AG Nürnberg, Az.: 431 OWi 403 Js 43039/15, Urteil vom 12.05.2016
I. Die Betroffenen werden freigesprochen.
II. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Betroffenen. Dies gilt auch für die Kosten und notwendigen Auslagen des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Zum Verfahrensgang ist folgendes auszuführen.
Die drei Betroffenen sowie anderweitig Verfolgte wurden anlässlich des Fußballspiels 1. FCN II gegen FC Bayern München II, das am Nachmittag des 25.10.2014 im Grundig-Stadion in Nürnberg stattfand, vor dem Spiel außen vor dem Stadion mit Schlauchschals um den Hals angetroffen. Hierwegen wird das gegenständliche Bußgeldverfahren gegen die Betroffenen geführt.
Gegen die drei Betroffenen A, B und C wurden jeweils am 16.03.2015 Bußgeldbescheide wegen eines Verstoßes gegen das Bayerische Versammlungsgesetz erlassen und eine Geldbuße in Höhe von jeweils 400 Euro verhängt. Die drei Betroffenen legten rechtzeitig Einspruch ein.
Zunächst wurden die Verfahren getrennt im selben Referat des Amtsgerichts Nürnberg geführt. Die drei Betroffenen wurden jeweils durch Urteile des Amtsgerichts Nürnberg vom 17.06.2015 freigesprochen.
Das Amtsgericht sah in den Urteilen vom 17.06.2015 den Tatbestand des Art. 16 Abs. 2 Nr. 2, 21 Abs. 2 Nr. 7 (alte Fassung) BayVersG als nicht erfüllt an. Die Vorschrift des Art. 21 Abs. 2 Nr. 7 BayVersG wurde zwischenzeitlich geändert, nun ist diese Vorschrift mit Wirkung vom 01.12.2015 nahezu wortgleich in Art. 21 Abs. 1 Nr. 8 BayVersG neue Fassung zu finden. Inhaltlich hat sich nichts geändert, der Bußgeldrahmen wurde jedoch erweitert. Soweit in den folgenden Ausführungen Art. 21 Abs. 2 Nr. 7 BayVersG zitiert wird, ist stets die hier maßgebliche Fassung gemeint, die vom 01.06.2010 bis 30.11.2015 galt.
Das Gericht vertrat die Auffassung, dass das Stadion mit seinen überdachten Zuschauerplätzen bereits dem Wortlaut nach kein Ort „unter freiem Himmel“ sei. Ferner sei der Begriff dahingehend auszulegen, dass die Umgrenzung gegenüber der Umwelt entscheidend sei. Falls ein nach allen Seiten hin nur durch von Verantwortlichen kontrollierten und beherrschbaren Zugängen umgrenzter Raum vorliegt, liegt ein geschlossener Raum vor, dies ist kein Ort unter freiem Himmel. Die genaueren Gegebenheiten des Zugangs zu einem Fußballstadion setzte das Gericht als allgemein bekannt voraus und stellte sie nicht näher fest.
Diese drei Urteile wurden durch Beschlüsse des Oberlandesgerichts Bamberg mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und zu neuer Verhandlung an das Amtsgericht Nürnberg zurück verwiesen. Diese Beschlüsse wurden hinsichtlich der Betroffenen A und B jeweils am 24.11.2015 erlassen, hinsichtlich des Betroffenen C am 13.01.2016.
Das Oberlandesgericht verwies in diesem Zusammenhang insbesondere auf die „Fraport-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts, BVerfG, NJW 2011, 1201 ff. Das Amtsgericht habe nach Auffassung des Oberlandesgerichts ein zu enges Verständnis des einschlägigen Schutzbereiches des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 Abs. 2 GG. Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sei die Formulierung „unter freiem Himmel“ nicht im engen Wortsinne als Verweis auf einen nicht überdachten Veranstaltungsort zu verstehen. Entscheidend sei, dass sich die Zuschauer bzw. Besucher der sportlichen Veranstaltung an einem für den allgemeinen Publikumsverkehr grundsätzlich für jedermann zugänglichen Ort aufhalten. Jedenfalls aufgrund seiner bisherigen Feststellungen habe das Amtsgericht zu Unrecht die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, 21 Abs. 2 Nr. 7 (alte Fassung) BayVersG wegen unzutreffender Auslegung des Tatbestandsmerkmals „sonstige öffentliche Veranstaltung unter freiem Himmel“ verneint.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 08.02.2016 wurden die drei Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
II.
In der Hauptverhandlung vom 12.05.2016 traf das Gericht die folgenden, ergänzende Feststellungen und geht nun von folgendem Sachverhalt aus.
