Übersicht:
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- BGH-Urteil: Wann die Baugenehmigung den Nachbarn schützt – und wann nicht
- Die zweigeteilte Antwort des BGH: Ein Schutzschild mit begrenzter Reichweite
- Der juristische K.o. für den Abriss: Warum die Baugenehmigung den ersten Trumpf sticht
- Das offene Spielfeld: Warum der Lärmschutz eine neue Chance bekommt
- Ein Wort zur Ordnung im Gerichtssaal: Der BGH schärft die Regeln für Teilurteile
- Was dieses Urteil für Ihren Alltag bedeutet: Konkrete Lehren für Bauherren und Nachbarn
- Häufig gestellte Fragen zum BGH-Urteil über Baugenehmigung und Nachbarschutz
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Mein Nachbar hat eine Baugenehmigung für eine Anlage, die mich stört. Bedeutet das Urteil, dass ich jetzt machtlos bin?
- Im Artikel wird die verpasste Frist der Hotelinhaberin betont. Wie erfahre ich als Nachbar von einer Baugenehmigung und welche Frist muss ich beachten?
- Ich plane selbst ein Bauvorhaben. Bin ich mit einer bestandskräftigen Baugenehmigung rechtlich auf der sicheren Seite?
- Was bedeutet „wesentliche Beeinträchtigung“ durch Lärm konkret und ist mein persönliches Empfinden dafür entscheidend?
- Die Hotelinhaberin kann den Abriss der Anlagen nicht mehr fordern. Was kann sie mit ihrer Klage wegen Lärmbelästigung denn praktisch noch erreichen?
- Genehmigt ist nicht erlaubt: Der feine Unterschied im Nachbarrecht

Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Baugenehmigungen schützen Bauherren vor nachbarschaftlichen Ansprüchen zum Standort oder der Bauweise („Legalisierungswirkung“), wenn die Prüfung vorgesehen war.
- Genehmigungen schützen aber nicht vor privatrechtlichen Ansprüchen (§ 906 BGB) wegen betriebsbedingter Störungen (Lärm, Geruch).
- Nachbarn können weiterhin zivilrechtlich gegen wesentliche Betriebs-Störungen vorgehen.
- Für Nachbarn: Standort-/Bauweise-Fehler via Verwaltungsgericht gegen Genehmigung anfechten (kurze Frist!). Betriebs-Störungen via Zivilgericht klären.
- Für Bauherren: Genehmigung wichtig, aber Rücksicht auf Nachbarn (z.B. Lärmschutz) entscheidend, um Zivilklagen zu vermeiden.
Quelle: Bundesgerichtshof, Urteil (Az. V ZR 99/21)
BGH-Urteil: Wann die Baugenehmigung den Nachbarn schützt – und wann nicht
Für die Betreiberin eines bayerischen Hotels war die Situation ein Albtraum. Ihr Geschäft lebt von der Ruhe und dem Komfort, den sie ihren Gästen bietet. Viele Zimmer verfügen über Balkone, im Garten lädt eine Terrasse zum Verweilen ein – Orte der Erholung mit direktem Blick auf das Nachbargrundstück. Doch genau dort, unmittelbar an der Grenzmauer, ließ der Eigentümer des angrenzenden Lebensmittelmarktes zwei wuchtige, industrielle Rückkühlanlagen errichten. Eingefasst in Stahlgitter, permanent in Betrieb, um den Supermarkt zu versorgen. Für die Hotelinhaberin war klar: Diese Anlagen, so nah an ihren Gästezimmern, verstoßen gegen die bayerischen Bauvorschriften, die einen Mindestabstand von drei Metern vorsehen.
