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Blutentnahme wegen Trunkenheitsfahrt – Polizeianordnung

Landgericht Cottbus

Az: 24 Qs 225/08

Beschluss vom 25.08.2008

Vorinstanz: AG Cottbus, Az.: 70 Gs 1082/08


Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Cottbus vom 9. Juni 2008 (Az.: 70 Gs 1082/08) wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe

I.
Mit Beschluss vom 09. Juni 2008 entzog das Amtsgericht Cottbus dem Beschwerdeführer auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 111a Abs. 1 und 3 StPO vorläufig die Fahrerlaubnis und ordnete die Beschlagnahme des Führerscheins der Klasse 2, ausgestellt durch das Straßenverkehrsamt der Stadt Cottbus am 21. Januar 1985, Listennummer R0513469 an.

Der Maßnahme liegt nach bisheriger Aktenlage folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Beschwerdeführer wurde am 09. Mai 2008 um 16.05 Uhr in Kolkwitz in Höhe der Einmündung zur Kirschallee einer polizeilichen Verkehrskontrolle unterzogen, als er mit dem von ihm gesteuerten Pkw BMW (polizeiliches Kennzeichen SPN-ZZ 88) die Berliner Straße (L 49) aus Cottbus kommend befuhr. Der POK Hoffmann bemerkte nach Öffnung der Fahrertür starken Alkoholgeruch. Der Beschuldigte konnte sich nicht ausweisen und führte insbesondere auch keine Fahrerlaubnispapiere mit sich. Achtmalige Versuche des Beschwerdeführers, das Drägertestgerät zu beatmen, schlugen fehl. Daraufhin wurde ihm mitgeteilt, dass eine Blutentnahme erforderlich sei. Auf die Aufforderung, auszusteigen und im Funkstreifenwagen Platz zu nehmen, reagierte er mit der Äußerung, dass er auf keinen Fall mitkomme. Nach Androhung körperlicher Gewalt wurde er „durch Unterstützungskräfte„ aus dem Fahrzeug geholt. Im Zentralen Polizeigewahrsam in Cottbus, in das er um 17.00 Uhr eingeliefert wurde, entnahm ihm der Arzt Dr. Winzer um 17.19 Uhr eine Blutprobe zur Feststellung der Blutalkoholkonzentration (BAK). Die Akte beinhaltet auf Bl. 4 der vorliegenden Zweitakte eine mit der Uhrzeit 17:30 Uhr versehene „Beauftragung zur körperlichen Untersuchung / Blutentnahme„. Auf dem im Übrigen weitgehend ausgefüllten polizeilichen Formular ist der Schlusstext: „wurde gemäß § 81a StPO wegen Gefahr im Verzuge oder nach § 19 (4) BbgPolG* angeordnet durch: Schröter (E) PW Cottbus, 09.05.08 17:30„ (* Nichtzutreffendes streichen bzw. zutreffendes ankreuzen!)„ nicht konkretisiert.

Die Auswertung der Blutprobe am 14.05.2008 ergab eine mittlere Alkoholkonzentration von 1,97 ‰. Die Einzelwerte betrugen nach der ADH Methode 2,02 und 1,96 ‰ sowie nach der Gaschromatografie 1,96 und 1,94 ‰ (Bl. 10 d.A.).

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Cottbus vom 05. Juni 2008 erließ die Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts Cottbus am 09.06.2008 den Beschluss über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO und über die Beschlagnahme des Führerscheins. Zur Begründung führte sie aus, dass dringende Gründe für die Annahme vorhanden seien, dass der Beschuldigte sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen habe und ihm in der demnächst stattfindenden Hauptverhandlung die Fahrerlaubnis entzogen werden würde.

Gegen den am 11.06.2008 dem Beschuldigten zugestellten Beschluss richtet sich dessen anwaltlich eingelegte Beschwerde vom 23. Juni 2008 (Bl. 51), mit der er die Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung begehrt. Sein Rechtsmittel begründet er mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 24. Juni 2008 (Bl. 54) unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Februar 2007 (Aktenzeichen: 2 BvR 273/06) dahin, dass die Blutentnahme wegen fehlender richterlicher Anordnung rechtswidrig erfolgt sei; es seien keine Gründe dafür ersichtlich gewesen, dass die richterliche Anordnung etwa aufgrund von Gefahr im Verzug nicht hätte eingeholt werden können. Der vorläufige Entzug der Fahrerlaubnis sei deshalb rechtswidrig.

Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen (Bl. 47). Sie hält den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen (Wohnungsdurchsuchungs-)Fall nicht vergleichbar mit dem vorliegenden. In jenem Fall sei es nicht darauf angekommen, an Grenzwerte gebundene medizinische Faktoren zu ermitteln. Hier hingegen gehe es um einen typischerweise täglich auftretenden Fall. Die Sicherung von Beweisen, hier die Blutprobe, sei unverzüglich notwendig, da ansonsten Beweismittelverlust drohe. Die Entscheidung zur Entnahme der Blutprobe stehe gemäß § 81a Abs. 2 StPO bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen zu. In den häufigen Fällen des Verdachts der Trunkenheit im Verkehr dürfte wegen der Geschwindigkeit des Alkoholabbaus im Blut regelmäßig der Untersuchungserfolg gefährdet werden, wenn nicht die Anordnung zugleich durch den mit der Sache vor Ort befassten Polizeibeamten erfolge, womit auch tagsüber die Einschaltung der Staatsanwaltschaft auf besonders gelagerte Einzelfälle beschränkt sein sollte. Abgesehen von der durch den Mindestabbauwert von 0,1 ‰ Alkohol pro Stunde bedingten Gefahr des völligen Beweismittelverlustes durch Zeitablauf sei auch die Beweiskraft zeitlich verzögerter Blutproben gegenüber tatzeitnah erlangter Proben zur Feststellung der Tatzeit-blutalkoholkonzentration immer im Wert gemindert, weil die insoweit erforderliche Rückrechnung durch zunehmenden Zeitablauf nur noch ungenaue Rückschlüsse auf den tatsächlichen Blutalkoholwert zum Zeitpunkt der Tat zulasse.

Auf die anwaltliche Erwiderung des Beschwerdeführers im Schreiben vom 21.07.2008, in welchem er an seinem Standpunkt festhält, wird Bezug genommen.

Der Kammer ist der Abdruck eines von einem Mitarbeiter des Ministerium des Innern des Landes Brandenburg verfassten und im Polizeiintranet veröffentlichten Textes vom 25.07.2008 bekannt, der seine Grundlage in einer Verlautbarung des Ministeriums der Justiz des Landes Brandenburg haben soll und der lautet: „Das MdJ hat auf diesbezügliche Anfrage des MI über die Frage der richterlichen Anordnungskompetenz für die Entnahme von Blutproben nach § 81a Abs. 1 StPO bei Verdachtsfällen der Trunkenheit im Verkehr gegenwärtig abschließend befunden und insoweit einstweilen Klarheit in den Tatbestandsvoraussetzungen einer Gefahr im Verzug in diesen Standardfällen geschaffen. Hiernach ist weiterhin bei Verdacht einer Trunkenheitsfahrt Gefahr im Verzug anzunehmen, wenn jedes Zuwarten den Untersuchungserfolg gefährde. Dies ist beim Abbau des Blutalkoholgehalts stets gegeben, da jede zeitliche Verzögerung bei der Blutentnahme zu größeren Ungenauigkeiten bei der Feststellung des Blutalkoholgehalts im Tatzeitpunkt führen würde. Es bleibt daher bis auf weiteres bei dem Grundsatz, dass der Blutalkoholabbau bei Verkehrsstraftaten grundsätzlich zur Annahme von Gefahr im Verzug und damit zur Wahrnahme der Eilkompetenz durch die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft berechtigt.„

II.

Die zulässige Beschwerde (§ 304 StPO) hat letztlich keinen Erfolg.

1. Aufgrund des bisherigen Ermittlungsergebnisses bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB entzogen werden wird.

a) Nach § 111a Abs. 1 StPO kann der Richter dem Beschuldigten durch Beschluss die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis entzogen werden wird (§§ 69 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. 316 StGB). Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wirkt gemäß § 111a Abs. 3 StPO zugleich als Anordnung oder Bestätigung der Beschlagnahme des von einer deutschen Behörde ausgestellten Führerscheins.

b) Gegen den Beschuldigten besteht aufgrund der bisherigen Ermittlungen der dringende Verdacht, am 09. Mai 2008 um 16.05 Uhr in Kolkwitz mit seinem PKW BMW (polizeiliches Kennzeichen …) die Berliner Straße L 49 aus Richtung Cottbus kommend in alkoholbedingt absolut fahruntüchtigem Zustand (BAK-Mittelwert 1,97 Promille) geführt und sich damit gemäß § 316 StGB strafbar gemacht zu haben. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist jeder Kraftfahrer mit einem Blutalkoholgehalt von 1,1 Promille oder mehr nicht mehr in der Lage, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Dabei genügt es, wenn der Fahrer zur Zeit der Fahrt so viel Alkohol im Körper hatte, dass der Blutalkoholgehalt zu irgendeinem Zeitpunkt nach Beendigung der Fahrt auf den Grenzwert oder mehr ansteigt (BGHSt 25, 246).

