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Corona-Pandemie – Beschränkung des Teilnehmerkreises an privaten Feiern

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 20 NE 20.2360 – Beschluss vom 29.10.2020

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1. Mit ihrem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO verfolgt die Antragstellerin sinngemäß das Ziel, den Vollzug von § 24 Satz 2 Nr. 5 und 6, § 25 Satz 2 Nr. 3 und 4 und § 26 Satz 2 Nr. 3 der Siebten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 1. Oktober 2020 (BayMBl. Nr. 562) in der Fassung der Änderungsverordnungen vom 16. Oktober 2020 (BayMBl. Nr. 588), 18. Oktober 2020 (BayMBl. Nr. 589) und 22. Oktober 2020 (BayMBl. Nr. 601) einstweilen außer Vollzug zu setzen.

2. Der Antragsgegner hat am 1. Oktober 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die streitgegenständliche Verordnung erlassen (BayMBl. Nr. 562, BayRS 2126-1-11-G), die zuletzt durch § 1 der Verordnung vom 22. Oktober 2020 (BayMBl. Nr. 601) geändert wurde und auszugsweise folgenden Wortlaut hat:

§ 24

Regelungen bei einer Sieben-Tage-Inzidenz größer 35

Corona-Pandemie - Beschränkung des Teilnehmerkreises an privaten Feiern
Symbolfoto: Von Sabrina Bracher/Shutterstock.com

Das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege gibt täglich auf seiner Internetseite unter https://www.stmgp.bayern.de die Landkreise und kreisfreien Städte bekannt, in denen laut Feststellung des Robert Koch-Instituts oder des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit eine Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 von 35 pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen überschritten wird oder vor weniger als sechs Tagen noch überschritten worden ist. In diesen Landkreisen und kreisfreien Städten gilt ab dem Tag, der auf den Tag der erstmaligen Nennung folgt, bis zum Ablauf des Tages der letztmaligen Nennung über die §§ 1 bis 23 hinaus Folgendes:

5. Der Teilnehmerkreis an nach § 5 Abs. 2 zulässigen privaten Feiern (wie insbesondere Hochzeits- oder Geburtstagsfeiern oder ähnliche Feierlichkeiten) ist unabhängig vom Ort der Veranstaltung auf die Angehörigen von zwei Hausständen oder auf höchstens zehn Personen beschränkt.

6. Der Betrieb von gastronomischen Einrichtungen ist in der Zeit von 23 Uhr bis 6 Uhr untersagt (Sperrstunde); ausgenommen ist die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen oder mitnahmefähigen nichtalkoholischen Getränken.

Die zuständige Kreisverwaltungsbehörde kann durch Allgemeinverfügung Ausnahmen von Regelungen nach Satz 2 anordnen, wenn die Neuinfektionen auf ein klar eingrenzbares Ausbruchsgeschehen zurückzuführen sind. Sie kann ferner in begründeten Einzelfällen Ausnahmen zulassen, soweit dies aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist.

§ 25

Regelungen bei einer Sieben-Tage-Inzidenz größer 50

Das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege gibt täglich auf seiner Internetseite unter https://www.stmgp.bayern.de die Landkreise und kreisfreien Städte bekannt, in denen laut Feststellung des Robert Koch-Instituts oder des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit eine Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 von 50 pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen überschritten wird oder vor weniger als sechs Tagen noch überschritten worden ist. In diesen Landkreisen und kreisfreien Städten gilt ab dem Tag, der auf den Tag der erstmaligen Nennung folgt, bis zum Ablauf des Tages der letztmaligen Nennung über § 24 hinaus Folgendes:

3. Der Teilnehmerkreis an nach § 5 Abs. 2 zulässigen privaten Feiern (wie insbesondere Hochzeits- oder Geburtstagsfeiern oder ähnliche Feierlichkeiten) ist unabhängig vom Ort der Veranstaltung auf die Angehörigen von zwei Hausständen oder auf höchstens fünf Personen beschränkt.

