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Unfallversicherung: Ausschluss für Unfälle durch Bewusstseinsstörungen 

LG Dortmund

Az: 2 O 122/06

Urteil vom 28.09.2006


Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem

Streitwert von 48.314,67 € der Kläger.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger nahm bei der Beklagten im Jahre 1997 eine private Unfallversicherung, bei der im Jahre 2004 u. a. Invaliditätsleistungen nach einer Invaliditätsgrundsumme von 112.270,00 € bei vereinbarter Progression 300 % sowie ein Unfallkrankenhaustagegeld und -genesungsgeld in Höhe von kalendertäglich 66,47 € versichert waren. Es gelten u. a. die AUB 95 der Beklagten sowie deren Besondere Bedingungen für die Unfallversicherung mit erhöhter progressiver Invaliditätsstaffel (Progression 300 %) und einer gesonderten Mehrleistung bei einem Invaliditätsgrad ab 90 %. Wegen der Einzelheiten der vertraglichen Vereinbarungen wird auf den in Ablichtung bei den Gerichtsakten befindlichen Nachtragsversicherungsschein vom 16.08.2003 (BI. 7 ff. d. A.) sowie das geltende Bedingungswerk (Anlage B 1 zum Schriftsatz vom 06.03.2006) verwiesen.

Der Kläger erlitt am 30.05.2004 anlässlich einer Verfolgung durch die Polizei einen Bauchdurchschuss, was er der Beklagten mit Unfallbericht (Anlage B3 zum Schriftsatz vom 06.03.2006) anzeigen ließ. Unstreitig ist hierzu, dass der Kläger in alkoholisiertem Zustand – die dem Kläger um 23.50 Uhr entnommene Blutprobe ergab einen BAK-Mittelwert von 2,18 %0 – mit seinem Fahrzeug B, amtliches Kennzeichen ###-## ###, gegen 22.00 Uhr mit überhöhter Geschwindigkeit die B### in Fahrtrichtung P befuhr, als er einen Streifenwagen der Polizei, dieser besetzt mit den Polizeibeamten I und B, überholte. Die Polizeibeamten nahmen die Verfolgung des klägerischen Fahrzeugs auf, welches im Übrigen mit den Beifahrern I 2 und S besetzt war. In der Ortschaft F musste der Kläger alsdann an einer Rotlicht aufweisenden Lichtzeichenanlage halten, woraufhin der Polizeibeamte B den Streifenwagen verließ, um eine Fahrzeugkontrolle durchzuführen. Der Kläger setzte bei Grünlicht seine Fahrt unvermittelt fort, woraufhin der Streifenwagen mit Sondersignalen die Verfolgung wieder aufnahm, in deren Verlauf der Kläger einen weiteren Verkehrsteilnehmer überholte, welcher sein Fahrzeug nach rechts lenkte, wobei dieses beschädigt wurde. In der Ortsmitte von F musste der Kläger sein Fahrzeug erneut verkehrsbedingt anhalten, woraufhin der Polizeibeamte Albert wiederum versuchte, den Kläger zum Verlassen des Fahrzeugs zu bewegen. Der Kläger leistete dem keine Folge, setzte sein Fahrzeug ein kurzes Stück zurück und flüchtete erneut. Der Kläger beendete sodann nach weiterer Verfolgung durch die Polizei seinen Fluchtversuch. Im Rahmen der folgenden Kontrolle löste sich aus der Dienstwaffe des Polizeibeamten B ein Schuss, der den Kläger lebensgefährlich verletzte.

Der Kläger wurde im Krankenhaus F2 notoperiert und dann in das Klinikum X verlegt. Eine weitere stationäre Behandlung erfolgte im Krankenhaus F2, insgesamt bis zum 02.07.2004. Bis zum 19.09.2004 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt.

Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Obernburg a. M. vom 21.04.2005 wurde der Kläger wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe verurteilt, wobei es das Amtsgericht nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme als erwiesen ansah, dass der Kläger die Aufforderung des Polizeibeamten B an der Lichtzeichenanlage am Ortseingang von F, sein Fahrzeug nach dem Abbiegevorgang rechts ranzufahren, verstanden habe und beim weiteren Halt in der Ortsmitte von F auf den Polizeibeamten B zugefahren sei. Unter dem 26.08.2005 attestierte Dr. T, dass dauerhafte körperliche Beeinträchtigungen des Klägers als Folge des Vorfalls vom 30.05.2004 bestünden und der gegenwärtige Grad der Behinderung mit 20 v. H. zu bemessen sei.

