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CoronaVO Baden-Württemberg – Aufenthaltsverbot – Verfassungsmäßigkeit

OLG Stuttgart – Az.: 1 Rb 24 Ss 95/21 – Beschluss vom 14.05.2021

Der 1. Senat für Bußgeldsachen hat nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Beschwerdeführers am 14. Mai 2021 gemäß § 79 Abs. 3 und 6 OWiG, § 349 Abs. 4, § 353 Abs. 2 StPO beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 5. Oktober 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.

Der Betroffene wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe:

Das Amtsgericht Stuttgart hat den Betroffenen am 5. Oktober 2020 wegen „eines Verstoßes gegen ein Aufenthaltsverbot, das zum Zeitpunkt 13. April 2020 wegen der Corona-Pandemie den Aufenthalt mit mehr als 2 Personen, die nicht dem eigenen Hausstand angehören, verbot“, zu einer Geldbuße von 200 € verurteilt. Die hiergegen beantragte Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat durch Beschluss vom 18. März 2021 zugelassen, um die gebotene Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG). Das auf die Sachbeschwerde gestützte Rechtsmittel hat umfassenden Erfolg.

Das Amtsgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Betroffene hielt sich am 13. April 2020 gegen 17 Uhr am Max-Eyth-See in Stuttgart in einer „5-er Gruppe“ auf. Er war hierbei in Begleitung seiner Lebensgefährtin pp. sowie der pp. und deren Kind im Alter von vier Jahren. Die Gruppe ging „mehrere hundert Meter“ spazieren. Die Gruppenmitglieder hielten „dabei den Abstand von 1 Meter untereinander“ nicht ein. pp. ist die Mutter der pp.. Die fünf Personen gehörten drei verschiedenen Haushalten an.

2. Das Amtsgericht hat dem Betroffenen einen fahrlässigen Verstoß „gegen das In-fektionsschutzgesetz in Verbindung mit der Corona-Verordnung“ angelastet und eine Geldbuße von 200 € festgesetzt. Es hat die Verurteilung auf folgende — zum Tatzeitpunkt geltende und hier verfahrensentscheidende — Rechtsvorschriften gestützt: § 73 Abs. la Nr. 24, § 28 Abs. 1 IfSG (jeweils in der Fassung vom 27. März 2020), § 32 Satz 1 IfSG (in der Fassung vom 20. Juli 2000), § 9 Nr. 1, § 3 Abs. 1 CoronaVO Baden-Württemberg (jeweils in der Fassung vom 9. April 2020).

II.

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des Urteils und der ihm zugrundeliegenden Feststellungen (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 349 Abs. 4, § 353 Abs. 2 StPO) sowie zur Freisprechung des Betroffenen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

Die Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Verbot des Aufenthalts im öffentlichen Raum hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Urteil leidet an mehreren durchgreifenden — voneinander unabhängigen – Rechtsfehlern. Hierzu im Überblick:

Die in § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 IfSG normierte Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen, auf der die tatbestandliche Ausgestaltung der Bußgeldbestimmung in § 9 Nr. 1, § 3 Abs. 1 CoronaVO Baden-Württemberg beruht, ist mit verfassungsrechtlichen Vorgaben — aus mehreren Gründen — nicht vereinbar (III.). Die der Verurteilung des Betroffenen zugrundeliegende (ausnahmslose) Bußgeldbewehrung in § 9 Nr. 1, § 3 Abs. 1 CoronaVO Baden-Württemberg erweist sich als unverhältnismäßig und ist damit ungültig (IV.). Die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils tragen einen Verstoß gegen die Bußgeldnorm in § 9 Nr. 1, § 3 Abs. 1 CoronaVO Baden-Württemberg ’nicht; überdies erweist sich die Beweiswürdigung als durchgreifend rechtsfehlerhaft (V.).

III.

Die in § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 IfSG enthaltene Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen ist — mit Blick auf den hier vorliegenden Verstoß gegen die Bußgeldvorschrift in § 9 Nr. 1, § 3 Abs. 1 CoronaVO Baden-Württemberg — mit dem Grundgesetz unvereinbar (zur a.A. aufgrund entsprechender landesrechtlicher Verordnungen vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 11. Januar 2021 – 2 Ss (OWi) 3/21 -, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 28. Januar 2021 – III – 4 RBs 446/20, 4 RBs 446/20 -, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 8. März 2021 – 3 OWi 6 SsRs 395/20 -, juris; vgl. ferner im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Verfahrenseinstellung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 OWiG OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. März 2021 – 2 Rb 34 Ss 2/21 -, juris, OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. April 2021 4 Rb 24 Ss 7/21 —, juris).

