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Meinungsfreiheit oder Beleidigung? – Ein ehrverletzender Brief


Oberlandesgericht Hamm

Az: 2 RVs 28/14

Beschluss vom 14.08.2014


Tenor

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.


Gründe

Das Amtsgericht Altena hat den Angeklagten mit Urteil vom 22. April 2014 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 60,- EUR verurteilt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts schrieb der Angeklagte am 4. November 2012 als Reaktion auf einen vorherigen Fernsehbericht des WDR über die Abschiebehaft eines serbischen Ehepaares, in dem über „angebliche Missstände bei der Abschiebepraxis“ berichtet worden war, eine E-Mail mit folgendem Inhalt an die zuständige Behörde, das Ausländeramt des Kreises G:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

nach dem Erleben des heutigen WDR-Beitrages muss ich sachlich feststellen, daß Ihre Amtsvorgänger die Reichsrassengesetze gegen die Juden rechtssicherer angewandt haben. Man sollte doch erwarten, daß die rechtssicheren Handlungen, die jedem damaligen Judenschänder seinen Beamtenstatus erhielten, auch noch von Ihnen beherrscht werden. Aber zu Ihrer Beruhigung: Ehe dem deutschen Beamten ein Rechtsbruch nachgewiesen würde, drehte sich die Erde rückwärts.

Weiter so bis zum Ruhestand.

Und Kopf hoch, selbst Roland Freislers Witwe wurde im Nachhinein die Altersversorgung aufgebessert.“

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (Sprung-)Revision hat mit der Sachrüge Erfolg. Das angefochtene Urteil hält einer materiell-rechtlichen Überprüfung im Schuldspruch nicht Stand.

Nicht zu beanstanden ist die von dem Amtsgericht vorgenommene Einordnung des Inhalts der E-Mail des Angeklagten als ehrkränkende, beleidigende Meinungsäußerung und die Annahme, dass sie sich gegen einen abgrenzbaren Kreis der bei der Ausländerbehörde des Kreises G tätigen Mitarbeiter und nicht gegen die Behörde als Institution gerichtet habe.

Jedoch fallen auch – wie hier vorliegende – polemische, drastische und ehrverletzende Formulierungen einer Meinungsäußerung in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Werturteile sind von Art 5 Abs.1 S.1 GG geschützt, ohne dass es darauf ankommt , ob die Äußerung „wertvoll“ oder „wertlos“, „richtig“ oder „falsch“, emotional oder rational begründet ist (vgl BVerfG, Beschluss vom 5. März 1992, NJW 1992, 2815).

Bei der Auslegung und Anwendung der §§ 185, 193 StGB verlangt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG daher grundsätzlich eine alle wesentlichen Umstände berücksichtigende Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des bzw. der Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Angeklagten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. August 2005, NJW 2005, 3274).

Im Rahmen dieser verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung tritt die Meinungsfreiheit allerdings dann regelmäßig hinter dem Ehrschutz zurück, ohne dass es einer konkreten, näheren Abwägung bedarf, wenn es sich um herabsetzende Äußerungen handelt, die eine Schmähung der angegriffenen Person darstellen oder deren Menschenwürde antasten. Wegen des die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik jedoch eng auszulegen. Eine Schmähung liegt nicht bereits wegen der herabsetzenden Wirkung einer Äußerung für Dritte vor, selbst wenn es sich um eine überzogene oder ausfällige Kritik handelt. Vielmehr nimmt eine herabsetzende Äußerung erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache – jenseits von polemischer und überspitzter Kritik – , sondern, die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. August 2005, a.a.O.; Beschluss vom 5. Dezember 2008, NJW 2009, 749). Eine solche als Schmähung einzuordnende Äußerung hat regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzustehen. Die Qualifikation einer ehrenrührigen Aussage als Schmähkritik erfordert jedoch regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung (vgl. BVerfG, a.a.O.).

Zwar hat das Amtsgericht noch genügende Feststellungen zu Anlass und Kontext der in Rede stehenden Äußerung getroffen; die Einordnung der Äußerung als Schmähkritik durch das Amtsgericht ist hingegen rechtlich nicht haltbar. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte mit seiner E-Mail auf einen zuvor am selben Tag gesendeten Fernsehbericht des WDR über die Abschiebung eines serbischen Ehepaares, in dem „angebliche Missstände bei der Abschiebepraxis“ der zuständigen Ausländerbehörde des Kreises G thematisiert worden sind, reagiert. Schon durch die Bezugnahme in der Einleitung seiner E-Mail zielte die Äußerung des Angeklagten damit zumindest auch auf eine Auseinandersetzung in der Sache. Durch diese Bezugnahme und angesichts der Tatsache, dass Inhalt des Fernsehberichtes des WDR „angebliche“ Missstände in der Abschiebepraxis gewesen sind und der Angeklagte den Mitarbeitern der Ausländerbehörde des Kreises G daraufhin Rechtsbruch vorwarf, ist die Wertung des Amtsgerichts, dass sich seine Äußerungen fern jedes sachlichen Anliegens in der Diffamierung von Personen erschöpft, unzutreffend.

