LAG Hamm
Az.: 14 Sa 182/04
Urteil vom 26.05.2004
Vorinstanz: Arbeitsgerichts Herford, Az.: 2 Ca 1394/03
Leitsatz:
Ein durch Boten gegen 12.40 Uhr in den Briefkasten des Arbeitnehmers eingeworfenes Kündigungsschreiben geht auch dann am selben Tage zu, wenn der normale Posteinwurf üblicherweise etwa zwei Stunden früher erfolgt.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 17.12.2003 – 2 Ca 1394/03 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Tatbestand:
Mit seiner am 05.08.2003 vor dem Arbeitsgericht Herford erhobenen Klage bekämpft der Kläger seine von der Beklagten ausgesprochene Kündigung.
Der 1973 geborene Kläger, ledig, hat eine Ausbildung als Dipl.-Pflegewirt. Er trat zum 31.08.1998 in die Dienste des L1xxx-W1xxxx-B1xxxxxx e.V. in E2xxx, der erstinstanzlich noch als Beklagter zu 1) geführt wurde. Er war ursprünglich für das Pflegemanagement verantwortlich. Der Verein gründete Ende 2001 die in der Berufungsinstanz allein beklagte GmbH, bei welcher der Kläger fortan allein beschäftigt war.
Ab Februar 2002 wurde die ursprüngliche Vollzeitbeschäftigung auf 29 Wochenstunden herabgesetzt. Das Gehalt des Klägers betrug nun 1.624,37 EUR. Der Kläger wurde von der Beklagten in erster Linie in der Wohnberatungsstelle eingesetzt. Daneben, insbesondere bei Pflegeengpässen, war er auch im ambulanten Pflegedienst tätig. Eine am 24.01.2002 geschlossene Vereinbarung über selbstständige Tätigkeiten im Bereich der Pflege und Betreuung kam nicht zum Tragen.
Der Geschäftsführer der Beklagten beauftragte den Kläger am Wochenende 12./13.07.2003 wegen eines entstandenen Pflegeengpasses einen ambulanten Pflegedienst zu übernehmen. Der Kläger lehnte dies jedoch ab und blieb auch nach Androhung einer Kündigung bei seiner Weigerung. Daraufhin fertigte die Beklagte unter dem Datum des 12.07.03 das Kündigungsschreiben wie Bl 9 d. GA, welches dem Kläger spätestens am Dienstag, d. 15.07.03, zuging.
Mit seiner am 05.08.2003 bei dem Arbeitsgericht Herford erhobenen Kündigungsschutzklage bekämpft der Kläger die ausgesprochene Kündigung als sozialwidrig.
Er meint, die Klagefrist nach § 4 S. 1 KSchG sei von ihm gewahrt worden, weil die streitbefangene Kündigung ihm erst am 15.07.2003 zugegangen sei. Selbst wenn das Kündigungsschreiben, wie von der Beklagten behauptet, in der Mittagszeit des 14.07.2003 per Boten in seinen Hausbriefkasten eingeworfen worden sei, was bestritten werde, liege ein wirksamer Zugang im Sinne von § 130 Abs. 1 S. 1 BGB erst für den nächsten Tag vor, weil ihm die Post regelmäßig bis 11.00 Uhr vormittags zugestellt werde und er keine Veranlassung habe, danach nochmals seinen Briefkasten zu inspizieren. Die von der Beklagten behauptete Zustellung gebe im Übrigen überhaupt keinen Sinn, weil es möglich gewesen sei, ihm das Kündigungsschreiben am Morgen in den Büroräumen der Beklagten persönlich zu übergeben, als er vergeblich versucht habe, wie üblich seiner Arbeit nachzugehen.
Die Kündigung sei ungerechtfertigt, weil er keine Arbeitsverweigerung begangen habe. Die ihm angesonnene Übernahme des ambulanten Pflegedienstes habe nicht zu seinem vertraglichen Aufgabengebiet gehört und sei im Übrigen auch nicht durchführbar gewesen, weil er die zu betreuende Klientel gar nicht gekannt habe.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch außerordentliche Kündigung vom 12.07.2003 zum 31.08.2003 beendet worden ist,
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis über den 31.08.2003 hinaus unverändert fortbesteht.
