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Bußgeldverfahren – Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betroffenen

Oberlandesgericht Stuttgart

Az: 5 Ss 321/10

Beschluss vom 11.06.2010


1.

Die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 25. Februar 2010 wird zugelassen, soweit der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils angegriffen wird.

2.

Auf die im vorgenannten Umfang zugelassene Rechtsbeschwerde wird die gegen den Betroffenen im angefochtenen Urteil verhängte Geldbuße auf 120 EUR herabgesetzt.

3.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die dem Betroffenen darin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Stuttgart hat den Betroffenen durch Urteil vom 25. Februar 2010 wegen fahrlässigen Nichtbeachtens des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage zu einer Geldbuße von 200,00 EUR verurteilt. Dagegen richtet sich der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, in dem er die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen.

II.

Der statthafte und rechtzeitig gestellte Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist überwiegend begründet.

Hat das Amtsgericht den Betroffenen – wie hier – zu einer Geldbuße von nicht mehr als 250 EUR verurteilt, ist die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder dann zuzulassen, wenn das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben ist. Die Rechtsbeschwerde war insoweit zuzulassen, als das Urteil – im Rechtsfolgenausspruch – wegen Versagung des rechtlichen Gehörs – aufzuheben bzw. hier gemäß § 79 Abs. 6 OWiG abzuändern ist. Eine weitergehende Zulassung der Rechtsbeschwerde schied aus.

1. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist zulässig erhoben.

Die Antragsbegründung legt dar, dass die Erhöhung des im Bußgeldbescheid mit 120 EUR festgesetzten Bußgeldes zu keiner Zeit Gegenstand der Hauptverhandlung war und das Amtsgericht dennoch eine Erhöhung auf 200 EUR vorgenommen hat. Daraus ergibt sich, dass der Betroffene zu einer entsprechenden Erhöhung nicht gehört wurde, ihm insbesondere kein gerichtlicher Hinweis auf eine beabsichtigte Überschreitung des Regelsatzes um mehr als das Doppelte erteilt wurde. Die Antragsbegründung führt aus, dass der Betroffene seine Verteidigung bei einem entsprechenden Hinweis hierauf eingestellt, gegebenenfalls den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurückgenommen hätte.

Die Antragsbegründung legt darüber hinaus dar, dass in der Hauptverhandlung eine Behördenauskunft durch das Meldeportal der Stadt S., wonach der Betroffene seinen alleinigen Wohnsitz in …, … habe, durch Verlesung eingeführt wurde. Diese einen Tag vor der Hauptverhandlung erhobene Auskunft sei dem Verteidiger, der ebenso wie der Betroffene an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen habe, nicht zugänglich gemacht worden. Diese Behördenauskunft sei zudem unrichtig. Das angefochtene Urteil beruhe auf dieser Auskunft, da das Amtsgericht bei der Bemessung der Geldbuße zulasten des Betroffenen berücksichtigt habe, dass dieser in S. keinesfalls ortsfremd sei, was sich unter anderem daraus ergebe, dass er in S. einen Wohnsitz habe.

Der Vortrag des Betroffenen stimmt mit den Feststellungen im Urteil und im Hauptverhandlungsprotokoll überein.

2. Der Zulassungsantrag ist wegen der Verwertung der Meldeauskunft begründet.

a. Entgegen der Ansicht des Betroffenen ist im unterlassenen Hinweis auf die beabsichtigte Erhöhung des Bußgeldes keine Versagung des rechtlichen Gehörs zu sehen. Das Amtsgericht hat mit der unangekündigten Erhöhung des Bußgeldes keine nach Art. 103 Abs. 1 GG unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen.

Denn bei der Verhängung einer höheren als im Bußgeldbescheid festgesetzte Geldbuße ist – auch im Abwesenheitsverfahren nach § 74 OWiG – ein rechtlicher Hinweis grundsätzlich nicht geboten (vgl. Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 71, Rdnr. 50, 50a; OLG Dresden Ss (OWi) 599/02, – zitiert nach Juris -).

