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Belastungsgrenze für Zuzahlungen chronisch Kranker § 62 SGB V

Bundessozialgericht

Az.: B 1 KR 7/07 R

Urteil vom 19.09.2007

Vorinstanz:

Sozialgericht Hannover, Az.: S 2 KR 650/02, Urteil vom 16.03.2004

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Az.: L 4 KR 127/04, Urteil vom 22.11.2006


Entscheidung:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. November 2006 mit der Maßgabe geändert, dass die Beklagte zur Zahlung weiterer 812,60 Euro (insgesamt 1.825,11 Euro) verurteilt wird.

Die weitergehende Revision des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Revision der Beklagten gegen das genannte Urteil wird in vollem Umfang zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt drei Viertel der Kosten des Klägers in allen Rechtszügen.

Gründe:

I.

Streitig ist ua die Berücksichtigung von Absetzung für Abnutzung (AfA) bei der Berechnung der Belastungsgrenze für Zuzahlungen chronisch Kranker.

Der 1940 geborene Kläger leidet an Diabetes mellitus. Seit Dezember 2000 ist er Dialysepatient. Ende 2001 beantragte er, ihm die im Kalenderjahr 2001 geleisteten Zuzahlungen in Höhe von insgesamt 5.500,29 DM zu erstatten. Zusätzlich zu den von ihm und seiner Ehefrau 2001 erzielten Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit legte er Aufstellungen über im Jahr 2000 angefallene Einnahmen, Ausgaben und Abschreibungen für sechs zum Teil mit Mehrwertsteuer vermietete Gebäude vor. Die beklagte Krankenkasse lehnte eine Erstattung von Zuzahlungen ab, weil die Belastungsgrenze des § 62 SGB V nicht überschritten sei. Von den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung seien keine Abzüge – etwa für Werbungskosten – vorzunehmen. Das berücksichtigungsfähige Gesamteinkommen aus Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung sowie aus nichtselbstständiger Arbeit betrage nach Abzug des Familienabschlags (8.064 DM) 778.162,35 DM, die Belastungsgrenze von 2 vH liege somit bei 15.563,25 DM. Da die berücksichtigungsfähigen Zuzahlungen jedoch nur 5.253,22 DM (= 2.685,93 Euro) betragen hätten, habe der Kläger keinen Anspruch auf deren Erstattung (Bescheid vom 15.2.2002, Widerspruchsbescheid vom 5.8.2002).

Das Sozialgericht (SG) hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 16.3.2004). Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG (teilweise) aufgehoben, die Beklagte zur Zahlung von 1.012,51 Euro verurteilt und die Berufung des Klägers im Übrigen zurückgewiesen. Es hat seinen Berechnungen der Belastungsgrenze die Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit des Jahres 2001 sowie die Angaben des Klägers zu seinen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung im Kalenderjahr 2000 zugrunde gelegt. Zur Urteilsbegründung hat es ausgeführt, die Beklagte sei zutreffend von (nur) berücksichtigungsfähigen 5.253,22 DM Zuzahlungen ausgegangen, jedoch hätte sie von den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung Abzüge für bestimmte Werbungskosten (Schuldzinsen, Erhaltungsaufwendungen, Grundsteuer, Wasserversorgung und Hausversicherung) vornehmen müssen. Aus Vermietung und Verpachtung und aus nichtselbstständiger Arbeit seien insgesamt 385.051 DM als „Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt“ zu berücksichtigen. AfA sei nicht abzugsfähig. Gleiches gelte für Aufwendungen für den Steuerberater sowie Umsatzsteuervoranmeldungen für die Vermietungsobjekte, soweit sie sich nicht auf das Kalenderjahr 2000 beziehen, wenngleich sie in diesem Kalenderjahr gezahlt worden seien. Aus den so ermittelten Bruttoeinkünften errechneten sich – abzüglich eines Ehegattenfreibetrages in Höhe von 15 vH der Bruttoeinnahmen – zu berücksichtigende jährliche Bruttoeinnahmen in Höhe von (385.051 DM./. 57.757,65 DM =) 327.293,35 DM. Die Belastungsgrenze von 1 vH für den chronisch kranken Kläger betrage damit 3.272,93 DM, sodass sich ein Erstattungsbetrag von (5.253,22 DM./. 3.272,93 DM =) 1.980,29 DM = 1.012,51 Euro ergebe (Urteil vom 22.11.2006).

