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Blondierung beim Friseur misslungen – 18.000 Euro Schmerzensgeld


Oberlandesgericht  Koblenz

Az.: 12 U 71/13

Urteil vom 22.07.2013


Anmerkung des Bearbeiters

Die Klägerin ließ an ihren ursprünglich dunklen Haaren im Friseursalon der Beklagten eine Blondierung vornehmen. Obwohl sie äußerte, dass ihre Kopfhaut jucke und brenne, wurde die Blondierung durch die Beklagten fortgesetzt. Während der folgenden Tage schwoll das Gesicht der Klägerin plötzlich an. Alsdann starb in mehreren Bereichen der Kopfhaut Gewebe ab mit der Folge des Verlustes sämtlicher dort vorhandener Haare. Im Krankenhaus wurde sodann bei der Klägerin eine toxische Hautentzündung diagnostiziert. Die Klägerin verklagte daraufhin ihren Friseur auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 18.000,00 Euro sowie auf den Ersatz aller ihr entstandenen und entstehenden Schäden. Das OLG Koblenz gab der Klage der Klägerin vollumfänglich statt. Als Begründung führt das OLG Koblenz diesbezüglich aus, dass der Haarverlust in den betroffenen Bereichen voraussichtlich dauerhaft ist und eine gravierende seelische Belastung bei der Klägerin herbeigeführt hat. Diese sei zudem aufgrund des Haarverlustes dazu gezwungen, nahezu stets eine Kopfbedeckung zu tragen, um die Entstellung zu verbergen. Situationen, in denen es ihr nicht möglich sein wird, den Kopf zu bedecken, wird sie nicht vermeiden können.


Tenor

In dem Rechtsstreit hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 01.07.2013 für Recht erkannt:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der   8. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 07.12.2012 teilweise   abgeändert:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 18000,00 € nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.09.2011 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin alle materiellen und immateriellen Schäden aus der fehlerhaften Behandlung vom 28.01.2011 zu ersetzen, soweit die Ansprüche auf Ersatz dieser Schäden nicht auf Dritte übergegangen sind.

2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.


Gründe

I.

Am 28.01.2011 ließ die am …1995 geborene Klägerin ihre dunklen Haare im Friseursalon der Beklagten zu 1. in …[X] vom Beklagten zu 2. blond färben. Obwohl sie äußerte, dass ihre Kopfhaut jucke und brenne, wurde die Behandlung fortgesetzt. Während der folgenden Tage schwoll das Gesicht der Klägerin an. Alsdann starb in mehreren Bereichen der Kopfhaut Gewebe ab mit der Folge des Verlustes sämtlicher dort vorhandener Haare. Im Universitätsklinikum …[Y] wurde eine toxische Kontaktdermatitis diagnostiziert.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, und festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihr allen materiellen und immateriellen Schaden aus der Behandlung vom 28.01.2011 zu ersetzen, „soweit nicht auf Dritte übergegangen“.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 8000,00 € zu zahlen, über das Feststellungsbegehren gemäß dem Antrag der Klägerin entschieden und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landgerichts Koblenz teilweise abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld von 18000,00 € nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Begründung der Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten der Parteien nebst Anlagen und das angefochtene Urteil verwiesen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.

1.

Die Klägerin hat gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 17.12.2012 zugestellte Urteil des Landgerichts am 25.03.2013 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel begründet. Sie war ohne ihr Verschulden verhindert, die Berufungsfrist und die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Denn über ihren Antrag vom 14.01.2013 auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für den Berufungsrechtszug ist durch Beschluss des Senats vom 05.03.2013 entschieden worden. Diese Entscheidung ist ihrer Prozessbevollmächtigten am 15.03.2013 zugestellt worden. Bei dieser Sachlage ist der Antrag der Klägerin vom 25.03.2013 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig und begründet, §§ 233, 234 Abs. 1 u. Abs. 2, 236 ZPO.

Die Erweiterung der Klage um die Zinsen ist gemäß § 533 ZPO zulässig.

2.

Die von den Beklagten zu vertretende Verletzung der Gesundheit der Klägerin rechtfertigt ein Schmerzensgeld von 18.000,00 €, § 253 Abs. 2 BGB.

