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Corona-Pandemie nächtliche Lärmimmissionen durch Kunden eines Kiosks

VG Hannover – Az.: 4 B 3123/20 – Beschluss vom 07.08.2020

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EURO festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die immissionsschutzrechtliche Untersagung, im Zeitraum April bis Oktober jeden Jahres von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr alkoholische Getränke zu verkaufen.

Der Antragsteller betreibt im Erdgeschoss des Mehrfamilienhauses mit der Anschrift C. einen Kiosk mit etwa 100 m2 Verkaufsfläche, der auch alkoholische Getränke führt. Nach Angaben des Antragstellers sei der Kiosk unter der Woche von 6 Uhr morgens bis 2 Uhr nachts geöffnet und habe am Wochenende keine festen Schließzeiten. Ein Schild neben der Eingangstür weist darauf hin, dass der Verzehr von alkoholischen Getränken vor dem Kiosk ab 23 Uhr untersagt sei; ab 22 Uhr sei an die Nachbarn und die Lautstärke zu denken. Das streitgegenständliche Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 451 vom 18.02.1970, der ein Allgemeines Wohngebiet festsetzt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist durch den Bebauungsplan Nr. 1247 vom 19.01.2000 ein Besonderes Wohngebiet festgesetzt.

Die Limmerstraße ist in diesem Bereich auf einer Länge von etwa 700 Metern als Fußgängerzone ausgewiesen und für den öffentlichen Personennahverkehr – unter anderem die Stadtbahnlinie 10 – geöffnet. Straßenbegleitend befindet sich beidseitig weitgehend viereinhalbgeschossig ausgeführte Blockrandbebauung. In den Erdgeschossen sind überwiegend Gastronomie- und Gewerberäumlichkeiten, sodass die Limmerstraße eng mit Restaurants, Kneipen, Bars, Imbissen, Kiosken, Einzelhandelsgeschäften, Supermärkten und anderen gewerblichen Nutzungen besetzt ist. Zahlreiche Gastronomiebetriebe unterhalten straßenrechtlich genehmigte Außenbewirtschaftungen. Über die gesamte Länge der Straße verteilen sich zudem öffentliche Sitzbänke.

Corona-Pandemie nächtliche Lärmimmissionen durch Kunden eines Kiosks
Symbolfoto: Von ClickyClarkPhotos/Shutterstock.com

In rund 500 Metern Entfernung -D. – befindet sich ein großer Supermarkt mit einem etwa 300qm großen Getränkebereich, der Montag bis Samstag von 7 Uhr bis 24 Uhr geöffnet hat. Unmittelbar vor dem streitgegenständlichen Gebäude befindet sich die Straßenbahnhaltestelle Leinaustraße. Zwei Häuser weiter befindet sich in der E. ein weiterer Kiosk, der ebenfalls alkoholische Getränke verkauft (Parallelverfahren unter Az. 4 B 3598/20). Im Nachbargebäude -F. – befindet sich eines der ältesten Programmkinos Deutschlands. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich ein Imbiss. Auch in den Seiten- und Parallelstraßen befinden sich zahlreiche Gastronomiebetriebe und Kioske. In der fußläufigen Umgebung befinden sich weiterhin drei Discotheken.

Die Limmerstraße hat sich insbesondere während der wärmeren Jahreszeit zum zentralen Anlaufpunkt für das – vor allem studentische – Nachtleben der Stadt entwickelt. Im Jargon hat sich der Begriff „Limmern“ für ein Treffen auf der Limmerstraße etabliert, bei dem die Menschen in der Fußgängerzone flanieren und in den Lokalitäten ein (alkoholisches) Getränk kaufen, um es direkt auf der Straße zu trinken oder sich gesellig um die vorhandenen Sitzmöglichkeiten zu gruppieren. Die Landeshauptstadt bewirbt auf ihrer Homepage unter der Rubrik Kultur und Freizeit das „Limmern“ als eine von zehn Dingen, die man im Sommer in A-Stadt „unbedingt erleben sollte“. Unter der Rubrik Tourismus findet sich ein Hinweis auf „Hannovers Kioskkultur“ im Stadtteil Linden-Mitte.

Insbesondere die mit dieser Situation verbundenen nächtlichen Lärmbelästigungen führen zu einem seit Jahren anhaltenden Konflikt mit den Bewohnern des Stadtteils LindenNord und der Limmerstraße, der wiederholt die Verwaltung und (überregionale) Presse beschäftigte. Der Ausbruch der Covid-19-Pandemie verschärft den Konflikt, weil sich das Nachtleben in der Stadt ins Freie und damit auch auf die Limmerstraße verlagert. Zuletzt prägt auch die starke Polizeipräsenz zur Durchsetzung der Infektionsschutzbestimmungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie die Situation auf der Limmerstraße.

Die Familie des Klägers betrieb ursprünglich über lange Zeit den Kiosk in der D. und musste diesen zugunsten der Erweiterung des Supermarktes um den Getränkemarkt räumen. Der Kläger meldete den Kiosk am 01.04.2019 gewerberechtlich am neuen Standort an.

