LG Arnsberg – Az.: 2 O 186/16 – Urteil vom 08.01.2018
Der Beklagte wird verurteilt, die von den glasierten Dachpfannen auf dem Gebäude seines Hausgrundstücks A-Straße …, … O1, ausgehende Blendwirkung durch geeignete Maßnahmen zu verhindern, soweit das Haus der Kläger B-Straße …, … O1, mit einer Leuchtdichte von 100.000 cd/m² oder höher betroffen ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger zu 90 % und der Beklagte zu 10 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,- EUR. Den Klägern bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob von glasierten Dachziegeln eine unzumutbare Blendwirkung ausgeht.
Die Parteien sind Nachbarn: Die Kläger sind Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks B-Straße … in … O1. Der Beklagte ist Eigentümer des ebenfalls mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks A-Straße … in … O1, das sich an der südlichen Grundstücksgrenze und leicht seitlich versetzt zum Haus der Kläger befindet.
Am 11.06.2015 ließ der Beklagte das Dach seines Hauses mit hochglänzend glasierten Dachpfannen vom Typ „Futura Noblesse dunkelgrün glasiert“ eindecken.
Im Mai 2017 tauschte der Beklagte einen Großteil der streitgegenständlichen Dachpfannen durch matt glasierte Ziegel (nachfolgend: „Neupfannen“) aus, nicht aber die im Bereich der Ortgänge und des Dachfirstes verlegten Dachpfannen (nachfolgend: „Altpfannen“).
Die Kläger behaupten, dass die Oberfläche der ursprünglich verwendeten glasierten Dachziegel stark glänzend sei. Insbesondere in den Monaten April bis Oktober komme es in der Zeit von 10:30 Uhr bis 15:30 Uhr zu starken Reflektionen des Sonnenlichtes, die sie – die Kläger – stark blendeten. Dies sei unzumutbar. Besonders betroffen seien die Nutzbarkeit des Gartens sowie des Wohn- und Esszimmers. Der Außenwohnbereich, bestehend aus einer Terrasse und einem Garten, könne nur mit gesenktem Blick genutzt werden. Schon nach kurzem Aufenthalt im Außenbereich könne man bei Rückkehr in den Wohnbereich nichts mehr sehen. Auch die Nutzung des Wohn- und Essbereiches sei nur mit gesenktem Kopf möglich, da die Blendung selbst innerhalb des Hauses noch stark wahrnehmbar sei. In den Wintermonaten komme es bei Vollmond ebenfalls zu Blendungen. Auch die neu verlegten Dachziegel verursachten unzumutbare Lichtreflektionen. Die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seien verzugsbedingt zu ersetzen.
Die Kläger beantragen,
1. den Beklagten zu verurteilen, die von den glasierten Dachpfannen auf dem Gebäude seines Hausgrundstücks A-Straße …, … O1, ausgehende Blendwirkung zu verhindern, soweit das Haus der Kläger B-Straße …, … O1, betroffen ist,
2. hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, die glasierten Dachpfannen, die sich auf dem Dach seines Hauses, auf dem Grundstück A-Straße …, … O1, befinden, zu beseitigen, soweit die glasierten Dachpfannen vom Haus der Kläger, B-Straße …, … O1, sichtbar sind, und
3. den Beklagten zu verurteilen, als unselbstständige Nebenforderung vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.807,25 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Kläger zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Ansicht, die Klage sei mangels hinreichend bestimmten Klageantrags bereits unzulässig. Gerade in Zeiten immer stärkerer Nutzung von Photovoltaikanlagen seien etwaige Blendwirkungen im Übrigen hinzunehmen.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf
- das Gutachten des Sachverständigen P1 vom 30.08.2017 und
- das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 18.12.2017 (Bl. 85 d. A.)
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat teilweise Erfolg.
I.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist der Klageantrag zu 1.) hinreichend gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmt.
Es reicht aus, wenn der Klageantrag die zu beseitigende oder zu unterlassende Störung bezeichnet. Dem Störer muss die Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten der Beseitigung zustehen. Es gilt insoweit das Wahlrecht des Störers. Bestimmte Abwehrmaßnahmen muss der Kläger nur dann benennen, wenn ernsthaft keine anderen Maßnahmen in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 26.11.2004 – V ZR 83/04; OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.07.2017 – I-9 U 35/17).
Hier bezeichnen die Kläger hinreichend genau, welche Störung unterlassen werden soll („Blendwirkung“). Eine Eingrenzung auf bestimmte Maßnahmen wäre unzulässig, da verschiedene Abwehrmaßnahmen in Betracht kommen. Beispielsweise könnten Ziegel mit Folien abgedeckt, Ziegel ausgetauscht oder ein Sichtschutz errichtet werden.
II.
Die Klage ist nur teilweise begründet.