Die Beklagte lehnte die Erbringung von Leistungen aus der Unfallversicherung ab, letztmals mit Schreiben vom 05.08.2005. Hierbei berief sie sich auf den in § 2 I (2) AUB 95 bedungenen Leistungsausschluss.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger Invaliditätsleistungen nach einem Invaliditätsgrad von 30 % sowie Unfallkrankenhaustagegeld und – genesungsgeld für 33 Tage stationärer Behandlung.

Er ist der Ansicht, das Amtsgericht habe ihn zu Unrecht wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt. Hierzu behauptet er, er habe die Aufforderung des Polizeibeamten B anlässlich des ersten Halts an ‚der roten Lichtzeichenanlage nicht wahrgenommen. Auch sei er nicht beim zweiten Halt auf den Polizeibeamten B zugefahren. Der Kläger ist ferner der Ansicht, die Beklagte könne sich auf Leistungsausschlüsse nicht berufen, da seine Alkoholisierung keinen Einfluss auf das Unfallereignis gehabt habe und zudem zwischen einer etwaigen Widerstandshandlung und dem erlittenen Bauchdurchschuss kein adäquater Kausalzusammenhang bestanden habe. Der Kläger behauptet weiter, er habe dauerhafte körperliche Beeinträchtigungen als Folge des Vorfalls vom 30.05.2004 zu beklagen. Da diese Beeinträchtigungen es ihm unmöglich machten, seinen Gewerbebetrieb ohne Mithilfe zu führen, sei von einem Invaliditätsgrad von mindestens 30 % auszugehen.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 48.314,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.08.2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf die Leistungsausschlüsse in § 2 I (1) und § 2 I (2) ihrer AUB und bestreitet im Übrigen das Vorliegen einer unfallbedingten Invalidität des Klägers. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Dem Kläger stehen aus der bei der Beklagten genommenen privaten Unfallversicherung wegen des am 30.05.2004 erlittenen Bauchdurchschusses keine bedingungsgemäßen Ansprüche gemäß §§ 1, 179 ff. VVG i. V. m. § 7 AUB 95 der Beklagten zu.

Allerdings handelt es sich bei der vom Kläger erlittenen Schussverletzung um ein bedingungsgemäßes Unfallereignis im Sinne von § 1 111 AUB 95 der Beklagten, da unfreiwillig erlittene Schussverletzungen selbst bei rechtmäßigen staatlichen Hoheitsakten dem den AUB zu Grunde liegenden Unfallbegriff unterfallen (vgl. Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 1 AUB 94 Rn. 11 m. w. N. auch zur abweichenden Ansicht), was auch die Beklagte nicht in Zweifel zieht.

Gleichwohl besteht im Streitfall zugunsten des Klägers kein Versicherungsschutz, da sich die Beklagte zu Recht auf Leistungsfreiheit wegen des in § 2 1(1) AUB 95 bedungenen Ausschlusses beruft.

Nach dieser Vertragsbestimmung fallen u. a. Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, nicht unter den Versicherungsschutz der privaten Unfallversicherung. Für eine Bewusstseinsstörung ist hierbei ist nach allgemeiner Meinung nicht das volle Versagen der Sinnestätigkeit erforderlich. Der Begriff meint vielmehr eine Störung der Aufnahme- oder Reaktionsfähigkeit, so dass der Geschädigte den Anforderungen der konkreten Gefahrenlage nicht mehr gewachsen ist (vgl. Prölss/Martin, a. a. 0., § 2 AUB 94 Rn. 4 m. w. N.; Münchener Anwaltshandbuch zum Versicherungsrecht, § 23 Rn. 123). Angesichts des beim Kläger festgestellten Blutalkoholgehalts von über 2 %0 bedarf es keiner weiteren Darlegungen, dass der Tatbestand der Bewusstseinsstörung erfüllt ist, zumal von Seiten des Klägers entgegenstehende Umstände nicht vorgetragen sind.

Streitig ist zwischen den Parteien lediglich, ob die Schussverletzung noch ursächlich auf die bestehende Bewusstseinsstörung zurückzuführen ist, was nach Dafürhalten der Kammer der Fall ist.