Sie zog vor Gericht mit einem klaren Ziel: Die Anlagen müssen weg. Ihr Hauptantrag forderte ein Verbot, die Kühlanlagen in diesem geringen Abstand zu betreiben. Der Nachbar konterte gelassen: Er habe für die Errichtung der Anlagen eine offizielle, bestandskräftige Baugenehmigung von der zuständigen Behörde erhalten – ausgestellt am 5. September 2018. Damit sei alles rechtens. Hier prallten zwei Welten aufeinander: der Anspruch der Hoteleigentümerin auf Schutz ihres Eigentums und die scheinbar unumstößliche Legitimation durch einen amtlichen Stempel. Der Fall landete schließlich vor dem Bundesgerichtshof (BGH) und warf eine der zentralsten Fragen des deutschen Nachbarrechts auf: Kann eine behördliche Genehmigung private Rechte von Nachbarn einfach aushebeln? Die Antwort der Karlsruher Richter ist ein Meisterstück juristischer Differenzierung, das für jeden Grundstückseigentümer von immense Bedeutung ist.
Die zweigeteilte Antwort des BGH: Ein Schutzschild mit begrenzter Reichweite
Der Bundesgerichtshof lieferte in seinem Urteil (Az. V ZR 99/21) keine einfache Ja- oder Nein-Antwort. Stattdessen zeichnete er eine messerscharfe Trennlinie, die das Verhältnis zwischen öffentlichem Baurecht und privatem Nachbarschutz neu justiert. Die Richter stellten klar, dass eine Baugenehmigung tatsächlich wie ein juristisches Schutzschild wirken kann – aber dieses Schild hat klar definierte Grenzen und schützt den Bauherrn nicht vor allen Ansprüchen seines Nachbarn.
Im Kern zerlegte der BGH den Fall in zwei separate rechtliche Probleme, die Sie als Grundstückseigentümer unbedingt kennen sollten:
- Der Anspruch wegen des Standorts: Hier geht es um die Frage, ob das Bauwerk an sich – also seine Position und Bauweise – gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die auch dem Schutz des Nachbarn dienen (z.B. Abstandsflächen).
- Der Anspruch wegen der Störung: Hier geht es um die konkreten Auswirkungen, die vom Betrieb des Bauwerks ausgehen – also Lärm, Gerüche, Erschütterungen oder ähnliche Belästigungen (sogenannte Immissionen).
Für diese beiden Problemfelder gelten, so der BGH, völlig unterschiedliche Regeln. Eine Baugenehmigung kann den ersten Anspruch blockieren, den zweiten aber so gut wie nie. Diese Unterscheidung ist der Schlüssel zum Verständnis des gesamten Urteils und hat weitreichende Konsequenzen für unzählige Nachbarschaftskonflikte in Deutschland.
Der juristische K.o. für den Abriss: Warum die Baugenehmigung den ersten Trumpf sticht
Die Hotelbetreiberin wollte in ihrem Hauptantrag den Abriss bzw. die Stilllegung der Kühlanlagen erzwingen, weil diese den Mindestabstand von drei Metern aus Artikel 6 der Bayerischen Bauordnung (BayBO) verletzten. Solche Vorschriften dienen nicht nur der allgemeinen Ordnung, sondern haben auch nachbarschützenden Charakter. Verletzt ein Bauherr eine solche Norm, kann der Nachbar über einen juristischen Umweg direkt auf Unterlassung oder Beseitigung klagen. Dieser Anspruch wird quasinegatorischer Anspruch genannt und stützt sich auf die Paragraphen § 1004 und § 823 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).
Der Grundsatz der „Legalisierungswirkung“: Ein amtlicher Stempel mit Folgen
Genau hier kam jedoch die Baugenehmigung des Supermarktbetreibers ins Spiel. Die Vorinstanz, das Oberlandesgericht Bamberg, hatte noch darüber gestritten, ob die Kühlanlagen überhaupt „Gebäude“ oder „gebäudeähnliche Anlagen“ im Sinne der Bauordnung sind und die Abstandsvorschriften daher greifen. Der BGH wählte einen fundamentaleren Ansatz. Er sagte, diese Detailfrage sei gar nicht mehr entscheidend.
