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Bußgeldverfahren – Verfahrensverzögerung und Fahrverbot

Oberlandesgericht Hamm

Az: III-3 RBs 70/10

Beschluss vom 24.03.2011


In pp. hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm am 24.03.2011 beschlossen:

Die Sache wird dem 3. Senat für Bußgeldsachen in der Besetzung mit 3 Richtern übertragen, da es geboten ist, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen (§ 80 a Abs. 3 OWiG).

Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass von dem angeordneten einmonatigen Fahrverbot eine Woche als vollstreckt gilt.

Gründe:

I.

Der Betroffene wurde durch Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 25. Januar 2010 wegen fahrlässiger Missachtung des Rotlichts der Lichtzeichenanlage – Rotphase länger als 1 Sekunde – mit einer Geldbuße von 200,- Euro belegt. Daneben wurde ein einmonatiges Fahrverbot verhängt.

Hiergegen erhob der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26. Januar 2010 Rechtsbeschwerde, die beim Amtsgericht Bielefeld am selben Tage per Fax einging. Nach Zustellung des Urteils an den Verteidiger am 1. März 2010 – dessen Vollmacht sich nicht bei der Akte befindet –, begründete dieser die Rechtsbeschwerde mit weiterem Schriftsatz vom 10. März 2010 mit näheren Ausführungen zur Verletzung formellen und materiellen Rechts. Nachdem die Akte am 30. März 2010 mit einer vorläufigen Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 26. März 2010 beim Oberlandesgericht in Hamm einging, wurde das Verfahren zwecks erneuter – ordnungsgemäßer – Zustellung des Urteils an das Amtsgericht Bielefeld zurückgeleitet. Mit Verfügung des zuständigen Amtsrichters vom 14. April 2010 wurde das Urteil am 17. April 2010 an den Betroffenen mit Zustellungsurkunde zugestellt.

Aus nicht nachvollziehbaren Gründen ging die Akte beim Oberlandesgericht Hamm mit einer Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 26. Januar 2011 erst am 28. Januar 2011 ein.

II.

Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ist auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen worden, weil es gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 1 OWiG geboten ist, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen. Der vorliegende Einzelfall gibt Veranlassung, die Frage einer im Rechtsbeschwerdeverfahren eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung und deren Kompensation näher zu klären.

Die Entscheidung über die Übertragung der Sache auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern beruht auf einer Entscheidung des Einzelrichters gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber nur geringen Erfolg.

A.

Soweit sich die Angriffe des Betroffenen gegen den Schuldspruch richten, sind sie aus den zutreffenden Gründen der dem Verteidiger mitgeteilten Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 26. Januar 2011 unbegründet im Sinne von § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO. Dies wird auch nicht durch die Gegenerklärung des Verteidigers vom 10. Februar 2011 in Frage gestellt wird.

Ergänzend bemerkt der Senat insoweit nur Folgendes: Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO entspringt der schonenden Rücksicht auf die Familienbande, die den Betroffenen mit dem Zeugen verknüpfen. Diesem wird deshalb ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht gewährt, das zum Ausschluss des Beweismittels im Ganzen führt, wenn er von seinem Recht Gebrauch macht. Aus übergeordneten Gründen, nicht nur wegen des Gewissenskonflikts des Zeugen, sondern auch zum Schutz der Familie des Betroffenen soll es im Interesse des Zeugen liegen, ob er aussagen will oder nicht (BGH St 11, 213/216). Aus dem Verhalten des die Aussage verweigernden Zeugen dürfen keine Schlüsse auf sein Wissen gezogen werden, da der Zeuge dann gegebenenfalls durch sein Verhalten zur Verurteilung beitragen würde und er somit in den persönlichen Gewissenskonflikt gebracht würde, den ihm sein Aussageverweigerungsrecht ersparen will (BGHSt 32, 140/141f.; BGH NStZ 1985, 87; OLG Köln VRS 57, 425/426). Scheidet der sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufende Zeuge somit in dieser Hinsicht als Beweismittel grundsätzlich aus, so kann und muss das Gericht gemäß § 244 Abs. 2 StPO die äußere Erscheinung des Zeugen als Gegenstand einer Inaugenscheinnahme für die Urteilsfindung verwenden (BGH Beschluss vom 15. Juni 2004, – 1 StR 80/04 m.w.N.; BGH GA 1965, 108; OLG München, Beschluss vom 23. April 2009, – 4 StRR 27/09- (juris)); . Hierzu darf das Gericht sich auch sachverständiger Hilfe bedienen. Entgegen der Auffassung der Verteidigung darf der Sachverständige den Zeugen zum Zwecke eines Vergleichsgutachtens auch fotografieren, da dies keine körperliche Untersuchung des Zeugen im Sinne des § 81 c StPO darstellt. Darüber hinaus ergibt sich die Zulässigkeit der Anfertigung von Lichtbildern aus einem Umkehrschluss des § 81 b StPO.