4. Die Untersagungen nach § 24 Satz 2 Nr. 6 bis 8 gelten für die Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr (Sperrstunde).

§ 24 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

§ 26

Regelungen bei einer Sieben-Tage-Inzidenz größer 100

Das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege gibt täglich auf seiner Internetseite unter https://www.stmgp.bayern.de die Landkreise und kreisfreien Städte bekannt, in denen laut Feststellung des Robert Koch-Instituts oder des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit eine Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 von 100 pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen überschritten wird oder vor weniger als sechs Tagen noch überschritten worden ist. In diesen Landkreisen und kreisfreien Städten gilt ab dem Tag, der auf den Tag der erstmaligen Nennung folgt, bis zum Ablauf des Tages der letztmaligen Nennung in Ergänzung zu den Maßnahmen nach §§ 24 und 25 Folgendes:

3. Die Untersagungen nach § 24 Satz 2 Nr. 6 bis 8 gelten für die Zeit von 21 Uhr bis 6 Uhr (Sperrstunde).

§ 24 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

Die 7. BayIfSMV ist seit 2. Oktober 2020 in Kraft und tritt mit Ablauf des 8. November 2020 außer Kraft (§ 29 7. BayIfSMV i.d.F.d. Änderungsverordnung v. 22.10.2020).

3. Die Antragstellerin, die in … ein Gasthaus mit Hotel betreibt, trägt zur Begründung ihres mit Schriftsätzen vom 22. Oktober 2020 gestellten Eilantrags vor, ihr Betrieb sei zwischen dem 16. März und 28. Mai 2020 infolge der infektionsschutzrechtlicher Betriebsbeschränkungen geschlossen gewesen, was zu einem Umsatzausfall von ca. 500.000 Euro geführt habe. Umso mehr sei sie darauf angewiesen, die entstandenen Liquiditätslücken nun zu schließen. Die angegriffenen Beschränkungen ihres gastronomischen Betriebs seien unverhältnismäßig, weil Gaststätten unter den geltenden Schutz- und Hygienemaßnahmen keinen wesentlichen Anteil am Infektionsgeschehen hätten. Gaststätten seien kein Ort der unkontrollierten Ausbreitung von SARS-CoV-2. Soweit die Gefahr einer alkoholbedingten Enthemmung zu späterer Stunde angeführt werde, komme als milderes Mittel zur Sperrstunde ein Alkoholausschankverbot in Betracht. Die angegriffenen Maßnahmen erhöhten die Infektionsgefahren, weil sie ein unkontrolliertes Feiern zu Hause ohne strenge Hygieneauflagen zur Folge hätten. Unverhältnismäßig dürfte auch die Anwendung der „verschärften“ Regeln für bis zu sechs Tage nach Überschreiten der jeweiligen Inzidenzzahl sein. Der Verweis des Verordnungsgebers auf die Internetseite des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege betreffend die Bekanntgabe der Landkreise und kreisfreien Städte, in denen laut Feststellung des Robert-Koch-Instituts oder des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit die jeweilige Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen überschritten wird oder vor weniger als sechs Tagen noch überschritten worden ist, genüge nicht dem Publizitätsgrundsatz.

Auch eine Folgenabwägung führe zum Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung. Die bisher konsequent befolgten Hygienemaßnahmen zeigten, dass die Wahrscheinlichkeit einer Infektion in den Räumlichkeiten der Antragstellerin gering sei. Ein Schaden für die Gesundheit der Allgemeinheit oder eine Überlastung des Gesundheitssystems in Folge der Öffnung ihres Wirtshauses sei bei lebensnaher Betrachtung nicht zu befürchten. Dem stehe ein schwerer und lang andauernder Grundrechtseingriff mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen für die Antragstellerin gegenüber. Ihr drohten existenzielle finanzielle Schäden, wenn sie ihr Haus weiter unter den angegriffenen Beschränkungen betreibe und weiterhin nicht kostendeckend wirtschafte.

4. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen. Die angegriffenen Beschränkungen gastronomischer Betriebe seien rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit die Antragstellerin auf die Senatsentscheidung vom 19. Juni 2020 (Az. 20 NE 20.1127) verweise, sei anzumerken, dass diese in der Zeit eines moderaten Infektionsverlaufs ergangen sei, während sich das Infektionsgeschehen in den letzten sieben Wochen stark verschärft habe („zweite Welle“). Der im Laufe des Abends zunehmende Alkoholkonsum und ein längeres Zusammensitzen in der Gaststätte erhöhten das Infektionsrisiko. Studien aus Japan und den Vereinigten Staaten belegten die Rolle von Bars und Restaurants bei der Ausbreitung von SARS-CoV-2. Auch in Bayern hätten sich kleinere Ausbrüche in Gaststätten und Bars ereignet, z.B. in Garmisch-Partenkirchen am 8. September 2020 (750 Kontaktpersonen), Germering (13.10.2020, 50 Kontaktpersonen) und Freilassing (19.10.2020, 110 Kontaktpersonen). In Garmisch-Partenkirchen hätten die daraufhin angeordneten Beschränkungen, darunter eine Sperrstunde für Gaststätten ab 22 Uhr, zu einem deutlichen Rückgang der Sieben-Tage-Inzidenz beigetragen. Der Umstand, dass die strengeren Regeln am auf die Feststellung des Überschreitens des jeweiligen Grenzwerts folgenden Tag in Kraft träten, die „Lockerung“ jedoch erst sechs Tage nach dem letztmaligen Überschreiten („Karenzzeit“), sei sinnvoll und erforderlich, weil neu Infizierte für einige Zeit infektiös blieben. Die tagesaktuelle Auflistung der betroffenen Städte und Landkreise mit jeweils maßgebendem Datum des erstmaligen Überschreitens der jeweiligen Sieben-Tage-Inzidenz auf der Homepage des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege, sei eine dem Rechtsstaatsprinzip entsprechende sinnvolle, bürgerfreundliche Lösung. Die Festlegung der Zahl der maximal zulässigen Gäste liege im Einschätzungsspielraum des Verordnungsgebers und folge sachlichen infektionsschutzrechtlichen Erwägungen.

Auch eine Folgenabwägung ergebe kein Überwiegen der von der Antragstellerin geltend gemachten Gründe für eine Außervollzugsetzung gegenüber den für den weiteren Vollzug der Beschränkungen sprechenden Gründe. Beim Betrieb gastronomischer Einrichtungen bis in den späten Abend und in die Nacht hinein mit bleibenden und hinzukommenden Gästen sei damit zu rechnen, dass vermehrte Infektionen und schwer nachzuverfolgende Infektionsketten aufträten. Dies hätten Superspreading-Ereignisse, z.B. beim Aprés Ski (Ischgl), in einem Restaurant (Lehr), bei einem Starkbierfest (Altötting), bei einer Karnevalssitzung (Gangelt) oder in Berliner Clubs gezeigt. Das Infektionsgeschehen habe sich zuletzt deutlich verschärft. Gegenüber den bedrohten Rechtsgütern von Leben und Gesundheit wiege das Interesse der Antragstellerin, ihr Restaurant ohne eine „Corona-Sperrstunde“ zu betreiben, weniger schwer.

5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen im Ergebnis nicht vor. Die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags in der Hauptsache gegen § 24 Satz 2 Nr. 6, § 25 Satz 2 Nr. 4 und § 26 Satz 2 Nr. 3 7. BayIfSMV („Sperrstunde“ für den Betrieb gastronomischer Einrichtungen) sowie gegen § 24 Satz 2 Nr. 5 und § 25 Satz 2 Nr. 3 7. BayIfSMV (maximal zulässige Personenzahl bei privaten Feiern) sind unter Berücksichtigung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (1.) bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung als offen anzusehen (2.). Eine Folgenabwägung geht zulasten der Antragstellerin aus (3.).

