Verwaltungsgericht Stuttgart
Az: 1 K 173/13
Urteil vom 31.01.2014
Anmerkung des Bearbeiters
Bereits mehrfach haben wir Urteile von skuril anmutenden Dienstunfällen veröffentlicht.
Beispielsweise hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Würtemberg im Jahre 2007 die Frage zu beantworten, ob ein Sturz einer Lehrerin während des morgendlichen Duschens auf einer Klassenfahrt einen Dienstunfall darstellt. Das Verwaltungsgericht Freiburg entschied im Jahre 2012 über eine „dienstliche Schnellballschlacht“ mit Schülern. Bereits im Jahr 1999 entschied das Sozialgericht Gelsenkirchen, ob das Stürzen im Zusammenhang mit derVerrichtung der Notdurft auf dem Nachhauseweg einen Arbeitsunfall darstellt.
Im hier vorliegenden Fall stürzte eine Lehrerin während einer Klassenfahrt abends bei einem Volksfestbesuch von einer Bank.
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Tenor
Der Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 13.6.2012 und der Widerspruchsbescheid vom 13.12.2012 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, den Unfall vom 3.5.2012 als Dienstunfall anzuerkennen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Klägerin, eine Studienrätin, nahm als eine von zwei Begleiterinnen am 3. und 4.5.2012 an einer Klassenfahrt der < Schule > nach München teil. Nach dem vor der Klassenfahrt den Eltern der teilnehmenden Schüler mitgeteilten Programm war für den Abend des ersten Reisetags der Besuch des Frühlingsfestes in Kleingruppen vorgesehen. Am 3.5.2012 gegen 21 Uhr besuchte die Klägerin zusammen mit der Klassenlehrerin und mehreren Schülerinnen und Schülern zum Ausklang dieses Programmpunkts ein Bierzelt. Um 22 Uhr kippte die Bank, auf der die Klägerin und zwei Schülerinnen standen, um, weil die dahinter stehende Bank, auf der ebenfalls Personen standen, umgekippt war. Dadurch stürzte die Klägerin zu Boden und zog sich eine stabile Impressionsfraktur der LWK 2 Deckplatte zu. Wegen dieser Verletzung wurde sie in ein Krankenhaus gebracht. Bis zum 10.6.2012 war sie dienstunfähig.
Mit Formschreiben vom 15.5.2012 zeigte die Klägerin diesen Unfall dem Regierungspräsidium mit dem sinngemäßen Antrag an, den Unfall als Dienstunfall anzuerkennen.
Mit Schreiben vom 13.6.2012 teilte das Regierungspräsidium der Klägerin mit, ihr Unfall am 3.5.2012 werde nicht als Dienstunfall anerkannt. Zur Begründung heißt es, der Besuch eines Bierzelts zum Tagesausklang stehe nicht in einem engen natürlichen Zusammenhang mit den eigentlichen Dienstaufgaben einer Lehrkraft und könne daher nicht als eine Tätigkeit in Ausübung der dienstlichen Verpflichtungen angesehen werden, auch wenn sie dabei in Begleitung von Schülern gewesen sei. Der Besuch stelle vielmehr einen Vorgang dar, der überwiegend eigenen Interessen oder Bedürfnissen diene und somit dem privaten Lebensbereich zuzuordnen sei.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch mit der Begründung ein, der Unfall habe sich im Dienst ereignet, da der Besuch des Frühlingsfestes ein offizieller Programmpunkt der Studienfahrt gewesen sei, die von der Klasse und der Klassenlehrerin organisiert und durch die Schulleitung genehmigt worden sei. Sie selbst sei als zweite Begleitperson dabei, aber nicht an der Planung beteiligt gewesen. Privat meide sie Volksfeste.
