Oberlandesgericht Saarbrücken
Az.: 8 U 502/07 – 141
Urteil vom 07.08.2008
Leitsätze:
a. Jedenfalls dann, wenn die Bürgschaftsverpflichtungen am gleichen Tage gegenüber dem gleichen Gläubiger für Kreditverbindlichkeiten eines Hauptschuldners abgegeben werden, ist für die Beurteilung der Frage, ob eine krasse finanzielle Überforderung des dem Hauptschuldner nahe stehenden Bürgen vorliegt, eine Gesamtbetrachtung erforderlich, auch wenn seine Verpflichtung in mehrere rechtlich selbstständige Verträge aufgespalten wurde.
b. Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts ist auf die Verhältnisse im Zeitpunkt seiner Vornahme abzustellen. Ein nachträglich erklärter einseitiger Verzicht auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus solchen Bürgschaftsverträgen, die dazu geführt haben, dass die Leistungsfähigkeit des Bürgen überschritten wird, beseitigt nicht rückwirkend die im Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse für den Bürgen bestehende Zwangslage und deren Ausnutzung durch die Bank.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 04.09.2007 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – 4 O 193/06 – wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten (wegen der Kosten) durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, es sei denn, die Beklagte leistet zuvor Sicherheit in gleicher Höhe.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
A.
Die Klägerin hat die Beklagte im Wege des Urkundenprozesses aus vier Bürgschaftsverträgen auf Zahlung von insgesamt 165.181,13 EUR in Anspruch genommen.
Die Klägerin schloss am 14.06.1999 als Darlehensgeberin mit der Firma H. B. GmbH und dem Ehemann der Beklagten, der zugleich Geschäftsführer der GmbH war, als Darlehensnehmer drei Darlehensverträge:
– Darlehen Nr. ~3 über 133.000 DM mit einer jährlichen Verzinsung von 4,05% (Bl. 10)
– Darlehen Nr. ~1 über 67.000 DM mit einer jährlichen Verzinsung von 3,9% (Bl. 15)
– Darlehen Nr. ~9 über 200.000 DM mit einer jährlichen Verzinsung von 4,25% (Bl. 16)
Gleichzeitig schloss sie mit dem Ehemann der Beklagten allein einen weiteren Darlehensvertrag Nr. ~7 über 31.200 DM mit einer jährlichen Verzinsung von 5,1% (Bl. 7).
Für diese vier Darlehensverträge verbürgte sich die Beklagte selbstschuldnerisch jeweils mit schriftlichen Erklärungen vom 14.06.1999 in entsprechender Höhe (Bl. 5, 8, 11, 13). Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war die Beklagte 50 Jahre alt und arbeitete in der Firma ihres Mannes, der H. B. GmbH, und bezog von dort auch ein monatliches Arbeitsentgelt.
Mit Schreiben vom 10.08.2005 kündigte die Klägerin sowohl gegenüber dem Ehemann der Beklagten als auch gegenüber der H. B. GmbH sämtliche bestehenden Geschäftsverbindungen auf. Gleichzeitig informierte sie die Beklagte hierüber und kündigte deren Inanspruchnahme aus den Bürgschaften an. Mit Schreiben vom 24.01.2006 verlangte die Klägerin unter Fristsetzung zum 01.02.2006 von der Beklagten Zahlung der aus den vier Darlehensverträgen noch offen stehenden Forderungen in Höhe von 163.280,60 EUR. Über das Vermögen der H. B. GmbH und des Ehemannes der Klägerin wurde zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet.
