeamter dem Beklagten vor, dass … zum Zeitpunkt ihres Verschwindens „schwarze Plateau-Schuhe“ getragen habe (Vernehmungsniederschrift S. 171, Bl. 428 d.A. …). Dann äußerte der Beklagte, er wisse nicht, was sie für Schuhe angehabt habe (Vernehmungsniederschrift S. 180, Bl. 437 d.A. …). Um ca. 17.32 Uhr hielt der Staatsanwalt dem Beklagten vor, dass dort, wo die Überreste von … gelegen haben, keine Schuhe gefunden worden seien und fragte den Beklagten ob er hierfür eine Erklärung geben könne. Der Beklagte antwortete: „Na gut, die lagen im Auto und ich hab sie mit eingeschürt.“ (Vernehmungsniederschrift S. 252, Bl. 509 d.A. …). Im weiteren Verlauf erstreckt sich die Vernehmung darauf, ob und wann … Schuhe getragen hat oder nicht und wo diese sich befunden haben (Vernehmungsniederschrift S. 252 ff., Bl. 509 ff. d.A. …). Der Beklagte konnte keine zuverlässigen Angaben dazu machen, ob … Schuhe getragen hat und wann diese ihr ausgezogen wurden. Er äußerte dann auf die Frage, wo er die Schuhe hingetan habe, dass er sie „mit dem Schulranzen mit weg“ habe (Vernehmungsniederschrift S. 254, Bl. 511 d.A. …). Dann wurde der Beklagte zu Art und Aussehen der Schuhe befragt, bevor an ihn die Frage gerichtet wurde, ob er sich hundertprozentig sicher sei, dass er die Schuhe verbrannt habe, woraufhin der Beklagte antwortete: „Nein. Ich weiß nicht, was mit den Schuhen war.“ (Vernehmungsniederschrift S. 255, Bl. 512 d.A. …). Dann wurden dem Beklagten die Schuhe vorgehalten und an ihn die Frage gerichtet, wo die Polizei die gefunden habe. Der Beklagte antwortete: „Das weiß ich nicht.“ und „Im Container?“ Daraufhin hielt ihm der Kriminalbeamte vor: „Hä? Was raten Sie denn jetzt rum?“, worauf der Beklagte wiederum erwiderte: „Weil ich’s nicht weiß. Ich weiß nicht, was mit den Schuhen war“ (Vernehmungsniederschrift S. 256, Bl. 513 d.A. …).
Auffällig ist, dass der Beklagte immer wieder auf seine fehlende Erinnerung hinweist und dann angibt, er habe die Schuhe „mit dem Schulranzen weg“. Den Schulranzen will er in seinem Ofen verbrannt haben. Tatsächlich wurden jedoch die Schuhe in der Nähe des Ablageorts der Leiche in ca. 15 Metern Entfernung, versteckt unter einem Baumstumpf, gefunden. Die Angabe des Beklagten, er habe die Schuhe (mit dem Schulranzen) verbrannt, war also schlichtweg falsch. Hinzu kommt, dass er auf wiederholte Nachfrage meinte, die Schuhe seien im Container. Auch dabei handelte es sich ersichtlich um eine falsche Angabe, was der vernehmende Polizeibeamte auch dem Beklagten sofort vorwarf, indem er fragte, warum der Beklagte denn jetzt anfange zu raten. Letztlich lässt sich das Zustandekommen der Aussagen in Bezug auf die Schuhe dahingehend deuten, dass der Beklagte der Polizei eine Antwort präsentieren wollte, wobei er sogar nachweisbar falsche Angaben machte.
(3) Soweit sich die Klägerin darauf beruft, der Beklagte habe in seiner Vernehmung am 12.09.2018 Täterwissen preisgegeben, was für die Wahrheit seiner Angaben spreche, ist dieser Schluss nicht zwingend.
Der Beklagte hat zwar im Laufe der Vernehmung einen Ablauf geschildert, der Elemente enthält, die ihm nicht von den Vernehmungsbeamten vorgegeben oder vorgehalten, geschweige denn in den Mund gelegt wurden. So etwa die Übernahme der Leiche am Bushäuschen mit dem Versuch der Wiederbelebung oder der Einsatz der roten Decke beim Transport der Leiche. Bei nüchterner Betrachtung sind diese Umstände aber nicht derart einzigartig und originell, dass dem Beklagten nicht zuzutrauen wäre, sich diese ausgedacht zu haben. Eindeutiges Täterwissen wäre z.B. gewesen, dass die Schuhe in einiger Entfernung zur Leiche unter einem Baumstumpf versteckt wurden. Gerade dies konnte der Beklagte aber nicht angeben (s.o.).