Gegen das Urteil wenden sich sowohl die Revision des Klägers als auch der Beklagten. Der Kläger meint, bei der Ermittlung der „Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt“ seien von den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auch AfA absetzungsfähig. Entgegen der Ansicht des LSG seien zudem Aufwendungen für Steuerberatung und Umsatzsteuervorauszahlungen in dem Kalenderjahr zu berücksichtigen, in dem sie gezahlt worden seien, auch wenn sie sich auf andere Veranlagungszeiträume bezögen.

Der Kläger beantragt, die Urteile des Landesozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22.11.2006 und des Sozialgerichts Hannover vom 16.3.2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15.2.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.8.2002 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.685,93 Euro zu zahlen, hilfsweise das Urteil des Landessozialgerichts vom 22.11.2006 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen sowie das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22.11.2006 zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 16.3.2004 insgesamt zurückzuweisen.

Sie rügt, dass das LSG für die Ehefrau des Klägers statt eines Freibetrages in Höhe von 15 vH der Bruttoeinkünfte 15 vH der für das Jahr geltenden jährlichen Bezugsgröße, also 8.064 DM, hätte berücksichtigen müssen. Dies führe ausgehend von den übrigen Zahlen des LSG rechnerisch zu einem Erstattungsbetrag von lediglich 1.483,45 DM. Dem Kläger stehe jedoch überhaupt keine Erstattung zu, weil zur Ermittlung der „Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt“ iS von § 62 SGB V von den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung keinerlei Werbungskosten abzusetzen seien.

Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

II.

Die Revision des Klägers ist zum Teil begründet. Die Revision der beklagten Krankenkasse ist in vollem Umfang unbegründet. Das LSG hat bei der Ermittlung der Belastungsgrenze des § 62 SGB V (dazu 1.) zu Recht einen Werbungskostenabzug vorgenommen (dazu 2.). Es hätte jedoch über die von ihm als Abzugsposten berücksichtigten Erhaltungsaufwendungen, Grundsteuer, Versicherungen, Schuldzinsen und Kosten für Hauswartung hinaus auch steuerlich berücksichtigungsfähige AfA nach § 7 Einkommensteuergesetz (EStG) in Abzug bringen sowie die im Kalenderjahr der Zuzahlungen (hier: 2001) erfolgten Umsatzsteuervorauszahlungen und Aufwendungen für den Steuerberater als weitere Abzugsposten berücksichtigen müssen. Zudem hätte das LSG als Freibetrag für die mit dem Kläger in einem gemeinsamen Haushalt lebende Ehefrau nicht 15 vH der ermittelten Bruttoeinnahmen, sondern 15 vH der im Jahr 2001 geltenden Bezugsgröße zugrunde legen müssen (dazu 3.). Bei Einnahmen und Abzugsposten war einheitlich von den Verhältnissen – Einnahmen und Ausgaben – des maßgeblichen Kalenderjahres 2001 auszugehen und erforderlichenfalls eine Schätzung der Werte vorzunehmen. Bei dieser Berechnung hätten sich einerseits geringere „Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt“, andererseits ein geringerer Freibetrag ergeben. Ausgehend von den aufgrund des Steuerbescheides für 2001 unstreitigen Einkünften des Klägers und seiner Ehefrau hat der Kläger über den bereits vom LSG ausgeurteilten Betrag von (1.980,29 DM =) 1.012,51 Euro hinaus Anspruch auf Zahlung weiterer 812,60 Euro von der Beklagten (dazu 4.).

1.

Der Rechtsanspruch des Klägers auf Erstattung desjenigen Betrages, den er für über der Belastungsgrenze liegende Zuzahlungen aufwandte, ergibt sich aus § 62 SGB V iVm dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch.

