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Corona-Pandemie – Tragen eines Mund- und Nasenschutzes in einer Justizvollzugsanstalt

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: 4 D 137/20 und 4 B 1169/20 – Beschluss vom 20.08.2020

Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.

Die Verfahren werden an das Landgericht Aachen, Strafvollstreckungskammer, verwiesen.

Gründe

In entsprechender Anwendung von § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG spricht der Senat nach Anhörung der Beteiligten die Unzulässigkeit des beschrittenen Verwaltungsrechtswegs aus und verweist die Verfahren, die der Senat im Kosteninteresse des Antragstellers als Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine noch zu erhebende Klage und für einen beabsichtigten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ansieht, zugleich an das zuständige Landgericht Aachen, Strafvollstreckungskammer.

Corona-Pandemie - Tragen eines Mund- und Nasenschutzes in einer Justizvollzugsanstalt
Symbolfoto: Von MarinaP/Shutterstock.com

Der Senat wendet hier die Vorschrift des § 17a Abs. 2 GVG über die Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs im Verfahren über die vorab gestellten isolierten Prozesskostenhilfeanträge entsprechend an (dazu unten a). Zuständig für die Entscheidung über die Prozesskostenhilfeanträge des Antragstellers ist als Gericht der Hauptsache im ersten Rechtszug die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Aachen (dazu unten b).

a) Der Senat wendet, sofern dies im Einzelfall – wie hier – aus Gründen effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) sachgerecht ist, zur Vermeidung negativer Kompetenzkonflikte im Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Vorschrift des § 17a Abs. 2 GVG über die Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs in Verfahren über vorab gestellte isolierte Prozesskostenhilfeanträge entsprechend an. Selbst bei schwierigen und ungeklärten Fragen über die Zulässigkeit des Rechtswegs hat nach § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO und § 127 Abs. 1 Satz 2 ZPO das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu entscheiden. Damit erscheint eine Verweisung an dieses Gericht geboten, sofern die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht von vornherein gänzlich ausgeschlossen ist. Eine Bindung an die Verweisung tritt auch im Prozesskostenhilfeverfahren ein, in dem der Antragsteller möglichst zügig in die Lage versetzt werden soll, Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren zu erlangen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.4.2002 – 3 B 137.01 –, NVwZ 2002, 992 = juris, Rn. 13 ff.; BGH, Beschlüsse vom 11.7.2017 – X ARZ 76/17 –, NJW-RR 2017, 1215 = juris, Rn. 12 f., vom 25.2.2016 – IX ZB 61/15 –, NJW 2016, 1520 = juris, Rn. 8 ff., 11, und vom 30.7.2009 – Xa ARZ 167/09 –, NJW-RR 2010, 209 = juris, Rn. 13 ff.; OVG NRW, Beschlüsse vom 11.1.2019 ‒ 4 E 1149/18 ‒, juris, Rn. 8 ff., vom 16.3.2018 – 4 D 10/18 –, NWVBl. 2018, 351 = juris, Rn. 4 ff., und vom 16.2.2010 – 12 E 1666/09 –, juris, Rn. 5 f.; Sächs. OVG, Beschluss vom 27.4.2009 – 2 D 7/09 –, SächsVBl. 2010, 99 = juris, Rn. 5 ff.; OVG M.-V., Beschluss vom 30.12.2009 – 3 O 133/09 –, juris, Rn. 8; VG Aachen, Beschluss vom 18.11.2003 – 6 K 575/03 –, juris, Rn. 21 ff.; OLG Hamburg, Beschluss vom 14.7.2015 ‒ 9 W 29/15 ‒, ZInsO 2015, 1698 = juris, Rn. 13 ff.; OLG Dresden, Beschluss vom 27.6.2016 – 20 W 502/16 –, MDR 2016, 1113 = juris, Rn. 10; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 41/§§ 17-17b GVG, Rn. 4; Ziekow, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO, 5. Aufl. 2018, § 17 GVG Rn. 12 f.; gegen eine entsprechende Anwendung von § 17a Abs. 2 GVG: Bay. VGH, Beschluss vom 29.9.2014 – 10 C 12.1609 –, juris, Rn. 27 f.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 4.4.1995 – 9 S 701/95 –, NJW 1995, 1915 = juris, Rn. 3; Nds. OVG, Beschluss vom 27.1.2015 – 4 PA 21/15 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 28.4.1993 – 25 E 275/93 –, NJW 1993, 2766; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.8.2007 – 19 W 16/07 –, MDR 2007, 1390 = juris, Rn. 12 ff.; Lückemann, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, Vorbemerkungen zu §§ 17-17c GVG, Rn. 12, jeweils m. w. N.

Die Interessenlage im Prozesskostenhilfeverfahren unterscheidet sich zwar von derjenigen im Hauptsacheverfahren, auf die die Regelungen der §§ 17a, 17b GVG zugeschnitten sind. Insbesondere erwächst ein Beschluss über die Ablehnung von Prozesskostenhilfe nicht in materielle Rechtskraft. Durch eine Verweisung im isolierten Prozesskostenhilfeverfahren ergibt sich auch keine Bindungswirkung für ein nachfolgendes Hauptsacheverfahren.