Die Kammer verkennt dabei nicht, dass allein der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der Alkoholfahrt und der erlittenen Schussverletzung im Sinne der sogenannten Äquivalenztheorie nicht ausreicht, um Ursächlichkeit in diesem Sinne zu bejahen, sondern es darüber hinaus für die Ermittlung der Reichweite des Ausschlusses des Korrektivs eines adäquaten Kausalzusammenhanges bedarf. Nach dem Begriff der adäquaten Kausalität scheiden hierbei solche Ursachen als Haftungsgrund aus, bei denen die Möglichkeit des Schadenseintritts so entfernt war, dass sie nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht in Betracht gezogen werden konnten bzw. bei denen das Ereignis nur unter besonderen eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet war, einen Erfolg der eingetretenen Art herbeizuführen (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., Vorbemerkung zu § 249 Rn. 58 ff.). Hieran gemessen hält die Kammer dafür, dass der Kläger durch sein trunkenheitsbedingtes Verhalten eine Reaktion der ihn verfolgenden Polizeibeamten herausforderte, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch die Verwendung der Schusswaffe umfasste. Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass zu der von ihm durch die Trunkenheitsfahrt mit anschließender mehrfacher Flucht gesetzten Ursache mit dem Verhalten des Polizeibeamten B eine weitere Ursache hinzugetreten ist. Dies rechtfertigt es allerdings nicht, von einer außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Unterbrechung des Ursachenzusammenhanges auszugehen, da das Verhalten des Polizeibeamten dem Fehlverhalten des Klägers nicht seine ursächliche Bedeutung für die erlittene Schussverletzung nimmt. Willensentschlüsse Dritter als Zwischenursache beseitigen nämlich den Ursachenzusammenhang dann nicht, wenn diese Willensentscheidung ihrerseits adäquate Folge der ersten gefährlichen Handlung war (vgl. Prölss/Martin, a. a. 0., § 2 AUB 94 Rn. 16). Hierzu gilt für den Streitfall, dass das Verhalten des Polizei beamten B, welches den schädigenden Erfolg herbeigeführt hat, letztlich auf der vom Kläger geschaffenen Gefahrenlage beruht und nicht außerhalb aller Erfahrung liegt. Der Kläger hatte gerade durch seine trunkenheitsbedingt auffällige Fahrweise die Polizeibeamten auf sich aufmerksam gemacht und hierdurch – was der Kläger selbst nicht in Abrede stellt Anlass zur Verfolgung gegeben. Dass dieses Verhalten des Klägers nach mehrfachem Fluchtversuch eine scharfe Reaktion der Polizeibeamten herausforderte, entspricht der Lebenserfahrung (so auch in einer ähnlichen Fallgestaltung OLG Köln, VersR 1987, 97). Wie gefährlich die Polizeibeamten den Kläger einschätzten, zeigt für sich bereits der Umstand, dass der Polizeibeamte B, als der Kläger schließlich letztmals hielt, mit der gezogenen und offenbar auch entsicherten Waffe auf das Fahrzeug des Klägers zuging. Dass sich bei dieser Benutzung der Schusswaffe ein Schuss löste, lag dann nach der Lebenserfahrung nicht mehr gänzlich fern, zumal hierbei maßgeblich zu berücksichtigen war, dass die Polizeibeamten ex ante aus der Sicht eines objektiven Beobachters durchaus von einer höheren Gefährdungslage ausgehen durften, als sie letztlich ex post betrachtet bestanden haben mag. Die vorangegangenen mehrfachen Fluchtversuche ließen aus Sicht eines objektiven Betrachters besorgen, dass neben der bloß verkehrswidrigen Fahrweise des Klägers oder dessen – aus Sicht der Polizeibeamten – möglichen Trunkenheit weitere Straftaten des Klägers den Anlass für dessen Flucht boten. Dass sich dann beim Gebrauch der Schusswaffe als Drohmittel oder Mittel zur Eigensicherung ein Schuss löst, liegt nicht außerhalb der Lebenserfahrung, was keiner weiteren Begründung bedarf.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist es hierbei auch unerheblich, ob der Polizeibeamte B fahrlässig und im kritischen Moment sachwidrig reagierte. Denn auch unzulässiges und vorschriftswidriges Verhalten ist nicht so ungewöhnlich, dass es außerhalb der Lebenserfahrung liegt (so auch OLG Köln, a. a. 0.). Deshalb sind Schäden durch Fehlverhalten Dritter dem Geschädigten auch dann zuzurechnen, wenn er – wie der Kläger im Streitfall – eine gesteigerte Gefahrenlage schafft, bei der Fehlleistungen anderer erfahrungsgemäß vorkommen. Hierzu gehören insbesondere Fälle, in denen ein Straftäter durch sein Verhalten die Verfolgung durch einen Polizeibeamten herausfordert und dabei eine Verletzung erleidet (so BGH, VersR 1996, 715; vgl. hierzu auch Wussow, WI 1997, 90 m. w. N.).

Nach alledem unterlag die Klage der Abweisung, wobei offen bleiben kann, ob auch der Ausschluss des § 2 I (2) AUB 95 der Beklagten greift.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

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