1. Die Ermächtigungsnorm wird den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen aus Art. 103 Abs. 2 GG nicht gerecht.

a) Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Als Gesetz im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG sind nicht nur Gesetze im formellen Sinn zu verstehen, sondern auch Rechtsverordnungen, die im Rahmen von Ermächtigungen ergangen sind. Damit enthält Art. 103 Abs. 2 GG, der auch für Bußgeldtatbestände Geltung beansprucht (BeckOK-GG/Radtke, GG Art. 103 Rn. 19, m.w.N.), für die Gesetzgebung ein striktes Bestimmtheitsgebot sowie ein damit korrespondierendes, an die Rechtsprechung gerichtetes Verbot sanktionsbegründender Analogie. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt verwehrt, die normativen Voraussetzungen einer Sanktionierung festzulegen. Der (Parlaments-)Gesetzgeber übernimmt mit der Entscheidung über strafwürdiges Verhalten die demokratisch legitimierte Verantwortung für eine Form hoheitlichen Handelns, die zu den intensivsten Eingriffen in die individuelle Freiheit zählt; es ist eine allein ihm vorbehaltene grundlegende Entscheidung, in welchem Umfang und in welchen Bereichen ein politisches Gemeinwesen gerade das Mittel des Sanktionsrechts als Instrument sozialer Kontrolle einsetzt. Zum anderen hat Art. 103 Abs. 2 GG auch eine freiheitsgewährleistende Funktion zum rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten. Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Sanktionen bedroht ist (st. Rspr.; BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1988 – 2 BvR 234/87, 2 BvR 1154/86 -, juris, NJW 1989, 1663, m.w.N.).

In seiner Funktion als Bestimmtheitsgebot enthält Art. 103 Abs. 2 GG dementsprechend die Verpflichtung, wesentliche Fragen der Sanktionswürdigkeit oder Sanktionsfreiheit im demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Sanktionierung so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Tatbestände zu erkennen sind und sich für den Normunterworfenen durch Auslegung zuverlässig ermitteln lassen (st. Rspr.; BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1969 – 2 BvL 15, 23/68 -, juris, NJW 1969, 1059, 1060, m.w.N.). Die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze, dass der Gesetzgeber im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen und Rechtsvorschriften so genau fassen muss, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (zum Grundsatz der Normenklarheit vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. August 1995 – 1 BvR 2263/94 -, juris, NJW 1996, 709), gelten danach für den grundrechtssensiblen Bereich des materiellen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts besonders strikt. Das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG verlangt daher, den Wortlaut von Sanktionsnormen so zu fassen, dass der Normadressat im Regelfall bereits anhand des Wortlauts der gesetzlichen Vorschrift voraussehen kann, ob ein Verhalten sanktionsbewehrt ist oder nicht (vgl. zum Untreuetatbestand BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08 -, juris, NJW 2010, 3209, 3210; zum Gewaltbegriff vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Januar 1995 -1 BvR 718/89, 719/89, 722/89, 723/89 -, juris, NJW 1995, 1141 f., jeweils m.w.N).

b) Darüber hinaus gilt: Eine Strafe kann nach Art. 103 Abs. 2 GG nur auf der Grundlage eines förmlichen Gesetzes verhängt werden. Ist der Straftatbestand in einer Verordnung enthalten, müssen somit die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe für den Bürger schon aufgrund des Gesetzes, nicht erst aufgrund der hierauf gestützten Verordnung erkennbar sein. Der Gesetzgeber hat selbst die Voraussetzungen der Strafbarkeit bzw. Ordnungswidrigkeit zu bestimmen und darf diese Entscheidung nicht den Organen der vollziehenden Gewalt überlassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 1988 – 2 BvR 234/87, 2 BvR 1154/86 -, juris, NJW 1989, 1663). Bei der Ausgestaltung von Sanktionsvorschriften ist es dem Gesetzgeber mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot zwar nicht verwehrt, auf unbestimmte, konkretisierungsbedürftige Begriffe bis hin zu Generalklauseln zurückzugreifen (vgl. BVerfG, Beschluss vorn 20. Juni 2012 – 2 Bv13. 1048/11 -, juris, NJW 2012, 3357). Gegen ihre Verwendung bestehen allerdings nur dann keine Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung für den Normunterworfenen eine zuverlässige Grundlage für eine Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt (zur besonderen Schwere der Schuld vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1992 2 BvR 1041/88, 2 BvR 78/89 -, juris, NJW 1992, 2947). Dabei lässt sich der Grad der für eine Norm jeweils erforderlichen Bestimmtheit nicht abstrakt festlegen, sondern hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Tatbestands einschließlich der Umstände ab, die zur gesetzlichen Regelung geführt haben (zum Rechtsbegriff der psychischen Störung vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2013 – 2 11/R 2302/11, 2 BvR 1279/12 -, juris, NJW 2013, 3151, Rn. 112).

