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Cannabisfahrt – Vorwerfbarkeit

Kammergericht Berlin

Beschluss vom 04.01.2010

Az: 2 Ss 363/09 – 3 Ws (B) 667/09


In der Bußgeldsache wegen Verkehrsordnungswidrigkeit hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts in Berlin am 4. Januar 2010 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin gegen das Urteil des Amtsgericht Tiergarten in Berlin vom 24. August 2009 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die dem Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse Berlin.

G r ü n d e :

1. Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen durch Bußgeldbescheid vom 23. April 2008 wegen Führens eines Kraftfahrzeuges unter der Wirkung berauschender Mittel (Cannabis, 1,5 ng/ml Tetrahydrocannabinol) eine Geldbuße von 500,00 Euro festgesetzt, ein Fahrverbot von drei Monaten angeordnet und nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Auf den Einspruch des Betroffenen hin hat das Amtsgericht Tiergarten in Berlin den Betroffenen mit Urteil vom 24. August 2009 freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Amtsanwaltschaft mit ihrer von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vertretenen Rechtsbeschwerde und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

2. Nach dem vom Amtsgericht rechtsfehlerfrei festgestellten objektiven Sachverhalt hat der Betroffene am 20. Januar 2009 um 12.15 Uhr mit seinem Pkw die Arnulfstraße in 12105 Berlin befahren, obwohl er unter der Wirkung von Cannabis stand. Die ihm am Tattag um 14:05 Uhr entnommene Blutprobe habe 1,5 ng/ml THC enthalten. Am Vorabend habe der Betroffene an einer Feier teilgenommen, bei welcher er Alkohol zu sich genommen habe. Am Morgen des Tattages habe er eine Tablette Grippostad eingenommen und sei zudem sehr müde gewesen. Auf der Grundlage dieser Tatsachenfeststellungen hat das Amtsgericht den objektiven Tatbestand von § 24a Abs. 2 StVG i.V.m. der Anlage zu § 24a StVG zutreffend als erfüllt angesehen. Denn der Betroffene stand danach zum Tatzeitpunkt „unter der Wirkung“ eines berauschenden Mittels, weil der analytische Grenzwert von 1 ng/ml im Blutserum (vgl. BVerfG NJW 2005, 349) erreicht worden ist.

3. Das Vorliegen des subjektiven Tatbestandes hat das Amtsgericht hingegen verneint, da sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine Fahrlässigkeit in Bezug darauf habe nachweisen lassen, dass der Betroffene zur Tatzeit noch unter dem Einfluss von Cannabis gestanden habe. Hiergegen wendet sich die Amtsanwaltschaft mit ihrer Rechtsbeschwerde und vertritt die Auffassung, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme von einem fahrlässigen Handeln des Betroffenen auszugehen sei. Indes erweist sich die Schlussfolgerung des Amtsgerichts im Ergebnis als zutreffend.

a) Das Amtsgericht hat insoweit ausgeführt, der Betroffene habe sich dahingehend eingelassen, dass er zum Tatzeitpunkt sehr müde gewesen sei, was zum einen am wenigen Schlaf und der Feier am Vorabend gelegen habe. Zum anderen sei er erkältet gewesen, weshalb er vor Fahrtantritt von der Zeugin R. eine Tablette Grippostad erhalten und auch eingenommen habe. Letzteres sei von der Zeugin R. auch bestätigt worden. Eine bewusste Einnahme von Cannabis habe der Betroffene bestritten. Zwei Zeuginnen hätten zudem bestätigt, dass der Betroffene in ihrer Gegenwart kein Cannabis konsumiert hätte, was nicht zu widerlegen gewesen sei. Weiter hat das Amtsgericht ausgeführt, dass nach Angaben der Zeugen F. und S., die den Betroffenen kontrolliert hatten, das Fahrverhalten des Betroffenen sehr langsam und verhalten gewesen sei. Der Betroffene habe zudem wässrig glänzende Augen gehabt und müde und schläfrig, jedoch nicht benommen gewirkt. Der verlesene ärztliche Untersuchungsbericht habe keine betäubungsmittelspezifischen Ausfallerscheinungen aufgewiesen, sondern lediglich ein kritikloses Verhalten des Betroffenen dokumentiert und als Gesamteindruck „BTM nicht merkbar“ festgestellt. Der in der Hauptverhandlung gehörte Sachverständige habe ausgeführt, dass das seitens der Zeugen und im ärztlichen Untersuchungsbericht festgestellte Verhalten des Betroffenen angesichts der geringen im Blut festgestellten Konzentration von THC nicht zwangsläufig auf einen Cannbiskonsum zurückgeführt werden könne. Vielmehr könnten der vom Betroffenen dargestellte Schlafmangel und seine Erkältung zu denselben Symptomen führen.