1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn – wie hier – die in der Hauptsache angegriffenen Normen in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthalten oder begründen, sodass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte.

Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12).

2. Nach diesen Maßstäben geht der Senat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes davon aus, dass die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht mit hinreichender Sicherheit einzuschätzen sind. Das gilt insbesondere für die Frage, ob die angegriffenen Bestimmungen noch auf einer ausreichenden gesetzlichen Verordnungsermächtigung beruhen.

Nach Auffassung des Senats bestehen erhebliche Zweifel, ob die mit dem vorliegenden Eilantrag angegriffenen Maßnahmen noch mit den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts bzw. des Bestimmtheitsgebots aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG vereinbar sind. Mittlerweile erfolgen – jedenfalls im antragsgegenständlichen Bereich der Gastronomie – erhebliche Grundrechtseingriffe über einen längeren Zeitraum allein durch die Exekutive, wobei mit der Dauer der Maßnahmen und der Intensität der mit ihnen verbundenen Grundrechtseingriffe die Frage an Gewicht gewinnt, ob die Verordnungsermächtigung zugunsten der Ländern in den §§ 28, 32 IfSG noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG genügt (vgl. hierzu schon BayVGH, B.v. 14.4.2020 – 20 NE 20.763 – juris Rn. 14 f.; B.v. 14.4.2020 – 20 NE 20.735 – juris Rn. 15 f.; vgl. auch B.v. 7.9.2020 – 20 NE 20.1981 – juris Rn. 25 ff. unter Verweis auf BayVGH, B.v. 27.4.2020 – 20 NE 20.793 – juris, Leitsatz 3; zweifelnd auch VGH BW, B.v. 9.4.2020 – 1 S 925/20 – juris Rn. 37 ff.; vgl. auch Volkmann, NJW 2020, 3153; Lepsius, RuP 2020, 258/265 ff.; Papier, DRiZ 2020, 180/183; Möllers, https://verfassungsblog.de/parlamentarische-selbstentmaechtigung-im-zeichen-des-virus/).

a) Das Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen. Wann es aufgrund der Wesentlichkeit einer Entscheidung einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, hängt vom jeweiligen Sachbereich und der Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes ab. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten zu entnehmen. Danach bedeutet wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“. Eine Pflicht zum Tätigwerden des Gesetzgebers besteht insbesondere in mehrdimensionalen, komplexen Grundrechtskonstellationen, in denen miteinander konkurrierende Freiheitsrechte aufeinandertreffen und deren jeweilige Grenzen fließend und nur schwer auszumachen sind. Eine solche Pflicht ist regelmäßig auch dann anzunehmen, wenn die betroffenen Grundrechte nach dem Wortlaut der Verfassung ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet sind und eine Regelung, welche diesen Lebensbereich ordnen will, damit notwendigerweise ihre verfassungsimmanenten Schranken bestimmen und konkretisieren muss. Grundsätzlich können zwar auch Gesetze, die gemäß Art. 80 Abs. 1 GG zu Rechtsverordnungen ermächtigen, den Voraussetzungen des Gesetzesvorbehalts genügen, die wesentlichen Entscheidungen müssen aber durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst erfolgen. Die Wesentlichkeitsdoktrin beantwortet daher nicht nur die Frage, ob überhaupt ein bestimmter Gegenstand gesetzlich zu regeln ist. Sie ist vielmehr auch dafür maßgeblich, wie genau diese Regelungen im Einzelnen sein müssen (stRspr., vgl. BVerfG, B.v. 14.3.1989 – 1 BvR 1033/82 u.a. – BVerfGE 80, 1, 20; B.v. 21.4.2015 – 2 BvR 1322/12 u.a. – BVerfGE 139, 19, m.w.N.).