Hilfsweise hat er beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristgemäße ordentliche Kündigung des Beklagten vom 12.07.2003 zum 31.08.2003 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie haben betont, dass ein Arbeitsverhältnis des Klägers zuletzt nur mit der Beklagten zu 2) (GmbH) bestanden habe.
Die Berechtigung der Kündigung sei im vorliegenden Rechtsstreit nicht zu überprüfen, weil der Kläger die gesetzliche Klagefrist versäumt habe. Die Kündigung sei ihm nämlich schon am Montag, dem 14.07.2003 zugegangen. Der als Angestellter bei der Beklagten tätige Zeuge W2xxxxxx habe das Kündigungsschreiben auftragsgemäß gegen 12.40 Uhr in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen. Eine persönliche Übergabe sei nicht möglich gewesen. Unzutreffend sei die Behauptung des Klägers, dass er am Morgen des 14.07. zum Arbeitsantritt im Büro gewesen sei und dort den Zeugen W2xxxxxx getroffen habe. Der Kläger habe allen Anlass gehabt, auch ab der Mittagszeit noch nach eingehender Post zu sehen, weil er mit der Kündigung aufgrund der vorangegangenen Kontroverse mit dem Geschäftsführer habe rechnen müssen. Auf die Uhrzeit des üblichen Posteinganges komme es nicht an.
Die Kündigung sei aus verhaltensbedingten Gründen berechtigt gewesen, weil sich der Kläger grundlos geweigert habe, den ihm aufgetragenen Wochenenddienst zu übernehmen. Die Wahrnehmung der ambulanten Pflege habe immer auch zu seinem Aufgabenbereich gehört. Der Kläger sei trotz Androhung einer Kündigung bei seiner grundlosen Weigerung geblieben.
Das Arbeitsgericht Herford hat durch sein am 17.12.2003 verkündetes Urteil wie folgt entschieden:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die im Schreiben der Beklagten zu 2) vom 12.07.2003 ausgesprochene Kündigung nicht mit dem 31.08.2003 aufgelöst worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 2).
Streitwert: 4.873,11 EUR
In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, dass ein Arbeitsverhältnis des Klägers offensichtlich zuletzt nur noch mit der Beklagten zu 2) bestanden habe und auch nur von dieser die Kündigung ausgegangen sei. Diese Kündigung habe jedoch das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet, da es einen rechtfertigenden Grund im Sinne von § 1 KSchG nicht gegeben habe. Auf den Kündigungsschutz könne sich der Kläger berufen, weil er die Klagefrist nach § 4 Abs. 1 S. 1 KSchG gewahrt habe. Die Kündigung sei ihm nämlich erst am 15.07.2003 zugegangen. Zugunsten des Klägers sei nämlich davon auszugehen, dass der von der Beklagten behauptete Einwurf des Kündigungsschreibens nach der beim Kläger üblichen Postzustellung stattgefunden habe und dieser deshalb nicht mehr gehalten gewesen sei, seinen Briefkasten nochmals wegen eventueller späterer Sendungen zu überprüfen.
Was den Kündigungsgrund angehe, so habe für den Kläger keine Verpflichtung bestanden, die ihm angesonnene ambulante Pflege auszuführen, weshalb auch keine Arbeitsverweigerung vorliege. Pflegeleistungen des Klägers seien ausschließlich Gegenstand des Vertrages „über selbstständige Tätigkeiten“ vom 24.01.2002 gewesen.
Wegen der Ausführungen des Arbeitsgerichts im Einzelnen wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen das ihr am 13.01.2004 zugestellte Urteil hat die beklagte GmbH am 30.01.2004 Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel am 12.03.2004 begründet.