b) Fahrlässiges Handeln im Sinne des § 10 OWiG liegt vor, wenn der Täter die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Fähigkeiten verpflichtet und im Stande ist, außer Acht lässt und deshalb entweder die Tatbestandsverwirklichung nicht erkennt bzw. nicht voraussieht – unbewusste Fahrlässigkeit – oder die Möglichkeit einer Tatbestandsverwirklichung zwar erkennt, aber mit ihr nicht einverstanden ist und ernsthaft darauf vertraut, diese werde nicht eintreten – bewusste Fahrlässigkeit (vgl. BGHSt 49, 1, 5; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 15 Rdnr. 14a; Gürtler, in: Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 10 Rdnr. 6).

Bezogen auf den Tatbestand des § 24 a Abs. 2 StVG bedeutet dies, dass dem Betroffenen nachzuweisen ist, dass er die Möglichkeit fortdauernder Wirkung des Cannabiskonsums entweder erkannt hat oder zumindest hätte erkennen können und müssen. Denn der Vorwurf der schuldhaften Tatbegehung bezieht sich nicht primär auf den Konsumvorgang, sondern auf die Wirkung des Rauschmittels zum Tatzeitpunkt (vgl. Senat NZV 2009, 572; OLG Brandenburg BA 2008, 135; OLG Celle NZV 2009, 89, 90; OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 249; OLG Hamm NJW 2005, 3298, 3299; OLG Koblenz, Beschluss vom 1. September 2009 – 1 SsBs 97/09 – juris; OLG Saarbrücken NJW 2007, 309, 311 und 1373, 1374; Gürtler, a.a.O., Rdnr. 5; Janker, in: Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl., § 24a StVG Rdnr. 7a ). Fahrlässig handelt danach, wer in zeitlicher Nähe zum Fahrtantritt Cannabis konsumiert hat und sich dennoch an das Steuer eines Fahrzeugs setzt, ohne sich bewusst zu machen, dass der Rauschmittelstoff noch nicht vollständig unter den analytischen Grenzwert von 1 ng/ml abgebaut ist. Nicht erforderlich ist, dass sich der Betroffene einen spürbaren oder messbaren Wirkstoffeffekt vorgestellt hat oder zu einer entsprechenden exakten physiologischen und biochemischen Einordnung in der Lage war, zumal ein Kraftfahrer die Unberechenbarkeit von Rauschdrogen in Rechnung zu stellen hat (vgl. Senat, OLG Celle, OLG Frankfurt, OLG Hamm, OLG Saarbrücken, jeweils a.a.O.; OLG Zweibrücken BA 2009, 99; König, in: König/Hentschel/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 24a StVG Rdnr. 25b).

c) An der Erkennbarkeit der Wirkung des Rauschmittels kann es jedoch nach überwiegender oberlandesgerichtlicher Rechtsprechung indes ausnahmsweise fehlen, wenn zwischen dem Zeitpunkt des Drogenkonsums und der Fahrt längere Zeit vergeht (vgl. Senat, OLG Celle, OLG Frankfurt, OLG Hamm, OLG Koblenz, OLG Saarbrücken, OLG Zweibrücken, jeweils a.a.O.; OLG Bremen NZV 2006, 276; OLG Schleswig SchlHA 2008, 274). Denn mit zunehmendem Zeitablauf schwindet das Bewusstsein dafür, dass der zurückliegende Drogenkonsum noch Auswirkungen in der Gegenwart haben könnte.