Die Richter bestätigten stattdessen das Prinzip der Legalisierungswirkung einer Baugenehmigung. Das können Sie sich wie eine finale Entscheidung eines Schiedsrichters im Sport vorstellen. Wenn der Schiedsrichter (die Baubehörde) eine bestimmte Spielszene (die Einhaltung der Abstandsflächen) geprüft und für regelkonform erklärt hat, kann ein Zivilgericht diese Entscheidung später nicht einfach ignorieren und neu bewerten. Ein quasinegatorischer Anspruch des Nachbarn ist ausgeschlossen, wenn die Grundstücksnutzung durch eine bestandskräftige Baugenehmigung gedeckt ist und die verletzte Norm Teil des behördlichen Prüfprogramms war. Für die Hotelbetreiberin bedeutet diese Feststellung des Gerichts, dass ihr schärfstes Schwert – die Forderung nach Abriss wegen eines Verstoßes gegen das öffentliche Baurecht – stumpf geworden war.
Die entscheidende Bedingung: War der Punkt Teil der Prüfung?
Der Teufel steckt jedoch im Detail, genauer gesagt im „vorgeschriebenen Prüfprogramm“ der Baubehörde. Die Legalisierungswirkung greift nur für die Aspekte, welche die Behörde im Genehmigungsverfahren auch tatsächlich prüfen musste. Im konkreten Fall war die Prüfung der Abstandsflächen nach bayerischem Recht Teil des (vereinfachten) Baugenehmigungsverfahrens. Damit war die Sache für das Zivilgericht vom Tisch.
Das ist eine der wichtigsten Lehren aus diesem Urteil für jeden betroffenen Nachbarn: Der richtige Ort, um die Rechtmäßigkeit des Standorts eines Bauvorhabens anzugreifen, ist nicht das Zivilgericht, sondern das Verwaltungsgericht. Sie müssen innerhalb einer kurzen Frist (in der Regel ein Monat) nach Bekanntgabe Widerspruch bzw. Klage gegen die Baugenehmigung selbst einlegen. Versäumen Sie diese Frist, wird die Genehmigung bestandskräftig – also unanfechtbar – und entfaltet ihre volle Legalisierungswirkung vor den Zivilgerichten. In einer solchen Situation einen Fehler zu machen, ist wie den Einspruch gegen einen Strafzettel zu verpassen; irgendwann ist die Entscheidung endgültig, auch wenn man sie für falsch hält.
Das offene Spielfeld: Warum der Lärmschutz eine neue Chance bekommt
Die Abweisung ihres Hauptantrags war für die Hotelinhaberin eine bittere Pille. Doch das Spiel war damit noch nicht verloren. Sie hatte klugerweise Hilfsanträge gestellt, die auf einen ganz anderen Aspekt abzielten: den Lärm, den die Kühlanlagen verursachen. Und hier zog der BGH eine klare rote Linie, die für Bauherren eine ernste Warnung ist.
Öffentliches Recht vs. Privates Recht: Zwei verschiedene Paar Schuhe
Um die Argumentation des Gerichts zu verstehen, muss man den Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Recht kennen. Eine Baugenehmigung ist ein Akt des öffentlichen Rechts. Sie regelt das Verhältnis zwischen dem Bürger (dem Bauherrn) und dem Staat (vertreten durch die Baubehörde). Sie bestätigt, dass das Bauvorhaben den staatlichen Regeln, wie dem Bebauungsplan oder den Abstandsflächen, entspricht.
Das private Nachbarrecht regelt hingegen das Verhältnis zwischen zwei Privatpersonen – Ihnen und Ihrem Nachbarn. Hier ist der zentrale Paragraph § 906 BGB. Er besagt, dass ein Eigentümer Einwirkungen wie Lärm, Geruch oder Erschütterungen von einem anderen Grundstück nicht dulden muss, wenn sie die Nutzung seines eigenen Grundstücks wesentlich beeinträchtigen.