Durch das angefochtene Urteil (Bl. 171 ff.), auf dessen tatsächliche und rechtliche Feststellungen vollumfänglich gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die vier Bürgschaften vom 14.06.1999 seien wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Für die Beurteilung der krassen finanziellen Überforderung der Beklagten müsse im Rahmen einer Gesamtschau auf alle vier Bürgschaftsverträge abgestellt werden. Hiervon ausgehend habe die Beklagte bei Vertragsschluss aus ihrem unpfändbaren Einkommen nicht einmal die Zinslast aller vier Darlehen tragen können. Eine in der Zukunft zu erwartende Verbesserung ihres Leistungsvermögens habe die Klägerin nicht dargelegt. Die danach bestehende widerlegliche Vermutung, dass nämlich die Beklagte aufgrund ihrer engen persönlichen Beziehung zu ihrem Ehemann die Bürgschaftsverpflichtungen eingegangen und die Klägerin dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt habe, habe die Klägerin nicht widerlegt.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag nur noch in Höhe von 78.387,59 EUR, der sich aus den 2 Bürgschaftserklärungen vom 14.06.1999 zu den Darlehensverträgen mit dem Konto Nr. ~3 (Bl. 10) und dem Konto Nr. ~1 (Bl. 15) ergibt, weiter, wobei sie erklärt, sie verzichte unbedingt, unwiderruflich und ausdrücklich auf die Ansprüche aus den Bürgschaften für die Darlehen mit den Konto Nrn. ~7 und ~9.
Die Klägerin rügt einen Verstoß des Landgerichts gegen seine Aufklärungspflicht aus § 139 ZPO. Es habe versäumt, sie darauf hinzuweisen, dass der Gesichtspunkt, ob eine Verbesserung der finanziellen Lage der Beklagten im Zeitpunkt der Abgabe der Bürgschaftsversprechen für die Zukunft zu erwarten gewesen sei, in hohem Maße entscheidungserheblich gewesen sei. Damit habe es der Klägerin die Möglichkeit genommen, nach Hinweis zur Entwicklung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Beklagten in der Zukunft näher vorzutragen.
Die Beklagte sei zum Zeitpunkt der Abgabe der einzelnen Bürgschaftsversprechen nicht finanziell krass überfordert gewesen. Bei Beurteilung dieser Frage seien die beiden weiteren Bürgschaften, auf deren Geltendmachung sie verzichtet habe, nicht zu berücksichtigen. Dies ergebe sich bereits aus § 138 Abs. 1 i. V. m. § 139 BGB. Die Beklagte habe vier eigenständige Bürgschaftserklärungen abgegeben, die für die Frage der krassen finanziellen Überforderung zunächst einzeln und in einem nächsten Schritt in einer Gesamtschau zu prüfen seien. Liege danach eine krasse finanzielle Überforderung vor, seien nicht alle 4 Bürgschaftsverträge sittenwidrig sondern nur die zeitlich zuletzt abgegebenen, soweit dadurch die Grenze der zulässigen finanziellen Belastung des Bürgen überschritten werde.
Schließlich habe sie auch die Vermutung, dass sie die emotionale Beziehung zwischen der Beklagten und dem Hauptschuldner, ihrem Ehemann, in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt habe, dadurch widerlegt, dass sie nachgewiesen habe, dass sie keine Kenntnis von einer potentiellen krassen finanziellen Überforderung gehabt und sich dieses streitigen Umstandes nicht vorwerfbar verschlossen habe, und zudem den Nachweis geführt habe, dass die Beklagte erhebliche persönliche und wirtschaftliche Interessen an der Kreditaufnahme gehabt habe. So sei das Darlehen Nr. 6015140335 zur Umschuldung des Kontokorrentkontos, zur Ablösung eines betrieblichen Darlehens und in Höhe von 10.792,37 EUR zur Glattstellung des laufenden Kontos des Besitzunternehmens aufgenommen worden. Die aus Letzterem resultierende Forderung sei in das Privatvermögen der Eheleute S. überführt worden. Hierbei handele es sich um einen unmittelbaren geldwerten Vorteil.