Diese Rechtsprechung ist allerdings nicht unwidersprochen geblieben. So wird die Auffassung vertreten, dass auch in Fällen länger zurückliegenden Cannabiskonsums stets Fahrlässigkeit anzunehmen sei, wenn zum Tatzeitpunkt der analytische Grenzwert überschritten werde (BayObLG BA 2006, 47; König NStZ 2009, 425; DAR 2007, 626 sowie in König/Hentschel/Dauer, a.a.O.). Dies wird damit begründet, dass bereits seit längerem bekannt sei, dass im Ausnahmefall relevante Nachweisdauern (und damit Wirkungsdauern) von bis zu 24 Stunden nach Drogenaufnahme, in extremen Ausnahmekonstellationen sogar bis zu 46 bis 48 Stunden referiert würden. Dies sei zwar nicht jedem Normalbürger bekannt. Diese Unkenntnis könne den Drogenkonsumenten jedoch nicht entlasten. Denn das Führen eines Kfz sei eine gefährliche Tätigkeit, und wie bei Übernahme jeder gefährlichen Tätigkeit müsse dem Fahrzeugführer zugemutet werden, sich vor Fahrtatritt ggfs. durch Einholung sachkundigen Rats einen hinreichenden Kenntnisstand zu verschaffen (vgl. BayObLG DAR 1996, 152). Dies gelte umso mehr für einen Drogenkosumenten, da dieser durch die Aufnahme des Rauschmittels ein auch verkehrsrechtlich relevantes Risiko geschaffen habe. Die Beschaffung der erforderlichen Informationen sei auch ohne Schwierigkeiten möglich. Diesbezüglich wird auch darauf verwiesen, dass bei der parallel gelagerten Problematik des Restalkohols dem Alkoholkonsumenten nach gefestigter Rechtsprechung derartige Sorgfaltspflichten auferlegt würden (vgl. König, in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl.,§ 316 Rdnr. 221 m.w.N.) und nicht einzusehen sei, dass im Falle von Cannabiskonsum ein anderer – weniger strenger – Maßstab gelten solle (vgl. zum ganzen König, NStZ 2009, 425; DAR 2007, 626).

Dieser Auffassung ist zuzugeben, dass die Unkenntnis langer Wirkungsdauern von Cannabis im Einzelfall nicht automatisch zu einer Entlastung des Betroffenen führen kann, weil damit letztlich Sorglosigkeit honoriert würde. Auf der anderen Seite darf aber auch nicht verkannt werden, dass der Stand der Wissenschaft – anders als bei der Parallelproblematik des Restalkohols – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt kein so einheitliches Bild liefert (vgl. zum Gesamtbild Berr/Krause/Sachs, Drogen im Straßenverkehr Rdnr. 477 ff m.w.N.), dass dem Laien die Feststellung der tatsächlich maßgeblichen Informationen leicht gemacht wird. So existiert eine Vielzahl von Judikaten, in denen – unzutreffender Weise (vgl. Berr/Krause/Sachs, a.a.O. Rdnr. 489) – ohne weiteres davon ausgegangen wird, dass auch niedrige Werte zwischen 1 und 2 ng/ml THC im Blutserum nur wenige Stunden nach dem Konsum nachzuweisen seien (VGH Bayern SVR 2004, 396; VGH Baden Württemberg DAR 2003, 236; OVG Niedersachsen DAR 2003, 480; OVG Thüringen SVR 2004, 438; AG Nördlingen BA 2006, 47; AG Saalfeld NStZ 2004, 49), was auch bei einem Interessierten den Eindruck entstehen lassen kann, dass nach Ablauf eines Tages eine Fortdauer der Wirkung des Rauschgiftes ausgeschlossen sei. Es würde aber die Sorgfaltspflichten eines medizinischen und rechtlichen Laien überspannen, wollte man ihm abverlangen, dass er nach der Lektüre derartiger Entscheidungen, die im Internet in großer Menge abrufbar sind, weitere Nachforschungen anstellt, um zu überprüfen ob die Gerichte fehlerhaft entschieden haben.