Seit der Eröffnung des Kiosks kommt es zu regelmäßigen Beschwerden von Anwohnern über den durch die Kunden verursachten nächtlichen Geräuschpegel unter Vorlage von ausführlichen Lärmprotokollen. Der Außendienst der Antragsgegnerin stellte bei seinen nach 22 Uhr durchgeführten Ortsbesichtigungen am 25.07.2019 und am 12.09.2019 fest, dass der Alkoholverkauf durch den Kiosk größere Menschenansammlungen hervorrufe. Bei einer Ortsbesichtigung am 15.10.2019 konnte er keinen Verkauf durch den streitgegenständlichen Kiosk feststellen. Die anwesenden Personen verwiesen hingegen auf den Verkauf aus einem anderen Kiosk auf der Limmerstraße.

Die Antragsgegnerin wandte sich erstmals mit Schreiben vom 08.08.2019 an den Antragsteller und hörte ihn am 18.09.2019 zu möglichen immissionsschutzrechtlichen Maßnahmen an. Der Antragsteller verwies auf die Gemengelage vor Ort und gab am 21.04.2020 die Erklärung ab, den Verkauf von Bier in der Nachtzeit zu beenden. Der Außendienst der Antragsgegnerin stellte am 27.04.2020 und am 08.05.2020 fest, dass sich der Antragsteller nicht an die Zusage hielt.

Mit Bescheid vom 13.05.2020 ordnete die Antragsgegnerin nach § 24 BImSchG an, dass der Antragsteller innerhalb des Zeitraumes vom 1. April bis 31. Oktober eines jeden Jahres den Verkauf und die Abgabe von alkoholischen Getränken durch den Kioskbetrieb zur Nachtzeit – ab 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr des Folgetages – einstellen muss. Für den Fall der Nichtbeachtung drohte die Antragsgegnerin ein Zwangsgeld i.H.v. 2.000 Euro an.

Zur Begründung führte sie aus: Die Anordnung ergehe zur Durchführung der §§ 22, 3 BImSchG. Es gebe Beschwerden mehrerer Nachbarn über massive Lärmbelästigungen, denen bisher nicht erfolgreich begegnet worden sei. Eigene Feststellungen hätten die erheblichen Lärmbelästigungen bestätigt. Nach einer vorgenommenen Prognoseberechnung unter Berücksichtigung der TA Lärm und VDI Richtlinie 3770 ergebe sich schon bei vier zum Lärm beitragenden Personen ein Beurteilungspegel von mehr als 50 dB (A), der über dem zulässigen Pegel der Nr. 6.1 TA Lärm liege. Die Lärmrichtwerte seien allerding nur ein Aspekt in der Beurteilung des Lärmgeschehens; daneben falle die besondere Lästigkeit des Lärmgeschehens ins Gewicht. Der Kiosk sei als Getränkeversorger mitursächlich dafür, dass viele Kunden im unmittelbaren Umfeld verblieben und andere Passanten zum Verbleib animierten. Auch Kundschaft, die sich nur kurz im Umfeld aufhalte, trage zum Lärmgeschehen bei. Das weitere Lärmgeschehen auf der Limmerstraße entbinde nicht von den Betreiberpflichten gem. § 22 BImSchG. Aspekte (z.B. Gesichtspunkte der örtlichen/regionalen Herkömmlichkeit solcher Anlagen oder der sozialen Adäquanz), die ein Absehen von Lärmschutzanordnungen, insbesondere einen Verzicht auf die Anordnung rechtfertigten, lägen nicht vor. Der Schutz der Nachbarn vor unzumutbarer Lärmbelästigung in der Nachtzeit überwiege die geschäftlichen Interessen des Antragstellers. Die Anordnung sei geeignet, die erhebliche Lärmbelästigung effektiv zu unterbinden, da erfahrungsgemäß der Lärm vor diesem Kiosk ohne die Versorgung mit alkoholischen Getränken geringer werde.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO sei durch den erheblichen Lärm der Kundschaft gerechtfertigt. Der Ausgang eines langfristigen Rechtsbehelfsverfahrens könne nicht abgewartet werden. Die Zwangsgeldandrohung solle der Durchsetzung der Verfügung den notwendigen Nachdruck verleihen.

Der Antragsteller legte am 03.06.2020 Widerspruch gegen die Entscheidung ein, über den noch nicht entschieden ist.

Am gleichen Tag hat der Antragsteller bei Gericht einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gem. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO gestellt.

Er begründet dies im Wesentlichen damit, dass die Lärmimmissionen seinem Kiosk nicht zurechenbar seien. Auf der Limmerstraße feierten die Menschen bereits seit Jahrzehnten. Vor dem Kiosk befinde sich die Haltestelle des öffentlichen Nahverkehrs, wo sich auch nachts alkoholisierte Personen aufhielten, deren Verhalten er nicht beeinflussen könne. In der unmittelbaren Umgebung befänden sich zahlreiche andere Kioske sowie der Supermarkt. Woher die Personen im Einzelfall den Alkohol bezögen, sei weder festgestellt noch feststellbar. Auch die Lärmprotokolle differenzierten nicht zwischen den Kiosken in der C. und G. . Er selbst halte jeden Kunden dazu an, keinen Alkohol vor dem Kiosk zu konsumieren. Den Verkauf von gezapftem Bier stelle er nach 22 Uhr ein. Die Verfügung sei auch nicht geeignet, die Lärmsituation in der unmittelbaren Umgebung zu verbessern, da die Personen auf zahlreiche andere Geschäfte ausweichen könnten. Der Alkoholverkauf in der Nacht sei für seine wirtschaftliche Existenz essenziell und mache einen Anteil von etwa 30% seines Gesamtumsatzes aus.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 03.06.2020 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13.05.2020 wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