b) Vorliegend geht es um Grundrechtseingriffe, die nach ihrer Reichweite, ihrer Intensität und ihrer zeitlichen Dauer mittlerweile ohne Beispiel sein dürften. Mit der den streitgegenständlichen Normen zu Grunde liegenden Verordnungsermächtigung der §§ 32, 28 IfSG wollte der Gesetzgeber hingegen nur die allgemeinverbindliche Regelung einer lokal begrenzten Gefahrenlage ermöglichen; bezeichnend ist insofern das in der Gesetzesbegründung allein beispielhaft genannte Badeverbot für ein bestimmtes Gewässer (vgl. BT-Drs. 8/2468 S. 21). Eine gesetzgeberische Abwägung der zur Bekämpfung einer Pandemie von bundesweiter Bedeutung erforderlichen Maßnahmen und den betroffenen Schutzgütern liegt der Verordnungsermächtigung nicht zugrunde. Bis zu welchem Ausmaß und für welchen Zeitraum die §§ 32, 28 IfSG möglicherweise noch ausreichend waren, um die mit dem Eintritt einer bislang nicht dagewesenen Pandemie einer zumindest potenziell lebensbedrohlichen Krankheit entstandene Gefahrenlage zu bewältigen, bedarf an dieser Stelle keiner abschließenden Entscheidung und muss den noch anhängigen Normenkontrollverfahren der Hauptsache vorbehalten bleiben.

In Hinblick auf die in den §§ 24 bis 26 7. BayIfSMV geregelten Maßnahmen kommt noch hinzu, dass die genannten Vorschriften in formeller Hinsicht einen neuen Regelungstypus im Rahmen einer Verordnung nach § 32 IfSG darstellen. Während die bisher auf dieser Grundlage vom Antragsgegner erlassenen Verordnungen durchweg nicht nur formell, sondern auch in dem Sinn materiell befristet waren, dass ihrer jeweiligen Verlängerung bzw. Ersetzung durch eine Nachfolgeverordnung eine eigenständige, auf die jeweilige Situation abstellende Gefährdungsprognose des Verordnungsgebers zugrunde liegen musste, gilt dies für die durch die §§ 24 ff. 7. BayIfSMV angeordneten Maßnahmen nicht ohne weiteres. Der Antragsgegner hat sich mit der 7. BayIfSMV dafür entschieden, die zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen formlos vereinbarte lokale Hotspot-Strategie (vgl. zuletzt Nr. 4 des Beschlusses der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs am 14.10.2020, Nr. 4) nicht durch Anpassungen der Verordnungslage oder durch die allgemeinen Befugnisse der örtlichen Infektionsschutzbehörden zum Erlass weitergehender Anordnungen, sondern mit einem abstrakt-generellen Regelungsmodell umzusetzen. Dieses knüpft lokal weitergehende Einschränkungen alleine an die Überschreitung bestimmter 7-Tage-Inzidenzen (35, 50 und 100). Diese Regelung ist in ihrer Grundkonzeption darauf angelegt – vorbehaltlich späterer Anpassungen des Maßnahmenkatalogs an die sich weiter entwickelnde Erkenntnislage – nicht nur streng zeitlich befristet zu gelten. Dem In- bzw. Außerkrafttreten bestimmter Maßnahmenbündel liegt damit keine jeweils erneut auf der Grundlage des aktuellen Infektionsgeschehens und anderer maßgeblicher Parameter vorzunehmende Gefährdungsbeurteilung des Verordnungsgebers zugrunde, sondern nur eine abstrakte – mangels nachvollziehbarer Herleitung oder Begründung der Grenzwerte zudem fragliche – Gefährdungsbeurteilung, die sich ohne weitere Zwischenschritte oder behördliche Entscheidungen fortlaufend (automatisch) aktualisiert und unmittelbar Rechtsfolgen auslöst. Den Regelungen liegt offenbar die Annahme des Verordnungsgebers zugrunde, dass bei Überschreiten der jeweiligen Schwellenwerte die jeweiligen weitergehenden Maßnahmen per se geeignet und erforderlich sind. Der Senat hat erhebliche Zweifel, ob einer solchen Konstruktion, die landesweit und auf unbestimmte Zeit geltende Rechtsnormen von teilweise erheblicher Grundrechtsrelevanz enthält, eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmte Grundentscheidung des Bundesgesetzgebers i.S.v. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG zugrunde liegt.