§ 62 SGB V regelte in seiner hier anwendbaren Fassung des am 1.8.2001 in Kraft getretenen Art 3 § 52 Nr. 7 des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften vom 16.2.2001 (BGBl I 266) die teilweise Befreiung von Fahrkosten und Zuzahlungen zu Arznei-, Verband- und Heilmitteln. Danach haben Versicherte während jedes Kalenderjahres nur Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze zu leisten. Wird die Belastungsgrenze bereits innerhalb eines Kalenderjahres erreicht, hat die Krankenkasse eine Bescheinigung darüber zu erteilen, dass für den Rest des Kalenderjahres keine Zuzahlungen mehr zu leisten sind. Die Belastungsgrenze beträgt 2 vH der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt; für chronisch Kranke, die – wie der Kläger – wegen derselben schwerwiegenden Krankheit in Dauerbehandlung sind, beträgt sie 1 vH der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt (vgl. § 62 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V in der genannten Fassung). Das Gesetz geht davon aus, dass der Versicherte eine Zuzahlung über die Belastungsgrenze hinaus durch eine zeitgerecht erteilte Bescheinigung vermeiden und er diese Bescheinigung ggf. im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gerichtlich erwirken kann. Sind Zuzahlungen bereits über die maßgebliche Belastungsgrenze hinaus geleistet worden, sind Zuzahlungen über die Belastungsgrenze hinaus zu erstatten. Der hierauf gerichtete Anspruch ist im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage durchzusetzen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 61 Nr. 7 S 32; BSG, Urteil vom 26.6.2007 – B 1 KR 41/06 R, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Beklagte hat die Belastungsgrenze des Klägers wegen Nichtberücksichtigung von Werbungskosten bei Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung zu hoch festgesetzt, sodass es 2001 zu Zuzahlungen über die maßgebliche Belastungsgrenze hinaus gekommen ist. Die über die zutreffende Belastungsgrenze hinaus geleisteten Zuzahlungen sind dem Kläger zu erstatten.

2.

Die Beklagte hat bei der Ermittlung der „Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt“ zwar zu Recht das Einkommen der Ehefrau des Klägers zur Bildung eines „Familieneinkommens“ herangezogen und zutreffend sowohl die Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit als auch Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt. Indessen hat sie zu Unrecht Werbungskosten als nicht abzugsfähig angesehen.

a) Das Gesetz definiert den Begriff der Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt in § 62 SGB V nicht umfassend. Auch § 61 Abs. 2 SGB V, der bis zu seiner Neufassung durch das insoweit am 1.1.2004 in Kraft getretene GKV-Modernisierungsgesetz (vom 14.11.2003, BGBl I 2190) das Recht auf vollständige Befreiung von Zuzahlungen regelte, verwandte in seinem Absatz 2 den Begriff der „monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt“ (vgl. § 61 Abs. 2 SGB V idF des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (GRG) vom 20.12.1988, BGBl I 2477), ohne ihn selbst näher zu erläutern oder zu definieren. Indessen hat sich die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Auslegung dieser Regelung unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien an der Rechtsprechung zu § 180 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) orientiert (vgl. z.B. BSG SozR 3-2500 § 61 Nr. 2 S 9; BSG SozR 3-2500 § 61 Nr. 8 S 39). In der Begründung zu § 69 des Entwurfs des GRG, dessen Absatz 2 dem § 61 Abs. 2 SGB V idF des GRG entsprach, wurde zur Umschreibung des Begriffs ausgeführt: „Einnahmen zum Lebensunterhalt sind – wie schon im geltenden Recht (§ 180 Abs. 4 RVO) – die persönlichen Einnahmen, die dem tatsächlichen Lebensunterhalt dienen, also die Einnahmen, die der typischen Funktion des Arbeitsentgelts beim Pflichtversicherten entsprechen. Dazu gehören nicht zweckgebundene Zuwendungen (z.B. zur Abdeckung eines Mehrbedarfs wie Pflegegeld, Blindenzulage oder Kindergeld). Auf die dazu entwickelte Rechtsprechung und Praxis kann zurückgegriffen werden“ (vgl. BT-Drucks 11/2237 S 187 zu § 69 Abs. 2 und 3; ähnlich auch Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 11/3480 S 57 zu § 69 Abs. 2 und 3).