Der Lärm der Kioskkunden sei seit Jahren Grund vieler Beschwerden von Anwohnern und schon für sich allein zur Nachtzeit unzumutbar. Auch die Aspekte der sozialen Adäquanz und Akzeptanz ließen nur geringe Verschiebungen der Zumutbarkeit von Lärmimmissionen zu. Das Lärmgeschehen durch Menschengruppen am Wochenende und unter der Woche sei eine Dauerbelastung der Nachbarn und aktuell besonders hoch. Bei zeitlich begrenzten Veranstaltungen seien die Aspekte der sozialen Adäquanz und Akzeptanz anders zu gewichten. Die Antragsgegnerin habe inzwischen zwei weiteren Kioskbetrieben den nächtlichen Verkauf alkoholischer Getränke rechtskräftig untersagt und gegenüber dem Nachbarkiosk eine vergleichbare Anordnung erlassen. Ein weiterer Kiosk habe den Betrieb von sich aus gegen 22 Uhr eingestellt. Gaststättengenehmigungen würden seit dem 01.01.2012 nicht mehr erteilt. Die älteren Gaststättengenehmigungen beinhalteten fortgeltende Lärmschutzauflagen. Die Anwendung des BImSchG sei nicht die einzige Maßnahme zur Lärmbekämpfung im Bereich der Limmerstraße und der Umgebung. Die Landeshauptstadt A-Stadt setze sowohl den städtischen Ordnungsdienst als auch ein privates Sicherheitsunternehmen ein, um gegen den nächtlichen Lärm vorzugehen. Des Weiteren verweist die Antragsgegnerin auf die Auflage eines externen Konzeptes zur Konfliktminimierung und Interessenausgleich aller Nutzer*innen im Bereich der Limmerstraße (sog. „LimmernLabor“). Dafür solle ein „Raumwagen“ durch die Limmerstraße ziehen und die Aufmerksamkeit interessierter Bürgerinnen gewinnen. Im Mai und Juni 2020 sollte das daraus folgende Konzept erstellt werden, das Grundlage einer anschließenden Kampagne sein solle. Die Umsetzung habe sich aufgrund der Corona-Pandemie verzögert. Erste Ergebnisse seien im Oktober zu erwarten.

Die Antragsgegnerin hat in der Zwischenzeit weitere Ortsbegehungen vorgenommen und weitere Beschwerden von Anwohnern nebst Lärmprotokollen und Fotos vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

II.

Der nach § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO statthafte Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angegriffenen Verkaufsverbotes vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an seiner Vollziehung überwiegt. Hierbei kommt den voraussichtlichen Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens maßgebliche Bedeutung zu. Je größer die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens sind, umso geringere Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers zu stellen. Je geringer umgekehrt die Erfolgsaussichten zu bewerten sind, umso höher müssen die erfolgsunabhängigen Interessen des Antragstellers zu veranschlagen sein, um eine Aussetzung zu rechtfertigen. Dabei sind im Rahmen der Abwägung auch alle in der Sache sonst betroffenen öffentlichen oder privaten Interessen zu berücksichtigen (Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage, 2017, § 80 Rn. 152 ff.). Lässt sich nach der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, so ergeht die Entscheidung aufgrund einer weiteren Interessenabwägung, in der zum einen die Auswirkungen in Bezug auf das öffentliche Interesse in dem Fall, dass dem Antrag stattgegeben wird, der Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren indes erfolglos bleibt, und zum anderen die Auswirkungen auf den Betroffenen für den Fall der Ablehnung eines Antrags und des erfolgreichen Rechtsbehelfs in der Hauptsache gegenüberzustellen sind (OVG Schleswig, Beschluss vom 13.09.1991 – 4 M 125/91 -, Rn. 14, juris; Beschluss vom 21.07.2020 – 1 B 86/20 -, Rn. 17, juris). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist die sich im Zeitpunkt der Entscheidung darbietende Sach- und Rechtslage (Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage, 2017, § 80 Rn. 147, 152 ff.).

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Nach diesen Maßstäben überwiegt das öffentliche Interesse an dem Vollzug der immissionsschutzrechtlichen Anordnung zum Schutz der Nachtruhe der Anwohner gegenüber dem wirtschaftlichen Interesse des Antragstellers an der Aussetzung.

Die Rechtsgrundlagen des nächtlichen Alkoholverkaufsverbots sind §§ 24, 22 Abs. 1 BImSchG. Danach kann die zuständige Behörde im Einzelfall die erforderlichen Anordnungen treffen, um sicherzustellen, dass beim Betrieb einer nicht genehmigungsbedürftigen Anlage nach dem Stand der Technik vermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen vermieden (Nr. 1) oder hiernach unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden (Nr. 2). Nach beiden Alternativen können als Abhilfemaßnahme zeitliche Beschränkungen des Betriebs angeordnet werden.

Nach der sich im Zeitpunkt der Entscheidung darbietenden Sachlage spricht überwiegendes dafür, dass diese Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen.

Der Kiosk des Antragstellers ist als Betriebstätte (§ 3 Abs. 5 Nr. 1 Alt. 1 BImSchG) eine Anlage und immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftig (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 3 BImSchG i. V. m. § 1 der 4. BImSchV). Die auf Menschen aus der Nachbarschaft des Kiosks einwirkenden Geräusche, die durch im Umfeld des Kiosks verweilende Kunden hervorgerufen werden, sind Immissionen (§ 3 Abs. 2 BImSchG).