Es ist daher nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft und dem aktuellen Wissensstand in der Bevölkerung im Ergebnis angezeigt, auch weiterhin davon auszugehen, dass ein Fahrlässigkeitsvorwurf im Hinblick auf die Wirkung des Cannabis zum Tatzeitpunkt nur dann erhoben werden kann, wenn der Konsum entweder nachgewiesener Maßen zeitnah erfolgt ist (weil dann entweder das Bewusstsein bzgl. der Folgen des Drogenkonsums noch präsent ist bzw. dem Betroffenen eine Reflexion seines Verhaltens während der kurzen Zeit vor Fahrtantritt abverlangt werden kann) oder wenn im Falle eines länger zurückliegenden Konsums weitere Umstände hinzutreten, die es für den Betroffenen erkennbar gemacht haben, dass die Wirkung des von ihm vor längerer Zeit genossenen Cannabis unter Umständen noch fortdauert (vgl. Senat, OLG Celle, OLG Zweibrücken, jeweils a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.,S. 3300). Solche weiteren Umstände können beispielsweise in nachgewiesenem Spezialwissen über die Wirkungsweise und –dauer von Cannabis zu sehen sein – welches sich auch aus der eigenen Beteiligung an früheren Verfahren mit gleich gelagerter Problematik (vgl. Senat a.a.O.) oder der Kenntnis der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung zu dieser Problematik ergeben kann – oder in Ausfallerscheinungen, die einen Zusammenhang mit vorherigem Drogenkonsum als nahe liegend erscheinen lassen (vgl. OLG Celle, OLG Frankfurt, OLG Zweibrücken, jeweils a.a.O.).

d) Demzufolge hat der Tatrichter, wenn er das Vorliegen des objektiven Tatbestandes bejaht hat und ein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten nicht ohnehin auf der Hand liegt (etwa im Falle eines Geständnisses), zunächst zu prüfen, ob der Cannabiskonsum zeitnah erfolgt ist oder nicht. Liegt ein zeitnaher Konsum vor, so kann hieraus im Regelfall das Vorliegen von Fahrlässigkeit geschlussfolgert werden. Ist ein zeitnaher Konsum hingegen nicht nachgewiesen, so hat das Gericht zu prüfen, ob weitere Anhaltspunkte dafür Vorliegen, dass dem Betroffenen die Möglichkeit einer im Tatzeitpunkt noch andauernden Beeinflussung durch das Rauschmittel bewusst gewesen ist bzw. hätte bewusst sein müssen (vgl. OLG Celle, OLG Frankfurt, jeweils a.a.O.).

e) Diesem Maßstab wird das amtsgerichtliche Urteil im Ergebnis gerecht. Es wird nachvollziehbar dargelegt, dass ein zeitnaher Cannabiskonsum nicht feststellbar ist, da der Betroffene einen bewussten Konsum bestritten hat und die gehörten Zeugen ebenfalls von keinem Konsum zu berichten vermochten.

aa) Soweit die Generalstaatsanwaltschaft einen Fehler auch darin sieht, dass das Gericht keinen Versuch unternommen hat, den Zeitpunkt des Konsums mit der Hilfe eines Sachverständigen festzustellen, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar fehlen zu dieser Frage Ausführungen des Amtsgerichts. Dies ist jedoch unschädlich, denn vorliegend erscheint es nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft als ausgeschlossen, dass ein solcher Nachweis geführt werden könnte.

Es gibt derzeit keine zuverlässige Methode der Rückrechnung, die es erlaubt, den Konsumzeitpunkt oder eine bestimmte THC-Konzentration im Blutserum für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt zu bestimmen (vgl. König, in: Leipziger Kommentar, a.a.O., § 316 Rdnr. 152; Berr/