Mit Bescheid vom 13.12.2012, der Klägerin zugestellt am 7.1.2013, wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es, auch wenn der Besuch des Frühlingsfestes ein fester Programmpunkt der Studienfahrt gewesen sei, bestünden doch erhebliche Zweifel, ob hierzu auch der Besuch eines Bierzelts gehört. Aber auch wenn man das bejahte, sei beim Stehen auf einer Festbank zu vorgerückter Stunde kein fachlicher und pädagogischer Bezug zur Lehrertätigkeit gegeben. Der Unfall sei auch nicht in Ausübung oder in Folge des Dienstes eingetreten. Dazu hätte das Verhalten der Klägerin durch die Erfordernisse des Dienstes und der Dienstaufgaben maßgebend geprägt sein müssen. Aus dem Argument der Klägerin, in ihrem privaten Bereich meide sie Volksfeste, könne keine Zuordnung zur Dienstsphäre der Klägerin hergeleitet werden, denn beim Stehen auf einer Festbank, die allein schon aufgrund ihrer technischen Beschaffenheit keine besonders hohe Standfestigkeit aufweise, gehe das damit verbundene Risiko erkennbar über das den Dienstaufgaben der Klägerin nach gebotene Maß hinaus und liege daher außerhalb der unfallgeschützten Sphäre. Außerdem habe die Klägerin, indem sie sich – zumal als Aufsichtsperson – durch das Besteigen einer Festbank in einem Bierzelt einer selbstgeschaffenen Gefahr ausgesetzt habe, ihren Schülerinnen kein positives Beispiel gegeben und sei so ihrer Vorbildfunktion nicht nachgekommen. Ein pflichtgemäßes Verhalten, wie es einer Lehrkraft auferlegt sei, sei nicht gegeben.
Am 14.1.2013 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor, der Besuch des Bierzelts am Abend des 3.5.2012 sei Teil des vor der Reise von der Schulleitung genehmigten Programms der Studienfahrt und damit Dienst gewesen. Der pädagogische Bezug sei gegeben gewesen. Einerseits seien die Teilnehmer der Studienfahrt ganz überwiegend minderjährig gewesen und hätten der Aufsicht bedurft. Darüber hinaus habe der Besuch des Bierzelts wie die gesamte Studienfahrt dem pädagogischen Gesamtauftrag gedient.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 13.6.2012 und den Widerspruchsbescheid vom 13.12.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Unfall am 3.5.2012 als Dienstunfall anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die Begründung der angefochtenen Bescheide.
In der mündlichen Verhandlung ist die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten vor dem Einzelrichter erörtert worden. Zum Ablauf des Abends, an dem der Unfall geschah, gab die Klägerin auf Fragen des Gerichts an, an der Klassenfahrt und dem Besuch des Frühlingsfestes hätten rund 26 Schülerinnen und Schüler teilgenommen. Der Besuch des Bierzelts sei im Laufe des Abends unter den Schülern verabredet worden. Im Bierzelt gewesen seien schließlich rund zehn Schülerinnen und Schüler, sowie die beiden Lehrerinnen. Das Zelt sei nicht sehr voll gewesen. Es habe Livemusik gespielt. Der Konsum von Alkohol sei verboten gewesen und dieses Verbot sei auch eingehalten worden. Zu vorgerückter Stunde seien an zahlreichen Tischen Besucher auf den Bänken gestanden. Dass auch die Schülerinnen und Schüler auf die Bänke gestiegen seien, sei von der Klassenlehrerin initiiert worden. Alle teilnehmenden Schülerinnen und Schüler seien auf den Bänken gestanden. Als sich der Unfall ereignet habe, sei die Klassenlehrerin gerade auf der Toilette gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Anerkennung des am 3.5.2012 unstreitig erlittenen Unfalls als Dienstunfall.
Ein Dienstunfall ist nach § 45 Abs. 1 LBeamtVG ein auf äußere Einwirkung beruhendes, plötzliches und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist.