Am 25.10.2014 gegen 14.55 Uhr befanden sich die drei Betroffenen vor dem Eingang zur Haupttribüne des Grundig-Stadions, Max-Morlock-Platz 1 in Nürnberg, noch außerhalb des Stadions. Die drei Betroffenen wollten die Fußball-Regionalligabegegnung 1. FC Nürnberg II gegen FC Bayern München II besuchen. Alle drei Betroffenen trugen einen Schlauchschal um den Hals. Die Betroffenen waren in einer Gruppierung weiterer Männer, die ebenfalls Schlauchschals, Sturmhauben oder andere Gegenstände bei sich trugen, die grundsätzlich geeignet sind, die Feststellung der Identität zu verhindern. Vermummt waren die Personen jedoch nicht. Von der Gruppierung ging zu diesem Zeitpunkt keinerlei Aggressivität aus.
Zu diesem Zeitpunkt betrug die Außentemperatur ca. 8 Grad. Das Gericht ist durchaus davon überzeugt, dass die Betroffenen den Schlauchschal nicht etwa wegen der zu diesem Zeitpunkt herrschenden Temperaturen trugen, sondern, weil sie hiermit zu gegebener Zeit die Feststellung ihrer Identität verhindern wollten. Das Gericht lässt diesen Gesichtspunkt jedoch ausdrücklich dahinstehen.
Die Sportveranstaltung, die die drei Betroffenen besuchen wollten, fand im Nürnberger Grundig-Stadion statt, auch Frankenstadion genannt. Sämtliche Zuschauerplätze in diesem Stadion sind überdacht.
In das Stadion kann nur derjenige gelangen, der eine Eintrittskarte vorweisen kann. Die Eintrittskarte wird am Eingang kontrolliert. Bei Spielen der ersten Mannschaft ist eine elektronische Schranke in Betrieb, die Eintrittskarte wird gescannt und die Schranke öffnet sich, wenn man eine für dieses Spiel und den betreffenden Sektor gültige Eintrittskarte hat. Bei Amateurspielen wie im vorliegenden Fall ist die elektronische Schranke nicht in Betrieb. Hier kontrolliert wie in früheren Zeiten das am Eingang stehende Personal die Karte und reißt sie bei Gewährung des Zutritts ein.
Das Stadion ist durch einen hohen Zaun umfriedet, den man nicht überklettern kann. Man kann nur durch die Eingangstore in das Stadion gelangen.
Die Allgemeinheit, Passanten oder unbeteiligte Dritte, die an der Sportveranstaltung nicht interessiert sind, können nicht in das Stadion gelangen oder dieses in irgendeiner Art und Weise durchqueren.
Am Eingang findet neben der Kontrolle der Eintrittskarte eine weitere individuelle Kontrolle eines jeden Zuschauers statt. Die Besucher werden abgetastet, ob sie verbotene Gegenstände wie Pyrotechnik oder Gegenstände, die als Wurfgeschosse dienen könnten, oder Flaschen oder sonstige nach der Stadionordnung verbotene Gegenstände bei sich tragen. Der Sicherheitsdienst, der die Zuschauer am Eingang kontrolliert, kann Personen, die Stadionverbot haben, oder die offensichtlich alkoholisiert sind, oder die randalieren, den Zutritt verweigern.
Der Stadioninnenbereich ist durch verschiedene Sektoren räumlich strikt getrennt. Heim- und Gäste-Fans sind jeweils unter sich und in verschiedenen Sektoren untergebracht. Der Bereich hinter der Haupttribüne ist zur Nordkurve und zur Südkurve durch einen hohen Zaun abgetrennt. Der Sicherheitsdienst kann gegebenenfalls die dort befindlichen Tore öffnen, das Tor ist jedoch geschlossen und wird bewacht. Ferner ist der Bereich hinter der Nordkurve zur Gegengerade manchmal, jedoch nicht immer abgetrennt. Der Gästebereich ist in einem Teil der Südkurve befindlich, die übrige Südkurve ist wiederum von heimischen Fans besetzt. Der Gästebereich ist zur Gegengerade und zur weiteren Südkurve jeweils durch hohe Zäune abgetrennt.
Amateurspiele werden von weit weniger Zuschauern besucht. Bei solchen Spielen befinden sich die heimischen Fans auf der Haupttribüne, also weit weg und durch Zäune hinter den Zuschauerplätzen ebenfalls räumlich getrennt von den Gäste-Fans.
So wie es sich grundsätzlich bei Spielen der Profi-Mannschaften verhält, so verhielt es sich auch am verfahrensgegenständlichen Tag, an dem das Regionalligaspiel der zweiten Mannschaften beider Vereine stattfand.
Auch zu diesem Zeitpunkt wurden die Eintrittskarten kontrolliert. Auch an diesem Tag wurden die Zuschauer individuell wie beschrieben kontrolliert. Auch an diesem Tag waren Heim- und Gäste-Fans voneinander räumlich getrennt. Gäste-Fans waren auch an diesem Tag angereist.
III.
Die Feststellungen zum Sachverhalt beruhen auf den Einlassungen der Betroffenen, der Inaugenscheinnahme der Schlauchschals, der Vernehmung der beiden Zeugen W und U und der eigenen Sachkunde des Gerichts.
Die Betroffenen lassen sich dahingehend ein, dass sie den Schlauchschal um den Hals trugen, weitere Angaben hierzu machen sie nicht, sie erklären nicht, zu welchem Zweck der Schal getragen wurde.