b) In der Folgezeit hat die Rechtsprechung des BSG am Ausgangspunkt dieses Verständnisses des Begriffs „Einnahmen zum Lebensunterhalt“ festgehalten und Modifizierungen in eingeschränktem Umfang insoweit vorgenommen, als sie nicht alle sich aus dem Beitragsrecht ergebenden differenzierenden Regelungen in Gänze übernommen hat (vgl. näher BSG SozR 3-2500 § 61 Nr. 8 S 39 ff; zur Differenzierung bei der Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes vgl. BSG SozR 2200 § 180 Nr. 39 mwN; BSGE 66, 219 = SozR 3-2400 § 14 Nr. 2; zum Ganzen auch BSG, Urteil vom 19.9.2007 – B 1 KR 1/07 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). Hieran ist auch vorliegend für die Auslegung des § 62 SGB V in der hier anwendbaren Fassung (vgl. oben 2.a) anzuknüpfen.

c) § 62 SGB V lässt es nicht zu, fiktive Bruttoeinnahmen oder bloße Vermögensumschichtungen zugrunde zu legen (vgl. BSG, Urteil vom 19.9.2007 – B 1 KR 1/07 R). Vielmehr zielt die Vorschrift nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik darauf ab, die jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt als maßgeblich anzusehen. Soweit das Gesetz fiktive Untergrenzen bezeichnen will, nimmt es dies eindeutig und ausdrücklich vor wie etwa in § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V.

Der Begriff „Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt“ gebietet es, von den Einnahmen die zu ihrer Erzielung notwendigen Aufwendungen abzuziehen, denn nur dasjenige, das dem Versicherten nach Saldierung von Einnahmen und zu deren Erwirtschaftung erforderlichen Aufwendungen verbleibt, steht ihm „zum Lebensunterhalt“ zur Verfügung. Bei § 62 SGB V geht es insoweit – ähnlich wie bei der Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder – darum, die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherten zu berücksichtigen. Er soll insoweit von Zuzahlungen befreit werden, als diese einen bestimmten Anteil seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit übersteigen. Wie bei der Beitragsbemessung nach § 240 SGB V nach Maßgabe der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist daher auch bei der Ermittlung der Belastungsgrenze nach § 62 SGB V eine Einbeziehung der Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung ohne Abzug der Werbungskosten oder Schuldzinsen für die Finanzierung des Miet- oder Pachtobjekts nicht zulässig.

Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des § 180 Abs. 4 RVO, an den die Regelung des § 62 SGB V anknüpft (vgl. oben II 1.b). Im Rahmen des § 180 RVO hat das BSG in ständiger Rechtsprechung unter den sonstigen Einnahmen zum Lebensunterhalt nicht (nur) die Summe der Einkünfte i.S. des Einkommensteuerrechts verstanden, sondern den Begriff im Wesentlichen nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgefüllt. Den (sonstigen) Einnahmen zum Lebensunterhalt wurden alle Einnahmen zugerechnet, die dem Versicherten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung standen (BSG SozR 2200 § 180 Nr. 12 mwN, BSGE 57, 235, 237 = SozR 2200 § 180 Nr. 19 S 59/60; BSGE 57, 240, 242 = SozR 2200 § 180 Nr. 20 S 64). Nach diesen Grundsätzen wurde auch die Hinzurechnung der Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung beurteilt (BSGE 57, 240, 242 = SozR 2200 § 180 Nr. 20 S 64). Ohne eine ausdrückliche gesetzliche Regelung wie für Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 180 Abs. 7 RVO) und für Arbeitsentgelt (§ 14 SGB IV) sind Werbungskosten zu berücksichtigen und es ist danach zu unterscheiden, inwieweit es sich um echte Einnahmen und inwieweit um Vermögensumschichtungen handelt. Nur der Gewinnanteil des Entgelts für die Nutzungsüberlassung ist Einnahme zum Lebensunterhalt (BSGE 57, 240, 242/243 = SozR 2200 § 180 Nr. 20 S 64 ff). Ebenso hat das BSG unter Geltung des § 240 SGB V entschieden, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung nicht durch den Bruttobetrag der Miete, sondern durch den nach Abzug der Werbungskosten verbleibenden Betrag bestimmt wird. Nur diesen Betrag kann das Mitglied „zum Lebensunterhalt … verbrauchen“ (BSG SozR 3-2500 § 240 Nr. 31; vgl. insoweit auch Begründung zum GRG, BT-Drucks 11/2237 S 225 zu Art 1 § 249 Abs. 1). Nichts anderes kann gelten, soweit es im Rahmen des § 62 SGB V um die Ermittlung der zum Lebensunterhalt zur Verfügung stehenden Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung geht.