Der BGH machte nun unmissverständlich klar: Diese beiden Rechtsbereiche sind wie zwei verschiedene Paar Schuhe. Eine Baugenehmigung ist wie eine Fahrerlaubnis. Sie gibt Ihnen die staatliche Erlaubnis, ein Auto zu fahren. Sie ist aber kein Freifahrtschein, rücksichtslos zu fahren und das Eigentum anderer zu beschädigen. Genauso wenig gibt eine Baugenehmigung die Erlaubnis, den Nachbarn mit unzumutbarem Lärm zu belästigen.
Der unberührte Anspruch aus § 906 BGB
Aus dieser Trennung folgt die zweite Kernaussage des Urteils: Die Legalisierungswirkung einer Baugenehmigung hat keinen Einfluss auf das Bestehen von privatrechtlichen Ansprüchen aus § 1004 in Verbindung mit § 906 BGB. Das Gericht bestätigte damit seine jahrzehntelange Rechtsprechung. Der Grund dafür findet sich oft direkt in den Bauordnungen der Länder, so auch in Artikel 68 Abs. 5 der BayBO. Dort steht, dass die Baugenehmigung „unbeschadet privater Rechte Dritter“ ergeht.
Für die Hotelbetreiberin und unzählige andere Betroffene ist das die entscheidende Nachricht: Obwohl sie den Abriss der Anlagen nicht mehr fordern kann, steht ihr die Tür weiterhin offen, um gegen den Lärm vorzugehen. Das zuständige Gericht muss nun in einem zweiten Schritt prüfen, ob der Lärm der Kühlanlagen eine „wesentliche Beeinträchtigung“ darstellt. Dafür wird es in der Regel auf Lärmmessungen durch Gutachter und die Grenzwerte aus der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) ankommen.
Was ist eine „wesentliche Beeinträchtigung“?
Ob eine Störung wie Lärm wesentlich ist, hängt vom Einzelfall ab. Gerichte orientieren sich an gesetzlichen Grenzwerten (wie der TA Lärm), aber auch an der sogenannten Ortsüblichkeit. Lärm, der in einem reinen Wohngebiet unzumutbar ist, muss in einem Gewerbegebiet möglicherweise hingenommen werden. Entscheidend ist immer das Empfinden eines „verständigen Durchschnittsmenschen“, nicht die subjektive Empfindlichkeit einer einzelnen Person.
Ein Wort zur Ordnung im Gerichtssaal: Der BGH schärft die Regeln für Teilurteile
Neben der inhaltlichen Klärung nutzte der BGH den Fall auch, um eine wichtige prozessuale Regel zu präzisieren. Das Landgericht hatte nur über den Hauptantrag (Abriss) entschieden und die Hilfsanträge (Lärm) für eine spätere Verhandlung zurückgestellt. Ein solches Teilurteil nach § 301 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann Verfahren beschleunigen.
Es birgt aber auch eine Gefahr: Was passiert, wenn das Berufungsgericht das Teilurteil kippt, während das erstinstanzliche Gericht schon über die Hilfsanträge verhandelt? Das könnte zu sich widersprechenden Entscheidungen führen. Der BGH stellte daher klar: Ein Teilurteil, das einen Hauptantrag abweist, ist nur zulässig, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist.
Das ist wie beim Bau eines Hauses. Man kann nicht das Dach fertigstellen und für beendet erklären, wenn eine Entscheidung über das Fundament noch aussteht und möglicherweise Änderungen am gesamten Bauplan erfordert. Im konkreten Fall waren die Rechtsfragen aber sauber getrennt: Die Frage der Baugenehmigung (Hauptantrag) und die Frage der Lärmbelästigung (Hilfsanträge) waren zwei unterschiedliche „Baustellen“. Daher war das Teilurteil hier in Ordnung. Mit dieser Klarstellung hat der BGH die Leitplanken für die Gerichte enger gesteckt, um die Stimmigkeit von Urteilen zu sichern.