Diese Immissionen sind dem Kiosk des Antragstellers zuzurechnen. Hierzu ist es ausreichend, dass das sie verursachende Geschehen noch erkennbar als Ziel- oder Quellverkehr dieses Betriebes in Erscheinung tritt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 09.04.2003 – BVerwG 6 B 12.03 -, Rn. 10, juris, und Urteil vom 07.05.1996 – BVerwG 1 C 10.95 -, Rn. 35, juris; VGH Mannheim, Urteil vom 27.06.2002 – 14 S 2736/01 -, Rn. 65, juris, m.w.N.) und nach der Verkehrssaufassung mit dem Kiosk in einem näheren Zusammenhang steht (vgl. Jarass, BImSchG, 12. Aufl. 2017, § 22 Rn. 6c). Beides ist der Fall, wenn sich – wie hier – vor einem Kiosk Kunden mit dort erworbenen Getränken nur verlangsamt entfernen, weil sie ihre Getränke vor Ort verzehren, oder wenn sie während und nach dem Verzehr im Gespräch im nahen Umfeld des Kiosks verweilen, um ggf. weitere Getränke nachzukaufen. Die daraus entstehenden Emissionen (und Immissionen) sind dem Betreiber nach der Verkehrsauffassung zuzurechnen, weil und soweit sie aus einem vorhersehbarem, aber noch nicht missbräuchlichem (wie etwa absichtlich die Nachtruhe störendem) Verhalten seiner Kunden resultieren (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 18.03.2020 – 12 ME 4/20 -, Rn. 11, juris; a.A. noch VG Hannover, Beschluss vom 19.12.2019 – 4 B 4022/19 -, juris).

Die aktuell festgestellten Lärmimmissionen sind auch als schädliche Umwelteinwirkungen i.S.v. §§ 22, 3 Abs. 1 BImSchG anzusehen. Die Emissionen der auf der Limmer- straße unmittelbar vor dem Kiosk sich aufhaltenden Personen sind nach Art, Ausmaß und Dauer geeignet, erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft herbeizuführen.

Bei der Bestimmung desjenigen, was im Rahmen einer auf die §§ 22 und 24 BImSchG gestützten Anordnung als schädliche Umwelteinwirkung zu betrachten ist, ist gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 BImSchG i. V. m. Ziffer 1 Satz 3 lit. b) bb) der TA Lärm diese Allgemeine Verwaltungsvorschrift grundsätzlich anwendbar. Denn die teilweise privilegierende (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3.8.2010 – BVerwG 4 B 9.10 -, Rn. 3, juris) Herausnahme von Freiluftgaststätten aus dem Anwendungsbereich der TA Lärm (vgl. Nr. 1 Satz 2 lit. b) der TA Lärm) ist für den vorliegenden Fall nicht unmittelbar einschlägig, weil der Antragsteller mangels baurechtlich genehmigter Nutzung und fehlender gaststättenrechtlicher Anzeige (§ 2 NGastG) aus seinem Kiosk heraus keine Freiluftgaststätte betreiben darf (vgl. Nds OVG, Beschluss vom 18.03.2020 – 12 ME 4/20 -, Rn. 13, juris).

Gemäß Ziffer 5.2 Satz 2 lit. a) und Ziffer 4.2 lit. a) der TA Lärm ist die Antragsgegnerin auch zu Recht davon ausgegangen, dass ihr Einschreiten dann in Betracht kommt, wenn die dem Betrieb des Antragstellers zuzurechnenden Immissionen als Zusatzbelastung bereits für sich genommen einen einschlägigen Immissionsrichtwert nach Nr. 6 der TA Lärm überschreiten (vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, UmwR, Werkstand: Sep. 2019, Nr. 5.5 der TA Lärm, Rn. 30). Dies ist hier selbst dann der Fall, wenn man zugunsten des Antragstellers davon ausgeht, dass sich die Schutzwürdigkeit der seinem Kiosk gegenüberliegenden Wohnbebauung und der Bewohner, die sich nach dem zugrundeliegenden Bebauungsplan in einem besonderen Wohngebiet befinden, gemäß Nr. 6.1 Satz 1 Buchst. d) der TA Lärm grundsätzlich unter Heranziehung des nächtlichen Immissionsrichtwertes für ein Mischgebiet von 45 dB(A) beurteilt und nicht nach dem ebenfalls durchaus in Betracht kommenden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 18.03.2020 – 12 ME 4/20 -, Rn. 14 juris und Urteil vom 30.11.2012 – 11 KN 187/12 -, Rn. 74, juris) Wert von 40 dB(A) für allgemeine Wohngebiete (Nr. 6.1 Satz 1 lit. e) der TA Lärm. Denn nach der nicht überzeugend in Zweifel gezogenen Prognoseberechnung der Antragsgegnerin sind schon bei nur vier vor dem Kiosk des Antragstellers gleichmäßig sprechenden Personen Beurteilungspegel von mehr als 50 dB(A) an Immissionspunkten der Wohnbebauung nebenan (Limmerstraße 58) zu erwarten. Für die in der C. wohnenden Personen, die in einem ausgewiesenen allgemeinen Wohngebiet mit einem nächtlichen Grenzwert von 40 dB(A) gem. Nr. 6.1 Satz 1 Buchst. e) wohnen, sollte der Pegel daher noch etwas höher und in jedem Fall überschritten sein. Aus den zahlreichen Fotos der Antragsgegnerin, den Lärmprotokollen und eigenen Erkenntnissen des Gerichts ergibt sich im Übrigen, dass häufig noch erheblich mehr Personen vor dem Kiosk des Antragstellers verweilen. Ein detailliertes Lärmgutachten, dass diese Aspekte gerichtlicher Überprüfung zugänglich machen würde, ist bisher nicht vorgelegt worden. Dieses wäre in einem Hauptsacheverfahren nachzuholen, um die gerichtliche Kontrolle der behördlichen Prognose zu ermöglichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.12.2019 – 8 C 3/19 -, Rn. 18, juris).