An verschiedenen Stellen waren die Angaben des Beklagten zudem auffällig lückenhaft und oberflächlich.
Bezüglich des Schulranzens, den … zum Zeitpunkt ihres Verschwindens bei sich gehabt hatte, erklärte der Beklagte – nachdem er zuvor vielfach auf fehlende Erinnerung hingewiesen hatte – auf wiederholte Nachfrage um ca. 17.18 Uhr: „Ich hab daheim im Haus einen alten Ofen gehabt und da habe ich den Müll ein wenig eingeschürt, also Papierzeug und Pappzeug, und da hab ich ihn mit eingeschürt.“ (Vernehmungsniederschrift S. 240, Bl. 497 d.A. …). Zum Inhalt des Schulranzens konnte der Beklagte jedoch keine zuverlässigen Angaben machen. Er äußerte lediglich (offensichtliche) Mutmaßungen (Vernehmungsniederschrift S. 248, Bl. 505 d.A. …).
Der (ungefähre) Ort, an dem die sterblichen Überreste gefunden wurden, war dem Beklagten einerseits bereits aus der Presseberichterstattung bekannt, andererseits wurde ihm dies auch gleich zu Beginn der Vernehmung am 12.09.2018 (Vernehmungsniederschrift S. 4, Bl. 261 d.A. …) und anschließend noch mehrfach mitgeteilt. Den Weg dorthin konnte der Beklagte jedoch allenfalls rudimentär beschreiben. Er gab etwa an, er sei in Richtung Osten gefahren, einfach in den Wald reingefahren (Vernehmungsniederschrift S. 152, Bl. 409 d.A. …). Der Ablageort sei irgendwo mitten im Wald gewesen (Vernehmungsniederschrift S. 162, Bl. 419 d.A. …). Genauere Angaben zum Ablageort konnte der Beklagte nicht machen.
(4) Des Weiteren ist festzuhalten, dass an der Einlassung des Beklagten vom 12.09.2018 zumindest zwei Punkte fragwürdig sind. Im Rahmen der Überprüfung der Angaben des Beklagten kamen daher selbst die Ermittlungsbehörden zum Ergebnis, dass die Angaben zur Situation am Bushäuschen und zur Motivlage für die Verbringung nicht tragfähig seien.
Die vom Beklagten geschilderte Situation am Bushäuschen würde in ihrer Gesamtheit einen mehrminütigen Handlungsverlauf voraussetzen. Im Abgleich mit dem Schichtwechsel der Firma …, der Busfrequenz an der Haltestelle mit einhergehendem Schüler- und Fahrgastaufkommen sowie den Tätigkeiten am Bauhof seien die Angaben des Beklagten in Bezug auf die Übernahme von … am Bushäuschen als widerlegt anzusehen (vgl. Haftbefehl des Amtsgerichts … vom 10.12.2018, S. 8; identische Ausführungen finden sich in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft … vom 16.10.2020).
Die vom Beklagten geäußerte Motivlage für die Leichenverbringung war nach der Wertung der Ermittlungsbehörden „unschlüssig und unglaubwürdig“ (vgl. Haftbefehl des Amtsgerichts … vom 10.12.2018, S. 9/10; identische Ausführungen finden sich in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft … vom 16.10.2020).
Die Kammer teilt diese Einschätzung der Ermittlungsbehörden zu diesen beiden Punkten aufgrund eigener Prüfung. Deshalb ergeben sich auch für die Kammer Zweifel an der Wahrheit der diesbezüglichen Angaben des Beklagten in seiner Vernehmung am 12.09.2018.
(5) Bestehen in den unter (1) bis (4) dargestellten Punkten Zweifel an der Belastbarkeit der Aussagen des Beklagten, so ist nach Auffassung der Kammer auch insgesamt die Frage zu stellen, inwieweit die Angaben des Beklagten vom 12.09.2018 zutreffend sind.
dd) Die Ausführungen im Haftbefehl des Amtsgerichts … vom 10.12.2018 sowie in der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts … vom 13.02.2019 vermögen weder die Einlassung des Beklagten, dass das Geständnis vom 12.09.2018 erfunden war, zu widerlegen noch die Kammer von der Wahrheit der von der Klägerin behaupteten Verbringung der Leiche durch den Beklagten zu überzeugen.