Die Beklagte sei im Rahmen der Kreditverhandlungen als versierte Geschäftsfrau aufgetreten und habe glaubhaft den Eindruck vermittelt, sie sei faktisch in den Fragen der Betriebs- und Geschäftsführung gleichberechtigt mit ihrem Ehemann und bestimme als Mitentscheidungsträger die Geschäftspolitik wesentlich. Der Klägerin könne deshalb kein Vorwurf gemacht werden, dass sie keine bis ins Detail gehenden Informationen zur Frage der finanziellen Leistungsfähigkeit der Beklagten eingeholt habe. Den Bearbeitungsvermerk in der Bürgschaftsurkunde habe sie unausgefüllt gelassen, weil bereits ein umfassender Gesamteindruck über die finanzielle Situation vorhanden gewesen sei und sie berechtigterweise davon habe ausgehen dürfen, dass eine krasse finanzielle Überforderung auf Seiten der Beklagten nicht vorgelegen habe.
Die Klägerin beantragt (Bl. 218, 269),
unter Aufhebung des am 04.09.2007 verkündeten Urteils des Landgerichts Saarbrücken – 4 O 193/06 – die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 78.387,59 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für die Zeit ab dem 20.04.2006 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt (Bl. 242, 269),
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres früheren Vorbringens. Der nachträgliche Verzicht auf zwei Bürgschaftsforderungen über insgesamt 86.793,54 EUR führe nicht dazu, dass diese bei Beurteilung der Frage der krassen finanziellen Überforderung als nicht existent anzusehen seien. Abzustellen sei vielmehr allein auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Dies gelte umso mehr, als alle Bürgschaftserklärungen am selben Tag abgegeben worden seien.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 10.07.2008 (Bl. 269 f.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
B.
Die Berufung der Klägerin ist nach den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, mithin zulässig.
Die auf die Bürgschaftsverpflichtungen der Beklagten für die Darlehensverträge mit den Kontonummern ~3 (Bl. 10) und ~1 (Bl. 15) beschränkte Berufung der Klägerin hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass alle unter dem 14.06.1999 abgegebenen Bürgschaftserklärungen der Beklagten für Darlehen, die die Klägerin der Firma H. B. GmbH und deren Geschäftsführer, dem Ehemann der Beklagten, sowie Letzterem alleine gewährt hat, wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig sind (I.). Hieran ändert auch der – einseitig von der Klägerin erklärte – Teilverzicht auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus den letzten beiden Bürgschaftsverträgen nichts (II.).
I.
Alle unter dem 14.06.1999 zwischen den Parteien abgeschlossenen Bürgschaftsverträge sind wegen Sittenwidrigkeit nichtig.
1.
Eine zu Gunsten des Ehegatten – auch des von ihm betriebenen Unternehmens – übernommene Bürgschaft verstößt dann gegen die guten Sitten, wenn die Bürgschaftsverpflichtung nicht aufgrund einer freien Entscheidung übernommen wurde, die Bank vielmehr die emotionale Bindung des Ehegatten an den Darlehensnehmer ausgenutzt hat. Hiervon ist bei dem vorliegenden, einseitig verpflichtenden Bürgschaftsvertrag, bei dem eine Anwendung des § 138 Abs. 2 BGB von vornherein ausscheidet, weil es an einem Leistungsaustausch fehlt, dann auszugehen, wenn zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit des dem Hauptschuldner nahe stehenden Bürgen ein krasses Missverhältnis besteht. Ein solches Missverhältnis begründet, wenn der Hauptschuldner dem Bürgen aufgrund einer Ehe, eheähnlichen Partnerschafts-, engen Verwandtschafts- oder Freundschaftsbeziehung emotional verbunden ist und sich deshalb bei einer Bürgschafts- oder Mitschuldübernahme sehr häufig nicht von einer rationalen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos leiten lässt, auch bei geschäftsgewandten Personen ohne Hinzutreten weiterer Umstände die widerlegliche tatsächliche Vermutung, dass das Kreditinstitut die emotionale Beziehung zwischen dem Hauptschuldner und dem Bürgen oder Mithaftenden in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat (Nobbe/Kirchhof BKR 2001, 5, 7; BGH NJW 2005, 973, 975; NJW 2005, 971, 972; NJW 2001, 815 unter II.; jeweils m. w. N.).
2.