Der Zeuge W ist einer der kontrollierenden Polizeibeamten, der schildert, dass kurz vor der Kontrolle vermummte Nürnberger Fans einem Bayern-Fan den Schal geraubt hätten. Kurz darauf habe er und seine Kollegen vor dem Stadion eine Mehrzahl von Nürnberger Fans kontrolliert, die Schlauchschals oder sonstige Gegenstände bei sich trugen, die zur Vermummung geeignet waren. Außerdem wurde ihm die in der Akte vermerkte Außentemperatur von etwa 8 Grad vorgehalten, er sagt, dass dies ungefähr die Temperatur war. Möglicherweise habe man aus „gesundheitlichen Gründen“ einen Schal tragen können.
Das Gericht hält es für gut möglich, dass die drei Betroffenen den Schal deshalb trugen, weil sie sich gegebenenfalls vermummen wollten. Dafür spricht, dass zuvor eine vermummte Gruppe unterwegs war und anschließend eine Gruppe diese Gegenstände bei sich hatte. Das Gericht glaubt nicht, dass diese Männer derart „verweichlicht“ sind, dass sie bei einer zwar kühleren, jedoch doch noch milden Temperatur von 8 Grad einen Schal tragen müssen. Zweifelsfrei fest steht dies jedoch nicht. Diesen Aspekt lässt das Gericht ausdrücklich offen, da es nicht darauf ankommt.
Der Zeuge U ist ein Verantwortlicher des 1. FC Nürnberg, der allgemein schildert, wie der Zugang zum Stadion erfolgt. Er schildert die örtlichen Gegebenheiten des Stadions. Er selbst verantwortet zwar den Amateurbereich nicht, er selbst kann jedoch als Besucher verschiedener Regionalligabegegnungen allgemein schildern, wie dort kontrolliert wird.
Im Übrigen wurden die Betroffenen ebenfalls hierzu befragt, wie der Zugang zum Stadion erfolgt, insbesondere bei Amateurspielen. Hierzu machten die Betroffenen die festgestellten Angaben, die sich mit den Angaben des Zeugen U decken.
Schließlich verfügt das Gericht über eigene Sachkunde. Dem Gericht sind die örtlichen Gegebenheiten und die „Kontrollmechanismen“ aus vielen Besuchen des Nürnberger Stadions – allerdings bei Spielen der ersten Mannschaft – bestens bekannt. Das Gericht weiß, dass man nur mit einer Eintrittskarte ins Stadion gelangen kann und dass ein Sicherheitsdienst die Zuschauer abtastet.
Die Betroffenen und der Zeuge U bestätigen, dass es bei Amateurspielen grundsätzlich so zugeht wie bei Profispielen.
Die Zeugen W und U waren glaubwürdig. Sie stehen in keiner persönlichen Beziehung zu den Betroffenen. Im Übrigen decken sich die Angaben der Betroffenen, soweit sie sich einlassen, mit deren Ausführungen. Auch die eigene Sachkunde des Gerichts zu den Zugangsmodalitäten entspricht den Angaben der Betroffenen und der Zeugen, der Sachverhalt wurde aufgrund dessen zweifelsfrei festgestellt.
IV.
Im Ergebnis kann dahinstehen, ob die Betroffenen die Schlauchschals zu Vermummungszwecken oder aus Kälteschutzgründen bei sich trugen.
Das Verhalten der Betroffenen ist nicht ordnungswidrig, da es sich bei dem im Nürnberger Stadion stattfindenden Fußballspiel nicht um eine Veranstaltung unter freiem Himmel im Sinne der Art. 16 Abs. 2 Nr. 2, 21 Abs. 2 Nr. 7 (alte Fassung) BayVersG handelt.
Das Gericht bleibt bei dieser Auffassung, trotz der Beschlüsse des Oberlandesgerichts Bamberg.
Das Stadion mit seinen überdachten Zuschauerplätzen ist schon dem Wortlaut nach kein Ort „unter freiem Himmel“.
Außerdem ist das Stadion ein nach allen Seiten hin nur durch von Verantwortlichen kontrollierten und beherrschbaren Zugängen umgrenzter und mithin geschlossener Raum. Auch deshalb liegt der Ort nicht unter freiem Himmel.
Das Gericht hält den Ansatz des Oberlandesgerichts Bamberg zum einen für verfehlt und nicht vereinbar mit Art. 103 Abs. 2 GG und der Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts hierzu. Daher greift die grundsätzlich bestehende Bindungswirkung gemäß §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 358 StPO nicht, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage, § 358, Rn. 8.
Zum anderen hat das Gericht ergänzende Feststellungen getroffen und kann den Sachverhalt neu beurteilen. Insbesondere mit den nunmehrigen Feststellungen kann niemand mehr davon sprechen, dass es sich bei dem Fußballstadion um einen Ort „unter freiem Himmel“ handeln würde, es sei denn, man wollte sich in Widerspruch zu den klaren und eindeutigen Worten des Bundesverfassungsgerichts setzen, die es in der Fraport-Entscheidung (BVerfG, NJW 2011, 1201 ff.) gefunden hat, auf die sich das Oberlandesgericht Bamberg maßgeblich gestützt hat.