Dass sich der Beschuldigte in einem alkoholbedingt absolut fahruntüchtigen Zustand befand, ergibt sich aus der im Gutachten des Instituts für Laboratoriumsmedizin des Carl-Thiem-Klinikums Cottbus vom 14. Mai 2008 getroffenen Feststellung der Blutalkoholkonzentration.

2. Das vorgenannte Ergebnis der Begutachtung ist hier auch verwertbar.

a) Entgegen dem Vorbringen in der Beschwerdebegründung steht der Verwertung des Ergebnisses der Blutuntersuchung nicht entgegen, dass die Entnahme der Blutprobe von einem Polizeibeamten und nicht – wie grundsätzlich von § 81a Abs. 2 StPO gefordert – von einem Richter angeordnet worden ist. Damit haben die Ermittlungsbeamten zwar gegen den Richtervorbehalt verstoßen, doch begründet dieser Verfahrensverstoß hier (noch) kein Beweisverwertungsverbot.

(1) Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 12.02.2007 (NJW 2007, 1345 ff), die – entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft – durchaus auch die hier anstehende Problematik betrifft, u.a. ausgeführt: „Nach § 81a Abs. 2 StPO steht die Anordnung der Blutentnahme grundsätzlich dem Richter zu. Der Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme in ihren konkreten gegenwärtigen Voraussetzungen durch eine unabhängige und neutrale Instanz. Nur bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung besteht auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen (Unterstreichung durch die Kammer). Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist.„

(2) Dieser verfassungsrechtlichen Sicht wird weder die Verfahrensweise der Polizeibeamten noch die Auffassung der Staatsanwaltschaft gerecht.

Weder haben die Polizeibeamten den Eildienstrichter des Amtsgerichts Cottbus oder – nachrangig – den Eildienst habenden Staatsanwalt kontaktiert noch haben sie dokumentiert, ob überhaupt und – wenn ja – aufgrund welcher Umstände sie von einer Gefahr im Verzuge ausgingen. Wenn sie eine Gefahr im Verzuge angenommen haben sollten, dann hätte sich diese Annahme auf den Einzelfall bezogene Tatsachen stützen müssen (vgl. BVerfG aaO; OLG Karlsruhe NStZ 2005, 399; OLG Koblenz NStZ 2002, 660), deren Vorliegen wiederum uneingeschränkter gerichtlicher Überprüfung unterlegen hätte (BVerfG NJW 2001, 1121 (1123); OLG Karlsruhe aaO). Schriftliche Angaben zu solchen Tatsachen sind nicht gemacht worden. Das auf Bl. 4 der Akte wiedergegebene polizeiliche Formular „Beauftragung„ enthält keinen Hinweis, warum – wenn überhaupt – eine Gefahr im Verzuge angenommen wurde. Vielmehr bleibt dort sogar, obschon das Entsprechende zu kennzeichnen war, offen, ob gem. § 81a StPO wegen Gefahr im Verzuge oder nach § 19 Abs. 4 BbgPolG verfahren wurde. Das Formular enthält nicht einmal einen Hinweis auf den von Gesetzes wegen zu beachtenden Richtervorbehalt und auf den nachrangig zu befragenden Eildienststaatsanwalt und im Übrigen auch keine Fragestellung, ob der Beschuldigte mit der Entnahme einer Blutprobe einverstanden ist. Es kann hier auch nicht etwa von einer evidenten Gefahr im Verzuge ausgegangen werden. Es verstrich nämlich mehr als eine Stunde zwischen der Verkehrskontrolle um 16.05 Uhr und der Blutentnahme um 17.19 Uhr ungenutzt, während der man eine Anordnung des zuständigen Richters (Eildienstrichter des Amtsgerichts Cottbus) zu erlangen hätte versuchen müssen. Immerhin hatte(n) der (die) Polizeibeamte(n) in dieser Zeit das Anrücken von „Unterstützungskräften„ veranlasst, um den sich weigernden Beschuldigten aus dessen Pkw zu holen und ihn in den FustKw zu verbringen. Die Eildienstelefonnummer des Amtsgerichts Cottbus ist dem Polizeischutzbereich Spree-Neiße, wie der Kammer aufgrund eines Schreibens des Amtsgerichts bekannt ist, jedenfalls im Juli 2005 mitgeteilt worden. Das tatsächliche Geschehen, zu dem schließlich – wenn auch nicht ausschlaggebend – auch die ersichtlich Alkohol bedingten Ausfallerscheinungen des Beschuldigten gehören, lässt demnach keinen Rückschluss auf eine Gefahr im Verzuge zu. Hierbei wäre im Übrigen ein strenger Maßstab anzulegen gewesen (vgl. BVerfGE 103, 142 (153), Hans. OLG NStZ 2008, 362 (365), denn richterliche Eilanordnungen sind nach dem Wortlaut und Systematik des § 81a Abs. 2 StPO die Regel und die nichtrichterlichen die Ausnahme.