Ein solches Missverhältnis liegt dann vor, wenn bei Übernahme der Haftung davon auszugehen ist, der Bürge werde mithilfe des pfändbaren Teils seines Vermögens und Einkommens bei Eintritt des Sicherungsfalles voraussichtlich nicht einmal in der Lage sein, die auf die Bürgschaft entfallenden laufenden Zinsen auf Dauer aufzubringen, denn dann führt die Bürgschaft bei Eintritt des Sicherungsfalles zu einer ausweglosen lebenslangen Überschuldung (Nobbe/Kirchhof BKR 2001, 5, 8; BGH NJW 2001, 815, 816; NJW 2005, 973, 975; NJW 2000, 1182, 1183).
a. Hiervon ausgehend hat das Landgericht zutreffend festgestellt, dass die von der Beklagten unter dem 14.06.1999 eingegangenen vier Bürgschaftsverpflichtungen ihre wirtschaftlichen Verhältnisse krass überfordern, weil sich die Zinsen der einzelnen Darlehen auf eine monatliche Zinsbelastung von insgesamt 1.507,56 DM summieren, die Beklagte aber nur über ein pfändungsfreies Einkommen von 1.184,59 DM verfügt. Damit übersteigt die Zinslast das ihr monatlich zur Verfügung stehende pfändungsfreie Einkommen erheblich, so das sie nicht in der Lage gewesen wäre, die monatlich anfallenden Zinsen aus den Darlehen zu begleichen.
b. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht seiner Beurteilung der Frage, ob ein krasses Missverhältnis vorliegt, auch alle von der Beklagten unter dem 14.06.1999 übernommenen Bürgschaftsverpflichtungen zugrunde gelegt.
Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Vertrages ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen (Nobbe/Kirchhof BKR 2001, 5, 9 m. w. N.). Zu prüfen ist dann, ob in diesem Zeitpunkt nach den tatsächlichen vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien eine krasse Überforderung gegeben ist. Maßgeblich ist insofern nicht deren rechtliche sondern deren tatsächliche Ausgestaltung. Denn eine etwa festzustellende krasse finanzielle Überforderung ist nur die tatsächliche Grundlage einer bestimmten – ebenfalls tatsächlichen – Vermutung. Hierbei kommt es nicht auf die rechtliche Bezeichnung eines bestimmten auf Haftungsübernahme zielenden Geschäfts oder auf die äußerlich einheitliche oder aufgespaltene Beurkundung eines oder mehrerer äußerlich voneinander unabhängiger Rechtsgeschäfte an. Entscheidend ist vielmehr, dass sich der Ehepartner gegenüber der kreditgebenden Bank in einem Maße verpflichtet hat, welches sich aus vernünftigen wirtschaftlichen Überlegungen heraus nicht mehr erklären lässt (OLG Frankfurt OLGR 2005, 409 ff. – zitiert nach juris Rn. 20; OLG Köln WM 2003, 286 ff. – zitiert nach juris Rn. 18; Nasall in jurisPK-BGB 3. Aufl. 2006, § 138 Rn. 184).
Jedenfalls dann, wenn die Bürgschaftsverpflichtungen – wie im Streitfall – am selben Tag gegenüber demselben Gläubiger für Kreditverbindlichkeiten eines Hauptschuldners abgegeben werden, ist deshalb eine Gesamtbetrachtung erforderlich, auch wenn die Verpflichtung in mehrere rechtlich selbstständige Verträge aufgespalten wird. Der Gläubiger hat dann nämlich Kenntnis (oder vorwerfbare Unkenntnis) von der sich aus dem Abschluss aller Bürgschaftsverträge ergebenden Überforderung sowie dem Umstand, dass jede der Bürgschaften lediglich aus emotionaler Verbundenheit mit dem nahen Angehörigen abgegeben worden ist (OLG Köln WM 2003, 286 ff. – zitiert nach juris Rn. 18).