c) Gemessen an diesen Maßstäben wird § 32 Satz 1 IfSG und § 28 IfSG den Anforderungen an die nach Art. 103 Abs. 2 GG erforderliche Bestimmtheit mit Blick auf den hier vorliegenden bußgeldbewehrten Verstoß gegen ein Aufenthaltsverbot nicht gerecht. Der Normunterworfene kann dem formellen Gesetz in § 32 Satz 1 IfSG und § 28 IfSG die Voraussetzungen einer Bußgeldbewehrung nicht hinreichend deutlich entnehmen. Die maßgeblichen Vorschriften in § 32 Satz 1 und § 28 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 des Infektionsschutzgesetzes in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung lauten:

㤠32 Erlass von Rechtsverordnungen

Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. (…)“

und

„§ 28 Schutzmaßnahmen

CoronaVO Baden-Württemberg – Aufenthaltsverbot - Verfassungsmäßigkeit
(Symbolfoto: Von Stockphotos RBL/Shutterstock.com)

Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Aus-scheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. (…)“

aa) Dem Wortlaut dieser Vorschriften sind bußgeldbewehrte Verbote des Aufenthalts im öffentlichen Raum bzw. der Unterschreitung von Mindestabständen zwischen Personen nicht zu entnehmen (vgl. Thüringer Verfassungsgerichtshof, Urteil vom 1. März 2021 – 18/20 -, juris Rn. 604). § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zwingt die zuständige Behörde „notwendige Schutzmaßnahmen“ zu treffen, „soweit und solange“ dies zum Zwecke des Infektionsschutzes „erforderlich“ ist. Damit handelt es sich auf der Rechtsfolgenseite um eine offene Generalermächtigung gegenüber jedermann, die lediglich durch Begriffe („notwendig“, „soweit und solange“ sowie „erforderlich“) flankiert wird, die dem von Verfassungs wegen zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsprinzip von vornherein immanent sind. Dass eine Ermächtigung zu „nicht notwendigen“ oder „nicht erforderlichen“ Maßnahmen, die im Falle der Zuwiderhandlung bußgeldbewehrt sind, verfassungsrechtlichen Maßstäben von vornherein nicht gerecht würde, bedarf keiner näheren rechtlichen Erläuterung. Eine Konkretisierung — mit Blick auf den vorliegenden Verstoß gegen das Aufenthaltsverbot — ergibt sich gleichfalls nicht aus § 28 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz IfSG. Der gesetzlichen Formulierung ist lediglich zu entnehmen, dass Personen verpflichtet werden können, bestimmte Orte nicht zu verlassen und dass Personen das Betreten von Orten untersagt werden kann. Dieser Wortlaut deutet auf ein Verbot des Betretens oder Ver-lassens einer von der übrigen Umgebung abgrenzbaren (lokalen) Örtlichkeit (bspw. bestimmte „Infektionsherde“) hin. Ein sanktionsfähiges Aufenthaltsverbot oder sanktionsfähige Aufenthaltsbeschränkungen im gesamten öffentlichen Raum für jedermann und für einen unbestimmten Zeitraum ist dem Gesetzestext — auch bei sehr großzügiger Lesart — nicht zu entnehmen.