Sie wendet sich gegen die Feststellung des Arbeitsgerichts, dass das Kündigungsschreiben dem Kläger erst am 15.07.2003 zugegangen sei. Die Auffassung, der Kläger habe aufgrund der bei ihm üblichen früheren Postzustellzeiten nicht mehr mit dem Zugang des Kündigungsschreibens rechnen müssen, sei schon deshalb fehlerhaft, weil die Deutsche Post AG Postzustellungen in ganz Deutschland bis 18.00 Uhr vornehme. Den Einwurf des Kündigungsschreibens gegen 12.40 Uhr in den Briefkasten müsse sich der Kläger als Zugang für diesen Tag zurechnen lassen, zumal eine persönliche Übergabe trotz Klingelns an der Haustür nicht möglich und die Zustellung des Kündigungsschreibens ohnehin aufgrund der vorangegangenen Androhung zu erwarten gewesen sei.
Fälschlicherweise gehe auch das Arbeitsgericht davon aus, dass die Durchführung ambulanter Pflege nicht zum Aufgabenbereich des Klägers gehört habe. Die in der Anlage beigefügten Kopien von Einsatzplänen bewiesen vielmehr, dass er regelmäßig im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses, insbesondere auch für Wochenenddienste eingesetzt worden sei. Sofern ihm Patienten unbekannt gewesen seien, habe jeweils eine ausführliche Einweisung in die fraglichen Touren stattgefunden.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend und stellt einen Zugang des Kündigungsschreibens für den 14.07.2003 weiterhin in Abrede. Richtig sei auch die Feststellung des Arbeitsgerichts, dass die Durchführung ambulanter Pflege nicht zu seinem vertraglichen Aufgabenbereich gehört habe. Die ihm aufgetragenen Pflegeleistungen am Wochenende 12./13.07.03 habe er deshalb nicht durchführen müssen. Die auf Arbeitsverweigerung gegründete Kündigung gehe daher ins Leere.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen Bezug genommen.
Die Berufungskammer hat Beweis erhoben über die strittige Frage der Zustellung des Kündigungsschreibens durch Vernehmung des Zeugen W2xxxxxx. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 26.05.2004 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten musste Erfolg haben. Die vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage war abzuweisen, weil er die dreiwöchige Klagefrist nach § 4 Abs. 1 S. 1 KSchG versäumt hat. Im Einzelnen gilt Folgendes:
1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist streitlos das Kündigungsschutzgesetz anzuwenden. Eine gerichtliche Überprüfung der Kündigung kann jedoch nur erfolgen, wenn die dreiwöchige Klagefrist gewahrt ist. Der Kläger hat die Klagefrist versäumt.
Die streitbefangene Kündigung ging, wie die Beweisaufnahme ergeben hat, dem Kläger bereits am 14.07.2003 zu. Demgemäß hätte spätestens am 04.08.2003 eine gegen die Kündigung gerichtete Klage bei dem Arbeitsgericht eingehen müssen. Die Kündigungsschutzklage ging jedoch erst am 05.08.2003 bei dem Arbeitsgericht Herford ein.
Der von der Berufungskammer vernommene Zeuge W2xxxxxx hat für das Gericht nachvollziehbar und glaubhaft bekundet, dass er das Kündigungsschreiben in seiner Mittagspause in den Briefkasten des Klägers einwarf, nachdem er vorher vergeblich angeklingelt hatte. Die Darstellung des Zeugen war in sich schlüssig. Er machte einen sicheren und unvoreingenommenen Eindruck. Die Glaubwürdigkeit des Zeugen wird auch durch den Umstand gestützt, dass dem Kläger unstreitig anlässlich des Disputs mit dem Geschäftsführer der Beklagten eine Kündigung für den Fall angedroht wurde, dass er den angeordneten Wochenenddienst nicht antrat. Nachdem der Kläger – ob berechtigt oder nicht – dem Dienst ferngeblieben war , musste er daher für den darauffolgenden 14.07.03 mit seiner Kündigung rechnen. Soweit der Kläger gegen die Zustellung des Kündigungsschreibens den Umstand ins Feld führt, dass er ja am Montagmorgen in den Räumlichkeiten der Beklagten gewesen sei, um seinen Dienst anzutreten, wobei sich zwanglos die Gelegenheit zur persönlichen Übergabe des Kündigungsschreibens ergeben hätte, ist dieser Einwand ohne Bedeutung. Denn es steht ohnehin fest, dass sich das Kündigungsschreiben vom 12.07.03 im Briefkasten des Klägers befand. Streitig war nur, wann es dort hineingelangte. Aufgrund der glaubhaften Aussage des Zeugen steht für die Berufungskammer fest, dass der Einwurf des Kündigungsschreibens bis spätestens 13.00 Uhr am 14.07.03 erfolgte.