c. Zutreffend hat das Landgericht auch dargelegt, dass die Klägerin nichts dazu vorgetragen hat, dass die Einbindung der Beklagten in die Haftung ausnahmsweise wegen einer zu erwartenden Verbesserung ihrer finanziellen Lage wirtschaftlich sinnvoll war. Soweit die Klägerin hier einen Verstoß des Landgerichts gegen seine aus § 139 ZPO folgende Aufklärungspflicht rügt, kann – einen solchen Verstoß unterstellt – nicht festgestellt werden, dass die Entscheidung hierauf beruht, § 513 Abs. 1 ZPO. Voraussetzung hierfür wäre nämlich, dass sie dargelegt hätte, was sie bei Erteilung eines entsprechenden Hinweises vorgetragen hätte. Nur dann, wenn ihr diesbezüglicher Vortrag entscheidungserheblich gewesen wäre, hätte die erstinstanzliche Entscheidung auf diesem Verfahrensfehler beruht.
Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass und aus welchem Grund sich die finanzielle Lage der Beklagten in Zukunft hätte bessern sollen. Sie war bei Vertragsschluss bereits 50 Jahre alt und bei der Hauptschuldnerin angestellt. Dass sie dann in der Zukunft noch gleiche oder bessere Erwerbsaussichten bei einer anderen Firma haben sollte, ist unwahrscheinlich und auch nicht dargetan.
3.
Die aufgrund der krassen finanziellen Überforderung und der persönlichen Nähe zum Hauptschuldner bestehende Vermutung, dass die Beklagte sich nicht von einer realistischen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos, sondern von ihrer emotionalen Bindung an den Hauptschuldner hat leiten lassen und die Klägerin dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat, konnte die Klägerin nicht widerlegen.
a. Dies kann einmal durch den Nachweis geschehen, die krasse finanzielle Überforderung oder das persönliche Näheverhältnis nicht gekannt zu haben. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Kreditinstitute Sicherheiten vor der Hereinnahme in aller Regel auf ihre Werthaltigkeit überprüfen. Hat eine Bank davon abgesehen, vielmehr über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Bürgen oder Mithaftenden keine Ermittlungen angestellt – insbesondere den Betroffenen nicht zu seiner finanziellen Leistungsfähigkeit befragt -, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ihr dessen finanzielle Verhältnisse ohnehin bekannt waren oder sie sich der Erkenntnis der krassen finanziellen Überforderung des Bürgen oder Mithaftenden bewusst verschlossen hat und sich deshalb auf ihre Unkenntnis nicht berufen kann (BGH NJW 2001, 815, 816 m. w. N.).
b. Weiter kann der Kreditgeber zur Widerlegung der Vermutung Tatsachen vortragen, aus denen sich ergibt, dass ein persönliches oder wirtschaftliches Interesse des Bürgen an der Kreditaufnahme bestanden habe, weil diese auch ihm zugute gekommen sei. Hier sind allerdings nur eigene, ins Gewicht fallende, geldwerte Vorteile des Bürgen unmittelbar aus der Kreditaufnahme selbst zu berücksichtigen. Lediglich mittelbare Vorteile, wie etwa die Aussicht eines bürgenden Ehegatten auf höhere Unterhaltsleistungen oder einen größeren Zugewinnausgleich für den Fall, dass es dem Hauptschuldner mithilfe des aufgenommenen Geschäftskredits gelingt, sein Einkommen oder Vermögen zu erhöhen, genügen nicht (BGH NJW 2000, 1182, 1184; NJW 2001, 815, 817).
c. Im Streitfall hat die Klägerin sich um die Vermögensverhältnisse der Beklagten nicht gekümmert, denn auf dem jeweiligen Bearbeitungsvermerk zur Bürgschaft fehlen die Angaben des Bürgen zu seinem Einkommen und Vermögen. Soweit die Klägerin dies damit begründet, sie habe bereits einen umfassenden Gesamteindruck über die finanzielle Situation gehabt und habe deshalb berechtigterweise davon ausgehen dürfen, dass eine krasse finanzielle Überforderung auf Seiten der Beklagten nicht vorgelegen habe, ist ihr Vortrag nicht ausreichend substantiiert. So trägt sie schon nicht vor, auf welcher Grundlage sie sich einen umfassenden Gesamteindruck verschafft haben will und wie dieser konkret ausgesehen hat.