Eine nähere Konkretisierung ergibt sich auch nicht mit Blick auf den Normtext in § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG. Vorliegend kommt allenfalls dem unbestimmten Begriff „sonstige Ansammlungen von Menschen“ Relevanz zu. Im innertatbestandlichen Vergleich mit den übrigen Begriffen („Veranstaltungen“, „Badeanstalten“, „Gemeinschaftseinrichtungen“) des Satzes 2 deutet „sonstige Ansammlungen von Menschen“ auf die physische Anwesenheit einer Vielzahl von Personen hin, Eine Interpretation dahingehend, dass es sich bereits bei der Anwesenheit von wenigen Personen um eine „Ansammlung“ handeln soll, liegt hiernach jedenfalls nicht nahe (zur Anzahl der Personen vgl. Beck0K-InfSchR/Johann/Gabriel, IfSG § 28 Rn. 38). Eine nähere Umschreibung in quantitativer Hinsicht hat der Gesetzgeber unterlassen. Durchgreifende Erkenntnisse ergeben sich insofern auch nicht mit Blick auf § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG in der bis zum 27. März 2020 geltenden (Vorgänger-)Fassung, in der der Gesetzgeber den Begriff „sonstige Ansammlung einer größeren Anzahl von Menschen“ verwendete. Aus Sicht der Normunterworfenen ergibt sich hieraus kein Erkenntnisgewinn dahingehend, ob nunmehr die physische Anwesenheit von bspw. sieben, fünf oder gar nur zwei Personen gestattet bzw. bußgeldbewehrt untersagt werden kann. Hinzu kommt, dass über die quantitative Ebene hinaus der Begriff „sonstige Ansammlung von Menschen“ auch der örtlichen und zeitlichen Einordnung bedarf (vgl. hierzu OLG Koblenz, Beschluss vom 8. März 2021 3 OWi 6 SsRs 395/20 -, juris), die der Gesetzgeber gleichfalls nicht vorgenommen hat. Bei entsprechender Lesart wären unter den Begriff z.B. auch (zwei) wartende Fußgänger an einer Wechsellichtzeichenanlage (§ 37 StVO) zu fassen. Beim anschließenden Überqueren der Straße ergäbe sich in einem solchen Fall für einen kurzen Moment erneut eine „Ansammlung von Menschen“, sobald sich die Passanten in den Begegnungsverkehr begeben. Diese Alltagsbeispiele zeigen auf, dass der Begriff „sonstige Ansammlung von Menschen“ in quantitativer, örtlicher und zeitlicher Dimension einer Konkretisierung bedarf, um in gesetzestechnischer Hinsicht einer nachvollziehbaren Anwendung zugeführt werden zu können. Diese konkretisierende Umschreibung fehlt hier zum Nachteil des Normunterworfenen. Dieser kann jedenfalls — mit Blick auf den vorliegenden Verstoß dem Begriff ein bußgeld-bewehrtes Aufenthaltsverbot im gesamten öffentlichen Raum nicht entnehmen.

bb) Auch die Auslegung unter Berücksichtigung weiterer Vorschriften des IfSG einschließlich des Normzusammenhangs lassen es nicht zu, dass der Normunterworfene auf ein bußgeldbewehrtes Aufenthaltsverbot im öffentlichen Raum schließen kann, Die in § 32 Satz 1 IfSG enthaltene Regelung verweist über § 28 IfSG hinaus auf die §§ 29 bis 31 VSG. Diese Vorschriften betreffen die Bereiche „Beobachtung“, „Quarantäne“ und „berufliches Tätigkeitsverbot“ und berechtigen insofern zu Maßnahmen, die sich gegen bestimmte Personen („Kranke“, „Krankheitsverdächtige“, usw.) richten, die unter Gesichtspunkten des Infektionsschutzes von der Allgemeinheit abgrenzbar sind.

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cc) Mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 103 Abs. 2 GG zeigt sich, dass der Gesetzgeber in § 32 Satz 1 IfSG und § 28 Abs. 1 IfSG eine Generalermächtigung geschaffen hat. Dieses formelle Gesetz zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass der Gesetzgeber auf eine Umschreibung bzw. Konkretisierung sanktionsfähigen Verhaltens verzichtet. Vielmehr erfolgt die Definierung des bußgeldbewehrten Verhaltens und damit die Schaffung der objektiven Tatbestandsmäßigkeit ausschließlich durch die Exekutive im Wege der Rechtsverordnung. Allein der Verordnungsgeber definiert die qualifizierten Eingriffsschwellen mit Blick auf erwünschtes und unerwünschtes Verhalten und schafft damit die objektiven Voraussetzungen zur Bestrafung des Bürgers. Dies ist mit dem Bestimmtheitserfordernis aus Art. 103 Abs. 2 GG nicht zu vereinbaren. Dieses Defizit in der Umsetzung verfassungsrechtlicher Vorgaben hat auch der Gesetzgeber im Zuge der Normierung des am 18. November 2020 in Kraft getretenen § 28a IfSG erkannt (vgl. hierzu BT-Drucks. 19/23944, S. 2; BT-Drucks. 19/24232, S. 37) und insoweit einen Katalog der insbesondere in Betracht kommenden Maßnahmen erstellt.

