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Bürgersteig – Gefallen und andere Umgeworfen – Haftung

LG Mühlhausen

Az: 1 O 846/10

Urteil vom 17.08.2011


1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.01.2011 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die aus dem Vorfall vom 13.09.2007 künftig entstehen, zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung.

Am 13.09.2007 nahmen die beiden betagten Parteien – die Klägerin war damals 76 Jahre alt – an der Rentnerwallfahrt am“…“ teil. Die Parteien, die nicht gemeinsam angereist waren, gingen zufällig nebeneinander her, wobei die Beklagte den Gehweg und die Klägerin die Straße benutzte. Plötzlich und aus unbekannter Ursache stürzte die Beklagte und riss dabei die Klägerin unabsichtlich mit um. Die Beklagte stand nach dem Sturz wieder auf und entfernte sich. Die Klägerin schlug bei dem Sturz unglücklich mit dem Kopf auf, verletzte sich schwer und konnte nicht selbst wieder aufstehen. Sie wurde mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Dort wurde unter anderem eine Oberschenkelfraktur festgestellt. Eine erste Operation mit Einfügung eines Nagels fand am 14.09.2007 im Krankenhaus statt. Eine zweite Operation mit Befestigung einer Platte erfolgt am 15.01.2008, jeweils verbunden mit einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt. Weiter folgte eine mehrwöchige Rehabilitationsmaßnahme. Wegen der genauen Unfallfolgen wird auf die ärztlichen Berichte/Bescheinigungen vom 27.10.2007, 26.02.2008, 24.11.2008 und 16.04.2009 (Blatt 14, 15, 16, 19 der Akten) verwiesen.

Die operativ eingefügte Platte ist bis heute nicht entfernt worden. Ob dies noch erfolgen wird ist ungewiss.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe schuldhaft ihren Sturz verursacht. Ein Schmerzensgeld in Höhe von rund 5.000 € sei angemessen.

Die Klägerin stellt die Anträge,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, das in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch einen Betrag in Höhe von 5.000 €, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit bezahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die aus dem Vorfall vom 13.09.2007 künftig entstehen, zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.

Die Beklagte stellt den Antrag, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, eine willensgesteuerte Handlung der Beklagten liege nicht vor, da die Beklagte die Klägerin nur reflexhaft umgerissen habe. Auch wird die Höhe des Schmerzensgeldes bestritten.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Terminsprotokolle sowie den PKH-Beschluss des Landgerichts vom 24.03.2011 (Blatt 40 der Akten) und den Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 30.05.2011 (PKH-Heft) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und in vollem Umfang begründet.

Die geltend gemachten Ansprüche stehen der Klägerin aus den §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB zu.

Voraussetzung für den Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung, wie er von der Klägerin gegen die Beklagte geltend gemacht wird, ist eine Handlung der in § 823 BGB bezeichneten Art. Dies ist ein menschliches Tun, welches der Bewusstseinskontrolle und Willenslenkung unterliegt und somit beherrschbar ist. Keine Handlung ist danach eine körperliche Bewegung, die unter physischem Zwang ausgeführt oder als willkürlicher Reflex durch fremde Einwirkung ausgelöst wird.

Zwar mögen die dem Stolpern der Beklagten nachfolgenden Handlungen (Gleichgewichtsverlust, Kontrollverlust über den eigenen Körper, Sturz) keine solche Handlung im vorbezeichneten Sinne sein. Der Sturz war aber nicht durch fremde Einwirkung, sondern durch das eigene Verhalten der Beklagten ausgelöst worden. Für die Frage, ob eine den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB erfüllende Handlung der Beklagten vorliegt, ist entgegen der Auffassung der Beklagten auf das den Sturz der Beklagten auslösende Verhalten und nicht auf die infolge des Sturzes erfolgte Einwirkung auf die Klägerin abzustellen. Maßgeblich ist also, ob die Klägerin schuldhaft gestürzt ist.

Weshalb die Beklagte in Stolpern geraten ist, trägt sie nicht vor. Danach spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass derjenige, der auf einem Gehweg stürzt, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat, sofern nicht objektiver Umstände vorliegen, die eine andere, nicht von ihm zu vertretende Ursache als möglich erscheinen lassen (vergl. OLG Düsseldorf in: OLGR Düsseldorf 1997, 242; OLG Jena vom 30.05.2011, Az. 1 W 266/11).

So liegt der Sachverhalt hier.

Der Umstand, dass die Klägerin auf der Straße und nicht auf dem Gehweg gelaufen ist, lässt die Haftung der Beklagte nicht entfallen und stellt auch keine Mitverschulden der Klägerin im Sinne von § 254 BGB dar. (vergl. OLG Jena, aaO.).

Damit liegen die Anspruchsvoraussetzungen für ein Schmerzensgeld aus unerlaubter Handlung vor.

Die Höhe des Schmerzensgeldes nach § 253 Abs. 2 BGB ist mit 5.000 € angemessen.

In dieser Höhe wird sowohl der Genugtuungsfunktion, als auch der Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes Rechnung getragen. Dabei ist zwar zu berücksichtigen, dass vorliegend nur leichte Fahrlässigkeit gegeben sein dürfte und somit der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes kaum Bedeutung beizumessen ist, jedoch die Ausgleichsfunktion aufgrund mehrmaliger Operationen und Krankenhausaufenthalte sowie der fortdauernder Beeinträchtigungen gleichwohl 5.000 € rechtfertigt.

Auch der Feststellungsantrag ist gerechtfertigt, was sich bereits aus der Tatsache ergibt, dass die operativ eingebrachte Platte bis heute im Körper der Klägerin verblieben und unklar ist, ob diese Platte noch durch eine erneute Operation entfernt werden muss. Auch liegen, wie durch die ärztlichen Unterlagen unwidersprochen belegt, bis heute Beeinträchtigungen beim Gehen vor. Weitere materielle, aber auch immaterielle Schäden aufgrund des Vorfalls erscheinen da nicht unwahrscheinlich.

Der Zinsanspruch ist aus den §§ 286, 288 BGB begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 ZPO.

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