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Corona-Pandemie – Verbot eines Autokorsos

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg  – Az.: OVG 11 S 36/20 – Beschluss vom 30.04.2020

Auf die Beschwerden der Antragstellerin und des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 29. April 2020 wie folgt geändert:

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die von der Antragstellerin nach § 4 Abs. 3 S. 1 SARS-CoV-2-EindmaßnV beantragte Ausnahme vom Versammlungsverbot des § 4 Abs. 1 SARS-CoV-2-EindmaßnV zuzulassen.

Der Antragsgegner darf der Antragstellerin durch Nebenbestimmungen untersagen, die Route des Autokorsos bekannt zu geben. Ferner darf er der Antragstellerin aufgeben, den Autokorso mit einer Geschwindigkeit zu bewegen, die das Mitlaufen von Passanten ausschließt.

Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerden der Antragstellerin und des Antragsgegners sind zulässig und nach Maßgabe der Beschlussformel begründet.

1. Da keiner der Beschwerdeführer die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Prüfungsmaßstab und zu den einschlägigen Regelungen der § 4 Abs. 1 und 3 Berliner SARS-CoV2-EindmaßnV (inzwischen in der – hinsichtlich der maßgeblichen Regelungen nicht geänderten – Fassung der 5. Änderung v. 28. April 2020) beanstandet hat, sind diese auch für das Beschwerdeverfahren zugrunde zu legen. Davon ausgehend liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 SARS-CoV2-EindmaßnV – abgesehen vom Merkmal der Ortsfestigkeit – hier vor.

2. Die Beschwerdebegründung des Antragsgegners vermag die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht zu erschüttern, dass die Tatbestandsvoraussetzung der Ortsfestigkeit für die von der Antragstellerin geplante Versammlung keine Anwendung finden kann, weil ein solcher genereller Ausschluss nicht erforderlich sei, um den mit der Regelung bezweckten Infektionsschutz umzusetzen.

Der Antragsgegner macht geltend, dass die Entscheidung des Verordnungsgebers für ein Verbot nicht ortsfester Versammlungen folgerichtig sei, weil mit Autokorsos und vergleichbaren Aufzügen „unzweifelhaft“ höhere Infektionsrisiken verbunden seien als vom Verwaltungsgericht angenommen. Zur Begründung verweist er darauf, dass die Mitführung von Soundanlagen, Transparenten u.ä. gerade darauf abziele, Aufmerksamkeit auch außerhalb des Aufzugs zu erregen, und es deshalb wahrscheinlich sei, dass sich während der Durchfahrt des Aufzuges an den angrenzenden Straßenzügen Menschenansammlungen bildeten, die aus Infektionsschutzgründen in jedem Fall zu vermeiden seien. Diese Einwände greifen nicht durch. Denn zum einen ist die Absicht, die Aufmerksamkeit von Passanten zu erregen, keine Besonderheit einer nicht ortsfesten Versammlung, sondern regelmäßiger Zweck einer jeden Versammlung. Zum anderen trifft der damit angeführte Gesichtspunkt – wie das das Verwaltungsgericht erstinstanzlich bereits ausgeführt hat – letztlich auf jede nicht ortsfeste Versammlung zu. Der demgegenüber im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. April 2020 (- 1 BvQ 37/20 -, juris Rn. 23) vertretenen Rechtauffassung des Verwaltungsgerichts, dass eine solche pauschale Einschätzung dem Grundrecht aus Art. 8 GG nicht gerecht werde und immer die Umstände des Einzelfalls maßgeblichen seien, tritt die Beschwerdebegründung nicht substantiiert entgegen. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht mittlerweile (Beschluss v. 29. April 2020 – 1 BvQ 44/20 -, Rn 9, 16) im Hinblick auf die durch Art. 4 GG geschützte Religionsfreiheit entschieden, dass nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnis und der Strategien zur Bekämpfung der epidemiologischen Gefahrenlage ein generelles Verbot ohne die Möglichkeit, im Einzelfall und gegebenenfalls in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt Ausnahmen unter situationsgerechten Auflagen und Beschränkungen zulassen zu können, voraussichtlich nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Für das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit dürfte insoweit nichts anderes gelten.

3. Die mit der Beschwerde vorgebrachten Argumente des Antragsgegners vermögen auch die Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht zu erschüttern, dass das im Beschluss im Einzelnen dargelegte und gewürdigte Konzept der von der Antragstellerin konkret geplanten Versammlung durchdacht sei und die infektionsschutzrechtlichen Vorgaben ernst nehme und dass die demgegenüber nur vorgebrachten pauschalen, nicht durch einzelfallbezogene Gesichtspunkte gestützten Hinweise auf mögliche Verstöße gegen die infektionsschutzrechtlichen Vorgaben zu pauschal seien und die Versagung der Ausnahmegenehmigung nicht trügen.