2. Die Ermächtigungsnorm in § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 IfSG genügt darüber hinaus nicht den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.

a) Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Gesetze, die zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigen, Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmen. Danach soll sich das Parlament seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch entäußern können, dass es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Exekutive überträgt, ohne die Grenzen dieser Kompetenzen bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, dass der Bürger schon aus der gesetzlichen Ermächtigung erkennen und vorhersehen kann, was ihm gegenüber zulässig sein soll und welchen möglichen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 1989 – 1 BvR 1033/82, 1 11/R. 174/84 -, juris, NVwZ 1989, 850; Beschluss vom 21. September 2016 – 2 BvL 1/15 -, juris, NJW 2016, 3648).

Die Ermächtigungsnorm muss in ihrem Wortlaut nicht so genau wie irgend möglich gefasst sein; sie hat von Verfassungs wegen nur hinreichend bestimmt zu sein. Es genügt, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Entstehungsgeschichte der Norm (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Juni 2002 – 2 BvR 4/98 -, juris, NVwZ 2003, 595). Welche Anforderungen an das Maß der erforderlichen Bestimmtheit im Einzelnen zu stellen sind, lässt sich somit nicht allgemein festlegen. Zum einen kommt es auf die Intensität der Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen an. So muss die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm der Grundrechtsrelevanz der Regelung entsprechen, zu der ermächtigt wird. Greift die Regelung erheblich in die Rechtsstellung des Betroffenen ein, sind höhere Anforderungen an den Grad der Bestimmtheit der Ermächtigung zu stellen, als wenn es sich um einen Regelungsbereich handelt, der die Grundrechtsausübung weniger tangiert (zu Regelungen des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Kranken-versicherung vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2005 – 2 BvR 2/01 -, juris Rn. 276, NVwZ 2006, 559).

Zum anderen hängen die Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Determinierung von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ab, insbesondere davon, in welchem Umfang der zu regelnde Sachbereich einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist. Dies kann es auch nahelegen, von einer detaillierten gesetzlichen Regelung abzusehen und die nähere Ausgestaltung des zu regelnden Sachbereichs dem Verordnungsgeber zu überlassen, der die betreffenden Vorschriften rascher und einfacher auf dem neuesten Stand zu halten vermag als der Gesetzgeber (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. September 2016 – 2 BvL 1/15 -, juris, NJW 2016, 3648).

b) Diesen Anforderungen an eine hinreichende gesetzliche Bestimmtheit der Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen werden § 32 Satz 1 IfSG und § 28 Abs. 1 IfSG — mit Blick auf den vorliegenden Verstoß gegen das Aufenthalts-verbot im öffentlichen Raum — nicht (vollständig) gerecht.

Der Senat sieht im Normzusammenhang mit § 1 IfSG noch eine hinreichende Bestimmtheit hinsichtlich des Zwecks der Ermächtigung. Hiernach ist für den Normunterworfenen zu erkennen, dass § 32 Satz 1 IfSG ein Handeln der Exekutive ermöglichen soll, das auf die Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen gerichtet ist (zur Differenzierung bei der Zwecksetzung vgl. Volkmann, NJW 2020, 3153, 3159 f.; vgl. auch Pautsch/Haug, NJ 2020, 281, 283). Im Übrigen erfüllt die Ermächtigungsnorm mangels hinreichender Bestimmtheit nicht die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Inhalt möglicher Regelungen durch Rechtsverordnung ist nach § 32 Satz 1 IfSG die Schaffung von Geboten und Verboten zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind. Damit bleibt offen, welche konkreten (Verbots-)Tatbestände die Exekutive — mit entsprechender Bußgeldbewehrung — aufgrund der Ermächtigungsnorm schaffen darf. Eine Konkretisierung der tatbestandlichen Voraussetzungen ergibt sich gleichfalls nicht im Zusammenhang mit § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, da diese Vorschrift ihrerseits keine hinreichende Bestimmung des Inhalts enthält. Das formelle Gesetz erlaubt global sämtliche „notwendigen Schutzmaßnahmen“ gegenüber jedermann und zwar „soweit und solange“ es aus Sicht der Exekutive „erforderlich“ ist (hierzu bereits vorstehend 111.1.). Damit geht einher, dass auch das Ausmaß der erteilten Ermächtigung zur Schaffung von Ordnungswidrigkeitstatbeständen nicht erkennbar ist. Dem formellen Gesetz ist mit Blick auf § 73 Abs. la und Abs. 2 IfSG lediglich das Ausmaß und die Art der Bestrafung zu entnehmen, indem der Gesetzgeber die Festsetzung von Geldbußen bis zu 25.000 € vorgesehen hat. Hingegen sind dem Gesetz die (objektiven) tatbestandlichen Voraussetzungen der Bestrafung, insbesondere im Hinblick auf den hier vorliegenden Verstoß gegen ein Aufenthaltsverbot im öffentlichen Raum, nicht zu entnehmen.

