HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT
Az.: 5 U 231/92
Verkündet am: 05.05.1993
Vorinstanz: LG Hamburg – Az.: 332 O 262/92
URTEIL
IM NAMEN DES VOLKES
Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 5. Zivilsenat, hat aufgrund der mündlichen Verhandlung am 14. April 1993 für Recht erkannt
Auf die Berufung der Beklagten wird das Grundurteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 32, vom 1. Oktober 1992 wie folgt abgeändert:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten beider Instanzen tragen die Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Beschwer wird auf 50.744,98 DM festgesetzt.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Berufung der Beklagten ist begründet.
Den Klägern stehen Ansprüche aus dem Versicherungsverhältnis nicht zu, weil die Beklagte nach § 61 VVG von ihrer Leistungspflicht befreit ist. Der in der Wohnung des Klägers entstandene Sachschaden ist nach Überzeugung des Senats durch grobe Fahrlässigkeit verursacht worden.
Voranzustellen ist, daß dafür entscheidend nur das Verhalten des Klägers sein kann. Nur dieser – einer der – Versicherungsnehmer der Beklagten. Daß er und die übrigen Miteigentümer auch für ein etwaiges grobes Verschulden dar Ehefrau des Klägers einzustehen hätten, läßt sich nicht feststellen, weil weder vorgetragen noch ersichtlich ist, daß diese die Stellung einer Repräsentantin der Versicherungsnehmer innegehabt hätte (vgl. hierzu Prölss/Martin, VVG, 25. Aufl., § 61 Anm. 2, § 6 Anm. 8 B m.N.).
Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, nämlich einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und dasjenige nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedermann einleuchten mußte; neben dem objektiven Pflichtenverstoß muß auch ein subjektiv schweres Verschulden gegeben sein (BGH VersR 1986, 671).
Hier hat der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau die Wohnung für etwa 15 Minuten verlassen, um einen im gleichen Hause wohnenden Nachbarn aufzusuchen, ohne daß zuvor die beiden im Wohnzimmer an einem Adventskranz brennenden Kerzen gelöscht worden sind. Objektiv liegt eine erhebliche Leichtfertigkeit darin, angesichts der von einer offenen Flamme ausgehenden Brandgefahr zwei brennende Adventskerzen während eines Zeitraumes von 15 – 20 Minuten sich selbst zu überlassen. Anders als es das Landgericht gesehen hat, hält der Senat das Verschulden des Klägers auch subjektiv für so schwerwiegend, daß von einer groben Fahrlässigkeit gesprochen werden muß.
Aufgrund der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Kläger die Wohnung nicht in der Annahme, die Kerzen seien von seiner Frau gelöscht worden, verlassen hat, sondern entweder – wie vom Zeugen bekundet – sie wissentlich hat brennen lassen in der Meinung, dies sei ungefährlich, oder schlicht die brennenden Kerzen nicht bedacht hat.
Unstreitig hat der Kläger gegenüber dem Zeugen – Schadensermittler der Beklagten – nichts davon erwähnt, daß er – wie jetzt im Rechtsstreit vorgetragen – vor dem Verlassen der Wohnung seine Frau gebeten hatte, die Kerzen zu löschen. Der Senat hält dies auch nicht für glaubhaft. Zum einen ist nicht einsichtig, warum der Kläger die Kerzen nicht selbst gelöscht hat, wenn er sich um diese wirklich sorgte – denn der Adventskranz stand neben dem Eßtisch, also in Reichweite. Zum anderen ist bei der vom Kläger geschilderten Situation nicht erklärlich, daß – wie mit der Klage vorgetragen – seine Frau diese Aufforderung nicht gehört haben soll, wenn sie wirklich gefallen wäre. Außerdem ist die Darstellung in sich nicht widerspruchsfrei: Die Ehefrau soll die Bitte, die Kerzen zu löschen, nicht gehört haben; andererseits spricht der Kläger bei seiner Anhörung von einem „Fehler“ seiner Frau, den er ihr nicht habe gegenüber der
Beklagten „anlasten“ wollen – doch ein Verschulden, ein Fehlverhalten seiner Frau läge von seinem Standpunkt aus dann nicht vor, wenn sie seine Bitte nicht gehört hätte.