Die mangels Vorliegens einer Schmähkritik demnach unter Berücksichtigung aller wesentlichen Einzelumstände vorzunehmende konkrete Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht der Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Angeklagten fällt vorliegend zugunsten der Meinungsfreiheit aus.

Zwar ist der Ehrschutz und das Persönlichkeitsrecht der bei der Ausländerbehörde des Kreises G tätigen Mitarbeiter in massiver Weise angegriffen bzw. verletzt worden. Denn in seiner E-Mail nimmt der Angeklagte zwar auch auf den Inhalt des WDR-Berichtes Bezug, eine nähere Auseinandersetzung mit dem Inhalt des WDR-Berichtes erfolgt jedoch nicht. Vielmehr steht der ehrverletzende Charakter der E-Mail im Vordergrund. Gerade der vom Angeklagten vorgenommene Vergleich der Mitarbeiter des Ausländeramtes des Kreises G mit den Amtsvorgängern der NS-Diktatur, welche „Judenschänder“ gewesen seien, und die damit gezogene Parallele zu den Gräueltaten der NS-Diktatur, greift in massiver Weise in den Ehrschutz der Mitarbeiter der Ausländerbehörde ein.

Dennoch überwiegt bei Zugrundelegung der Maßstäbe der maßgeblichen bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung im Rahmen der hier vorzunehmenden Abwägung die Meinungsfreiheit.

Für den Vorrang der Meinungsfreiheit spricht, dass nach dem Inhalt des Fernsehberichtes des WDR Anlass zu – auch scharfer – Kritik gegeben war. In einem solchen Fall ist der Umfang dessen, was an Meinungsäußerung noch gerechtfertigt ist, erheblich größer (vgl. Thür. OLG, Beschluss vom 4. Juli 2001, NJW 2002, 1890). Dabei fallen auch scharfe und übersteigerte Äußerungen grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Bei Beiträgen zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage gilt die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 1992, NJW 1992, 2815).

Bei der Beurteilung der Schwere der zweifellos vorliegenden Ehrverletzung und ihrer Gewichtung im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung ist zudem von Bedeutung, ob die betroffenen Mitarbeiter der Ausländerbehörde persönlich angegriffen und womöglich sogar namentlich genannt wurden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 1992, a.a.O.). Vorliegend hat der Angeklagte mit dem Inhalt seiner E-Mail jedoch keine einzelnen Personen, sondern allgemein die Mitarbeiter der Ausländerbehörde des Kreises G ansprechen wollen. Zudem ist der Inhalt der E-Mail nicht unbeteiligten Dritten zugänglich gemacht worden, was ebenfalls bei der Abwägung zu berücksichtigen ist.

Auch ist zu bedenken, dass der Inhalt der E-Mail des Angeklagten zwar beleidigend, jedoch angesichts der gewählten Formulierungen nicht derart ehrverletzend ist, dass der Ehrschutz überwiegen würde. Vielmehr dürfen im „Kampf um das Recht“ auch scharfe, polemische und übersteigerte Äußerungen getätigt werden, um eine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn die Kritik auch anders formuliert hätte werden können (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 3. Juni 2004, NStZ-RR 2006, 7; OLG Frankfurt, Beschluss vom 20. März 2012, NStZ-RR 2012, 244). Bei Beiträgen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage – wie hier der Abschiebung von Ausländern – muss Kritik an staatlichen Maßnahmen, die in überspitzter und polemischer Form geäußert wird, hingenommen werden, weil anderenfalls die Gefahr einer Lähmung oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses drohte (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. BVerfGE 82, 272).

Da im Hinblick auf die umfangreichen Darlegungen in dem angefochtenen Urteil weitere erhebliche Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt nach einer Zurückverweisung ausgeschlossen werden können und die Aufhebung des Urteils wegen fehlerhafter Anwendung des sachlichen Rechts auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 354 Abs. 1 StPO). Ohne dass es einer Überprüfung der daneben erhobenen Verfahrensrüge bedarf, ist der Angeklagte auf die Sachrüge hin unter Aufhebung des angefochtenen Urteils aus sachlich-rechtlichen Gründen freizusprechen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.


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