Im Rahmen der §§ 22 und 24 BImSchG lässt sich jedoch nicht allein anhand der Überschreitung eines Immissionsrichtwertes abschließend beurteilen, ob die auf Menschen aus der Nachbarschaft einwirkenden Geräusche der Anlage, schädliche Umwelteinwirkungen sind. Vielmehr ist die Erheblichkeit und damit die Zumutbarkeit von Geräuschimmissionen auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. Enders, BeckOK UmwR, Stand: 1.1.2020, § 22 BImSchG, Rn. 11) und hängt neben der speziellen Schutzwürdigkeit des betroffenen Baugebietes auch von wertenden Elementen wie solchen der Herkömmlichkeit, der sozialen Adäquanz und einer allgemeinen Akzeptanz ab. Die Beurteilung der Erheblichkeit von Lärm setzt eine Wertung voraus, die im Sinne einer „Güterabwägung“ die konkreten Gegebenheiten zum einen der emittierenden Nutzung, zum anderen der immissionsbetroffenen Nutzung in Betracht zieht (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.04.1988 – BVerwG 7 C 33.87 -, Rn. 16, juris). Dafür spricht auch, dass die hier umstrittenen Geräusche denjenigen einer Freiluftgaststätte vergleichbar sind und für solche Geräusche – unter anderem wegen der besonderen Geräuschcharakteristiken menschlicher Laute – anerkannt ist, dass sie sich mithilfe des standardisierten Beurteilungsverfahrens der TA Lärm nicht abschließend beurteilen lassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.08.2010 – BVerwG 4 B 9.10 -, Rn. 3, juris, m. w. N.; Feldhaus/Tegeder, in: Feldhaus, BImSchG, Werkstand: Dez. 2019, Bd. 4, B 3.6, Nr. 1 TA Lärm, Rn. 16). Dementsprechend darf eine Berücksichtigung entsprechender Gesichtspunkte nicht nur im Rahmen einer Ermessensausübung nach Nr. 5.2 Satz 1 i. V. m. Nr. 5.1 Satz 1 bis 3 TA Lärm stattfinden (Nds. OVG, Beschluss vom 18.03.2020 – 12 ME 4/20 -, Rn. 15, juris).

Bei einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls ist die soziale Adäquanz und Herkömmlichkeit der Lärmimmissionen bei summarischer Prüfung nach derzeitiger Sachlage in den Nachtstunden nicht mehr gegeben.

Nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts lassen sich besondere Umstände, die zugunsten einer Freiluftgaststätte sprechen können, kürzere Betriebszeiten, Standortbindung, regionale und örtliche Herkömmlichkeit sowie soziale Adäquanz (vgl. Feldhaus/Tegeder, a. a. O.) zugunsten der sich wie eine Außengastronomie auswirkenden Bewirtschaftung eines Kiosks nicht erfolgreich ins Feld führen, weil ein solcher Kiosk seinem Wesen nach ein Ladengeschäft bleibt. Je mehr sich das vorhersehbare Verhalten der Kunden eines Kiosks daher dem Verhalten von Gästen einer Außengastronomie annähert, umso weniger entspricht die Betriebsführung einem herkömmlichen Geschäftsmodell und sind die durch den Betrieb verursachten Immissionen herkömmlich und sozial adäquat (Nds. OVG, Beschluss vom 18.03.2020 – 12 ME 4/20 -, Rn. 15, juris).

Der Betrieb des Antragstellers ist darauf ausgerichtet, dass sich die Kunden auch nachts fortlaufend mit alkoholischen Getränken versorgen und in der Nähe verweilen. Dadurch kommt es zu größeren Menschenansammlungen mit einhergehenden Lärmimmissionen von Personen, die nach lebensnaher Betrachtung aufgrund ihres Alkoholkonsums auch teilweise die gebotene Rücksicht auf Anwohner verlieren. Der Antragsteller hat darauf trotz seiner Hinweiszettel, die Getränke „nach 23 Uhr“ nicht in der Nähe zu konsumieren, nur geringen Einfluss. Vielmehr richten sich die auf der Limmerstraße feiernden Menschen nach den zahlreichen Sitzmöglichkeiten aus und verweilen beispielsweise wegen der Schaufensterbretter verschiedener Gewerbebetriebe, der Tische des Imbisses und der Haltestelle des öffentlichen Nahverkehrs auch in der Nähe des Kiosks des Antragstellers. Auf dieses Verhalten seiner Kunden ist das Geschäftsmodell des Antragstellers letztlich auch ausgerichtet, wird dadurch doch ein kontinuierlicher Verkauf alkoholischer Getränke im Kiosk des Antragstellers bis in die Nacht gesichert. Mit dem Verkauf alkoholischer Getränke zur Nachtzeit macht der Antragsteller schließlich auch nach eigenen Angaben 30 % seines Umsatzes. Die Menschenansammlungen in der Nähe des Kiosks des Antragstellers sind daher gewollt und vorhersehbar und die Betriebsform des Kiosks jedenfalls in den Nachtstunden einer Gastronomie angenähert.