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass das seinerzeitige Bundesministerium des Innern die politische Dimension einer Risikobewertung im Pandemiefall schon im Jahr 2012 betont hat. Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz (ZSKG) erstellt der Bund im Zusammenwirken mit den Bundesländern, die für den Katastrophenschutz zuständig sind, eine bundesweite Risikoanalyse für den Zivilschutz. Nach § 18 Abs. 1 Satz 2 ZSKG unterrichtet das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat den Deutschen Bundestag über die Ergebnisse der Risikoanalyse nach Satz 1 ab 2010 jährlich. Im Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012 (Unterrichtung durch die Bundesregierung, BT-Drs. 17/12051), der auch eine unter Federführung des Robert-Koch-Instituts zustande gekommene Risikoanalyse zu einer Pandemie durch einen „Virus Modi-SARS“ enthält, heißt es (vgl. dort S. 2):

„Im Unterschied zur fachlichen Risikoanalyse ist die Risikobewertung ein politischer Prozess, in den auch gesellschaftliche Werte und die jeweilige Risikoakzeptanz einfließen. Nach einer durchgeführten Risikoanalyse muss eine Risikobewertung durch die administrativ-politisch verantwortlichen Ebenen erfolgen. Die Risikobewertung ist ein Verfahren, mit dem a) festgestellt wird, in welchem Ausmaß das zuvor definierte Schutzziel im Falle eines Ereignisses erreicht wird, durch das b) entschieden werden kann, welches verbleibende Risiko akzeptabel ist und mit Hilfe dessen c) entschieden wird, ob Maßnahmen zur Minimierung ergriffen werden können oder müssen.“

Im Rahmen des Erlasses einer Rechtsverordnung nach §§ 28, 32 IfSG ist jedoch in erster Linie eine administrative Risikobewertung möglich. Eine politische Gestaltungsentscheidung im Sinne eines Ausgleichs der widerstreitenden Belange von teilweise erheblichem Gewicht muss hier dem zuständigen Bundesgesetzgeber vorbehalten bleiben. Eine politische Risikobewertung für die Bewältigung einer – derzeit gegebenen, durch Beschluss des Deutschen Bundestags vom 25. März 2020 (vgl. Plenarprotokoll 19/154 S. 19169 [C]) festgestellten – „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG kann schon der Natur der Sache nach nur auf Bundesebene erfolgen.

Vor diesem Hintergrund hält es der Senat – sowohl im Hinblick auf die hier angegriffenen Bestimmungen als auch (und erst recht) im Hinblick auf künftige Verordnungen – für fraglich, ob die bestehende bundesweit gegebene infektionsrechtliche Gefährdungslage weiterhin allein auf der Grundlage landesrechtlicher Verordnungen ohne vorheriges Tätigwerden des hierzu nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG berufenen Bundesgesetzgebers behandelt werden kann, zumal sich die verfassungsrechtlichen Implikationen – jedenfalls mittlerweile – geradezu aufdrängen (vgl. nur Volkmann, NJW 2020, 3153; Lepsius, RuP 2020, 258/265 ff.; Papier, DRiZ 2020, 180/183; Möllers, https://verfassungsblog.de/parlamentarische-selbstentmaechtigung-im-zeichen-des-virus/).

