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Corona-Pandemie – elterliche Sorge – Streit um Notbetreuung von Schulkindern

AG Aachen – Az.: 220 F 136/20 – Beschluss vom 15.05.2020

I.

Bei im Übrigen fortbestehender gemeinsamer elterlicher Sorge für die Kinder M, geb. am xx.x.xxxx und O, geb. am xx.x.xxxx wird der Antragstellerin die alleinige Entscheidungskompetenz zu folgendem Regelungsbereich zugewiesen:

Auswahl und Organisation nebst sämtlichen zugehörigen Willenserklärungen in Zusammenhang mit der schulischen Betreuung der beiden Kinder, soweit diese vom regulären Schulbetrieb abweicht; insbesondere in Gestalt der Notbetreuung während der aktuell andauernden Corona-Pandemie.

II.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Gründe

Antragstellerin und Antragsgegner sind gemeinsam sorgeberechtigte Eltern der beiden aus ihrer beendeten nicht-ehelichen Partnerschaft hervorgegangenen Söhne. Nachdem anfangs noch eine Verständigung der Kindeseltern dahingehend erfolgt war, dass Mutter und Kinder in Deutschland leben, während der Antragsgegner in Großbritannien verbleibt und ein Besuchsrecht ausübt, ist dieser Konsens inzwischen aufgekündigt. Beide Elternteile möchten die Kinder im jeweils eigenen Haushalt betreuen. Das Verfahren Amtsgericht Aachen 220 F 165/19 dient der Klärung dieser Streitfrage auf der Basis einer derzeit laufenden familienpsychologischen Begutachtung. Daneben wird durch das Jugendamt D-Stadt als Beistand namens der Kinder unter 220 F 106/20 beim erkennenden Gericht ein Kindesunterhaltsverfahren gegen den Antragsgegner geführt.

Die Antragstellerin hat zum x.x.xxxx eine neue Arbeitsstelle beim Land NRW, Bau- und Liegenschaftsbetrieb D-Stadt angetreten. Zudem steht der Umzug der Familie in ein neues Haus bevor. Sie möchte die Kinder zur sog. Notbetreuung anmelden, um unter den Bedingungen der aktuell herrschenden Corona-Pandemie eine erweiterte Präsensbeschulung zu ermöglichen.

Der Antragsgegner, der sich aktuell zur Wahrnehmung des Besuchsrechts im Raum D-Stadt aufhält, ist diesem Vorhaben in der Korrespondenz mit der Antragstellerin entgegen getreten und hat gegenüber den Schulen, die die Kinder besuchen, deren Aufnahme in die Notbetreuung ausdrücklich untersagt.

Dem Antrag der Antragstellerin ist nach § 1628 BGB zu entsprechen.

Corona-Pandemie - elterliche Sorge - Streit um die Notbetreuung von Schulkindern
(Symbolfoto: Von Sharomka/Shutterstock.com)

Zwar wäre unter regulären Bedingungen die Frage einer zusätzlichen Betreuungsform im schulischen Kontext von der Alltagskompetenz des vor Ort betreuenden Elternteils i. S. v. § 1687 BGB umfasst. Angesichts der veränderten schulischen Rahmenbedingungen während der Pandemie und angesichts der Tatsache, dass der Antragsgegner sich gegenüber den Schulen dezidiert gegen eine Notbetreuung wendet, hat die Ermöglichung der in Rede stehenden Beschulungsform eine gesteigerte Relevanz erlangt und kann jedenfalls temporär als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung i. S. v. § 1628 BGB behandelt werden.

In der Sache sind Mutter und Kinder auf die Inanspruchnahme der Notbetreuung angewiesen, die im Falle fortbestehender Infektionsrisiken in den kommenden Monaten auch in abweichender Form notwendig werden kann. Die Antragstellerin hat durch eidesstattliche Versicherung und durch Vorlage einer Arbeitgeberbescheinigung glaubhaft gemacht, dass sie einer Präsenspflicht am Arbeitsplatz nachkommen muss. Unabhängig davon wäre die derzeit angebotene Notbetreuung auch im Verhältnis zur häuslichen Betreuung durch die Eltern die bessere Option, um den Kindern während des eingeschränkten regulären Schulbetriebs Förderung und Beaufsichtigung zukommen zu lassen.