Insoweit muss zunächst noch einmal deutlich herausgestellt werden, unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt das Amts- und das Landgericht … den Fall betrachtet haben. In den dortigen Verfahren ging es um die Frage, ob die Voraussetzungen eines Haftbefehls gegen den Beklagten nach § 112 StPO vorlagen. Voraussetzung eines Haftbefehls ist u.a. das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts. Dieser ist gegeben, wenn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte als Täter oder Teilnehmer eine Straftat begangen hat, wobei ein strafbarer Versuch ausreichend ist (vgl. Karlsruher Kommentar zur StPO/Graf, 9. Aufl., 2023, StPO, § 112, Rn. 3). Nur diese Voraussetzung haben die Haftgerichte bejaht, wobei das Amtsgericht … seine Auffassung mit Beschluss vom 24.12.2018 revidiert hatte und das Landgericht … einen dringenden Tatverdacht hinsichtlich einer Beteiligung des Beklagten in Form der Verbringung der … zum Ablageort im Wald angenommen hat. Es handelt sich also um eine von den Haftgerichten vorgenommene rechtliche Bewertung, die eine Prognose aus deren subjektiver Sicht beinhaltete. Eine abschließende Bewertung enthalten die Beschlüsse der Haftgerichte gerade nicht. Insbesondere war Gegenstand der Entscheidungen im Haftbefehlsverfahren nicht eine Überzeugungsbildung der Gerichte von der Täterschaft des Beklagten. Dies war, wie das Landgericht … im Beschluss vom 13.02.2019 ausdrücklich ausführt, einer etwaigen Hauptverhandlung vorbehalten. Die Kammer ist an die Bewertung des Amts- und Landgerichts … nicht gebunden und hat im vorliegenden Zivilverfahren die Überzeugungsbildung eigenständig vorzunehmen.
Daraus, dass das Landgericht … in seinem Beschluss vom 13.02.2019 ausgeführt hat, dass es das Teilgeständnis des Beklagten vom 12.09.2018 für verwertbar halte, insbesondere dass dieses nicht unter Verstoß gegen § 136 Abs. 1, § 136 a StPO zustande gekommen sei, folgt nichts anderes. Auch hierbei handelt es sich um eine rechtliche Bewertung des Landgerichts …, an die die Kammer nicht gebunden ist. Dass das Landgericht … zum Ergebnis gekommen ist, dass der Verwertung des Geständnisses des Beklagten in strafprozessualer Hinsicht keine Gründe entgegenstehen, bedeutet nicht, dass die Wahrheit des – später widerrufenen – Teilgeständnisses festgestellt wurde. Die Verwertbarkeit einer geständigen Einlassung im Strafprozess und die materielle Wahrheit des Inhalts des Geständnisses sind zwei zu unterscheidende Punkte.
ee) In einer Gesamtbetrachtung aller Umstände kann sich die Kammer nicht mit der notwendigen Gewissheit davon überzeugen, dass das Geständnis des Beklagten im Hinblick auf die Verbringung der Leiche der Tochter der Klägerin tatsächlich der Wahrheit entspricht. Zwar mag es aufgrund der von der Klägerin in Bezug genommenen Unterlagen aus dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten gewisse Anhaltspunkte dafür geben, dass der Beklagte tatsächlich die Leiche der Tochter der Klägerin an den späteren Auffindeort im Wald gebracht hat. Mit ausreichender Sicherheit kann die Kammer jedoch nicht feststellen, dass dies wahr ist. Aufgrund des Widerrufs des Geständnisses und der dargestellten Umstände, die gegen die Tragfähigkeit des Geständnisses sprechen, verbleiben erhebliche Zweifel, so dass die Kammer sich keine Überzeugung von der Richtigkeit der Behauptungen der Klägerin bilden konnte.
Einer Vernehmung der von der Klägerin als Zeugen benannten Vernehmungsbeamten der Kriminalpolizei bedurfte es nicht. Die Zeugen hätten auch nur das wiedergeben können, was der Beklagte in seiner Vernehmung am 12.09.2018 gesagt hat. Dies ist jedoch in der Strafakte ausreichend dokumentiert. Auch die übrigen Umstände, auf die sich die Klägerin bezieht, sind in der Ermittlungsakte ausreichend dokumentiert und werden zudem in den von der Klägerin in Bezug genommenen Unterlagen behandelt. Die Vernehmung der Zeugen war daher nicht geeignet, weitere Aufklärung zu bringen.