Was dieses Urteil für Ihren Alltag bedeutet: Konkrete Lehren für Bauherren und Nachbarn
Dieses Urteil ist mehr als nur eine juristische Feinheit. Es enthält konkrete und wertvolle Lehren für jeden, der ein Grundstück besitzt, bebaut oder neben einem Bauvorhaben lebt.
Als Bauherr: Genehmigung ist gut, Rücksicht ist besser
Wenn Sie ein Bauvorhaben planen – sei es eine Garage, eine Werkstatt, eine Wärmepumpe oder eine gewerbliche Anlage –, ist eine bestandskräftige Baugenehmigung Ihr wichtigstes Fundament. Sie schützt Sie davor, dass ein Nachbar später die Beseitigung wegen eines Verstoßes gegen Bauvorschriften verlangen kann, die im Verfahren geprüft wurden. Sorgen Sie daher für vollständige und korrekte Antragsunterlagen.
Aber verlassen Sie sich niemals allein auf diesen amtlichen Stempel. Die Genehmigung ist kein Schutzschild gegen Lärm- oder Geruchsklagen. Denken Sie von Anfang an die Auswirkungen auf Ihre Nachbarn mit. Investieren Sie in Schallschutz für Ihre neue Wärmepumpe, auch wenn es nicht explizit in der Genehmigung gefordert wird. Planen Sie die Abluft Ihrer Restaurantküche so, dass sie nicht direkt ins Schlafzimmerfenster des Nachbarn zieht. Eine solche vorausschauende Planung ist oft günstiger als ein jahrelanger Rechtsstreit, den Sie trotz gültiger Baugenehmigung verlieren können. Ein häufiger Fehler ist es, die leiseste und teuerste Anlage zu versprechen, dann aber aus Kostengründen ein günstigeres Modell einzubauen. Genau das kann später zum Bumerang werden.
Als Nachbar: Die richtigen Waffen zur richtigen Zeit wählen
Wenn Ihr Nachbar ein Bauvorhaben beginnt, das Sie beeinträchtigt, ist schnelles und strategisches Handeln gefragt. Sie müssen unterscheiden, was Sie stört: der Bau an sich oder sein Betrieb?
Stört Sie der Standort, die Höhe oder die Missachtung von Abstandsregeln, ist Ihr Gegner die Baugenehmigung. Informieren Sie sich bei der Baubehörde, ob und wann eine Genehmigung erteilt wurde. Ihr Weg führt dann über einen Widerspruch und eine Klage vor dem Verwaltungsgericht. Hierfür gelten extrem kurze Fristen von oft nur einem Monat. Verpassen Sie diese, ist der Zug in der Regel abgefahren.
Stört Sie hingegen der Lärm, der Geruch oder die Erschütterung, die vom Betrieb der fertigen Anlage ausgehen, ist Ihr Ansprechpartner das Zivilgericht. Ihr Anspruch stützt sich auf § 906 BGB. Dieser Weg steht Ihnen auch dann noch offen, wenn die Baugenehmigung längst unanfechtbar ist. Bevor Sie klagen, sollten Sie Beweise sichern. Führen Sie ein Lärmprotokoll und dokumentieren Sie die Störungen genau. Suchen Sie das Gespräch mit dem Nachbarn; manchmal lassen sich Probleme durch einfache technische Nachbesserungen lösen. Scheitert dies, sollten Sie anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen, um Ihre Rechte auf dem Zivilrechtsweg durchzusetzen. In vielen Fällen, wie etwa bei einer neuen lauten Lüftungsanlage im Nachbargarten oder dem Umbau einer Garage zur lauten Hobbywerkstatt, ist dies der einzig verbleibende und oft auch erfolgreiche Weg.