Es ist auch nicht zutreffend, dass – wie die Staatsanwaltschaft und offensichtlich auch der oben unter Zif. I a.E. zitierte Verfasser meint – wegen der Geschwindigkeit des Alkoholabbaus im Blut regelmäßig der Untersuchungserfolg gefährdet werde. Abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall bei einer Einschaltung des Eildienstrichters (ggfls. nachrangig des Eildienststaatsanwalts) gerade nicht mit einer Verzögerung zu rechnen gewesen wäre, würden kurzfristige Verzögerungen, bedingt durch die Einschaltung des Gerichts, mittels Rückrechnung ohne weiteres ausgeglichen werden können (so auch Hans. OLG aaO (S. 364); OLG Stuttgart NStZ 2008, 238; LG Berlin, Beschl. vom 23.04.2008, NJW Spezial 2008, 491). Die Nachweisbarkeit der BAK durch Rückrechnung ist allgemein bekannt und anerkannt und steht deshalb der Notwendigkeit der unverzüglichen Anordnung durch die Ermittlungsbehörde und der Durchführung der Blutentnahme grundsätzlich entgegen (so auch OLG Stuttgart NStZ 2008, 238). Die Auffassung der Staatsanwaltschaft läuft demgegenüber darauf hinaus, dass in Fällen von Alkohol am Steuer stets Gefahr im Verzuge anzunehmen sei. Damit verkennt sie den Richtervorbehalt, fördert seine Umgehung und macht ihn letztlich „sinnlos„ (so BGH NStZ 2007, 601 (603 a.E.). Gerade der vorliegende Fall zeigt, dass dem Richtervorbehalt (ggfls. nachrangig dem Staatsanwaltsvorbehalt) hätte genügt werden können, wie dies jedenfalls tagsüber und innerhalb der Zeiträume gem. § 104 Abs. 3 StPO möglich gewesen wäre. Obendrein verlangt das Bundesverfassungsgericht gerade die Einzelfallbezogenheit der Tatsachen, mit denen die Gefährdung des Untersuchungserfolges begründet werden muss. Demzufolge ist nicht darauf abzustellen, dass es generell wünschenswert wäre, möglichst rasch zu einer Blutentnahme zu gelangen.

b) Ein Beweisverwertungsverbot ist trotz des Verfahrensverstoßes hier im Ergebnis zu verneinen.

(1) Ein allgemein geltender Grundsatz, jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ziehe ein Verwertungsverbot nach sich, ist dem Strafverfahrensrecht nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BGHSt 44, 243, 249; NstZ 2007, 601 (602)) fremd. Gemessen an dem Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, bedeutet ein Beweisverwertungsverbot die Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (BGH NJW 2007, 2269 (2271) mwN). Ein Beweisverwertungsverbot setzt demnach schwerwiegende Rechtsverletzungen, die durch das besondere Gewicht der jeweiligen Verletzungshandlungen bei grober Verkennung der Rechtslage geprägt sind, voraus (BGH a.a.O). Deshalb kommt ein Beweisverwertungsverbot nicht bei jedem Verfahrensverstoß in Betracht (BGH NStZ 2007, 601 ff; OLG Karlsruhe NStZ 2005, 399; LG Itzehoe NStZ-RR 2008, 249f).

Auch bei gesetzlich geregelten Eingriffen in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgt aus Verstößen gegen die Verfahrensvorschriften nur dann die Unverwertbarkeit, wenn nach Abwägung aller Umstände das Recht des Beschuldigten das Strafverfolgungsinteresse überwiegt (OLG Karlsruhe NStZ 2005, 398; OLG Stuttgart NStZ 2008, 238). Dabei ist insbesondere auch auf die Art des Verbots und das Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen abzustellen (vgl. BVerfG, NJW 2006, 2684, 2686; BGH NStZ 2007, 601 (602)).