1. Die einzige Bußgeldvorschrift, die hier in Betracht kommt, ist Art. 21 Abs. 2 Nr. 7 (alte Fassung) BayVersG i. V. m. Art. 16 Abs. 2 Nr. 2, der wiederum auf Art. 16 Abs. 1 BayVersG Bezug nimmt. Demnach ist es verboten, bei Versammlungen oder sonstigen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin, Gegenstände mit sich zu führen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern.
Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen Versammlungen in geschlossenen Räumen und Versammlungen bzw. sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel (Art. 10-13 und 13-16 BayVersG).
Um eine Versammlung handelt es sich nicht, dieser Begriff wird in Art. 2 Abs. 1 BayVersG definiert. Ein Fußballspiel ist keine Erörterung oder Kundgebung, mithin keine Versammlung. Es handelt sich hier vielmehr um eine sonstige öffentliche Veranstaltung, um eine Sportveranstaltung. Öffentlich ist sie in Anlehnung an Art. 2 Abs. 2 BayVersG deshalb, weil die Teilnahme nicht auf einen individuell feststehenden Personenkreis beschränkt ist. Die Eintrittskarten sind nicht auf bestimmte Personen ausgestellt, daher steht im Vorfeld des Fußballspiels nicht fest, welche Personen das Spiel besuchen.
Art. 10-13 BayVersG regeln nur Versammlungen in geschlossenen Räumen. Art. 16 BayVersG setzt wegen seines eindeutigen Wortlauts („bei Versammlungen oder sonstigen Veranstaltungen unter freiem Himmel“) und seiner systematischen Stellung voraus, dass die Veranstaltung unter freiem Himmel stattfindet.
Für sonstige öffentliche Veranstaltungen in geschlossenen Räumen existiert also kein Vermummungsverbot.
Es ist aufgrund des klaren Wortlauts auch nicht möglich, auf den Umkreis des Stadions abzustellen, der unter freiem Himmel sein mag, denn Art. 16 Abs. 1, Abs. 2 BayVersG verbietet die Vermummung bei der Veranstaltung oder auf dem Weg dorthin, also darf nur der Veranstaltungsort als solcher betrachtet werden.
Das Verhalten der Gruppe vor dem Stadion war zudem keine Versammlung oder Veranstaltung unter freiem Himmel, da keine aggressive Stimmung oder irgendeine Zusammenrottung oder Ähnliches vorlag.
2. Entscheidend ist also, ob die im Fußballstadion stattfindende Sportveranstaltung eine Veranstaltung unter freiem Himmel ist.
Dies ist zu verneinen. Das Gericht hält im vorliegenden Fall Art. 16 Abs. 2 Nr. 2, 21 Abs. 2 Nr. 7 (alte Fassung) BayVersG für nicht anwendbar.
a) Es handelt sich bei einem im Nürnberger Stadion stattfindenden Fußballspiel nicht um eine Veranstaltung „unter freiem Himmel“. Der vorliegende Fall kann wegen des klaren und eindeutigen Wortlauts des Gesetzes schlicht und ergreifend nicht so gelöst werden. Es besteht eine Regelungslücke, die wegen des in Art. 103 Abs. 2 GG und § 3 OWiG geregelten Bestimmtheitsgrundsatzes nicht mit einer zur Lasten des Betroffenen gehenden Analogie ausgefüllt werden kann. Es ist auch unzulässig, den Wortlaut zu überdehnen.
Soweit das Oberlandesgericht Bamberg dem Amtsgericht vorwirft, es hätte ein „zu enges Verständnis“ des einschlägigen Schutzbereichs des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 Abs. 2 GG, ist dem folgendes entgegenzuhalten.
b) Das Gericht hält zunächst unverändert an den Ausführungen im Urteil vom 17.06.2015 fest. Bereits der Wortlaut der Vorschrift spricht gegen die Annahme, dass das Nürnberger Stadion unter freiem Himmel wäre.
aa) Für das Gericht ist wegen des Bestimmtheitsgrundsatzes in erster und einziger Linie der Wortlaut der Bußgeldvorschrift maßgeblich.