Dem lässt sich nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes auch nicht entgegenhalten, dass die Umgebung ohnehin außerordentlich belebt sei und der Charakter einer „Erlebnisstraße“ sich nicht mit Ansprüchen an ein ruhiges Wohnquartier vereinbaren lasse. Solchen Gesichtspunkten sei im Grundsatz bereits ausreichend Rechnung getragen, wenn in einem Wohngebiet von dem Immissionsrichtwert für ein Mischgebiet ausgegangen wird. Darüber hinaus könne die bestehende Lärmsituation auf einer „Partymeile“ gerade dafür sprechen, dass ein Eingriff geboten ist, wenn diese Straße ihren bestehenden Charakter nur auf Kosten eines berechtigten Ruhebedürfnisses der Anwohner gewonnen hat (Nds. OVG, Beschluss vom 18.03.2020 – 12 ME 4/20 -, Rn. 15, juris)

Im Rahmen eines (zu erwartenden) Hauptsacheverfahrens dürfte dieser Punkt jedoch einer vertieften Prüfung zu unterziehen sein, denn dieser rechtliche Ansatz erscheint in mehrerlei Hinsicht nicht zwingend.

Die Annährung der Verhaltensweise der Kundschaft eines kleinen Ladengeschäfts an eine Gaststätte schlechthin als nicht herkömmliches Geschäftsmodell und damit sozial inadäquat zu betrachten erscheint zumindest diskutabel. Mit der Trinkhalle, dem Wasserhäuschen und dem Spätkauf kennt nicht nur der allgemeine Sprachgebrauch Hybridformen von Kiosken und Gaststätten mit regionalen Besonderheiten, sondern auch die Rechtsprechung muss sich seit geraumer Zeit mit der Abgrenzung unterschiedlicher Betriebsformen auseinandersetzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 09. Juni 1960 – I C 41.56 -, juris). Die Landeshauptstadt A-Stadt bewirbt nicht nur unter touristischen Gesichtspunkten „Hannovers Kioskkultur“ mit „über 380 Kiosken“ als Ort, an dem man „bis teilweise spät in die Nacht […] fast alles bekommt was man braucht, oder eben nicht braucht“ (https://www.hannover.de/Tourismus/Sehensw%C3%BCrdigkeiten-Stadttouren/Se- hensw%C3%BCrdigkeiten/Hannovers-Kioskkultur), sondern auch in ihrer Bewerbung zu Europas Kulturhauptstadt des Jahres 2025 mit den Worten: „Es wundert also nicht, dass die Hannoveraner*innen ihre Kioske lieben. Dort treffen sie ihre Freund*innen und Bekannten, kommen mit den Nachbar*innen aus dem Quartier oder Stadtteil ins Gespräch. Hier werden Themen diskutiert, Ideen entwickelt und Pläne geschmiedet. Der Kiosk ist der der ideale Ort, um die Hannoveraner*innen zum Reden zu bringen“ (https://www.khh25.de/beteiligung). Dass den Kiosken diese Form der positiven Aufmerksamkeit zu Teil wird, dürfte gerade in der Annäherung der sozialen Bedeutung des Kiosks an die Gaststätte liegen.

Es erscheint weiterhin nicht zwingend, nur auf die Herkömmlichkeit der Betriebsform und nicht der Immission selbst abzustellen, da die Immission letztlich die Störung ausmacht. Insoweit ist bislang die Frage unbeantwortet, worin sich aus Sicht eines Einwohners der Lärm, der von einer nach 22 Uhr vor einem Kiosk Alkohol konsumierenden Personengruppe ausgeht, substanziell von den Immissionen von Personengruppen unterscheidet, die zur gleichen Zeit in unweiter Entfernung Speisen oder Getränke in einer der zahlreichen Außengastronomien verzehren.

Die von der obergerichtlichen Rechtsprechung geforderte umfassende Würdigung des Einzelfalles muss auch die örtlichen Besonderheiten und die individuelle Schutzbedürftigkeit des jeweiligen Baugebietes berücksichtigen. Über Jahrzehnte hat sich in dem streitgegenständlichen Gebiet ein flächendeckendes Netz an gerade in den Abend- und Nachtstunden immissionsträchtigen gewerblichen und gastronomischen Nutzungen angesiedelt. Die Anzahl und Dichte der Restaurants, Imbisse, Bars, Kneipen und Kioske auf der Limmerstraße und ihren Seitenarmen dürften in Niedersachsen einzigartig sein. Zahlreiche und größtenteils seit vielen Jahrzehnten etablierte fußläufige Kultureinrichtungen wie ein Theater, ein Kino, diverse Kleinkunstbühnen, ein Freizeitheim, mehrere Konzerthallen und mindestens drei Discotheken zeugen von einer in der Bevölkerung verankerten und gewachsenen Stadtteilkultur, die sich gerade auch in den Abend- und Nachtstunden entfaltet. So bewirbt auch die Landeshauptstadt selbst auf ihrer Homepage nicht ohne Grund unter „echt hannöversch“ das „Limmern“ als eins von zehn Dingen, die man im Sommer in A-Stadt gemacht haben müsse, weil „nirgendwo sonst in der Stadt die Gastro-Szene aufregender und schriller“ sei und sich „seit jeher bei schönem Wetter die Lindener Nachbarschaft […] zum Klönen, etwas Essen und Trinken, manchmal sogar gemeinsam musizieren“ treffe (https://www.hannover.de/Kultur-Freizeit/Frei- zeit-Sport/Echt-hann%C3%B6versch/Zehn-Dinge/Zehn-Dinge%2C-die-man-im-Som- mer-in-A-Stadt/Stilvoll-%E2%80%9ELimmern%E2%80%9C-in-Linden).