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(2) Vorliegend ist nicht ohne Bedeutung, dass die Maßnahme, die für den Beschuldigten lediglich mit einem relativ geringfügigen Eingriff verbunden war, letztlich dem hochrangigen Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit im Straßenverkehr diente. Zudem fällt ins Gewicht, dass es sich bei der Regelung des § 81a Abs. 2 StPO lediglich um einen einfachgesetzlichen Richtervorbehalt handelt und die Eilanordnung der Polizei nicht schlechthin verboten ist (HansOLG NZV 2008, 362f, 365). Aufgrund der von der Polizei vorgefundenen Verhältnisse an Ort und Stelle wäre schließlich zu erwarten gewesen, dass die Polizeibeamten einen richterlichen Anordnungsbeschluss höchstwahrscheinlich erlangt hätten, was auch gegen ein Verwertungsverbot sprechen würde (HansOLG aaO).

(3) Indessen kann – so der BGH aaO im Leitsatz, dem die Kammer folgt – auch eine bewusste Missachtung oder gleichgewichtig grobe Verkennung der Voraussetzungen des Richtervorbehalts ein Beweisverwertungsverbot rechtfertigen. So ist der Fall hier allerdings (noch) nicht zu bewerten. Soweit der Kammer bekannt, war in der Vergangenheit – jedenfalls außerhalb der Dienststunden der Gerichte – die Anordnung der Blutentnahme allein durch die Polizei die Regel. Diese Praxis erfuhr offensichtlich keinen Widerspruch durch die Staatsanwaltschaft (als Herrin des Verfahrens) und auch nicht durch die hier damit befassten Gerichte. Dies mag dazu geführt haben, dass der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht der ihr zukommende Stellenwert beigemessen wurde, wie dies auch aus der Begründung der Staatsanwaltschaft zum Abweisungsantrag und aus dem oben unter Zif. I a.E. wiedergegebenen Text aus dem Ministerium des Innern hervorgeht. Hieraus lässt sich wiederum erklären, dass die Missachtung des Richtervorbehalts im vorliegenden Fall nicht bewusst geschehen ist, jedenfalls liegen der Kammer dazu keine andere konkrete Feststellungen, sondern nur Mutmaßungen vor. Damit entfällt (derzeit noch) der Vorwurf der Willkürlichkeit der Annahme von Gefahr im Verzug mit der Folge, dass ein Beweisverwertungsverbot (noch) nicht eingreift.

(4) Allerdings wird die Kammer, um dem verfassungsrechtlichen Aspekt zu genügen und um ein gesetzeskonformes Handeln der Ermittlungsbehörden nunmehr herbeizuführen, nach Bekanntgabe dieser Entscheidung den hiesigen Gerichten und Ermittlungsbehörden gegenüber, also in naher Zukunft, die Missachtung des Richtervorbehalts grundsätzlich als bewusste Missachtung und damit als Willkür qualifizieren mit der Folge, dass sie grundsätzlich in derartigen Fällen von einem Beweisverwertungsverbot ausgeht (vgl. BGH, NJW 2007, 2269, 2272 mwN, OLG Stuttgart NStZ 2008, 238). Denn wollte man generell Blutentnahmen vom Richtervorbehalt ausnehmen, weil wegen angeblicher Beweismittelgefährdung bzw. -verlustes stets Gefahr im Verzug anzunehmen sei, würde dies, weil losgelöst vom Einzelfall, auf eine bewusste Umgehung des gesetzlich angeordneten Richtervorbehalts hinauslaufen und der willkürlichen Annahme von Gefahr im Verzug Tür und Tor öffnen (vgl. OLG Stuttgart NStZ 2008, 238 mwN; Mosbacher, Verwertungsverbot bei Durchsuchungsanordnung des Staatsanwalts, NJW 2007, 3686 ff). Da das Gebot, den Richtervorbehalt einzuhalten, für das durch rechtsstaatliche Grundsätze geprägte Ermittlungsverfahren wesentlich ist, dürfen grobe Verstöße, worunter auch willkürliches Verhalten fällt, „nicht sanktionslos gelassen werden„ (so BGH aaO S. 603 Rn. 13; Mosbacher aaO, a.E.). Dem folgt die Kammer.

(5) Der vom Beschuldigten am 19.08.2008 anwaltlich vorgebrachten Anregung, den Beschluss des Amtsgerichts im Hinblick auf einen dem Bundesverfassungsgericht vorliegenden Eilantrag zum Az. 2 BvR 1085/08 aufzuheben, vermag die Kammer schon deshalb nicht näher zu treten, weil eine in jener – der Kammer im Übrigen nicht bekannten – Sache getroffene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – sofern es eine solche überhaupt schon gibt – der Kammer nicht vorliegt. Ein Zuwarten kommt ebenfalls nicht in Betracht.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

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