Der Vorschrift in § 32 Satz 1 IfSG fehlt es damit an der gesetzgeberischen Entscheidung zu Inhalt und Ausmaß der erteilten Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen durch die Exekutive. Für den Normunterworfenen ist weder erkennbar noch vorhersehbar, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz der Verordnungsgeber von dieser Ermächtigung Gebrauch machen wird und welchen (bußgeldbewehrten) Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassene Verordnung haben kann. Der Sache nach enthält § 32 Satz 1 IfSG eine pauschale Generalermächtigung zur Schaffung von Ordnungswidrigkeitstatbeständen bei Verstößen gegen „notwendige Schutzmaßnahmen“, die ihrerseits durch § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG allein durch die Exekutive definiert werden. Damit wird der Zweck des verordnungsspezifischen Bestimmtheitsgebots aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, der in der parlamentarischen Steuerung und Begrenzung der exekutiven Verordnungsmacht liegt (vgl. hierzu BeckOK-GG/Uhle, GG Art. 80 Rn. 17, m.w.N.), verfehlt. Dieses Defizit wirkt vorliegend besonders schwer, da die hier angewendeten Normen, die auf der Ermächtigung von § 32 Satz 1 IfSG beruhen und zu einer Verurteilung des Betroffenen geführt haben, zweifelsohne in beträchtlichem Maße in seine Rechtsstellung eingreifen und mithin erhebliche Grundrechtsrelevanz aufweisen.

3. Diesem Defizit an hinreichender Bestimmtheit der Generalermächtigung in § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 IfSG und die damit einhergehende Einschränkung grundrechtlichen Schutzes können die gefahrenabwehrrechtlichen Besonderheiten, die sich aufgrund von Erkrankungen an SARS-CoV 2 (COVID-19) und damit einhergehenden, weitestgehend (noch) unbekannten Gegebenheiten ergeben haben, hier nicht (mehr) entgegengehalten werden.

a) Unzweifelhaft ist durch die auftretende Corona-Pandemie zunächst eine gravierende Gefahrensituation eingetreten, die auf Basis des verfügbaren wissenschaftlichen Wissens unvorhersehbar gewesen ist (Rixen, NJW 2020, 1097, 1099). In einer solchen Lage, in der die Ursachen, Folgen und Verbreitungswege von Infektionskrankheiten und damit einhergehend die Eignung und Effektivität möglicher Schutzmaßnahmen noch unbekannt sind (hierzu BeckOK-GG/Uhle, GG Art. 80 Rn. 27a), ist es — bei Beachtung strenger Verhältnismäßigkeitsanforderungen — verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, näher regelungs- und standardisierungsbedürftige Maßnahmen, die erhebliche Grundrechtsrelevanz aufweisen, für einen kurzen Zeitraum auf gefahrenabwehrrechtliche Generalklauseln zu stützen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. November 2012 – 1 BvR 22/12 -, juris Rn. 25, ZD 2013, 126, 127; vgl. auch Brocker, NVwZ 2020, 1485, 1486). Übergangsweise kann sich damit eine Generalklausel als Rechtsgrundlage für gravierende Grundrechtseingriffe als tragfähig erweisen, um in unvorhersehbaren Gefahrenlagen effektive Handlungsmöglichkeiten zur Gefahrenabwehr zu eröffnen (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 6. April 2020 -13 B 398/20.NE juris, COVuR 2020, 423, 427; Siegel, NVwZ 2020, 577, 581). Für einen kurzen Zeitraum kann es dem jeweiligen Grundrechtsträger — aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls — zuzumuten sein, besonders eingriffsintensive Maßnahmen zu dulden, die ihre gesetzliche Grundlage lediglich in einer Generalklausel haben (Katzenmeier, MedR 2020, 461, 463, m.w.N.), wenn und solange eine gesetzliche Konkretisierung bzw. spezifische Regelungen der grundrechtsrelevanten Eingriffsmaßnahmen aufgrund fehlender Erkenntnisgrund-lage nicht möglich sind. Bei der Bemessung des Übergangszeitraums sind — mit Blick auf verfassungsrechtliche Vorgaben — strenge Anforderungen zu stellen. Der Gesetzgeber ist von Anfang an gehalten, sich wissenschaftliche Erkenntnisgrundlagen zu erschließen und den daraus folgenden Erkenntniszuwachs gesetzgeberisch umzusetzen (vgl. Brocker, NVwZ 2020, 1485, 1486). Denn zum einen verstärken sich die Belastungen des Grundrechtsträgers mit zunehmender Dauer der Beschränkungen und können zumeist auch nicht mehr anderweitig kompensiert oder zeitlich nachgeholt werden (vgl. SaarlVerfGH, Beschluss vom 28. April- 2020 – Lv 7/20 -, juris Rn. 42, NVwZ-RR 2020, 514, 518). Zum anderen geht mit fehlender Konkretisierung von Eingriffsmaßnahmen und der damit verbundenen eingeschränkten Normenklarheit und Normenbestimmtheit regelmäßig ein Verlust von Rechtsschutz vor den Gerichten einher (vgl. zum Bereich der Telekommunikations-überwachung BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2005 – 1 BvR 668/04 -, juris, NJW 2005, 2603, 2607; vgl. auch Volkmann, NJW 2020, 3153, 3157 f.).