Diese Ansicht steht im Einklang mit den von der Verteidigung zitierten Beschlüssen des Thüringer OLG (1 Ss 346/06) und OLG Hamm (3 Ss OWi 622/09). Die diesen Entscheidungen zu Grunde liegenden Sachverhalte unterscheiden sich vom vorliegenden Sachverhalt. Bei den zitierten Entscheidungen war es so, dass im Bußgeldbescheid gegen die Betroffenen jeweils die Regelgeldbuße festgesetzt worden war und dass die Amtsgerichte die Geldbußen ohne rechtlichen Hinweis und ohne dass hierfür Gründe – wie etwa vorhandene Voreintragungen – vorgelegen hatten, verdoppelten. In beiden Fällen mussten die Betroffenen daher ohne entsprechenden Hinweis des Gerichts nicht damit rechnen, dass die gegen sie verhängten Regelgeldbußen erhöht werden würden. Aus diesem Grund nahmen beide Oberlandesgerichte das Vorliegen einer verbotenen Überraschungsentscheidung an. Dies zeigt gerade der Hinweis des Thüringer OLG auf die auf der Rückseite des Bußgeldbescheides abgedruckte schriftliche Rechtsbehelfsbelehrung, nach der auf einen Einspruch auch eine für den Betroffenen nachteilige Entscheidung getroffen werden kann. Denn diese Belehrung beziehe sich nur darauf, dass eine Erhöhung des verhängten Bußgeldes in Betracht kommt, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen. Sie solle den Betroffenen aber nicht auf eine nicht im Einklang mit den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften und der hierzu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung stehende Erhöhung des Bußgeldes durch das Gericht vorbereiten.

Im hier vorliegenden Fall war gegen den Betroffenen im Bußgeldbescheid gerade nicht die Regelgeldbuße festgesetzt worden, sondern es war wegen der – Geschwindigkeitsüberschreitungen betreffenden – Voreintragungen des Betroffenen eine (moderate) Erhöhung der Regelgeldbuße von der Bußgeldbehörde vorgenommen worden. In solch einem Fall ist das Gericht – was dem verteidigten Betroffenen bewusst sein musste – an die verhängte Geldbuße nicht gebunden, zumal die Tatrichterin bzgl. der zu erwartenden Geldbuße keinen Vertrauenstatbestand geschaffen hatte.

b. Jedoch ist der Betroffene durch die Verwertung der in der Hauptverhandlung verlesenen Meldeauskunft in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden.

Denn wenn die Hauptverhandlung gemäß § 74 Abs. 1 OWiG in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt worden ist, darf sich das Urteil nur auf dem Betroffenen bekannte Beweismittel stützen. Dies folgt aus dem auch für das Bußgeldverfahren verbindlichen, aus Art. 103 Abs. 1 GG sich ableitenden Grundsatz, dass ein Gericht seiner Entscheidung nur jene Tatsachen und Beweismittel zugrundelegen darf, zu denen sich die Verfahrensbeteiligten äußern konnten. Beabsichtigt das Gericht – wie vorliegend – die Einführung von Beweismitteln, zu denen sich der Betroffene bislang noch nicht äußern konnte, muss es die Verhandlung unterbrechen bzw. aussetzen und den Betroffenen und seinen Verteidiger, wenn auch er abwesend ist, entsprechend unterrichten (vgl. Thüringer OLG VRS 107, 348 m.w.N.; KK-Senge, OWiG, 3. Aufl., § 74 Rdnr. 13.).

3. Da die Verletzung rechtlichen Gehörs hier nur den Rechtsfolgenausspruch betrifft, war die Rechtsbeschwerde auch nur insoweit zuzulassen. Eine Beschränkung der Zulassung insoweit ist möglich (vgl. Göhler, a.a.O., § 80 Rdnr. 17; OLG Hamm 3 Ss OWi 622/09 m.w.N. – zitiert nach Juris -).

III.

Die Rechtsbeschwerde ist – soweit sie zugelassen wurde – begründet, da das Urteil auch auf der Versagung des rechtlichen Gehörs beruht, denn es erscheint nicht nur ausgeschlossen sondern naheliegend, dass das Amtsgericht zu einem anderen Bußgeldfestsetzung gelangt wäre, wenn der Betroffene Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit dem Beweismittel erhalten hätte, zumal die Nachforschungen des Verteidigers ergaben, dass die Meldeauskunft unrichtig war.

Der Senat konnte insoweit eine eigene Sachentscheidung gemäß § 79 Abs. 6 OWiG treffen, da es keine weiteren Tatsachenfeststellungen zur Bemessung der Rechtsfolgen mehr zu erwarten sind. Nach den Urteilsfeststellungen rechtfertigen die nicht einschlägigen Voreintragungen des Betroffenen die von der Bußgeldbehörde vorgenommene Erhöhung des Regelsatzes. Weitere tragfähige Gründe, die eine Erhöhung des Bußgeldes um mehr als das Doppelte des Regelsatzes rechtfertigen würden, werden im Urteil nicht aufgeführt.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 3, 4 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG, da der Verteidiger zwar einen uneingeschränkten Zulassungsantrag stellte, mit seiner Rechtsbeschwerde jedoch lediglich eine Reduzierung der verhängten Geldbuße erstrebte und mit diesem Antrag Erfolg hatte.

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