Sie kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht darauf berufen, die Beklagte sei als versierte Geschäftsfrau aufgetreten und habe glaubhaft den Eindruck vermittelt, sie sei faktisch in den Fragen der Betriebs- und Geschäftsführung gleichberechtigt mit ihrem Ehemann und bestimme als Mitentscheidungsträger die Geschäftspolitik wesentlich. Auch wenn die Beklagte die Verhandlungen mit ihrem Ehemann zusammen geführt haben sollte, so ist doch ein eigenes Interesse an der Darlehensgewährung nicht ersichtlich, da sie an der Firma ihres Ehemannes nicht beteiligt war. Dass sie dort als Angestellte gearbeitet hat, genügt nicht. Dementsprechend hat die Klägerin sie auch nicht als Mitantragstellerin für die Darlehen behandelt und es ist nicht dargetan, dass sie über deren Verwendung frei mitbestimmen durfte. Dass sie bei den Verhandlungen möglicherweise geschäftsgewandt aufgetreten ist, fällt in diesem Zusammenhang als Beweisanzeichen nicht ins Gewicht. Auch geschäftsgewandte Personen können aus emotionaler Verbundenheit zu einem Lebenspartner Verbindlichkeiten eingehen, die sie krass überfordern (BGH NJW 2000, 1182, 1184).
Die Behauptung der Klägerin, die Beklagte habe durch die Darlehensaufnahme einen unmittelbaren Vorteil erhalten, weil das Darlehen auch dazu verwandt worden sei, das laufende Konto des Besitzunternehmens in Höhe von 10.792,37 EUR zu glätten und die daraus resultierende Forderung in das Privatvermögen der Eheleute S. zu überführen, ist unsubstantiiert und nicht nachvollziehbar. Im Übrigen bezieht sich ihr diesbezüglicher Vortrag auf das Darlehen Nummer ~5, für das die Beklagte keine der hier streitgegenständlichen Bürgschaftsversprechen abgegeben hat.
Ein unmittelbarer wirtschaftlicher Vorteil der Beklagten ergibt sich auch nicht daraus, dass sie bei der Hauptschuldnerin, der Fa. H. B. GmbH, angestellt war. Es kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass sie ein solches Haftungsrisiko eingeht, nur um ihren Arbeitsplatz zu erhalten.
Somit ist nicht dargetan, dass die Beklagte einen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat, weshalb auch ein eigenes Interesse an der Darlehensgewährung nicht ersichtlich ist.
Danach verstoßen die vier Bürgschaftsverträge in ihrer Gesamtheit gegen die guten Sitten und sind gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig.
II.
An dieser Beurteilung ändert sich nicht deshalb etwas, weil die Klägerin in der Berufungsinstanz erklärt hat, auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus zwei Bürgschaftsverträgen unbedingt und unwiderruflich zu verzichten.
Von Ausnahmefällen des Wandels sittlicher Maßstäbe abgesehen (vgl. dazu i. e. Palandt-Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008 § 138 Rn. 10) ist bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts nämlich auf die Verhältnisse im Zeitpunkt seiner Vornahme abzustellen, nicht auf die – mehr oder minder zufällige – weitere Entwicklung der Dinge (OLG Frankfurt OLGR 2005, 409 ff. – zitiert nach juris Rn. 25 m. w. N.). Zu diesem Zeitpunkt waren aber die Bürgschaftsverträge vom 14.06.1999 in ihrer Gesamtheit sittenwidrig, denn sie haben die Beklagte wegen ihrer Gesamtbelastung finanziell krass überfordert und dadurch die – hier nicht widerlegte – Vermutung ausgelöst, dass die Klägerin ihre emotionale Bindung an den Hauptschuldner, ihren Ehemann, in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat.