Krause/Sachs, a.a.O. Rdnr. 547 ff m.w.N.; Krause HRRS 2005, 138, 149 ff m.w.N.; Daldrup/Meininger, Begutachtung unter Cannabis im Strafverfahren, 202). Bei dem festgestellten Wert von 1,5 ng/ml THC im Blutserum könnte ein Sachverständiger nur einen gewissen Wahrscheinlichkeitsgrad für einen zeitnahen Konsum angeben, der für sich genommen aber keine sicheren Schlussfolgen zulässt. Denn es ist in der Fachwelt von vielen Stimmen referiert worden, dass für THC Nachweis- bzw. Wirkungszeiten von bis zu 48 Stunden möglich seien (vgl. Aderjan, Toxikologischer Cannabisnachweis, 157; Eisenmenger NZV 2006, 24; Skopp/Potsch, Journal of Analytical Toxicology 32 (2008) 160; Berr/Krause/Sachs a.a.O. Rdnr. 477 ff. m.w.N.) und dass im Einzelfall auch 24 Stunden nach dem Konsum noch eine THC-Konzentration von 2,0 ng/ml THC im Blutserum nachgewiesen werden könne (vgl. Grotenhermen/Karus, Cannabis, Straßenverkehr und Arbeitswelt, 336; Skopp/

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Potsch, a.a.O.). Ebenso gibt es Hinweise darauf, dass auch durch Passivrauchen der analytische Grenzwert überschritten werden könne (vgl. Krause DAR 2006, 175 m.w.N.), wenngleich dies wohl nur in Extremfällen in Betracht kommen dürfte (vgl. Skopp, Archiv Kriminol 2001, 137). Demzufolge sind bei dem vorliegend festgestellten Wert von 1,5 ng/ml keine sicheren Rückschlüsse von einem Sachverständigen zu erwarten.

Dies gilt auch für eine Rückrechnung anhand der im Blutserum nach einem Cannbiskonsum nachweisbaren THC-Metaboliten (vgl. Berr/Krause/Sachs, a.a.O. Rdnr. 486), so dass das Fehlen von deren Mitteilung im Urteil im vorliegenden Fall unschädlich ist. Soweit demgegenüber bisweilen angenommen wird, dass die Korrelation von THC-Konzentration und der Konzentration der Metaboliten im Blutserum möglicherweise Aufschluss über den Konsumzeitpunkt geben könne (vgl. OLG Celle, OLG Saarbrücken, jeweils a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O., S. 250;) und in diesem Zusammenhang auch auf die diesbezüglich von Huestis/Henningfield/Cone (Journal of Analytic Toxicology 16 (1992) 276) entwickelte Formel Log t (Stunden) = (0,576 x log [THC-COOH]/[THC]) – 0,176 zur Berechnung des letzten Konsumzeitpunktes verwiesen wird (vgl. Senat, a.a.O.), ist anzumerken, dass auch diese Formel nur Wahrscheinlichkeiten zu berechnen vermag, die von 100% deutlich entfernt sind. Zum einen besteht in der Wissenschaft bislang bezüglich der Abbaugeschwindigkeit der THC-Metaboliten keine Einigkeit (vgl. zum Ganzen Berr/Krause/Sachs, a.a.O. Rdnr. 891 ff m.w.N.), so dass die Unsicherheiten bzgl. des Abbauverhaltens von THC mit denjenigen bzgl. des Abbauverhaltens der Metaboliten kumulieren, wenn man diese in Relation zueinander setzt. Zum anderen liegt der genannten Formel eine Versuchsreihe mit nur wenigen Probanden zugrunde, was die Aussagekraft der Ergebnisse einschränkt. Überdies erfolgte der Cannabiskonsum der Probanden durch Inhalation mit festgelegten Wirkstoffmengen. Da den in der forensischen Praxis zu beurteilenden Sachverhalten aber üblicherweise kein derart normiertes Konsumverhalten zugrunde liegt und auch ein oraler Konsum mit einem möglicherweise anderen THC-Abbauverhalten (vgl. Seidl/Schwarze/Betz, Rechts- und Verkehrsmedizin, § 64 Rdnr. 77) in die Überlegungen mit einzubeziehen ist, kann die aus der Studie entwickelte Formel nur Annäherungswerte mit einer nicht unerheblichen Fehlerquote erbringen.