d) Zu den von den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung abzusetzenden Werbungskosten in diesem Sinne gehören nach der Rechtsprechung des 12. Senats – in Übereinstimmung mit den Vorschriften des EStG – Schuldzinsen, die im Zusammenhang mit der Anschaffung des Miet- oder Pachtobjekts zu zahlen sind, ebenso Grundabgaben, Straßenreinigung, Müllabfuhr, Hausversicherungen usw. (vgl. § 9 EStG, BSG SozR 3-2500 § 240 Nr. 31). Desgleichen ist bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung privater Hausgrundstücke die AfA nach § 7 EStG zu berücksichtigen (BSGE 57, 240 = SozR 2200 § 180 Nr. 20). Der 12. Senat des BSG hat insoweit im Rahmen des § 180 Abs. 4 RVO zutreffend darauf hingewiesen, dass Vermögensverzehr oder Vermögensumschichtungen nicht nur durch Verbrauch eines ratenweise zufließenden Kaufpreises, durch Entnahmen aus vorhandenem Vermögen oder durch Verbrauch von Darlehen für den Lebensunterhalt bewirkt werden können. Wirtschaftlich gleich zu achten ist der uneingeschränkte Verbrauch des Entgelts für die Nutzungsüberlassung eines Wirtschaftsgutes, das durch Zeit und Nutzung zunehmend seinen Wert verliert. In diesen Fällen enthält das Nutzungsentgelt einen Teil, der den Wertverfall ausgleicht, einen Teil, der für die notwendigen Erhaltungskosten aufzubringen ist, und einen Gewinnanteil. Nur der Gewinnanteil ist nach der Rechtsprechung des BSG Einnahme zum Lebensunterhalt. Die AfA nach § 7 EStG trägt wirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung, die mit dem Einsatz von Vermögen verbunden sind. Bei ihrer Berücksichtigung handelt es sich um eine standardisierte, der besonderen Einkunftsart angepasste Form der Gewinnermittlung (BSGE 57, 240, 243 = SozR 2200 § 180 Nr. 20).

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e) Weiter sind in Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung als Werbungskosten auch Steuerberatungskosten zu berücksichtigen, soweit sie bei der Ermittlung der Einkünfte angefallen sind (BFH, Urteil vom 30.4.1965 – VI 207/62 S, BFHE 82, 449; Urteil vom 22.5.1987 – III R 220/83, BFHE 150, 148; Urteil vom 6.4.1995 – VIII R 10/94, BFH/NV 1996, 22). Schließlich sind zur Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei § 62 SGB V von den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung vom Bruttobetrag einer mehrwertsteuerpflichtigen Miete korrespondierende Umsatzsteuer-Vorauszahlungen abzuziehen, zumal es sich insoweit beim Versicherten um durchlaufende Gelder handelt, die er nicht „zum Lebensunterhalt verbrauchen“ kann.

Entgegen der Ansicht des LSG sind die Werbungskosten in demjenigen Kalenderjahr als Abzugsposten zu berücksichtigen, in dem sie angefallen und beim Versicherten/Steuerpflichtigen entsprechende Geldmittel abgeflossen sind, unabhängig davon, auf welchen Veranlagungszeitraum sich die Werbungskosten bzw. Vorsteuerzahlungen beziehen (dazu unter 2.f).

f) Abzustellen ist sowohl bei den vom Versicherten erzielten Einnahmen als auch bei seinen zur Einnahmenerzielung erforderlichen Ausgaben (Werbungskosten usw.) jeweils auf das laufende Kalenderjahr, in dem die Zuzahlungsbefreiung beantragt wird.