Entscheidender rechtlicher Ausgangspunkt für die Abgrenzung, ob ein Unfall in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist oder nicht, ist der Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Unfallfürsorgeregelung. Dieser liegt in einem über die allgemeine Fürsorge hinausgehenden besonderen Schutz des Beamten bei Unfällen, die außerhalb seiner privaten (eigenwirtschaftlichen) Sphäre im Bereich der in der dienstlichen Sphäre liegenden Risiken eintreten, also in dem Gefahrenbereich, in dem der Beamte entscheidend aufgrund der Anforderungen des Dienstes tätig wird, bzw. die sich während der pflichtgemäßen Erledigung der ihm obliegenden dienstlichen Aufgaben ereignen. Das ist der Fall, wenn der Beamte den Unfall bei einer Tätigkeit erleidet, die im engen natürlichen Zusammenhang mit seinen eigentlichen Dienstaufgaben oder sonstigen dienstlich notwendigen Verrichtungen steht, bei der der Beamte also gewissermaßen „im Banne“ des Dienstes steht (BVerwG, Urt. v. 3.11.1976 – VI C 203.73 -, BVerwGE 51, 220; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 28.9.2007 – 4 S 516/06 -, VBlBW 2008, 225). Kein Dienstunfall liegt allerdings dann vor, wenn der Unfall bei einer Verhaltensweise des Beamten eingetreten ist, die mit der Dienstausübung schlechthin nicht mehr in Zusammenhang gebracht werden kann (BVerwG, Beschl. v. 26.2.2008 – 2 B 135/07 -, NVwZ-RR 2008, 410, <juris> RNr. 10).
In diesem Sinne ist vorliegend von einem Dienstunfall auszugehen.
Der Besuch des Frühlingsfestes war für die Klägerin Teil ihrer Dienstaufgaben, denn es war ein offizieller Programmpunkt der Klassenfahrt, an der sie als verantwortliche Begleitperson dienstlich teilnahm. Die Klägerin hätte sich dem Volksfestbesuch auch nicht entziehen können, ohne dadurch ihre Dienstpflichten zu verletzen. Zwar konnte sie während des Besuchs nicht alle Schüler ständig beaufsichtigen, da diese in Kleingruppen unterwegs waren. Sie musste aber ständig in der Nähe der Schüler und damit „vor Ort“ sein, um einschreiten zu können, sobald Ihr Probleme, z.B. mittels Mobiltelefon, mitgeteilt worden wären.
Auch der Besuch des Bierzelts war für die Klägerin Dienst.
Der Besuch des Bierzelts war vom offiziellen Programmpunkt des Besuchs des Frühlingsfestes umfasst. Auf Volksfesten gehört ein regelmäßig vorhandenes Bierzelt in gleichem Maße zu den dort üblichen Attraktionen wie die typischerweise vorhandenen Fahr- und Schaustellerbetriebe oder Verkaufsstände. Daher ist der Besuch eines Bierzelts in gleicher Weise durch den Programmpunkt „Besuch des Frühlingsfestes“ erfasst, wie der Gang über das Festgelände oder die Nutzung der dort vorhandenen Geschäfte.