1. Die Kläger haben gemäß § 1004 Abs. 1 BGB gegen den Beklagten einen Anspruch auf Beseitigung und künftige Unterlassung der von den Dachziegeln ausgehenden Blendwirkung auf ihr Grundstück, soweit dadurch die Nutzung des klägerischen Grundstücks wesentlich beeinträchtigt wird. Das ist der Fall, soweit die Reflektionen eine Leuchtdichte von 100.000 cd/m² oder mehr erreichen.
a) Die von den Dachziegeln ausgehende Blendwirkung stellt eine durch den Beklagten als Störer verursachte Eigentumsbeeinträchtigung im Sinne des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB dar. Es handelt sich insbesondere nicht um eine bloße Natureinwirkung. Zwar ist das Sonnenlicht für die Blendwirkung durch Lichtreflektion (mit-)ursächlich. Ohne die Reflektion der Sonnenstrahlen durch die Dachziegel gäbe es die beanstandete Beeinträchtigung für das klägerische Grundstück aber nicht.
b) Allerdings ist die Blendwirkung nur insoweit wesentlich, als die Reflektionen eine Leuchtdichte von 100.000 cd/m² oder mehr erreichen. Dies betrifft die Reflektionen, die von den im Bereich der Ortgänge und dem Dachfirst verlegten Altziegeln ausgehen.
aa) Insoweit besteht keine Duldungspflicht gem. § 1004 Abs. 2 i. V. m. § 906 Abs. 1 BGB.
(1) Maßgeblich ist das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen, wobei auf die konkreten Umstände des Einzelfalles wie die Dauer der Blendwirkung, die Intensität der Lichtreflexe und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Nutzung des betroffenen Grundstücks abzustellen ist.
Hier hat der Sachverständige nachvollziehbar und überzeugend festgestellt, dass von den Altpfannen in dem Zeitraum von April bis Oktober in der Zeit von 10:30 Uhr bis ca. 14:30 Uhr Sonnenreflektionen ausgehen, die im Bereich der absoluten Blendwirkung liegen. Der Sachverständige hat die Leuchtdichte anlässlich eines Ortstermins im Juli 2017 von der Terrasse der Kläger aus gemessen und die Messwerte auf der Seite 7 des Gutachtens dokumentiert. Danach überschreiten die Leuchtdichten bei Sonnenschein auf der mit den Altpfannen belegten Dachfläche Werte von 100.000 cd/m², und zwar zum Teil mit über 400.000 cd/m² deutlich.
Der Sachverständige nimmt ab Werten von 100.000 cd/m² eine absolute Blendwirkung an. Kennzeichnend dafür ist, dass das Sehvermögen nicht mehr vorhanden ist und das Auge mit Abwehrmaßnahmen wie Tränenfluss oder Blinzeln reagiert. Bei längerer Betrachtung können zudem Schäden an der Netzhaut und am Glaskörper des Auges auftreten (Seite 5 des Gutachtens).
(2) Die von dem Sachverständigen gezogene Grenze ist nachvollziehbar und überzeugt. Der Sachverständige hat bei seiner persönlichen Anhörung darauf hingewiesen, dass die Blendthematik im Zusammenhang mit glasierten Dachziegeln oder Photovoltaikanlagen vergleichsweise jung sei. Feste Grenzen gebe es noch nicht. Seine Grenzziehung entspreche indes dem aktuellen Stand der Forschung und werde etwa auch landesrechtlich in Bayern oder Brandenburg bezogen auf Photovoltaikanlagen aufgegriffen, deren Oberfläche mit glasierten Ziegeln vergleichbar sei. In dem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass die individuelle Augenempfindlichkeit sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Dies erklärt beispielsweise, dass der Eintritt von Absolutblendung ab einem Bereich von ca. 10.000 bis 160.000 cd/m² erörtert wird (Seite 5 des Gutachtens). Die Grenzziehung bei 100.000 cd/m² berücksichtigt demgegenüber, dass insoweit häufiger Menschen mit den für die Absolutblendung typischen Reaktionen betroffen sind (Bl. 86R d. A.). Dies entspricht im Übrigen auch dem rechtlichen Maßstab, wonach auf das Empfinden eines „Durchschnittsmenschen“ abzustellen ist.