Etwas anderes kann jedoch bei einer festgestellten höheren THC-Konzentration im Blutserum gelten, weil dann möglicherweise Werte erreicht werden, die es auch nach dem heutigen Stand der Wissenschaft als ausgeschlossen erscheinen lassen, dass der Cannabiskonsum längere Zeit zurückliegt (vgl. hierzu OLG Bremen, a.a.O., S. 277; OLG Hamm a.a.O.; Berr/Krause/Sachs, a.a.O. Rdnr. 486 m.w.N.)

bb) Das vorstehend Ausgeführte bedeutet jedoch nicht, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Zwecke der Ermittlung des Konsumzeitpunktes bei niedrigen festgestellten Konzentrationen stets entbehrlich ist. Zum einen ist es denkbar, dass sich der Stand der Wissenschaft bereits in naher Zukunft derart fortentwickelt, dass zuverlässigere Methoden für die Berechnung des Konsumzeitpunktes entwickelt werden, die dann vom Gericht ggfs. mit sachverständiger Hilfe genutzt werden müssen. Insofern obliegt dem Tatsachengericht diesbezüglich eine Erkundigungspflicht, deren Einhaltung ggfs. auch im Urteil darzustellen ist. Zum anderen kann die Inanspruchnahme eines Sachverständigen auch bereits heute dann erforderlich sein, wenn weitere Indizien vorliegen, die auf einen zeitnahen Konsum hindeuten (vgl. OLG Frankfurt, OLG Zweibrücken, jeweils a.a.O.). Denn dann können von einem Sachverständigen ermittelte Wahrscheinlichkeiten betreffend den Konsumzeitpunkt durchaus geeignet sein, in der Gesamtschau mit den weiteren Indizien einen zeitnahen Konsum zu belegen. Vor diesem Hintergrund ist auch der Beschluss des Senats vom 5. Juni 2009 – 3 Ws (B) 323/09 – NZV 2009, 572 zu sehen, in welchem die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens zum Zwecke der Überprüfung der Angaben des Betroffenen zum Konsumzeitpunkt beanstandet worden war. Denn in dem dort zu entscheidenden Fall lagen weitere Indizien vor, die in der Gesamtschau mit dem einzuholenden Gutachten möglicherweise weitergehende Rückschlüsse zugelassen hätten.

Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Zwar hat sich der Betroffene nach den Feststellungen des Amtsgerichts am Tattage insofern auffällig verhalten, als er schläfrig und müde gewirkt hat, seine Augen wässrig waren und er sich bei der ärztlichen Untersuchung uneinsichtig gezeigt hat. Nachdem das Amtsgericht aber rechtfehlerfrei unter Inanspruchnahme eines Sachverständigen zu dem Schluss gelangt ist, dass die genannten Auffälligkeiten auch auf die bei dem Betroffenen zum Tatzeitpunkt vorliegende Erkältung zurückgeführt werden können, erscheint es vorliegend ausgeschlossen, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage des Konsumzeitpunktes geeignet ist, dem Gericht sichere Feststellungen zum Konsumzeitpunkt zu ermöglichen. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn eine Alternativursache für die festgestellten Auffälligkeiten hätte ausgeschlossen werden können bzw. sehr unwahrscheinlich wäre.

Demzufolge ist das Amtsgericht in nicht zu beanstandender Weise zugunsten des Betroffenen davon ausgegangen, dass der Cannabiskonsum nicht zeitnah erfolgt ist, was zur Folge hatte, dass der Schluss vom Konsum auf die Fahrlässigkeit nicht möglich war und es weiterer Anhaltspunkte dafür bedurfte, dass der Betroffene im Tatzeitpunkt von der Möglichkeit der Fortdauer der Wirkung des Cannabis Kenntnis hatte oder Kenntnis hätte haben können und müssen. Derartige Anhaltspunkte hat das Amtsgericht nicht festgestellt, und es ist auch nicht ersichtlich, dass sie hätten festgestellt werden können. Die Verhaltensauffälligkeiten des Betoffenen sind nicht geeignet den Fahrlässigkeitsvorwurf zu begründen, da auch hier gilt, dass sie sowohl tatsächlich als auch in der Vorstellung des Betroffenen ihre Ursache auch in dessen Erkältung hätten haben können.

4. Nachdem die mit der Rechtsbeschwerde vorgebrachten Beanstandungen nicht durchgreifen und das angegriffene Urteil auch im Übrigen keine Rechtsfehler aufweist, war die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft zu verwerfen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO.

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