Vgl. BGH, Beschluss vom 30.7.2009 – Xa ARZ 167/09 –, NJW-RR 2010, 209 = juris, Rn. 13, 15.

Die Verweisung kann aber auch im (isolierten) Prozesskostenhilfeverfahren dem Ziel der Regelung entsprechen, Gerichtsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, indem ohne langwierige Zuständigkeitsstreitigkeiten Klarheit über den zulässigen Rechtsweg erlangt werden kann.

Vgl. BGH, Beschluss vom 11.7.2017 – X ARZ 76/17 –, NJW-RR 2017, 1215 = juris, Rn. 12.

Die Verweisung ermöglicht im vorliegenden Fall die verbindliche Klärung, in welchem Gerichtszweig über das Prozesskostenhilfegesuch zu entscheiden ist, und schließt damit einen negativen Kompetenzkonflikt jedenfalls für das Prozesskostenhilfeverfahren aus. Dem Interesse der unbemittelten Partei an einer zügigen Klärung der Zuständigkeit für den von ihr gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird hier durch eine bindende Verweisung am besten Rechnung getragen. Bei einer Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags wegen fehlender Rechtswegzuständigkeit müsste der Antragsteller einen neuen Prozesskostenhilfeantrag einreichen, der unter Umständen erneut wegen fehlender Zuständigkeit abgelehnt werden könnte. Es dient der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, wenn Vorkehrungen getroffen werden, die auch Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zum Gericht ermöglichen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.4.2002 – 3 B 137.01 –, NVwZ 2002, 992 = juris, Rn. 11 ff., m. w. N.

Umgekehrt hat die Verweisung vorliegend keine nachteiligen Wirkungen, insbesondere nicht für den Antragsgegner, der durch die Verweisung der Prozesskostenhilfeverfahren an ein anderes Gericht nicht beschwert wird.

Vgl. BGH, Beschluss vom 25.2.2016 – IX ZB 61/15 –, NJW 2016, 1520 = juris, Rn. 7.

b) Gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzuges oder des Vollzuges freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung, um die es bei dem von dem inhaftierten Antragsteller beanstandeten Verbot für Beschäftigte in der JVA Aachen geht, einen Mund- und Nasenschutz zu tragen, ist wegen anderweitiger ausdrücklicher Zuweisung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Hiergegen kann nach § 109 Abs. 1 StVollzG gerichtliche Entscheidung beantragt werden; mit dem Antrag kann auch die ebenfalls begehrte Verpflichtung zum Erlass einer abgelehnten oder unterlassenen Maßnahme, nämlich die Verpflichtung der Beschäftigten zum Tragen eines Mund- und Nasenschutzes, begehrt werden. Nach § 114 Abs. 2 StVollzG kann das Gericht den Vollzug der angefochtenen Maßnahme aussetzen oder eine einstweilige Anordnung erlassen. Nach § 120 Abs. 2 StVollzG i. V. m. § 114 ZPO kann für die beabsichtigte Rechtsverfolgung Prozesskostenhilfe beantragt werden. Über die Anträge entscheidet nach § 78a Abs. 1 GVG, § 110 StVollzG i. V. m. § 110 Nr. 6 StVollzG NRW die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts, in deren Bezirk die beteiligte Vollzugsbehörde ihren Sitz hat. Der Antragsteller wendet sich gegen eine Maßnahme der Justizvollzugsanstalt Aachen bzw. begehrt eine Maßnahme dieser Justizvollzugsanstalt. Zuständig ist daher nach § 78a Abs. 1 GVG, § 110 StVollzG i. V. m. § 110 Nr. 6 StVollzG NRW die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Aachen, auch für den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die noch einzuleitenden gerichtlichen Verfahren, § 120 Abs. 2 StVollzG i. V. m. § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO und § 127 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Die Möglichkeit der Zulassung der Beschwerde an den obersten Gerichtshof des Bundes nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG besteht im Prozesskostenhilfeverfahren weder unmittelbar noch entsprechend. Es zielt darauf, den unbemittelten Antragsteller möglichst zügig in die Lage zu versetzen, Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren zu erlangen. Angesichts dieses Zwecks des Prozesskostenhilfeverfahrens ist ein zusätzlicher Rechtsmittelzug allein für die Frage, in welchem Rechtsweg über das Prozesskostenhilfegesuch zu entscheiden ist, mit den gesetzlichen Wertungen nicht vereinbar. Insoweit besteht kein Grund, hinsichtlich der Verweisungsentscheidung die in § 17a Abs. 4 Satz 3 bis 6 GVG geregelten Rechtsmittel zu eröffnen. Vielmehr verbleibt es auch in diesem Fall bei den im Prozesskostenhilfeverfahren allgemein gegebenen Rechtsmitteln.

Vgl. BGH, Beschluss vom 25.2.2016 – IX ZB 61/15 –, NJW 2016, 1520 = juris, Rn. 3 ff., 8 ff.

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