2. Dem Einwand des Klägers, dass bei einer Einwurfzeit von 12.40 Uhr die bei ihm übliche Postzustellung längst abgelaufen gewesen sei und deshalb eine Überprüfung des Briefkastens zu diesem Zeitpunkt von ihm nicht mehr erwartet werden konnte, kann nicht gefolgt werden. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 08.12.1983 (AP Nr. 12 zu § 130 BGB) ausgeführt, dass bei einem Briefeinwurf deutliche Zeit nach den allgemeinen Postzustellzeiten ein Zugang erst für den folgenden Tag angenommen werden könne. Ob an dieser Rechtsprechung unter den heutigen Verhältnissen, insbesondere nach der Privatisierung der Post und dem Auftreten anderer Anbieter noch in dieser Allgemeinheit zu folgen ist, kann dahingestellt bleiben (vgl. LAG Berlin, Urteil vom 11.12.2003, 16 Sa 1926/03 in AuA 2004 Nr. 5 S. 44). Denn auch wenn man davon ausgeht, dass, wie vom Kläger behauptet, die übliche Postzustellung bei ihm um 11.00 Uhr abgeschlossen sei, so heißt dies nicht, dass ein Einwurf, der kaum zwei Stunden später erfolgt, keinen Zugang für denselben Tag bewirkt. Denn eine Erklärung ist dann zugegangen, sobald sich der Empfänger bei normaler Gestaltung seiner Verhältnisse Kenntnis von der Kündigung verschaffen kann und die Kenntnisnahme nach den Gepflogenheiten des Verkehrs auch von ihm erwartet werden muss (vgl. ErfK/Müller/Glöge, § 620 BGB, Rn. 49). Es kommt also auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme unter gewöhnlichen Umständen an (so Preis, Arbeitsrecht, 2. Aufl., § 57 IV 2). Bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer, der normalerweise während der Vormittagsstunden und auch eines Teils des Nachmittags arbeitet, ist daher eine Zustellung ohne weiteres auch in den Nachmittagsstunden möglich, selbst wenn die übliche Postzustellung bereits in den frühen Vormittagsstunden erfolgt. Denn die übliche Kenntnisnahme des Posteinwurfes erfolgt bei einem solchen Arbeitnehmer normalerweise, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt (vgl. HzA/Isenhardt, Gruppe 5, Rn. 33; ebenso Kasseler Handbuch/Isenhardt, 6.3, Rn. 33). Daher konnte auch die Beklagte berechtigterweise davon ausgehen, dass ein Einwurf des Kündigungsschreibens während der Mittagspause ohne weiteres dem Kläger noch am selben Tage im Rechtssinne zuging.
Im Übrigen muss hier richtig gesehen werden, dass der Kläger nach der vorausgegangenen Kündigungsandrohung durch den Geschäftsführer der Beklagten mit einer Kündigung für den 14.07.2003 rechnen musste. Er hatte daher allen Anlass, noch am Nachmittag des 14.07. seinen Briefkasten zu überprüfen (vgl. insoweit auch LAG Berlin, Urteil vom 11.12.2003, a.a.O.).
3. Da nach alledem eine rechtzeitige Kündigungsschutzklage nicht erhoben wurde, bedarf es keiner Ausführungen darüber, ob die Kündigung wegen der weigerlichen Haltung des Klägers berechtigt war oder, wie das Arbeitsgericht meint, der dem Kläger aufgetragene Wochenenddienst gar nicht zum Inhalt seines Arbeitsverhältnisses gehörte und deshalb die hierauf gestützte Kündigung nicht hingenommen werden könne.
Die Kosten seiner erfolglosen Kündigungsschutzklage hat der Kläger gemäß § 91 ZPO zu tragen. Der Streitwert ist gegenüber der Vorinstanz unverändert geblieben.
Die Zulassung der Revision erfolgte gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.