Das Bundesverfassungsgericht führt zum Bestimmtheitsgebot folgendes aus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. 6. 2010 – 2 BvR 2559/08, 105/09, 491/09, NStZ 2010, 626):
„Für den Gesetzgeber enthält Art. 103 Abs. 2 GG in seiner Funktion als Bestimmtheitsgebot dementsprechend die Verpflichtung, wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit im demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 75, 329, 340f.). Die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze, dass der Gesetzgeber im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen (vgl. BVerfGE 101, 1, 34 108, 282, 312) und dass er Rechtsvorschriften so genau fassen muss, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (Grundsatz der Normenklarheit; vgl. BVerfGE 93, 213, 238), gelten danach für den besonders grundrechtssensiblen Bereich des materiellen Strafrechts besonders strikt. Das Bestimmtheitsgebot verlangt daher, den Wortlaut von Strafnormen so zu fassen, dass die Normadressaten im Regelfall bereits anhand des Wortlauts der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht (vgl. BVerfGE 48, 56f.; 92, 1, 12).“
bb) Diese Grundsätze hat das Oberlandesgericht Bamberg verkannt, denn es kommt ausschließlich unter Zuhilfenahme der Fraport-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Ausweitung des an sich klaren und eindeutigen Wortlauts der Art. 16 Abs. 2 Nr. 2, 21 Abs. 2 Nr. 7 (alte Fassung) BayVersG.
Diese Entscheidung kennt der „Normalbürger“, insbesondere der Nichtjurist natürlich nicht. Auch der Jurist hat nicht sämtliche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Kopf parat. Das muss auch nicht sein, denn – wie das Bundesverfassungsgericht betont – darf bei Strafvorschriften (ebenso bei Bußgeldvorschriften) über den Wortlaut hinaus grundsätzlich gar nichts herangezogen werden.
Das Oberlandesgericht Bamberg verweist auf die Fraport-Entscheidung, übersieht dabei jedoch, dass sich diese Entscheidung auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit und die Auslegung des Art. 8 GG bezieht. Es geht in dieser Entscheidung um die Frage, ob der Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG für die von den dortigen Beschwerdeführern erstrebten Versammlungen im Frankfurter Flughafengebäude gilt. Mit einer Bußgeldvorschrift setzt sich das Bundesverfassungsgericht in der Fraport-Entscheidung nicht auseinander.
Jedoch geht es hier um eine Bußgeldvorschrift, um Art. 21 Abs. 2 Nr. 7 (alte Fassung) BayVersG, der auf Art. 16 BayVersG Bezug nimmt. Hier gilt das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. Die Fraport-Entscheidung kann nicht einfach auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Das Oberlandesgericht weitet den Wortlaut der Art. 21 Abs. 2 Nr. 7 (alte Fassung), 16 BayVersG ausschließlich unter Zuhilfenahme der Fraport-Entscheidung aus.
Dies ist nicht vertretbar, da grundsätzlich aus dem Gesetz selbst ersichtlich sein muss, was verboten und erlaubt ist.
Wenn man die Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg zu Ende denkt, käme man dazu, dass auch ein Flughafengebäude ein Ort „unter freiem Himmel“ wäre. Dies ist aus dem Wortlaut des Gesetzes keinesfalls ersichtlich, ein Flughafengebäude ist das genaue Gegenteil davon!
cc) Daher bleibt das Gericht bei seiner engen und eben gerade nicht zu engen Auslegung der gesetzlichen Vorschriften.
Das Stadion in Nürnberg ist schon allein wegen der Tatsache, dass die Blöcke überdacht sind, kein Ort „unter freiem Himmel“. Der „freie Himmel“ zeichnet nach dem allgemeinen Sprachgebrauch dadurch aus, dass man ungeschützt dem Regen, der Sonne und sonstigen Witterungseinflüssen ausgesetzt ist. Auf überdachten Plätzen ist dies nicht der Fall. Die Fans, die das Spiel besuchen, befinden sich auf Blöcken, die allesamt überdacht sind.
Dort gibt es keinen einzigen Zuschauerplatz, der nicht überdacht ist. Es mag zwar sein, dass die Fußballspieler auf dem Spielfeld unter freiem Himmel spielen. Jedoch zeichnet sich die Veranstaltung insbesondere durch die teilnehmenden Zuschauer aus, die sie regelmäßig zu einer „Großveranstaltung“ machen. Gerade wegen der Zuschauer wurden die überdachten Blöcke gebaut. Die Zuschauer dürfen auch nicht ins Stadioninnere, sie können also gar nicht unter den freien Himmel gehen.
Es mag sein, dass es dazu kommt, dass der Wind Regentröpfchen manchmal auf ungünstig sitzende Zuschauer trägt. Jedoch hängt dies von der Windrichtung und der Sitzposition ab, dies ist der Ausnahmefall. Diese Argumentation ist wegen des Grundsatzes der Normenklarheit fehlerhaft, da der Normalbürger anhand des Wortlauts nicht oder zumindest nicht eindeutig erkennen kann, dass er unter freiem Himmel befindlich wäre, wenn er auf einem überdachten Stadionblock sitzt.
Bereits deshalb kann die Veranstaltung von vornherein nicht unter Art. 16 Abs. 2 Nr. 2, 21 Abs. 2 Nr. 7 (alte Fassung) BayVersG subsumiert werden, da sie eben gerade nicht unter dem freien Himmel stattfindet.
c) Zudem ergibt sich ausgerechnet aus der vom Oberlandesgericht herangezogenen Fraport-Entscheidung eindeutig und sogar völlig unproblematisch, dass ein Fußballstadion gerade kein Ort „unter freiem Himmel“ ist.