Diese Beurteilung kann die Klägerin nicht nachträglich dadurch ändern, dass sie einseitig auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus zwei Bürgschaften, die letztlich dazu geführt haben, dass die Leistungsfähigkeit der Beklagten überschritten wird, verzichtet. Abgesehen davon, dass ein einseitiger Verzicht auf schuldrechtliche Forderungen gesetzlich nicht vorgesehen ist (Palandt-Grüneberg, aaO., § 397 Rn. 4), vielmehr mit der Beklagten ein Erlassvertrag gemäß § 397 BGB hätte geschlossen werden müssen, zu dem aber nichts vorgetragen ist, beseitigt ein solcher Erlass auch nicht rückwirkend die im Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse bestehende Zwangssituation für die Beklagte und deren Ausnutzung durch die Klägerin, die beide zu einer Bewertung aller Bürgschaftsverträge als gegen die guten Sitten verstoßend geführt haben (OLG Köln WM 2003, 286 ff. – zitiert nach juris Rn. 18).
Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt hier auch eine Anwendung des § 139 BGB nicht in Betracht. Sittenwidrige Rechtsgeschäfte dürfen für den Gläubiger nicht das Risiko verlieren, mit dem sie durch die gesetzlich angeordnete Nichtigkeitssanktion behaftet sind; das wäre aber der Fall, wenn er im allgemeinen damit rechnen könnte, schlimmstenfalls durch gerichtliche Festsetzung das zu bekommen, was gerade noch rechtlich vertretbar und damit sittengemäß ist. Sittenwidrige Rechtsgeschäfte sind daher grundsätzlich als Einheit zu werten und dürfen auch nicht durch eine geltungserhaltende Reduktion oder Umdeutung i. S. d. § 140 BGB mit einem zulässigen Inhalt aufrechterhalten werden (BGH NJW 2001, 815, 817 m. w. N.). Das gilt auch für den vorliegenden Fall, obwohl die Bürgschaften in vier getrennten Verträgen übernommen wurden. Alle vier Bürgschaften betrafen Kredite, die die Klägerin dem Ehemann der Beklagten zur Aufrechterhaltung und Fortführung seines Geschäftsbetriebs gewährt hat. Die Aufteilung in unterschiedliche Kredite, die dann auch mehrere Bürgschaftsverträge nach sich gezogen hat, resultiert daraus, dass diese Kredite aus unterschiedlichen Mitteln – Darlehen Nr. ~3 (Bl. 10) über 133.000 DM aus Mitteln der BtA-Bank, DtA-Inv. Steinkohle-Standorte; Darlehen Nr. ~1 (Bl. 15) über 67.000 DM aus dem MFP-Programm, Teil Investitionsprogramm – A I; Darlehen Nr. ~9 (Bl. 16) über 200.000 DM aus Mitteln der Kreditanstalt für Wiederaufbau, ERP-Regionalprogramm; Darlehen Nr. ~7 (Bl. 7) über 31.200 DM zur Ablösung EKH-Darlehen-Nr. ~4 – zur Verfügung gestellt wurden. Dementsprechend wurden auch die zu ihrer Sicherung übernommenen Bürgschaften jeweils auf die einzelnen Kredite beschränkt. Die Darlehensgewährung hat aber ein einheitliches wirtschaftliches Ziel – nämlich die Unterstützung des Unternehmens des Ehemanns der Beklagten – verfolgt. Dieses hat die Beklagte durch Abgabe der Bürgschaftserklärungen unterstützt, weshalb ein einheitlich zu beurteilendes Rechtsgeschäft vorliegt. Jede andere Beurteilung würde dazu führen, dass der Schutz des § 138 BGB durch Aufspaltung von Bürgschaftsverträgen umgangen werden könnte, denn dann bliebe es letztlich der Gläubigerin überlassen, sich die passenden, den Bürgen nicht überfordernden Bürgschaften herauszusuchen, die dann bestehen bleiben sollten.
Danach war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711 i. V. m. 709 Satz 2 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da es an den erforderlichen Voraussetzungen fehlt (§§ 542 Abs. 1, 543 Abs. 1 Ziffer 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 ZPO).