Wie der 10. Senat des BSG ausgeführt hat, bestimmt § 62 SGB V zwar nicht ausdrücklich, auf welches Jahr bei den „jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt“ für die Ermittlung der Belastungsgrenze abzustellen ist. Aus Systematik und Zweck der Regelung ergebe sich aber, dass es die Einnahmen des Kalenderjahres seien, für das die Belastungsgrenze zu berechnen ist. § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB V spreche von Zuzahlungen „während jeden Kalenderjahres“. Der entscheidende Satz 2 knüpfe mit den „jährlichen“ Bruttoeinnahmen an den so bestimmten Zeitraum an. Nur dadurch werde das Ziel des Gesetzes erreicht, Versicherte durch Zuzahlungen finanziell nicht zu überfordern. Denn welche Belastungen nach dem Maßstab des Gesetzes noch erträglich seien, richte sich nach dem aktuellen Einkommen, aus dem die Zuzahlungen zu bestreiten seien. Ein historisches – uU Jahre zurückliegendes – Einkommen stehe dazu regelmäßig nicht mehr zur Verfügung (vgl. BSG, Urteil vom 10.5.2007 – B 10 KR 1/06 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). Dem schließt sich der erkennende Senat an.

g) Der Senat verkennt nicht, dass es während des laufenden Kalenderjahres erhebliche Probleme bereiten kann, entsprechende Nachweise über Einnahmen und Ausgaben vorzulegen und dass frühestens nach Ablauf des Kalenderjahres als dem maßgeblichen „Veranlagungszeitraum“ eine endgültige Bilanz gezogen werden kann. Diese Situation ist insoweit ähnlich problematisch wie bei der Ermittlung der beitragspflichtigen Einnahmen selbstständig erwerbstätiger Versicherter bzw. bei der Ermittlung des dieser Personengruppe zustehenden Krankengeldes (vgl. dazu BSG, Urteil vom 14.12.2006 – B 1 KR 11/06 R, SozR 4-2500 § 47 Nr. 7). Fehlt es bei der Antragstellung auf Zuzahlungsbefreiung an einer Feststellung des Finanzamtes, was regelmäßig der Fall sein wird, sind neben dem Arbeitsentgelt erzielte Arbeitseinkommen oder Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung usw. des laufenden Kalenderjahres aufgrund der steuerrechtlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen (vgl. z.B. § 60 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung) von der zuständigen Krankenkasse von Amts wegen zu ermitteln (vgl. § 20 SGB X). Hierzu ist sie regelmäßig auf die tätige Mithilfe des Versicherten angewiesen. Diesem obliegt es gemäß § 60 Abs. 1 SGB I, alle Tatsachen anzugeben, auf Verlangen des zuständigen Trägers (hier: der Krankenkasse) der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte (z.B. Steuerberater) zuzustimmen, Beweismittel zu bezeichnen (Gewinn- und Verlustrechnung, Buchführungsunterlagen usw.), diese auf Verlangen des zuständigen Trägers vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Kommt der Versicherte seinen Obliegenheiten nicht nach, kann die Krankenkasse die Zuzahlungsbefreiung bis zur Nachholung der Mitwirkung in entsprechender Anwendung des § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I ganz oder teilweise versagen. Zur rechtlichen Auswertung der eingereichten steuerlichen Unterlagen kann es sich anbieten, dass die Krankenkasse die Amtshilfe des zuständigen Finanzamtes in Anspruch nimmt. Stellt sich nach Ablauf des Kalenderjahres heraus, dass von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen wurde, ist die getroffene Entscheidung nach Maßgabe der §§ 44 ff SGB X ggf. zu korrigieren.