Letztlich ist festzuhalten, dass die grundsätzliche Problematik der Unsicherheit der Beweislage mit dem Fehlen eindeutiger objektiver Beweise, die auch schon in den strafrechtlichen Verfahren eine zufriedenstellende Aufarbeitung verhindert hat, dazu führt, dass auch im vorliegenden Zivilverfahren eine definitive Klärung der Geschehnisse um die Tochter der Klägerin nicht herbeigeführt werden kann und der tatsächliche Ablauf der Ereignisse zweifelhaft bleibt.
Die verbleibenden Zweifel gehen nach den Grundsätzen des Zivilprozesses zu Lasten der Klägerin, die damit für ihre Behauptungen beweisfällig bleibt.
2. Nichtvorliegen der rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs
Ein Anspruch der Klägerin würde indes selbst dann aus rechtlichen Gründen ausscheiden, wenn man die von der Klägerin behauptete Leichenverbringung durch den Beklagten als wahr unterstellen würde. Denn selbst dann sind weder die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB noch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einer Schutzgesetzverletzung gegeben.
a) Die Klägerin trägt vor, der Beklagte habe den Straftatbestand der Störung der Totenruhe gemäß § 168 StGB verwirklicht. Unter Zugrundelegung des Klagevortrags ist dies jedoch nicht der Fall. Die Tathandlung des § 168 StGB besteht in der Wegnahme des Leichnams aus dem Gewahrsam des Berechtigten, wobei die Wegnahme begrifflich ein Handeln gegen oder ohne den Willen des Berechtigten voraussetzt. Unter Gewahrsam ist wiederum die tatsächliche Obhut über die Leiche zu verstehen, die der Berechtigte tatsächlich schon ausüben muss (vgl. Schönke/Schröder/Bosch/Schittenhelm, 30. Aufl., 2019, StGB, § 168, Rn. 4+6).
Im vorliegenden Fall befand sich die Leiche der Tochter der Klägerin nach dem Klagevortrag in der Obhut von …, als der Beklagte sie übernommen haben soll. Die Klägerin selbst oder ein anderer Familienangehöriger hatten noch gar keine Kenntnis vom Tod, konnten demzufolge auch noch kein tatsächliches Obhutsverhältnis zum Leichnam begründen. Nach dem Klagevortrag hat der Beklagte also den Gewahrsam eines Berechtigten am Leichnam nicht gebrochen, so dass es an einer schlüssigen Behauptung der Erfüllung des Straftatbestands des § 168 StGB fehlt.
b) Obgleich die Klägerin ihren Anspruch hierauf nicht stützt, ist darauf hinzuweisen, dass auch die Voraussetzungen des Straftatbestands der Strafvereitelung gemäß § 258 Abs. 1 StGB nicht schlüssig dargelegt sind.
Die Strafvereitelung setzt voraus, dass der Täter absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein andere dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft wird. Insoweit fehlt es an jeglichem Sachvortrag der Klägerin, insbesondere hinsichtlich des Vorliegens des subjektiven Tatbestands beim Beklagten.
Darüber hinaus handelt es sich bei § 258 StGB auch nicht um ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB, welches dem Interesse der Klägerin dient.
Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB ist eine Rechtsnorm, die nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben (vgl. etwa BGH, NJW 2022, 3156, Rn. 9; BeckOK BGB/Förster, 69. Ed., 01.02.2024, BGB, § 823, Rn. 276 m.w.N.).
§ 258 StGB schützt die deutsche Strafrechtspflege mit ihrer Aufgabe, den staatlichen Strafanspruch und die Maßnahmen i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 8 ZPO im Interesse einer wirkungsvollen Verbrechensbekämpfung durchzusetzen (vgl. Schönke/Schröder/Hecker, 30. Aufl., 2019, StGB, § 258, Rn. 1). Der Normzweck betrifft daher das Gemeininteresse, individuelle Interessen sind nicht geschützt.
c) Schließlich kann die Klägerin den von ihr geltend gemachten Anspruch auch nicht auf § 823 Abs. 1 BGB stützen.
Die Klägerin wirft dem Beklagten im Wesentlichen vor, dass er – obwohl er Kenntnis vom Verbleib der Leiche ihrer Tochter gehabt habe – bewusst verschwiegen habe, dass … verstorben ist und er den Leichnam allein in ein Waldstück verbracht habe, wodurch er die jahrelange Ungewissheit und die daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen für die Klägerin verursacht habe.