Die ablehnende Haltung des Antragsgegners mag mitbedingt sein durch ein Missverständnis, dass der Begriff „alleinerziehend“ als Kriterium für die Inanspruchnahme der Notbetreuung ausgelöst hat. Auch bei gemeinsam sorgeberechtigten Elternteilen wird der betreuende Elternteil mit der Trennung „alleinerziehend“ im Sinne verschiedener Sozial- und Transferleistungen. Damit wird dem anderen Elternteil weder die Erziehungskompetenz noch das Mitwirkungsrecht abgesprochen; vielmehr wird den organisatorischen Schwierigkeiten von Familien Rechnung getragen, bei denen sich die Eltern die Alltagsaufgaben nicht in Haushaltsgemeinschaft teilen können. Faktisch kann der in England lebende Antragsgegner die schulische Notbetreuung nicht ersetzen. Selbst wenn er es ermöglichen könnte, seiner Berufstätigkeit bis auf Weiteres im Homeoffice von Deutschland aus nachzugehen, ist ungewiss wie lange dies mit seinen Aufgaben im Hochschulbetrieb vereinbar sein wird. Die physische Anwesenheit der Eltern ist auch nicht der springende Punkt : Die Besorgnis des Antragsgegners, wonach die Teilnahme der Kinder an der Notbetreuung ein höheres Infektionsrisiko birgt, wird nicht geteilt. Angesichts der getroffenen Schutzvorkehrungen ist dieses Risiko gemildert und ist abzuwägen gegen die Nachteile einer andauernden Isolation im häuslichen Umfeld. Die Kinder deren Eltern die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Notbetreuung erfüllen, sind in der augenblicklichen Lage privilegiert. Es erschließt sich nicht, wie der Antragsgegner „die Erkenntnis gewonnen ( hat ), dass die Kinder in der Notbetreuung lediglich verwahrt, nicht aber gefördert werden“. Auch in der Notbetreuung besteht ein qualifizierter pädagogischer Ansatz und die Außenkontakte dürften der kindlichen Entwicklung förderlich sein. Es steht nicht in Zweifel, dass der Antragsgegner mit seinen Kindern sachgerecht umgehen kann, jedoch stellt dies keine gleichwertige Alternative zur jetzt eröffneten schulischen Betreuung dar. Angesichts der angespannten Lage vermag der Antragsgegner die Antragstellerin aber sehr wohl anlässlich seiner Umgangsbesuche in den sonstigen Lebensbereichen der Kinder zu entlasten.

Vor diesem Hintergrund soll durch die tenorierte Anordnung die schulische Förderung und Anleitung der Kinder in bestmöglicher Form sichergestellt werden, damit die Antragstellerin nicht auf weniger geeignete Betreuungsformen -z. B. durch Einschaltung der von den Kindern phasenweise als zu rigide wahrgenommenen Großeltern o. ä.- ausweichen muss. Mit der Übertragung der Entscheidungskompetenz ist die Antragstellerin jedoch nicht festgelegt auf die Inanspruchnahme der Notbetreuung. Sollte der Antragsgegner tatsächlich längere Zeiträume ortsnah zur Verfügung stehen, können die Eltern sich selbstverständlich auch auf eine Rückkehr zur häuslichen Betreuung anteilig durch beide Elternteile verständigen. Mit der vorstehenden Befugnis wird lediglich eine Handlungsoption für die Antragstellerin eröffnet, die der Familie aufgrund der ablehnenden Haltung des Antragsgegners sonst verschlossen wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 51 Abs. IV, 81 FamFG.

Streitwert : 1500,- EUR

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