Aus diesem Grunde kann dahinstehen, ob bereits wie aufgezeigt der Wortlaut der Vorschrift als solcher entgegensteht, denn ein Fußballstadion ist zweifellos ein umgrenzter, geschlossener Raum, für den das Vermummungsverbot nicht gilt.
aa) In der Fraport-Entscheidung führt das Bundesverfassungsgericht folgendes aus, vgl. NJW 2011, 1201 ff. (Abschnitt 65 in beck-online):
„Die Versammlungsfreiheit verschafft damit allerdings kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere gewährt es dem Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Die Durchführung von Versammlungen etwa in Verwaltungsgebäuden oder in eingefriedeten, der Allgemeinheit nicht geöffneten Anlagen ist durch Art. 8 Abs. 1 GG ebenso wenig geschützt wie etwa in einem öffentlichen Schwimmbad oder Krankenhaus.“
Wenn man diese Passage liest, verwundert es, dass das Oberlandesgericht den Freispruch des Amtsgerichts nicht zumindest im Hinblick auf diese Ausführungen bestätigt hat.
Die Fraport-Entscheidung liefert doch die beste Begründung dafür, dass sich die Betroffenen gerade nicht „unter freiem Himmel“ aufgehalten haben. Denn ein Fußballstadion ist zweifellos eine eingefriedete, der Allgemeinheit nicht geöffnete Anlage, zu der nur zu dem Zwecke des Betrachtens eines Fußballspiels Zugang gewährt wird. Dies ist eigentlich allgemein bekannt.
Das Bundesverfassungsgericht bringt noch die Beispiele Schwimmbad und Krankenhaus. Ein Schwimmbad – auch ein scheinbar unter freiem Himmel befindliches Freibad! – ist eine umfriedete Anlage, die für die Allgemeinheit nicht geöffnet sind und zu der nur Zugang zum Schwimmen, Sonnen, Ballspielen, Eisessen, etc. gewährt wird. Ein Krankenhaus ist eine umfriedete, für die Allgemeinheit nicht geöffnete Anlage, zu der nur zur Krankenbehandlung und zu Krankenbesuchen Zugang gewährt wird.
Wie vom Oberlandesgericht gewünscht, hat das Gericht nunmehr diesbezügliche weitere Feststellungen getroffen. Das Stadion ist mit Zäunen umfriedet, man kann nur nach Passieren einer strengen Einlasskontrolle hineingelangen, innerhalb des Stadions befinden sich von einander getrennte Sektoren, man kann im Stadion das Spiel anschauen und nach dem Spiel muss man das Stadion wieder verlassen.
Das Oberlandesgericht sprach davon, dass nach den bisherigen Feststellungen zu Unrecht die tatbestandlichen Voraussetzungen des Vermummungsverbots verneint worden seien.
Mit den nunmehrigen Feststellungen kann niemand mehr vertreten, dass ein Fußballstadion ein Ort unter freiem Himmel sei. Es sei denn, man wollte dem Bundesverfassungsgericht widersprechen.
bb) Das Bundesverfassungsgericht führt weiter aus (Abschnitt 65 in beck-online):
„Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs, die neben dem öffentlichen Straßenraum für die Durchführung von Versammlungen in Anspruch genommen werden können, sind zunächst nur solche, die der Öffentlichkeit allgemein geöffnet und zugänglich sind. Ausgeschlossen sind demgegenüber zum einen Orte, zu denen der Zugang individuell kontrolliert und nur für einzelne, begrenzte Zwecke gestattet wird. Wenn eine individuelle Eingangskontrolle wie an der Sicherheitsschleuse zum Abflugbereich für eine Einrichtung sicherstellt, dass nur bestimmte Personen – die Flugpassagiere, um ihre Reise anzutreten – Zutritt haben, ist dort kein allgemeiner Verkehr eröffnet. Die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit kann an solchen Orten nicht beansprucht werden.“
Im vorliegenden Fall wird auch individuell kontrolliert. Nur bestimmte Personen, die eine Eintrittskarte haben, die nicht alkoholisiert sind, die keine Pyrotechnik mit sich führen, die nicht randalieren, die sich anständig aufführen, etc., erhalten Zugang allein zum Zwecke des Beobachten des Spiels auf einem bestimmten Platz, danach müssen sie das Stadion verlassen. Außerdem gibt es eine Sektorentrennung, man kann auch innerhalb des Stadionbereichs nicht zu jedem Bereich gelangen, insbesondere sind Heim- und Gästefans strikt getrennt. Es verhält sich also nicht anders als im Flughafen im Bereich nach der Sicherheitsschleuse zum Abflugbereich.