Die Klägerin hätte sich während des Bierzeltbesuchs der Schüler zwar theoretisch auch einer anderen Schülergruppe anschließen oder sich – „in Rufbereitschaft“ – alleine auf dem Volksfest aufhalten können. Da die Klägerin zur Aufsicht über die Schüler verpflichtet war, war es aber durchaus geboten, diese Alternative nicht zu wählen, sondern zusammen mit der Klassenlehrerin bei der größten Schülergruppe im Bierzelt zu sein. Ein Bierzeltbesuch von größtenteils minderjährigen Schülern birgt ungleich größere Gefahren als ein bloßer Spaziergang über das Festgelände und erfordert folglich eine ungleich stärkere Aufsicht durch die verantwortlichen Lehrer. Das ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass es galt, das in diesem Zusammenhang ausgesprochene Alkoholverbot durchzusetzen und zu überwachen, was den Lehrerinnen offenbar auch gut gelungen ist. Hinzu kommt, dass der Besuch des Bierzelts durch die wahrscheinlich größte Gruppe der das Volksfest besuchenden Schüler gewissermaßen als Tagesausklang mit geselligem Beisammensein gedacht war. Bei einem derartigen Programmpunkt gebietet es der pädagogische Gesamtauftrag einer Lehrerin, sich dem nicht zu entziehen, sondern bei den Schülern zu sein. Bei der Beurteilung, ob bestimmte Handlungen durch die Erfordernisse des Dienstes maßgebend geprägt sind, ist grundsätzlich der mit dem Lehramt verbundene pädagogische Gesamtauftrag zu berücksichtigen, der sich nicht in einer bloßen Wissensvermittlung und einer Beaufsichtigung erschöpft. Der pädagogische Gesamtauftrag gebietet es vielmehr, dass ein Lehrer einen Grundstock an Vertrauen zu den Schülern aufbaut (BVerwG, Urt. v. 3.11.1976, a.a.O., <juris> RNr. 29), wozu Veranstaltungen wie der Besuch des Volksfestes, aber auch des Bierzelts, der eine gesellige Kommunikation mit den Schülern ermöglicht, durchaus gehören.
Schließlich ist der Unfall dadurch, dass die Klägerin auf eine Festzeltbank gestiegen war, auch nicht durch eine Verhaltensweise der Klägerin eingetreten, die schlechthin nicht mehr mit ihrer Dienstausübung in Zusammenhang gebracht werden konnte. Zu dem konkreten Unfall wäre es zwar wahrscheinlich nicht gekommen, wenn sich die Klägerin nicht dem Verhalten des Rests ihrer Gruppe angeschlossen hätte und stattdessen sitzen geblieben wäre, als alle anderen auf die Bänke gestiegen waren. Das Steigen auf die Bank stand aber noch in einem engen natürlichen Zusammenhang mit ihren Dienstaufgaben.
Es ist derzeit durchaus üblich, dass Besucher eines Bierzelts, in dem Livemusik dargeboten wird, kollektiv auf die Bänke steigen und dort zur Musik tanzen. Insoweit verhielt sich die Schülergruppe nicht anders als eine Vielzahl der übrigen Gäste im Zelt. Obwohl ein solches Verhalten in den meisten anderen Gastronomieeinrichtungen als inakzeptabel anzusehen wäre, ist dieser weit verbreitete Brauch – insbesondere zu später Stunde und bei allgemein gehobener Stimmung – heutzutage als durchaus sozialadäquat anzusehen, weshalb es nicht verwundert und auch nicht zu beanstanden ist, dass es die Lehrerinnen den Schülern erlaubt hatten, auf die Bänke zu steigen. Das gilt nach Auffassung des Gerichts trotz der relativen Gefährlichkeit eines solchen Verhaltens. Obwohl diese Gefährlichkeit im Falle der Klägerin tatsächlich zu einem Unfall geführt hat, erscheint die abstrakte Gefährlichkeit des Besteigens einer Festzeltbank doch nicht so groß, dass dieses Verhalten hätte untersagt werden müssen. Wenn nun aber die gesamte Gruppe auf den Bänken stand, konnte die Klägerin praktisch nicht anders, als sich diesem Verhalten anzuschließen. Wäre sie als Einzige sitzengeblieben und hätte sie sich dem Gruppenzwang verweigert, wäre sie dadurch zwangsläufig ins Abseits geraten und hätte sich ostentativ von ihren Schülern distanziert. Das wäre mit ihrem pädagogischen Gesamtauftrag, wie er oben beschrieben wurde, aber nicht ohne Weiteres zu vereinbaren gewesen. Folglich kann ihr nicht der, die Anerkennung eines Dienstunfalls ausschließende Vorwurf gemacht werden, sie habe den Unfall durch ein Verhalten provoziert, dass nicht mehr mit ihrer Dienstausübung in Zusammenhang gebracht werden kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.