Autokorsos Verbot wegen Corona-Pandemie
(Symbolfoto: orig. Von Smileus/Shutterstock.com)

Die demgegenüber mit der Beschwerde erneut aufgestellten Behauptungen, dass der von der Antragstellerin angemeldete Autokorso geeignet sei, vermeidbare Infektionsrisiken hervorzurufen, „weil sich Personen entweder dem Aufzug anschließen oder auch nur am Straßenrand dem Geschehen folgen“ und es wahrscheinlich sei, dass dabei Mindestabstände und Hygienevorschriften nicht eingehalten werden könnten, gehen wiederum nicht über die erstinstanzlich als zu pauschal beanstandeten Einwände hinaus. Eine substantiierte Auseinandersetzung mit den vom Verwaltungsgericht in Würdigung des konkreten Versammlungskonzepts angeführten Argumenten (keine öffentliche Bekanntgabe des Ausgangspunkts, keine Auftaktveranstaltung, keine wie auch immer gearteten Zwischenhalte) gegen einen vom Antragsgegner befürchteten „Zustrom weiterer Personen“ bleibt die Beschwerdebegründung schuldig. Ungeachtet dessen kann diesbezüglichen Befürchtungen durch ergänzende Auflagen Rechnung getragen werden, zu deren Erlass die Beschlussformel ausdrücklich ermächtigt. So kann der Antragstellerin zur Vermeidung der gezielten Aufstellung interessierter Unterstützer am Verlauf der Stecke aufgegeben werden, nicht nur den Ausgangspunkt, sondern auch die Route des Autokorsos nicht bekannt zu geben. Der nach dem bisherigen Veranstaltungskonzept – das auch Strecken mit „relativ langsamer“ (E-Mail v. 20. April 2020, Anlage Ast 3) Fahrgeschwindigkeit vorsieht – nicht ganz auszuschließenden Sorge, dass interessierte Passanten oder Beobachter den Korso längere Zeit begleiten, kann mit der Vorgabe einer deutlich über Fußgängertempo liegenden Mindestgeschwindigkeit (z.B. 20 km/h) hinreichend Rechnung getragen werden.

Soweit der Antragsgegner weiter meint, dass sich „in Folge polizeilicher Maßnahmen im Zusammenhang mit der Versammlung weitere Personenansammlungen bilden“, wird weder dargelegt, dass und ggf. weshalb es zu solchen Maßnahmen kommen sollte, noch inwiefern diese polizeilichen Maßnahmen der Versammlung zuzurechnen sein sollten.

Auch die vom Antragsgegner unter Verweis auf die Seite „www.mygruni.de“ angeführten konkreten Umstände der vorgenommenen Anmeldung geben keinen Anlass zu einer abweichenden Einschätzung der Veranstaltung. Auf dieser Seite sind als „Aktivitäten am 1. Mai 2020“ (http://mygruni.de/index.php/lageplan-und-programm/) der geplante Autokorso – mit dem Hinweis darauf, dass er „nur für 20 speziell ausgebildete Enteignungs-Fachkräfte und deren 10 Einsatzfahrzeuge reserviert und nicht anschlussfähig“ sei -, ein Livestream „myGruni-Fernsehgarten“ („#stayathome – legt die Füße hoch, macht es euch mit einem Stück Torte gemütlich! Der myGruni-Fernsehgarten versorgt euch mit allem, was ihr braucht: … Noch nie war der 1. Mai so gemütlich und radikal zugleich.“) und eine – ausdrücklich ebenfalls „leider auf 20 Personen begrenzt(e)“ Kundgebung aufgelistet, wiederum verbunden mit der Bitte „Nicht“ zu kommen und Verweis auf die Zuschaltung der Kundgebung im besagten Livestream. Dafür, dass es sich bei der letztgenannten Kundgebung um eine andere als die von der Antragstellerin geplante Abschlussveranstaltung handeln könnte, ist nichts ersichtlich, und für eine vom Antragsgegner angeführte – nicht nachvollziehbar bezeichnete – „weitere Versammlung in diesem Bereich“ findet sich weder in dieser Ankündigung noch im sonstigen Inhalt von www.mygruni.de ein konkreter Anhaltspunkt. Der Name der vom Antragsgegner angeführten Band „T… “ findet sich auf der angegebenen Seite nur im Bericht über die im Vorjahr durchgeführte Demonstration. Ein Auftritt in diesem Jahr ist dort nicht angekündigt. Davon ausgehend vermag der Inhalt dieser zum Beleg allein in Bezug genommenen Seite die Behauptung des Antragsgegners nicht zu stützen, dass es sich bei dem Autokorso „um eine Art `Zubringer-Aktion´“ handele, die eine „wie auch immer geartete“ Aufmerksamkeit und Mobilisierung hervorrufen solle, die angesichts dieser Gesamtumstände geeignet sei, eine erhebliche Gruppenbildung im Bereich des Ortsteils Grunewald zu bewirken „oder dieser zumindest förderlich zu sein“.

4. Die Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg. § 4 Abs. 2 SARS-CoV2-EindmaßnV sieht die Fertigung einer Teilnehmerliste nur für Veranstaltungen und Zusammenkünfte im privaten oder familiären Bereich im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 3 SARS-CoV2-EindmaßnV vor. Auch sonst ist bei summarischer Prüfung nicht ersichtlich, woraus ein solches Erfordernis folgen sollte. Zwar regelt § 3 Abs. 1 SARS-CoV2-EindmaßnV, dass der Aufenthalt im öffentlichen Raum nur allein, im Kreise der Ehe- sowie Lebenspartnerinnen und -partner und der Angehörigen des eigenen Haushalts und der Personen, für die Alleinsorge- und Umgangsrecht besteht, sowie zusätzlich höchstens mit einer weiteren haushaltsfremden Personen gestattet ist. Diese Vorschrift gilt gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SARS-CoV2-EindmaßnV aber nicht für die Benutzung von Fahrzeugen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 2 VwGO, weil die Antragstellerin auch in der Beschwerdeinstanz nur geringfügig unterlegen ist. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

 

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