Mit dem Begriff der „Partymeile“ dürfte diese Sachlage daher nur unzureichend erfasst sein, handelt es sich doch nicht ausschließlich um einen Konflikt zwischen überwiegend auswärtigen oder touristischen Besuchern und Gewerbetreibenden sowie Ruhe suchenden Einwohnern, sondern um einen auch innerhalb der Bewohnerschaft kontrovers diskutierten und ausgetragenen Nutzungskonflikt hinsichtlich eines öffentlichen Raumes.

Ob dem Oberverwaltungsgericht darin zu folgen ist, dass diesen örtlichen Besonderheiten mit einem Ansatz des Immissionsgrenzwertes für ein Mischgebiet schon ausreichend Genüge getan ist, bedarf einer kritischen Untersuchung. Nach den Darstellungen der Antragsgegnerin reichen bereits vier sich normal unterhaltende Personen vor einem Hauseingang, um den nächtlichen Immissionsrichtwert von 45 db(A) auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu überschreiten. Da dies mit anderen Worten bedeutet, dass sich nach 22 Uhr höchstens drei im Gespräch befindliche Personen vor einem Kiosk aufhalten könnten, stellt sich die Frage, ob sich der günstigere Ansatz der Antragsgegnerin zur Berücksichtigung der örtlichen Besonderheiten überhaupt für die Gewerbetreibenden auswirkt oder nur auf dem Papier besteht. Auch liegt bei lebensnaher Betrachtung auf der Hand, dass nicht nur keiner der Kioske auf der Limmerstraße derartige Zustände gewährleisten kann, sondern bei ernsthafter Anwendung der von dem Oberverwaltungsgericht aufgestellten Zurechnungsregeln auch sämtliche Theater, Bars, Kneipen, Restaurants, Discotheken, Konzerthallen, Supermärkte und Kinos um 22 Uhr aus Lärmschutzgründen ihren Betrieb einstellen müssten.

Denkbar erscheint, die soziale Adäquanz des „Limmerns“ hinsichtlich der Uhrzeit differenziert zu betrachten. Bei der Gesamtwürdigung ist auch zu berücksichtigen, dass verschiedene Betriebe mit Außengastronomie sowie verschiedene Imbisse mit Außenbestuhlung oder langen Warteschlangen auf der Limmerstraße unabhängig von der individuellen Genehmigungslage auch nach 22 Uhr in erheblichem Maße zu den Lärmimmissionen beitragen, ohne hierfür erkennbar durch die Antragsgegnerin, die Polizei oder Ordnungsbehörden adressiert zu werden. Auch das Kino und die Kleinkunstbühnen haben bis in die Nachtstunden Besucher; der Supermarkt und die etwa im 5-Minuten-Takt bis 24 Uhr frequentierte Straßenbahn- und Bushaltestellen tragen ebenso zu einem sich als einheitlich darstellenden Emissionsgeschehen bis Mitternacht bei. Bis zu diesem Zeitpunkt bildet das öffentliche Leben auf der Limmerstraße noch einen Querschnitt der Gesellschaft ab, der für die soziale Adäquanz der Immissionen sprechen könnte.

In diesem Kontext wird sich die Antragsgegnerin auch damit auseinandersetzen müssen, dass die TA Lärm in Ziffer 6.4 Satz 2 es ihr ermöglicht, wegen besonderer örtlicher Verhältnisse unter Berücksichtigung des Schutzes vor schädlichen Umwelteinwirkungen die Nachtzeit um eine Stunde hinauszuschieben. Die erforderliche Nachtruhe von acht Stunden gem. Ziffer 6.4 Ziffer 3 TA Lärm könnte trotzdem sichergestellt werden (vgl. dazu auch BayVGH, Urteil vom 25.11.2015 – 22 BV 13.1686 -, Rn. 99, juris wonach auch hier der Bestand einer „Kneipenmeile“ mit regem Besuch gerade am Ende der Arbeitswoche ebenfalls beachtet werden darf). Zumindest Sonn- und Feiertage sind von Rechts wegen grundsätzlich arbeitsfrei (Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV, § 9 Abs. 1 ArbZG), sodass eine Verschiebung insbesondere am Wochenende in Betracht käme. Nur exemplarisch sei darauf hingewiesen, dass andernfalls der Supermarkt in der D. „tagsüber“ von 6 bis 7 Uhr geschlossen, „nachts“ aber von 22 bis 24 Uhr geöffnet hätte.