i) Vor einer unbilligen Inanspruchnahme von Zuzahlungsbefreiungen ist die Solidargemeinschaft – ebenso wie im Beitragsrecht vor einer Verkürzung der Einnahmen – zumindest teilweise dadurch geschützt, dass ein Ausgleich der Verluste bei den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung mit anderen Einnahmearten bei § 62 SGB V ebenso wenig zulässig ist wie im Bereich des § 240 SGB V (kein vertikaler Verlustausgleich bei den verschiedenen Einkommensarten, vgl. BSGE 76, 34 = SozR 3-2500 § 240 Nr. 19). Verluste wirken sich bei den anderen Einnahmen weder beitragsmindernd aus (BSG SozR 3-2500 § 240 Nr. 31) noch können sie im Rahmen des § 62 SGB V mit Arbeitsentgelt verrechnet werden. Ebenso ist es trotz des Grundsatzes, die Einnahmen auch des Ehegatten zu einem Familieneinkommen heranzuziehen, nicht statthaft, Verluste der Ehefrau des Klägers aus Vermietung und Verpachtung mit den positiven Einkünften des Klägers aus dieser Einkommensart zu verrechnen.

3.

Das LSG hat zwar zu Recht die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt der mit dem Versicherten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen des Versicherten und des Lebenspartners jeweils zusammengerechnet (vgl. insgesamt näher hierzu BSG, Urteil vom 26.6.2007 – B 1 KR 41/06 R – RdNr. 10 ff). Indessen hat es seinen Berechnungen für die Ehefrau des Klägers als dem „ersten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen des Versicherten“ zu Unrecht einen Freibetrag in Höhe von 15 vH der ermittelten Einnahmen zugrunde gelegt. § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB V sieht insoweit vielmehr nur einen Freibetrag in Höhe von 15 vH der im maßgeblichen Kalenderjahr geltenden Bezugsgröße des § 18 SGB IV vor.

4.

Nach allem hätte die Beklagte von den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung nicht nur die nachgewiesenen Werbungskosten, sondern auch AfA nach § 7 EStG, Vorsteuerzahlungen und Aufwendungen für Steuerberatungskosten abziehen müssen und dabei jeweils von den im Kalenderjahr 2001 erfolgten Zahlungen ausgehen müssen. Das LSG durfte zwar von den Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit des Jahres 2001, bzgl. der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung jedoch nicht von den Einnahmen und Ausgaben des Kalenderjahres 2000 ausgehen. Im Steuerbescheid vom 8.9.2003 für das Jahr 2001 sind für den Kläger positive Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 162.626 DM und Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in Höhe von 1.800 DM, für seine Frau negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 10.639 DM und positive Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in Höhe von 12.000 DM ausgewiesen. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit. Bei Zugrundelegung dieser unstreitigen Feststellungen ergibt sich nach Abzug des Familienabschlags in Höhe von 15 vH der 2001 geltenden Bezugsgröße (15 vH von 53.760 DM = 8.064 DM) eine Belastungsgrenze von (1 vH von (162.626 DM + 13.800 DM = 176.426 DM./. 8.064 DM) =) 1.683,62 DM. Da der Kläger im Kalenderjahr 2001 berücksichtigungsfähige 5.253,22 DM Zuzahlungen geleistet hat, steht ihm insgesamt ein die Belastungsgrenze übersteigender Erstattungsbetrag von 3.569,60 DM zu. Zusätzlich zu den vom LSG ausgeurteilten 1.980,29 DM (= 1.012,51 Euro) stehen dem Kläger damit weitere 1.589,31 DM = 812,60 Euro zu.

5.

Es liegt auf der Hand, dass die unter II 2.g) geschilderte Vorgehensweise nicht den Grundsätzen der Verwaltungspraktikabilität entspricht. Naheliegender wäre eine gesetzliche Regelung, die es den Krankenkassen erlaubt, bei der Ermittlung der Belastungsgrenze als „Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt“ zunächst von den auf das gesamte Kalenderjahr hochgerechneten Werten auszugehen, die der Beitragsbemessung des Versicherten im laufenden Kalenderjahr bis zur Antragstellung zugrunde gelegt wurden. Dies ermöglichte eine rasche und mit geringem Verwaltungsaufwand zu treffende Entscheidung. Eine Korrektur dieser Entscheidung sollte nur dann erfolgen, wenn später ein Steuerbescheid vorgelegt oder beigezogen wird, aus dem sich ergibt, dass zunächst von unzutreffenden Einnahmen und hierfür erforderlichen Ausgaben ausgegangen wurde.

6.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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