cc) Das Bundesverfassungsgericht führt in der Fraport-Entscheidung weiterhin aus (vgl. Abschnitt 77 nach beck-online):
„(…) Während „Versammlungen unter freiem Himmel“ idealtypisch solche auf öffentlichen Straßen und Plätzen sind, steht dem als Gegenbild die Versammlung in von der Öffentlichkeit abgeschiedenen Räumen wie etwa in Hinterzimmern von Gaststätten gegenüber. Dort bleiben die Versammlungsteilnehmer unter sich und sind von der Allgemeinheit abgeschirmt, so dass Konflikte, die eine Regelung erforderten, weniger vorgezeichnet sind. Demgegenüber finden Versammlungen „unter freiem Himmel“ in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit einer unbeteiligten Öffentlichkeit statt (vgl. Arbeitskreis Versammlungsrecht, Musterentwurf eines Versammlungsgesetzes, Enders/Hoffmann-Riem/Kniesel/Poscher/Schulze-Fielitz [Hrsg.], 2011, Begründung zu § 10, S. 34). Hier besteht im Aufeinandertreffen der Versammlungsteilnehmer mit Dritten ein höheres, weniger beherrschbares Gefahrenpotenzial: Emotionalisierungen der durch eine Versammlung herausgeforderten Auseinandersetzung können sich im Gegenüber zu einem allgemeinen Publikum schneller zuspitzen und eventuell Gegenreaktionen provozieren. Die Versammlung kann hier leichter Zulauf finden, sie bewegt sich als Kollektiv im öffentlichen Raum. (…)“
Das Bundesverfassungsgericht vergleicht also öffentliche Plätze und Straßen mit dem Hinterzimmer einer Gaststätte. In diesem Sinne differenziert auch der Gesetzgeber zwischen „unter freiem Himmel“ und geschlossenen Räumen. Das für das Bundesverfassungsgericht maßgebliche Abgrenzungskriterium ist das Aufeinandertreffen der Versammlungsteilnehmer mit Dritten.
Im vorliegenden Fall ist die Sportveranstaltung nicht an einem Ort, an dem der allgemeine Publikumsverkehr, also „Nicht-Teilnehmer der Veranstaltung“, „unbeteiligte Dritte“ vorhanden sind, sondern es ist ein Ort, den nur die Veranstaltungsteilnehmer, grundsätzlich „Gleichgesinnte“ aufsuchen, mag es sich auch so verhalten, dass manche Zuschauer gewaltbereit sind, unterschiedliche Vereine unterstützen und wiederum andere sich friedlich verhalten. Dies ist aber nicht das Kriterium, nach dem zu differenzieren ist.
Selbst wenn man in diesem Zusammenhang den Konflikt zwischen unterschiedlichen „Fan-Lagern“ ins Feld führt, ist darauf zu verweisen, dass im Stadion Heim- und Gästefans nicht aufeinandertreffen. Diese sind vielmehr räumlich voneinander getrennt.
Das Bundesverfassungsgericht differenziert zudem ausschließlich zwischen Versammlungsteilnehmern (hier zu lesen: Veranstaltungsteilnehmern) und Dritten. Also geht es um die Unterscheidung zwischen den teilnehmenden Zuschauern (gleich aus welchem Lager) und Passanten, die sich nicht für das Spiel interessieren, beispielsweise Spaziergänger, die am Stadion vorbeikommen. Diese Passanten können am Veranstaltungsort nicht auf die Zuschauer treffen, da sie wegen der Zäune und der Zugangskontrollen nicht hineingelangen können.
Das Stadion mit seinen getrennten Bereichen hat – wenn man die Veranschaulichung des Bundesverfassungsgerichts heranzieht – gleichsam verschiedene „Gaststätten“ mit verschiedenen „Hinterzimmern“, in dem Gleichgesinnte beisammen sind. Die Nicht-Gleichgesinnten sind in verschiedenen Gaststätten untergebracht.
Würde man das umgrenzte Stadion mit seinen überdachten Zuschauerplätzen und Sektoren als Ort „unter freiem Himmel“ ansehen, könnte man letztendlich jeden beliebigen Ort so bezeichnen. Dies will der Gesetzgeber nicht, sonst hätte er nicht zwischen „unter freiem Himmel“ und geschlossenen Räumen differenziert. Außerdem widerspricht diese Sichtweise der Fraport-Entscheidung, in der das Bundesverfassungsgericht ebenfalls eine klare und verständliche Unterscheidung trifft.
Würde man den Begriff „unter freien Himmel“ über Gebühr ausweiten, wäre dies ein klarer Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Der Wortlaut des Gesetzes darf nicht überdehnt werden, außerdem sind die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu beachten.
dd) Der Begriff „unter freiem Himmel“ ist daher dahingehend auszulegen, dass die Unabgeschlossenheit gegenüber der Umwelt entscheidend ist, vgl. auch Sachs, Grundgesetz, Art. 8, Rn. 55 m. w. N. und Wächter/Heinold/Merk, Bayerisches Versammlungsgesetz, vor Artikel 10, Rd-Nr. 4 ff.
Falls es sich jedoch – wie hier – um einen nach allen Seiten hin umgrenzten Raum handelt, mit Zugängen, die von Verantwortlichen kontrolliert und beherrscht werden, liegt ein geschlossener Raum vor, vgl. Wächter/Heinold/Merk, a. a. O.