B.

Auch der Rechtsfolgenausspruch hält im Wesentlichen einer rechtlichen Prüfung stand.

1) Das Amtsgericht ist bei der Bußgeldzumessung von der Regelgeldbuße nach Ziffer 132.2 der Anlage zu § 1 Abs.1 BKatV (Stand 2008) in Höhe von 125, Euro ausgegangen, die auch bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß (länger als 1 Sekunde andauernder Rotphase eines Wechsellichtzeichens) zutreffend ist. Aufgrund der vorhandenen Voreintragungen im Verkehrszentralregister bestehen gegen die maßvolle Erhöhung der Geldbuße auf 200,- Euro keine Bedenken.

2) Die Verhängung des Regelfahrverbotes von einem Monat gemäß § 4 Abs. 1 S.1 Nr. 3 Bußgeldkatalogverordnung erweist sich ebenfalls – grundsätzlich – als rechtsfehlerfrei.

a)

Bei dem Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 StVG handelt es sich nach dem gesetzgeberischen Willen in erster Linie um eine Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme, die gleichermaßen eine warnende wie erzieherische Wirkung entfalten soll (vgl. BVerfGE 27, 36, 42). Der Betroffene soll dadurch besonders nachdrücklich dazu angehalten werden, sich künftig verkehrsordnungsgemäß zu verhalten. Zwar kann das Fahrverbot seinen Sinn verlieren, wenn die zu ahndende Tat lange zurückliegt, die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereichs des Betroffenen liegen und dieser sich in der Zwischenzeit verkehrsordnungsgemäß verhalten hat (OLG Hamm, VRS 109,118, KG VRS 113,69; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, StVG § 25 Rn. 24 m.w.N.).

b)

Wann wegen langer Verfahrensdauer allein oder in der Zusammenschau mit anderen Umständen ein Absehen vom Fahrverbot gerechtfertigt sein kann, ist eine Frage des Einzelfalls, die einen gewissen Beurteilungsspielraum eröffnet. In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung geht der Senat jedoch davon aus, dass der erzieherische Sinn und Zweck der Maßregel jedenfalls dann zweifelhaft sein kann, wenn der zu ahndende Verkehrsverstoß deutlich mehr als zwei Jahre zurückliegt ( z.B. OLG Hamm VRS 109, 118; OLG Köln StrafO 2004, 287 m.w.N.; OLG Rostock ZfS 2001, 383 384; BayObLG NZV 2004, 100, vgl. weiter die Nachweise bei König a.a.O.), wobei grundsätzlich auf den Zeitraum zwischen Tat und letzter tatrichterlicher Entscheidung abzustellen ist (Senat, Beschluss vom 28.02.2011, – III-3 RBs 27/11- st. Rspr.; BayObLG NZV 1998, 82 am Ende = DAR 1997, 115; OLG Stuttgart zfs 1998, 194; OLG Hamm DAR 2000, 580f; OLG Brandenburg, NZV 2005, 278f; Schleswig-Holsteinisches OLG, DAR 2000, 584f). Insofern bestehen hier gegen die Anordnung eines einmonatigen Fahrverbotes keine Bedenken, da die tatrichterliche Verurteilung bereits 19 Monate nach der Tat erfolgt war und damit deutlich unterhalb der 2-Jahresfrist lag.

c)

Vorliegend besteht jedoch die Besonderheit, dass eine erhebliche Verfahrensverzögerung erst im Anschluss an die tatrichterliche Entscheidung vom 25. Januar 2010, die die Verhängung des Fahrverbotes trug, eingetreten ist (Unzulänglichkeiten bei der Rücksendung der Akte an das Oberlandesgericht betreffend den Zeitraum Mai 2010 bis Januar 2011). Zwar ist eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes grundsätzlich nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge hin zu überprüfen ( OLG Hamm, Beschluss vom 12.12.2008, – 3 Ss OWi 250/08-; Beschluss vom 28.3.2010, – III-3 RBs 28/09). Für Verzögerungen nach Urteilserlass ist ein Eingreifen des Rechtsmittelgerichts von Amts wegen aber dann geboten, wenn der Betroffene diese nicht frist- und formgerecht rügen kann, weil die Verzögerung erst nach Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist eingetreten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20.06.2007 – 2 StR 493/06 – ). So verhält es sich vorliegend. Die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist lief nach erneuter Zustellung am 17. Mai 2010 ab. Die Sache ist im Anschluss daran aus Gründen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat und die sich auch nicht mit Umfang oder Schwierigkeit der Sache rechtfertigen lassen, bis zur Antragsschrift der GStA vom 26. Januar 2011, mithin rund 8 Monate, nicht gefördert worden.

