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Cannabiskonsum – 23 Stunden vor Autofahrt

Oberlandesgericht Celle

Az: 322 SsBs 247/08

Beschluss vom 09.12.2008


In der Bußgeldsache wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts N./W. – Zweig-stelle H. – vom 10. Juni 2008 am 9. Dezember 2008 beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen, mit Ausnahme jener zum objektiven Tatgeschehen, aufgehoben.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts N. – Zweigstelle H. – zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges unter Wirkung eines berauschenden Mittels zu einer Geldbuße von 250 EUR verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt.

Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 11. Mai 2007 um 17:50 Uhr mit einem Pkw die B.straße in N., obwohl die Untersuchung einer dem Betroffenen um 18:25 Uhr entnommenen Blutprobe einen Tetrahydrocannabinol-Gehalt von 2,7 ng/ml ergab. Der Betroffene hatte am Vorabend der Tat gegen 19:00 Uhr Cannabis konsumiert und musste deshalb nach Auffassung des Amtsgerichts zum Tatzeitpunkt damit rechnen, noch berauschende Mittel im Blut zu haben.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Mit der Verfahrensrüge beanstandet er, dass die Ergebnisse der Blutuntersuchung verwertet worden sind, obwohl die Blutprobe ohne vorherige richterliche Anordnung entnommen worden ist. Mit der Sachrüge wird insbesondere geltend gemacht, dass angesichts des geringen festgestellten THC-Gehalts und des zeitlichen Abstands zwischen Rauschmittelkonsum und Fahrt die Feststellungen des Amtsgerichts zum Fahrlässigkeitsvorwurf unzureichend seien.

Der Einzelrichter hat mit Beschluss vom 18. November 2008 die Sache im Hinblick auf den letztgenannten Gesichtspunkt zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 80 a Abs. 3 OWiG auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat mit der Sachrüge jedenfalls vorläufig weitgehend Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.

1. Die Verfahrensrüge ist allerdings nicht in zulässiger, §§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, 79 Abs. 3 OWiG genügender Weise erhoben, weil der diesbezügliche Vortrag in Teilen falsch bzw. widersprüchlich und auch unvollständig ist, sodass allein aufgrund der Rechtsbeschwerdebegründung eine Schlüssigkeitsprüfung, ob der behauptete Verfahrensfehler vorliegt, wenn das Vorbringen der Rechtsbeschwerde zutrifft, nicht möglich ist. So behauptet die Rechtsbeschwerde, der Verteidigungsschriftsatz vom 9. Juni 2008, mit dem der Verwertung von Blutprobe und Befundbericht widersprochen worden sei, sei in der Hauptverhandlung verlesen worden. Das ist indes ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 10. Juni 2008, dem insoweit gemäß §§ 274 StPO, 46 Abs. 1 OWiG negative Beweiskraft zukommt, weil es sich bei der Verlesung einer Urkunde um eine wesentliche Förmlichkeit handelt (BGHR § 274 StPO, „Beweiskraft 13“), nicht der Fall gewesen. Im Sitzungsprotokoll ist vielmehr lediglich vermerkt, dass der Verteidiger einen Schriftsatz vom 09.06.2008 überreicht hat.

Weiterhin fehlt es zur Frage der Zustimmung zur Blutprobenentnahme an jeglichem Vortrag dazu, wie der Betroffene am Tattag konkret auf den Vorschlag oder das Angebot einer Blutprobenentnahme reagiert hat. Das Vorbringen erschöpft sich insoweit in einer Bewertung der damaligen Situation mit dem Ergebnis, dass der Betroffene tatsächlich gar keine Wahlmöglichkeit gehabt habe. Auch fehlt es an einer Darstellung der Stellungnahme des Polizeibeamten H. vom 24. August 2007, in der es ausdrücklich heißt, der Betroffene „stimmte der Maßnahme zu.“

2. Mit der Sachrüge hat der Betroffene demgegenüber im Wesentlichen Erfolg. Allerdings bleiben die Feststellungen des Amtsgerichts zum objektiven Tatgeschehen, also das Führen eines Pkw in der B.straße in N. am 11.05.2007 um 17:50 Uhr mit einem THC-Gehalt von 2,7 ng/ml, bestehen. Insoweit verwirft der Senat die Rechtsbeschwerde auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO.

3. Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite konnten indes keinen Bestand haben. Das Amtsgericht hat insoweit ausgeführt, der Betroffene habe fahrlässig gehandelt. Ihm sei nach seiner eigenen Einlassung bewusst gewesen, am Vortag gegen 19:00 Uhr Cannabis konsumiert zu haben. Damit musste er damit rechnen, auch am Folgetag noch berauschende Mittel im Blut zu haben. Diese Erwägungen tragen den Schuldspruch in subjektiver Hinsicht nicht.