Der Kern des Vorwurfs der Klägerin ist also ein Unterlassen. Ein solches kann nach allgemeiner Meinung in der Rechtswissenschaft nur ausnahmsweise Anknüpfungspunkt eines Anspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB sein, wenn den Schädiger eine spezifische Pflicht zum Handeln getroffen hat (vgl. BeckOK BGB/Förster, 69. Ed., 01.02.2024, BGB, § 823, Rn. 100 m.w.N.).
Für das Bestehen einer solchen spezifischen Handlungspflicht haben sich zwei Fallgruppen herausgebildet: Zum einen bei Verkehrssicherungspflichten, zum anderen bei Vorliegen einer Garantenstellung.
Die erste Fallgruppe der Verkehrssicherungspflichten, in denen der Verantwortliche eine Gefahrenlage geschaffen hat, für die er verantwortlich ist, ist hier ersichtlich nicht einschlägig.
Als Gegenstück zu den Verkehrssicherungspflichten, verstanden als Verantwortlichkeit für eine besondere Gefahrenlage (= gefahrbezogen), kann den Schädiger auch dann eine Pflicht zum Handeln treffen, wenn er für den Geschädigten in besonderer Weise verantwortlich ist (= rechtsgutbezogen), d.h. wenn ihm eine sog. Garantenstellung zukommt, die ihm eine rechtliche Pflicht auferlegt, den deliktischen Erfolg zu verhindern. Eine sittliche Pflicht oder die bloße Möglichkeit, den Erfolg abzuwenden, genügen hingegen nicht (vgl. BeckOK BGB/Förster, 69. Ed., 01.02.2024, BGB, § 823, Rn. 103).
Eine solche Garantenstellung, aus der eine (rechtliche) Verpflichtung des Beklagten resultiert hätte, die Klägerin oder (worauf die Klägerin hilfsweise abstellt) einen Dritten, ggf. anonym, über die Tatsache des Todes der … und den Ablageort der Leiche zu informieren, ist vorliegend nicht ersichtlich. Es besteht weder eine allgemeine noch eine besondere Rechtspflicht hierzu. Unterstellt man, dass der Beklagte – wie die Klägerin behauptet – die Leiche der Tochter der Klägerin in den Wald gebracht hat, so begründet dies keine Sonderrechtsbeziehung zwischen den Parteien, die den Beklagten in besonderer Weise für die Klägerin verantwortlich gemacht hätte. Der Beklagte hätte selbst in diesem Fall nicht gegen die Klägerin schützende Normen verstoßen (siehe dazu bereits oben). Eine Beteiligung des Beklagten an Sexualstraftaten oder am Tötungsdelikt zum Nachteil ihrer Tochter behauptet die Klägerin nicht. Die Handlungspflicht des Beklagten lässt sich also auch nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. Ingerenz, also dem pflichtwidrigen Vorverhalten begründen. Der Beklagten hat durch das – unterstellte – Wegbringen der Leiche keine Verantwortung für die Klägerin übernommen, so dass ihn auch keine rechtliche Pflicht zur Aufklärung des Verbleibs der Leiche traf.
Schließlich lässt sich ein Schmerzensgeldanspruch der Klägerin auch nicht über die Rechtsfigur des sog. Schockschadens begründen. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass in solchen Fällen – wie im Falle einer unmittelbaren Beeinträchtigung – eine psychische Störung von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen kann, auch wenn sie beim Geschädigten mittelbar durch die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem Dritten verursacht wurde. So wurde etwa den Eltern eines Kindes, das Opfer von Sexualstraftaten geworden war, ein Schadensersatzanspruch wegen dadurch erlittener psychischer Erkrankungen zuerkannt (vgl. BGH, Urteil vom 06.12.2022 – VI ZR 168/21). Eine derartige Fallkonstellation liegt hier jedoch gerade nicht vor. Dass der Beklagte Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und/oder die sexuelle Selbstbestimmung ihrer Tochter begangen hat, behauptet die Klägerin nicht. Im Übrigen könnte sie dies wohl auch nicht beweisen. Es fehlt somit am entscheidenden Anknüpfungspunkt für einen psychisch vermittelten Schockschaden.
3. Der Anspruch der Klägerin scheitert somit aus den dargelegten Gründen bereits dem Grunde nach. Auf die weiteren zwischen den Parteien streitigen tatsächlichen und rechtlichen Fragen kommt es deshalb nicht mehr entscheidungserheblich an.
Die Klage ist daher abzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
IV.
Die Festsetzung des Streitwerts erfolgte nach Maßgaben von §§ 39, 40, 43 Abs. 1, 48 Abs. 1 S. 1, 63 Abs. 2 S. 1 GKG.