Dabei ist indes zu berücksichtigen, dass der Bayerische Landtag in seiner Plenarsitzung vom 21. Oktober 2020 (vgl. vorläufiges Protokoll 18/57 zur LT-Drs. 18/10736) die Staatsregierung mittlerweile ausdrücklich aufgefordert hat, sich auf Bundesebene für die Schaffung konkreter Befugnisnormen im Bundesinfektionsschutzgesetz (IfSG) für besonders grundrechtsrelevante Eingriffe und breit angelegte Infektionsschutzmaßnahmen einzusetzen. Die auf diesen Befugnissen basierenden Maßnahmen müssten außerdem klar befristet werden, um in regelmäßigen Abständen eine Neubewertung der Infektionslage durch den Gesetzgeber zu ermöglichen. Die Bayerische Staatsregierung hat daraufhin am 27. Oktober 2020 eine Entschließung in den Bundesrat zur Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes um einen Maßnahmenkatalog zur Bewältigung der Corona-Pandemie beschlossen (vgl. BR-Drs. 640/20; vgl. auch Pressemitteilung Nr. 176 der Bayerischen Staatskanzlei, abrufbar unter https://www.bayern.de/bericht-aus-der-kabinettssitzung-vom-27-oktober-2020/?seite=1617). Auch der Bundestagspräsident hatte sich bereits am 19. Oktober 2020 an die Fraktionen mit einer Expertise des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages gewandt, in der vorgeschlagen wird, die Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG durch ausformulierte Standardmaßnahmen zu ergänzen (vgl. https://www.bundestag.de/#url=L2Rva3VtZW50ZS90ZXh0YXJjaGl2LzIwMjAva3c0My1wYXJsYW1lbnRzYmV0ZWlsaWd1bmctY29yb25hLTgwMDAxMA==&mod=mod493052).

Im Hinblick auf die genannten Bestrebungen und auf die sich angesichts der derzeitigen Infektionslage (wohl) bevorstehende zusätzliche Verschärfung der bestehenden Maßnahmen geht der Senat vorläufig davon aus, dass die Voraussetzungen einer ausreichenden gesetzlichen Verordnungsermächtigung demnächst geschaffen werden.

3. Bei der Annahme offener Erfolgsaussichten der Hauptsache ergibt die gebotene Folgenabwägung zwischen dem betroffenen Schutzgut der freien wirtschaftlichen Betätigung aus Art. 12 Abs. 1 GG mit dem Schutzgut Leben und Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dass die von der Antragstellerin nachvollziehbar dargelegten wirtschaftlichen Einbußen hinter den Schutz von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen zurücktreten müssen.

Das pandemische Geschehen dauert weiter an und verstärkt sich derzeit. Nach dem aktuellen Situationsbericht des RKI vom 28. Oktober 2020 ist aktuell in allen Bundesländern ein weiterer Anstieg der Übertragungen in der Bevölkerung zu beobachten. Der Anteil der COVID-19-Fälle in der älteren Bevölkerung nimmt aktuell zu (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Okt_2020/2020-10-28-de.pdf?__blob=publicationFile). Es gibt immer noch keine zugelassenen Impfstoffe, und die Therapie schwerer Krankheitsverläufe ist komplex und langwierig. Das Robert-Koch-Institut schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland derzeit weiterhin insgesamt als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html).

In dieser Situation ergibt eine Folgenabwägung, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm – insbesondere die mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten durch eine mit der Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm verbundene längere Öffnung gastronomischer Betriebe – schwerer ins Gewicht fallen als die (insbesondere wirtschaftlichen) Folgen ihres einstweilig weiteren Vollzugs (vgl. auch OVG NW, B.v. 26.10.2020 – 13 B 1581/20.NE – juris Rn. 70).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von der Antragstellerin angegriffenen Bestimmungen bereits mit Ablauf des 8. November 2020 außer Kraft treten (§ 29 7. BayIfSMV i.d.F.d. Änderungsverordnung v. 22.10.2020), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht angebracht ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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