Häufig gestellte Fragen zum BGH-Urteil über Baugenehmigung und Nachbarschutz
Nachfolgend beantworten wir die häufigsten und wichtigsten Fragen, die sich aus unserem Artikel zum wegweisenden Urteil des Bundesgerichtshofs ergeben, und vertiefen die praktischen Konsequenzen für Sie.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Mein Nachbar hat eine Baugenehmigung für eine Anlage, die mich stört. Bedeutet das Urteil, dass ich jetzt machtlos bin?
Nein, das bedeutet es keinesfalls. Das Urteil macht eine sehr wichtige Unterscheidung: Es trennt zwischen dem Bauwerk an sich und den Störungen, die von seinem Betrieb ausgehen. Wenn die Frist zum Widerspruch gegen die Baugenehmigung abgelaufen ist, können Sie in der Regel tatsächlich nicht mehr die Beseitigung des Bauwerks wegen eines Verstoßes gegen Bauvorschriften wie Abstandsregeln fordern. Die Genehmigung wirkt hier wie ein Schutzschild für den Bauherrn. Dieser Schutzschild gilt aber ausdrücklich nicht für Störungen wie Lärm, Gerüche oder Erschütterungen. Gegen solche Beeinträchtigungen (sogenannte Immissionen) können Sie weiterhin zivilrechtlich vorgehen, wenn diese eine „wesentliche Beeinträchtigung“ darstellen.
Im Artikel wird die verpasste Frist der Hotelinhaberin betont. Wie erfahre ich als Nachbar von einer Baugenehmigung und welche Frist muss ich beachten?
Dies ist einer der wichtigsten praktischen Punkte. Wenn ein Bauvorhaben Ihre nachbarschützenden Rechte berühren könnte, werden Sie als direkter Nachbar in vielen Fällen von der Baubehörde über den Bauantrag informiert und erhalten später eine Kopie der Baugenehmigung. Ab dem Zeitpunkt, an dem Sie offiziell Kenntnis von der Genehmigung erhalten, beginnt eine sehr kurze Frist von in der Regel nur einem Monat. Innerhalb dieses Monats müssen Sie Widerspruch bei der Behörde einlegen oder Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht erheben. Versäumen Sie diese Frist, wird die Baugenehmigung „bestandskräftig“ und ist damit für Sie unanfechtbar. Es ist daher entscheidend, bei Erhalt solcher Post sofort zu handeln und gegebenenfalls rechtlichen Rat einzuholen.
Ich plane selbst ein Bauvorhaben. Bin ich mit einer bestandskräftigen Baugenehmigung rechtlich auf der sicheren Seite?
Nur zur Hälfte, und das ist eine zentrale Lehre aus dem Urteil. Eine bestandskräftige Baugenehmigung ist Ihr wichtigstes Fundament und schützt Sie sehr wirksam davor, dass Ihr Nachbar später den Abriss des Gebäudes verlangen kann, weil es zum Beispiel eine Abstandsregel verletzt. In diesem Punkt sind Sie also relativ sicher. Die Genehmigung ist aber, wie der BGH betont, kein Freifahrtschein für den Betrieb. Sie schützt Sie überhaupt nicht vor Klagen Ihres Nachbarn wegen unzumutbarer Störungen wie Lärm oder Gerüchen. Auch wenn Ihr Bau genehmigt ist, müssen Sie ihn so betreiben, dass er die Nachbarschaft nicht wesentlich beeinträchtigt. Eine vorausschauende Planung, die zum Beispiel Schallschutz für eine Wärmepumpe von Anfang an mitdenkt, ist daher immer die bessere und letztlich günstigere Strategie.
Was bedeutet „wesentliche Beeinträchtigung“ durch Lärm konkret und ist mein persönliches Empfinden dafür entscheidend?