Beim Schmerzensgeld stehen vor allem die schadensausgleichende Funktion und opferbezogene Merkmale wie Umfang und Dauer der Schmerzen, Entstellungen, Leiden und Eingriffe in das Leben des Opfers im Vordergrund (BGH Beschl. v. 10.01.2006 – VI ZB 26/05, 27/05,   28/05 -). Zu berücksichtigen sind aber auch die Verhältnisse sowohl des Geschädigten als auch des Schädigers und dessen etwaige Absicherung durch eine Haftpflichtversicherung, der Grad des Verschuldens und die Umstände, die zum Schaden geführt haben (BGH a.a.O.).

Verlangt ein Kläger für erlittene Körperverletzungen uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden durch den zuerkannten Betrag alle diejenigen Schadensfolgen abgegolten, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte, denn der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet es, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Anspruchs aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen (BGH Urt. v. 14.02.2006 – VI ZR 322/04 -).

Zutreffend hat das Landgericht auf Art und Ausmaß der Schädigung der Kopfhaut der Klägerin,

 die Dauer der Schmerzen, die die Klägerin erleiden musste, die Dauer der Krankenhausaufenthalte, den nach dem Gutachten der Ärzte …[A] und …[B] vom 26.06.2012 sehr wahrscheinlich irreversiblen Haarverlust in den betroffenen Bereichen und die erhebliche seelische Belastung der Klägerin („Anpassungsstörung“) durch die Entstellung und die damit einhergehende Beeinträchtigung ihrer persönlichen Integrität als Folge des Schadensereignisses abgestellt.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin weiterhin Missempfindungen der Kopfhaut ausgesetzt ist, sich ihre Schulzeit auf Grund der Krankenhausaufenthalte um ein Jahr verlängerte und sie wegen der Ausprägung ihrer seelischen Belastung ein vorgesehenes Praktikum nicht ableisten konnte.

Diese Umstände insgesamt lassen ein Schmerzensgeld in der angegebenen Höhe als angemessen erscheinen. Hierbei misst der Senat vor allem Art und Ausmaß der deutlich sichtbaren, nicht durch die vorhandenen Haare zu verdeckenden und daher entstellenden Schädigung der Kopfhaut, dem Umstand, dass der Haarverlust in den betroffenen Bereichen voraussichtlich dauerhaft sein wird, und der gravierenden seelischen Belastung der Klägerin als Folge des Schadensereignisses entscheidende Bedeutung bei. Da die Klägerin unter einer Latexallergie leidet, ist es ungewiss, ob sie eine Perücke tragen kann. Sie ist jedoch gezwungen, nahezu stets eine Kopfbedeckung zu tragen, um die Entstellung zu verbergen. Situationen, in denen es ihr nicht möglich sein wird, den Kopf zu bedecken, wird sie nicht vermeiden können. Das Wissen um die Entstellung wird sie insbesondere als Jugendliche und Heranwachsende daran hindern, alle Möglichkeiten der Persönlichkeitsbildung und Lebensführung sowie des Umgangs mit anderen Jugendlichen und Heranwachsenden wahrzunehmen, und ihr Selbstbewusstsein einschränken. Sie wird täglich mit dem Erfordernis konfrontiert sein, ihren Alltag unter Berücksichtigung der Folgen des Schadensereignisses zu gestalten. Zudem ist sie derzeit durch die bestehende Anpassungsstörung in ihrer Fähigkeit zu sozialen Kontakten beeinträchtigt.

Mit den vorliegend zu beurteilenden Umständen sind Fallgestaltungen, die bisher zu Entscheidungen über Schmerzensgeldansprüche wegen fehlerhafter Haarbehandlung geführt haben, nicht vergleichbar (z. B. OLG Bremen Urt. v. 11.07.2011 – 3 U 69/10 -: 4000,00; LG Arnsberg Urt. v. 26. 10.2010 – 3 S 111/10 -: 3000,00 €; LG Coburg Urt. v. 29.07.2009 – 21 O 205/09 -: 5000,00 €; AG Erkelenz: Urteil vom 07.05.2009 – 8 C 351/08 -: 1000,00 €). Vielmehr sind das Schadensereignis vom 28.01.2011 und seine Folgen für die Klägerin einer Kategorie von Fällen zuzuordnen, die ein weitaus höheres Schmerzensgeld rechtfertigen. Der Senat hält es deshalb für angemessen, bei dessen Bemessung deutlich auch über den vom Landgericht zuerkannten Betrag hinauszugehen.

Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 2, 100 Abs. 4 S. 1 ZPO.

Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 10.000,00 €.


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