(3) Eine Absolutblendung ist für einen verständigen Durchschnittsmenschen bereits vor dem Hintergrund möglicher Gesundheitsgefahren unzumutbar. Hinzu kommt, dass die Blendwirkung nicht nur auf den Außenbereich begrenzt ist, sondern etwa auch das Obergeschoss einbezieht (Seite 6 des Gutachtens). Auch der Wohnzimmerbereich ist – positionsabhängig – betroffen (vgl. Bl. 88R d. A.). Die Blendwirkung ist zudem nicht nur auf einen kurzen Zeitraum beschränkt, sondern dauert – bei entsprechender Sonnenscheindauer – täglich vier Stunden in der Zeit von April bis Oktober an.
bb) Die Blendwirkung ist auch nicht wegen ortsüblicher Benutzung des Grundstücks des Beklagten zu dulden (§ 906 Abs. 2 Satz 1 BGB). Die Ortsüblichkeit bestimmt sich nicht nach der abstrakten Art der Nutzung des emittierenden Grundstücks, sondern nach der konkreten Art der davon ausgehenden Beeinträchtigungen der Nachbarschaft. Entscheidend ist, ob eine Mehrheit von Grundstücken in der Umgebung mit einer nach Art und Maß etwa gleichen Einwirkung benutzt wird. Vorliegend kommt es hiernach nicht darauf an, ob glasierte Dachziegel als solche, sondern ob von diesen ausgehende etwa vergleichbare Blendwirkungen im betreffenden Wohngebiet ortsüblich sind (vgl. OLG Düsseldorf a. a. O.). Der als Störer insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat dies schon nicht konkret behauptet.
c) Etwas anderes gilt für die Reflektionen, die von den Neupfannen ausgehen. Insoweit besteht eine Duldungspflicht gem. § 1004 Abs. 2 i. V. m. § 906 Abs. 1 BGB.
Der Sachverständige hat nachvollziehbar und überzeugend festgestellt, dass insoweit nur Leuchtdichten unter 55.000 cd/m² auftreten (Seite 7 des Gutachtens). Bei diesen Werten seien keine Gesundheitsgefahren, sondern regelmäßig nur Ablenkungen des Auges zu erwarten, die sich „im Bereich der Belästigung“ bewegten (Seite 7 des Gutachtens). Aus sachverständiger Sicht können die konkreten Auswirkungen nicht weitergehend objektiviert werden. Auch insoweit wirke sich aus, dass die Lichtempfindlichkeit subjektiv sehr unterschiedlich ausfallen kann. Diese individuelle Lichtempfindlichkeit ist zwar eine mögliche Erklärung dafür, dass sich die Kläger auch bei Leuchtdichten von unter 100.000 cd/m² erheblich beeinträchtigt fühlen. Maßgeblich ist aber nicht das subjektive Empfinden Einzelner, sondern das durchschnittliche Empfinden. Insoweit ist erheblich, dass mit entsprechenden Leuchtdichten regelmäßig nur Belästigungen verbunden sind. Solcherlei Auswirkungen sind aber insbesondere unter Nachbarn hinzunehmen, da andernfalls ein geordnetes Zusammenleben auf begrenztem Raum nicht möglich ist. Glasierte Dachziegel sind zudem sozialadäquat.
Weitergehend können die Auswirkungen der Blendwirkung hier nicht objektiviert werden: Ein gerichtlicher Ortstermin ist nicht zielführend, da es nicht auf die Augenempfindlichkeit der Entscheidungsträger, sondern auf die durchschnittliche Augenempfindlichkeit ankommt. Der Sachverständige hat zudem klargestellt, dass es hier nicht möglich ist, einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung zu ermitteln. Zwar seien entsprechende Versuche im Bereich der künstlichen Lichtquellen möglich, da in geschlossenen Räumen gleichbleibende Lichtverhältnisse bestünden. Derartige Versuchsbedingungen könnten im Außenbereich aber gerade nicht gewährleistet werden, weil sich mit jeder Minute der Stand der Sonne verändere und eine neue Leuchtsituation auftrete. Die äußeren Bedingungen seien nicht reproduzierbar.
2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten, die durch die außergerichtliche Tätigkeit ihrer Prozessbevollmächtigten entstanden sind. Insbesondere besteht kein Anspruch gem. §§ 280, 286 BGB, da die entsprechenden Kosten bereits vor dem anwaltlichen Schreiben vom 22.06.2015 (Bl. 17 d. A.) entstanden waren. Ein Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB kommt jedenfalls mangels Verschuldens nicht in Betracht. Ein Hauseigentümer handelt grundsätzlich nicht vorwerfbar, wenn er sozialadäquate Bauprodukte verwendet. Hinzu kommt, dass die Problematik der Blendwirkung glasierter Dachziegel auch in zivilrechtlicher Hinsicht vergleichsweise neu ist und über Rechtsprechungsdatenbanken dazu etwa nur ein einschlägiges Urteil des Amtsgerichts Singen vom 19.07.2005 – 10 C 42/05 ermittelt werden kann. Selbst Dachziegelhersteller – so der Sachverständige – seien sich der Problematik der Blendwirkung nur unzureichend bewusst.
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO. Unter Berücksichtigung des Verhältnisses der Altpfannen zu den rechtlich unerheblichen Neupfannen, das etwa auch auf den in dem Gutachten auf den Seiten 8 f. abgedruckten Lichtbildern dokumentiert ist, hatte die Klage lediglich in einem Umfang von 10 % Erfolg.