d)

Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip garantiert aber dem Betroffenen auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren das Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren, was auch das Recht auf Abschluss des Verfahrens in angemessener Zeit beinhaltet (BVerfG, Beschluss vom 02.07.2003 – 2 BvR 273/03 – m. w. Nachw. (juris), OLG Rostock, StV 2009, 363). Die Dauer des Verfahrens, die dabei noch als angemessen anzusehen ist, bestimmt sich nach dem Umständen des Einzelfalles (BVerfGE 55, 349, 369). Maßgebliche Kriterien sind der durch die Verfahrensverzögerung verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs, Umfang und Schwierigkeit der Sache, sowie die mit der Dauer des schwebenden Verfahrens für den Betroffenen verbundenen Belastungen (BVerfG, a.a.O.; OLG Rostock a.a.O. m.w.N.). Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass anders als in Strafverfahren mit der Sanktionierung im Bußgeldverfahren lediglich eine nachdrückliche Pflichtenmahnung bezweckt wird, sodass die Eingriffsintensität einer staatlichen Bestrafung nicht erreicht wird (BVerfGE a.a.O. und 45, 272 288 f.; BVerfG NJW 1992, 2472,2473). Die Annahme einer überlangen Verfahrensdauer liegt nach diesem Maßstab daher nahe, wenn die Verfahrensdauer ein Vielfaches der normalen Verjährungsfrist erreicht (BVerfG, Beschluss vom 2.7.2003, – 2 BvR 273/03 – (juris).; vgl. auch OLG Düsseldorf NZV 2008, 534 ).

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien ist eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festzustellen. Seit dem verfahrensgegenständlichen Vorfall sind 2 3/4 Jahre verstrichen, mithin das Fünffache der normalen Verjährungsfrist. Spätestens seit seiner ersten Anhörung durch die Verwaltungsbehörde am 25. Juni 2008 sieht sich der Betroffene dem Vorwurf eines Rotlichtverstoßes ausgesetzt. Seit der am 20. August 2008 an ihn erfolgten Zustellung des Bußgeldbescheides vom 30. Juli 2008 weiß er auch, dass ihm deswegen neben einer Geldbuße auch ein Fahrverbot von einem Monat droht. Die erst in der Rechtsbeschwerdeinstanz aufgetretenen und allein von den Justizorganen zu verantwortenden Verzögerungen haben dazu geführt, dass der Betroffene etwa 8 Monate länger als bei regelrechtem Verfahrensgang im Ungewissen geblieben ist, ob und wann es noch zum Vollzug des Fahrverbotes kommt.

Nach der vom Bundesgerichtshof (grundlegend BGHSt 51, 124-148) in Strafsachen entwickelten Vollstreckungslösung wird bei einer festgestellten rechtstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt ausgesprochen. Der Ausgleich für einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot wird dabei aus dem Vorgang der Strafzumessung herausgelöst, bleibt aber Teil des Rechtsfolgenausspruchs im weiteren Sinne. Die notwendige Kompensation für rechtsstaatswidrige Verzögerungen des zugrunde liegenden Verfahrens bildet einen eigenständigen, allein an den Maßstäben des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK orientierten Prüfungsvorgang, der Unrecht, Schuld- und Strafhöhe unberührt lässt ( BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 2 StR 563/10 , (juris)). In entsprechender Übertragung dieser Grundsätze auf das Bußgeldverfahren hat sich der Senat in Anwendung von § 79 Abs. 6 OWiG unter Abwägung oben aufgeführter Umstände veranlasst gesehen, das Fahrverbot zur Kompensation der eingetretenen Verfahrensverzögerung in der Weise zu reduzieren, dass eine Woche des angeordneten einmonatigen Fahrverbotes als verbüßt gilt.

Eine darüber hinausgehende Kompensation hielt der Senat im Hinblick auf die geringere Eingriffsintensität des Bußgeldverfahrens nicht für erforderlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs.1 OWiG in Verbindung mit § 473 Abs.1 und Abs. 4 StPO. Im Hinblick auf den geringen Erfolg seiner Rechtsbeschwerde war es nicht unbillig, den Betroffenen mit den Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu belasten.

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