Fahrlässig i. S. des § 10 OWiG handelt, wer die Sorgfalt außer acht lässt, zu der er nach den Umständen und seinen Fähigkeiten verpflichtet und in der Lage ist und deshalb entweder die Tatbestandsverwirklichung nicht vorhersieht (unbewusste Fahrlässigkeit) oder zwar die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung erkennt, aber ernsthaft darauf vertraut, dass sie nicht eintritt („bewusste Fahrlässigkeit“, vgl. zum Ganzen nur Göhler, OWiG, 14. Aufl., Rdnr. 6 zu § 10 m. w. N.).

Im Hinblick auf den Tatbestand des § 24 a Abs. 2 StVG bedeutet dies, dass Fahrlässigkeit voraussetzt, der Betroffene habe die Möglichkeit der fortbestehenden Wirkung des Rauschmittelkonsums bei Fahrtantritt entweder erkannt oder jedenfalls hätte erkennen können und müssen. Es genügt also nicht etwa das bloße Wissen um den Konsum (herrschende obergerichtliche Rechtsprechung: OLG Hamm, Beschluss vom 20.05.2008, 5 Ss OWi 282/08, juris; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2007, 249 f. = StV 2008, 24 f.; OLG Saarbrücken, NZV 2007, 320 f.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 29.06.06, 1 Ss 88/06, juris; OLG Bremen, NZV 2006, 276 f.; soweit der Entscheidung des BayObLG vom 26.02.2004, 2 ObOWi 45/04, BA 2006, 47, eine andere Auffassung entnommen werden könnte, dürfte dieser heute keine Bedeutung mehr zukommen, weil sie vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.12.2004, 1 BvR 2652/03, NZV 2005, 270 ff., ergangen ist, nach der entgegen dem Wortlaut des § 24 a Abs. 2 StVG der Tatbestand nur bei einer THC-Konzentration deutlich oberhalb des Nullwertes erfüllt ist und Wirk- und Nachweiszeit nicht mehr gleichgesetzt werden dürfen). Fahrlässigkeit ist deshalb nur dann ohne Weiteres anzunehmen, wenn der Betroffene sich in zeitlicher Nähe zum Cannabiskonsum an das Steuer eines Kraftfahrzeuges setzt, weil grundsätzlich nicht erforderlich ist, dass sich der Betroffene einen spürbaren oder messbaren Wirkstoffeffekt vorgestellt hat, zumal die Unberechenbarkeit von Rauschdrogen nicht außer Betracht bleiben kann (vgl. OLG Saarbrücken VRS 112, 54 ff. = NJW 2007, 309 ff.; OLG Frankfurt a. a. O.). An der Erkennbarkeit der fortwährenden Wirkung des Rauschmittels zum Tatzeitpunkt kann es aber ausnahmsweise fehlen, wenn zwischen Drogenkonsum und Fahrt eine größere Zeitspanne liegt (ebenso die bereits oben zitierten Oberlandesgerichte). Das ist auch bei einer Zeitspanne von knapp 23 Stunden zwischen Drogenkonsum und Fahrt, wie ihn das Amtsgericht hier angenommen hat, der Fall (ebenso OLG Frankfurt a. a. O.; vgl. auch OLG Saarbrücken NZV 2007, 320 f.: „mehr als 28 Stunden“).

In einem solchen Fall bedarf es näherer Ausführungen dazu, aufgrund welcher Umstände sich der Betroffene hätte bewusst machen können, dass der Cannabiskonsum noch Auswirkungen haben konnte (OLG Saarbrücken a. a. O.; OLG Frankfurt a. a. O.). Die Vorstellung des Betroffenen ist unter Würdigung sämtlicher zur Verfügung stehender Beweismittel vom Tatgericht festzustellen (OLG Hamm a. a. O.). Zu all dem verhält sich das angefochtene Urteil indes nicht. Insbesondere fehlen Feststellungen dazu, weshalb der Betroffene seinerzeit kontrolliert worden ist, in welcher Menge und Qualität Cannabis konsumiert worden ist und ob der Betroffene regelmäßiger Konsument ist, weil sich aus diesen Umständen Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Betroffenen möglicherweise ziehen lassen. Das Amtsgericht teilt auch nicht mit, ob und wie sich der Betroffene selbst in diesem Zusammenhang eingelassen hat, sondern führt lediglich aus, dass der Betroffene Cannabiskonsum am Vortag um 19:00 Uhr eingeräumt hat. Diese Einlassung übernimmt das Amtsgericht im Übrigen ungeprüft, ohne etwa mit sachverständiger Beratung zu hinterfragen, ob die Einlassung mit dem Ergebnis der Blutuntersuchung, auch was 11-Hydroxy-Tetrahydrocannabinol- und THC-Carbonsäurewerte angeht, zu vereinbaren ist. Das Amtsgericht wird deshalb zur Frage der Fahrlässigkeit ergänzende Feststellungen zu treffen und insgesamt eine neue Prüfung zu den subjektiven Voraussetzungen des § 24 a Abs. 2 StVG vorzunehmen haben. Dabei kann u. a. eine Rolle spielen, welcher Umstand die Polizeibeamten am Tattag veranlasst hat, eine Blutprobe anzuordnen.

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