Dies unterscheidet ein Fußballstadion im Übrigen auch von einem Flughafengebäude, bei dem nicht am Eingang kontrolliert wird, sondern erst bei der Sicherheitsschleuse.
Daher sind Fußballspiele in Fußballstadien „sonstige Veranstaltungen in geschlossenen Räumen“, für die kein Vermummungsverbot geregelt ist.
d) Insgesamt sieht sich das Gericht also gehindert, eine Verurteilung auf Art. 16 Abs. 2 Nr. 2, 21 Abs. 2 Nr. 7 (alte Fassung) BayVersG im Fall eines in einem Stadion stattfindenden Fußballspiels oder im Umkreis dieses Stadions, etwa beim Weg dorthin, zu stützen.
aa) Es mag sein, dass man derartige Fälle bislang so gelöst hat: „das haben wir schon immer so gemacht“.
Dem Gericht ist bekannt, dass bislang Bußgeldbescheide auch wegen tatsächlich vermummter Fußballfans erlassen wurden (interessanterweise von der Stadt Nürnberg mit deutlich geringerer Geldbuße als im vorliegenden Fall, in dem der Gegenstand „nur“ mitgeführt wurde).
Zudem werden vom Rechtsamt und der Staatsanwaltschaft zwei Entscheidungen ins Feld geführt, die sich mit Fußballspielen beschäftigen, Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 28.02.2007, 3 Qs 20/07, und OLG Frankfurt, Urteil vom 11.04.2011, 2 Ss 36/11. Dort jedoch wurde der Schwerpunkt auf die Auslegung des Begriffs „Schutzwaffe“ gelegt, hauptsächlich mit diesem Thema beschäftigen sich diese beiden Entscheidungen. Die Problematik, ob das Stadion überhaupt „unter freiem Himmel“ befindlich ist, wurde übersehen, da hierzu nichts ausgeführt ist und sich die beiden Gerichte nicht mit dem Bestimmtheitsgebot befassen.
Das Argument „das haben wir schon immer so gemacht“ ist fehlerhaft, da der Wortlaut der Vorschrift und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich ist. Es führt nicht weiter, wenn man sich ohne Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur auf diese Entscheidungen beruft.
bb) Es mag sein, dass der Gesetzgeber die „Hooligan-Problematik“ und die Fußballstadien im Blick hatte, als er Art. 16 BayVersG geschaffen hatte. Jedoch stößt die teleologische Auslegung an ihre Grenzen, wenn der Wortlaut des Gesetzes missachtet wird.
Wenn der Gesetzgeber etwas regeln will, muss er sich klar und deutlich ausdrücken, damit der Bürger bei der Lektüre der Bußgeldvorschrift erkennen kann, was erlaubt und verboten ist (siehe hierzu die oben auszugsweise zitierte Entscheidung zum Bestimmtheitsgebot, BVerfG, Beschluss vom 23. 6. 2010 – 2 BvR 2559/08, 105/09, 491/09, NStZ 2010, 626).
So wie sich der Bürger an die Gesetze zu halten hat, ist umgekehrt der Staat grundsätzlich an den Wortlaut der von ihm geschaffenen Gesetze gebunden. Man kann jedenfalls im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nicht im Nachhinein Gesetze umdeuten oder ausdehnen, nach dem Motto „das war ja auch anders gemeint“ oder „das war schon immer so“, etc. Sonst würde man der Beliebigkeit Tür und Tor öffnen.
cc) Das Gericht übersieht in diesem Zusammenhang nicht, dass es grundsätzlich „wünschenswert“ wäre, wenn im Umkreis von Fußballstadien ein Vermummungsverbot greifen würde. Die „Hooligan“ – Problematik ist bekannt, die polizeiliche Arbeit wird erschwert, wenn sich Personen vermummen.
Dies ändert aber nichts daran, dass sich der Gesetzgeber klar auszudrücken hat. Das Gericht ist an die Gesetze gebunden und kann sie nicht verbiegen, um ein „gewünschtes“ Ergebnis zu erzielen. Dies versteht sich eigentlich von selbst.
Es liegt am Gesetz- oder Verordnungsgeber, der Landtag, aber auch die Stadt kann hier etwas bewegen. Das Gericht kann jedoch lediglich die bestehenden Gesetze im zulässigen Maße anwenden.
Möglich wäre neben einer Änderung des Bayerischen Versammlungsgesetzes auch eine Verordnung der Stadt gemäß Art. 23 LStVG.
Auf diese Vorschrift hat das Gericht bereits im Urteil vom 17.06.2015 hingewiesen, ohne dass die Stadt Nürnberg bislang entsprechend reagiert hätte. Die Stadt Ingolstadt hat beispielsweise eine Stadionverordnung, die für die Dauer von Veranstaltungen im Stadion sowie vier Stunden vor Beginn und zwei Stunden nach deren Ende gilt.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464 Abs. 1, 473 Abs. 4 StPO, 46 Abs. 1 OWiG.