Angesichts dieser Umstände hält der Senat es für bewiesen, dass das Ehepaar die Wohnung verlassen hat, ohne sich um die noch brennenden Kerzen zu kümmern. Hierzu vermögen die im nach gereichten Schriftsatz von den Klägern benannten Zeugen nichts zu bekunden, auf sie kommt es daher nicht an.
Nach dieser Sachlage ist ein grobes Verschulden des Versicherungsnehmers i.S. von § 61 VVG auch dann zu bejahen, wenn der Kläger meinte, während des nur als „kurz“ geplanten Besuches bei den Nachbarn könne von den noch kaum heruntergebrannten, ca. 7 – 8 cm dicken und über 20 cm hohen Kerzen keine konkrete Gefahr ausgehen. Jedermann weiß, daß nicht nur heruntergebrannte Kerzen, sondern auch flackerndes, ungleichmäßig brennendes Kerzenlicht Feuer auslösen kann, zB wenn es durch Luftbewegung in seitliche Richtungen getrieben wird. Auch war brennbares Material in der Nähe: Die Kerzen standan zwar in einer Metallhalterung, aber auf einem geschmückten Adventskranz, der sich wiederum unmittelbar auf einem Tisch aus Holz und Kunststoff befand. Tatsächlich hat auch lt. Angaben in der Schadensanzeige (Anl. 81) der Adventskranz Feuer gefangen.
Allerdings wird der Vorwurf grober Sorglosigkeit nicht schon stets dann zu erheben sein, wenn brennende Kerzen einmal kurzfristig unbeaufsichtigt bleiben. Wie vom Landgericht schon erwähnt, ist das Aufstellen von Adventskränzen und -kerzen in der Advents- und Weihnachtszeit allgemein gebräuchlich, dies muß bei den Anforderungen an die versicherungsrechtliche Sorgfaltspflicht berücksichtigt werden (vgl. auch OLG Hamm VersR 1989, 1295).
Im vorliegenden Fall haben der Kläger und seine Ehefrau indessen ohne jeden verständlichen Grund eine der Sache nach gebotene und völlig unschwer auszuführende Vorsichtsmaßnahme unterlassen, als sie die Wohnung verließen. Anders als jemand, der von dritter Seite her, von außen, wie zB durch einen Telefonanruf, aus dem Zimmer gerufen wird (OLG Hamm a.a.O) oder neben einer gesichert angebrachten Kerze unvermutet einschläft (BGH VersR 86, 671) oder Versehentlich eine von mehreren Kerzen nicht löscht (BGH VersR 86, 254), sind sie in keiner Weise unvorhergesehen abgelenkt worden, sondern hatten hinreichend Zeit, Veranlassung und Überlegungsspielraum, um durch einfaches Löschen der Kerzen ihre Wohnung vor deren Verlassen zu sichern.
Auch der Umstand, daß der Kläger meinte, er bleibe nur für „kurze Zeit“ der Wohnung fern, vermag seine Leichtfertigkeit nicht abzumildern. Denn er und seine .F rau konnten die Dauer ihrer Abwesenheit nicht von vornherein überschauen wie zB derjenige, der nur einen Gegenstand aus dem Keller holen will, und sie nicht
wie dieser allein bestimmen. Die Dauer eines Gesprächs hängt auch vom Gesprächspartner ab, häufig dehnt sich – auch das eine allgemeine Erfahrung – eine Unterhaltung unbemerkt aus, man „vergisst die Zeit“. So war es auch hier.
Die Mißachtung dieser allgemein bekannten, sich aufdrängenden Erfahrungssätze führt dazu, das Verhalten des Klägers auch subjektiv als grob fahrlässig einzustufen.
Dies gilt erst recht, wenn er beim Verlassen der Wohnung Überhaupt nicht bedacht hatte, daß die Kerzen noch brannten, weil er dann jegliche notwendige Sicherungsmaßnahme und gebotene Vorsicht außer acht gelassen hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.