Die Öffnungszeiten dieses Supermarktes werfen schließlich auch auf Ermessensebene Fragen auf. Das der Behörde in § 24 BImSchG eingeräumte Ermessen bezieht sich nicht nur auf die Frage, ob sie überhaupt einschreiten will, sondern daneben auch auf den Zeitpunkt des Einschreitens und die Auswahl der anzuwendenden Mittel. In Bezug auf (sog. kumulierte) Immissionen, die durch mehrere Anlagen herbeigeführt worden sind, hat die Behörde nach pflichtgemäßen Ermessen unter besonderer Beachtung des Willkürverbotes zu entscheiden, ob sie nur gegen einen oder mehrere Betreiber dieser Anlagen nach § 24 BImSchG einschreitet (Enders in: Giesberts/Reinhardt, Umweltrecht, 2. Auflage, 2018, § 24, Rn. 13). Sich hierbei zunächst mit den Kiosken zu beschäftigen, welche sich gegenüber anderen Nutzungen durch eine besonders lange Öffnungszeit und geringe soziale Kontrolle hervorheben, erscheint insoweit nicht willkürlich. Angesichts der aktuellen Lärmsituation erscheint es sachgerecht, Schritt für Schritt gegen die unterschiedlichen Lärmimmissionsquellen vorzugehen. Genügt dies für die summarische Prüfung der ordnungsgemäßen Ausübung des behördlichen Ermessens unter Ergänzung mit der glaubhaften Angabe, dass auch gegen andere Betriebe vorgegangen werde (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 18.03.2020 – 12 ME 4/20 -, Rn. 18, juris), wird spätestens in einem Hauptsacheverfahren für eine langfristige Klärung der konfligieren- den Interessen der Beteiligten ein schlüssiges und auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG stichhaltiges Konzept zu fordern sein, anhand dessen die Systematik des Vorgehens der Antragsgegnerin gegen die zahlreichen Immissionsquellen auf der Limmerstraße erkennbar wird.

Ausschlaggebend zu Lasten der Antragsteller stellt sich sowohl hinsichtlich der Sozialadäquanz der Lärmimmissionen, als auch im Rahmen einer Interessenabwägung dar, dass im Laufe des Sommers die nächtliche Nutzung der Limmerstraße eine neue Qualität erreicht hat. Wohl auch aufgrund der Beschränkungen zur Bekämpfung der Corona- Pandemie treffen sich derzeit besonders viele Personen auf der Limmerstraße und zeigen Verhaltensweisen, die in dieser Form bislang nicht zu beobachten waren. Insbesondere jüngere Menschen haben derzeit nicht die gewohnten Möglichkeiten an anderen Orten zu feiern. Konzerte, Partys und Festivals finden aus Infektionsschutzgründen nicht statt. Örtlichkeiten wie Nachtclubs, Discotheken und Bars sind entweder geschlossen oder haben nur stark begrenzte Kapazitäten. Der Entschluss, sich auf der Limmerstraße zu treffen, entspricht insoweit sogar den Empfehlungen verschiedener öffentlicher Stellen, wonach man sich vor allem außerhalb geschlossener Räume mit anderen Menschen treffen solle. Die Lärmprotokolle der sich bei der Antragstellerin beschwerenden Anwohnerschaft, die vorgelegten Fotos und die verschiedenen Berichte in der Tagespresse stützen diesen Eindruck. Auch der Ordnungsdienst der Landeshauptstadt und die Polizei haben ihre Präsenz auf der Limmerstraße in den letzten Wochen stark ausweiten müssen, auch wenn die Einhaltung der Abstandsvorschriften im Vordergrund steht.

Soweit die Limmerstraße in der gegenwärtigen Situation zusätzlich dergestalt als Ausweichort für den Wegfall des Nachtlebens für die jüngeren Bewohner in der ganzen Landeshauptstadt und Region fungiert und zu beobachten ist, dass zunehmend auch exzessiver Alkoholkonsum von Menschenansammlungen mit teils deutlich mehr als 100 Personen, lautstarke Musik aus zahlreichen mobilen Musikanlagen und im allgemeinen gelöstes Feierverhalten bis in die Morgenstunden in den Vordergrund rücken, so stellt dies in der vorgefundenen Form ein neuartiges Verhalten dar, dessen soziale Adäquanz und Herkömmlichkeit nach keiner denkbaren Sichtweise bejaht werden kann. Waren die Kioske und die Limmerstraße bislang in den Nachtstunden überwiegend „Zwischenstopps“, stellen sie nunmehr das Ziel dar und werden damit einer ausgeprägten Dauerbelastung ausgesetzt.

Auch dieses Phänomen muss sich der Antragsteller aber nach den oben dargelegten Regeln gerade im Hinblick auf seine an Wochenenden unbegrenzten Öffnungszeiten und das auf den nächtlichen Alkoholverkauf ausgelegte Geschäftsmodell zurechnen lassen. Stellt man auf diese Entwicklung ab, erscheint das Verbot des Ausschanks und Verkaufs alkoholischer Getränke geeignet und erforderlich, um die schädlichen Umwelteinwirkungen zu verringern, die vor dem Kiosk verweilende Kunden hervorrufen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 18.03.2020 – 12 ME 4/20 Rn. 18, 19, juris; vgl. auch OVG Münster, Beschluss vom 15.04.2016 – 4 A 17/14, Rn. 19 ff., juris). Auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen des Antragstellers überwiegt der Schutz des Ruhebedürfnisses der Anwohner vor den massiven Lärmbelästigungen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 2 GKG und wird im Eilverfahren halbiert (siehe Nds. OVG, Beschluss vom 18.03.2020 – 12 ME 4/20 -, Rn. 26, juris).

 

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