Das persönliche Empfinden allein ist nicht der Maßstab. Ob eine Beeinträchtigung „wesentlich“ ist, wird nach dem Empfinden eines „verständigen Durchschnittsmenschen“ beurteilt. Gerichte orientieren sich dabei an objektiven Kriterien. Bei Lärm sind das vor allem die Grenzwerte aus technischen Regelwerken wie der „Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm“ (TA Lärm). Diese legt je nach Gebietstyp (z.B. reines Wohngebiet, Gewerbegebiet) unterschiedliche Dezibel-Grenzwerte für Tag und Nacht fest. Zudem spielt die sogenannte „Ortsüblichkeit“ eine Rolle. In einem lauten städtischen Umfeld muss mehr hingenommen werden als in einer ruhigen ländlichen Gegend. Meist wird das Gericht einen Gutachter beauftragen, der präzise Lärmmessungen an Ihrem Grundstück vornimmt, um eine objektive Entscheidungsgrundlage zu haben.
Die Hotelinhaberin kann den Abriss der Anlagen nicht mehr fordern. Was kann sie mit ihrer Klage wegen Lärmbelästigung denn praktisch noch erreichen?
Obwohl der radikalste Schritt – die Beseitigung der Anlagen – durch die Baugenehmigung blockiert ist, hat die Klage wegen Lärms weiterhin erhebliches Potenzial. Ziel des Gerichts ist es, die „wesentliche Beeinträchtigung“ zu unterbinden. Es wird dem Supermarktbetreiber in der Regel überlassen, wie er das erreicht. Denkbare und typische Ergebnisse eines solchen Verfahrens sind zum Beispiel gerichtliche Anordnungen, die den Nachbarn zu Folgendem verpflichten:
- Technische Nachrüstung: Er muss die Anlagen mit besserem Schallschutz versehen oder durch leisere Modelle ersetzen.
- Bauliche Maßnahmen: Er muss eine effektive Schallschutzwand errichten.
- Betriebliche Einschränkungen: Die Anlagen dürfen nur zu bestimmten Zeiten, beispielsweise nicht nachts oder an Wochenenden, betrieben werden. Nur wenn keine dieser Maßnahmen die Störung auf ein zumutbares Maß senken kann, käme als letzte Konsequenz eine vollständige Stilllegung in Betracht.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Genehmigt ist nicht erlaubt: Der feine Unterschied im Nachbarrecht
Das Urteil zementiert eine entscheidende Lehre für jeden Grundstückseigentümer: Ein amtlicher Stempel legalisiert den Bau, nicht aber dessen störenden Betrieb. Die Baugenehmigung regelt das Verhältnis zum Staat, sie entbindet jedoch niemals von der privatrechtlichen Pflicht zur Rücksichtnahme. Diese klare Trennung von öffentlichem Baurecht und privatem Immissionsschutz ist der eigentliche Kern des modernen Nachbarschutzes.
Für die Praxis ist die Botschaft unmissverständlich: Der Streit um den Standort einer Anlage ist nach erteilter Genehmigung oft verloren, der Kampf gegen Lärm oder Gerüche fängt dann aber womöglich erst an. Vorausschauende Planung und gegenseitige Rücksicht sind daher wirksamere Mittel zur Konfliktvermeidung als der alleinige Verlass auf eine behördliche Erlaubnis.

Ich bin seit meiner Zulassung durch das Land- und Amtsgericht Siegen im Jahr 1983 als Rechtsanwalt tätig und habe die Kanzlei Kotz in Kreuztal bei Siegen gegründet. Meine besondere Kompetenz liegt im Arbeitsrecht, für das ich 1997 den Fachanwaltstitel erworben habe. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Baurecht, Steuerrecht, Zivilrecht, Sozialrecht und Nachbarrecht. Ich bin Mitglied im Deutschen Anwaltverein sowie in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften und stehe als Fachanwalt für Arbeitsrecht bundesweit zur Verfügung. Dabei vertrete ich meine Mandanten vor allen deutschen Arbeitsgerichten, auch vor dem Arbeitsgericht Siegen. Regelmäßig bearbeite ich auch Fälle aus anderen Rechtsgebieten. […] mehr über Hans Jürgen Kotz