b) Mit Blick auf den hier vorliegenden Verstoß vom 13. April 2020 gegen ein Verbot des Aufenthalts im öffentlichen Raum unter Missachtung eines Mindestabstands kommt ein Rückgriff auf die ermächtigende Generalklausel in § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 IfSG nicht (mehr) in Betracht. Bereits am 17. März 2020 hatte das Robert Koch-Institut (kurz: RKI) — ein aufgrund § 2 des Gesetzes über Nachfolgeeinrichtungen des Bundesgesundheitsamtes (BGA-Nachfolgegesetz) vom 24. Juni 1994 im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit als selbständige Bundesoberbehörde errichtetes Bundesinstitut — im Rahmen einer Risikobewertung die Gefährdung für .die Gesundheit der Bevölkerung im Bundesgebiet aufgrund COVID-19 als hoch eingestuft. Als zentrale Maßnahme zur Verhinderung weiterer Infektionen hat das RKI bereits zu diesem frühen Zeitpunkt nachdrücklich darauf hingewiesen, dass Personen im öffentlichen Raum einen Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten haben (vgl. hierzu im Überblick den täglichen Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 [COVID-19] vom 23. März 2020, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/ 2020-03-23-de.pdf? blob=publicationFile). In einer Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 22. März 2020 ist auf Grundlage der vom RKI zur Verfügung gestellten Erkenntnisse entschieden worden, dass in Erweiterung der beschlossenen Leitlinien zur Beschränkung sozialer Kontakte Personen im öffentlichen Raum stets einen Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten haben. Verstöße hiergegen seien von Ordnungsbehörden und der Polizei zu ermitteln und festgestellte

Zuwiderhandlungen zu sanktionieren (abrufbar unter:

https://www. bundesregierung .de/breg-de/themen/coronavirus/besprechung-der-bundeskanzlerin-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-vom-22-03-2020-1733248). Das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020, das u.a. zum Inkrafttreten der im vorliegenden Fall geltenden Fassung von § 28 Abs. 1 IfSG geführt hat, wurde als Entwurf der Regierungsfraktionen am 24. März 2020 in den Bundestag eingebracht und vollständig behandelt (zum Gesetzgebungsverfahren vgl. Pautsch/Haug, NJ 2020, 281, 285 f.). Bei dieser Sachlage standen dem Gesetzgeber sämtliche Erkenntnisse zu relevanten Schutzmaßnahmen — soweit es sich um einen Aufenthalt von Personen im öffentlichen Raum unter Einhaltung eines Mindestabstands handelt — zur Verfügung und es bestand insoweit ohne weiteres die Möglichkeit zur Konkretisierung der gesetzlichen Anforderungen und zur spezifischen Ausgestaltung grundrechtssensibler Eingriffe. Die infolge des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns erforderliche Konkretisierung von Aufenthaltsverboten im öffentlichen Raum — als notwendige Schutzmaßnahme des § 28 Abs. 1 IfSG — hat der Parlamentsgesetzgeber hingegen erst mit Normierung des § 28a Abs. 1 Nr. 1 IfSG vorgenommen, der erst nach Ablauf von weiteren acht Monaten — am 18. November 2020 — in Kraft getreten ist. Damit liegt eine lediglich übergangsweise Nutzung der Generalklausel in § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 IfSG als Ermächtigungsgrundlage für gravierende Grundrechtseingriffe ersichtlich nicht mehr vor. Der Parlamentsgesetzgeber hat vielmehr mit der verzögerten Umsetzung in Kauf genommen, dass grundrechtsintensive Maßnahmen — wie das vorliegende (bußgeldbewehrte) Aufenthaltsverbot im öffentlichen Raum — auf Dauer von der geltenden Rechtslage nicht mehr gedeckt sind. Dies wird den dargestellten verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht.

c) Der Senat geht selbstverständlich davon aus, dass die Bekämpfung der Corona-Pandemie eine gesamtstaatliche Aufgabe darstellt, bei der sämtliche Bereiche staatlicher Gewalt zur Mitwirkung aufgerufen sind. Damit geht jedoch — ebenso selbstverständlich — einher, dass alle staatlichen (Eingriffs-)Maßnahmen zum Infektionsschutz von Ermächtigungsgrundlagen gedeckt sind, die mit höherrangigem Recht jederzeit und ohne jede Einschränkung in Einklang stehen. Die Notwendigkeit schnellen und sich immer wieder anpassenden staatlichen Handelns auf eine dynamische Gefährdungslage setzt verfassungsrechtliche Vorgaben nicht außer Kraft.

4. Der Senat ist an der Vorlage der bundesgesetzlichen Vorschriften in § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 IfSG im Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG gehindert, da es an der erforderlichen Entscheidungserheblichkeit fehlt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 1988 – 1 BvL 27/88 -, juris, NJW 1989, 893; Beck0K-GG/Morgentha-ler, GG Art. 100 Rn. 17, jeweils m.w.N.). Selbst im Falle der Gültigkeit der vorzulegenden Bundesgesetze käme der Senat — (auch) aufgrund weiterer Rechtsfehler des Urteils in vorliegender Rechtsbeschwerdesache zu keinem anderen Ergebnis.

IV.

Die der Verurteilung des Betroffenen zugrundeliegenden Bußgeldvorschriften in § 9 Nr. 1, § 3 Abs. 1 CoronaVO Baden-Württemberg sind mit verfassungsrechtlichen Vorgaben unvereinbar; sie erweisen sich als Sanktionsvorschriften ohne jede Härtefallregelung als unverhältnismäßig und sind damit ungültig.

1. Der Senat hat die Verordnungsvorschriften, bei denen es sich um Zeitgesetze im Sinne von § 4 Abs. 4 OWiG handelt (vgl. zu einer früheren Fassung OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. März 2021 – 2 Rb 34 Ss 1/21 -, juris Rn. 16), auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht in eigener Zuständigkeit zu prüfen (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. März 1952 – 1 BvL 12/51 -, juris, NJW 1952, 497; OLG Oldenburg, Beschluss vom 11. Dezember 2020 – 2 Ss (OWi) 286/20 -, juris; BeckOK-GG/Morgenthaler, GG Art. 100 Rn. 10, m.w.N.).

Die der Verurteilung zugrundeliegenden Vorschriften der CoronaVO Baden-Württemberg lauten in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung wie folgt:

㤠9 Ordnungswidrigkeiten

Ordnungswidrig im Sinne des § 73 Absatz la Nummer 24 des Infektions-schutzgesetzes handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig

1. entgegen § 3 Absatz 1 Satz 1 sich im öffentlichen Raum aufhält, (…)“

und

„§ 3 Verbot des Aufenthalts im öffentlichen Raum, von Veranstaltungen und sonstigen Ansammlungen

Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nur alleine, mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Haushalts gestattet. Zu anderen Personen ist im öffentlichen Raum, wo immer möglich, ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten. (…)“

a) Das in § 9 Nr. 1, § 3 Abs. 1 CoronaVO Baden-Württemberg bußgeldbewehrte Verbot des Aufenthalts im öffentlichen Raum setzt in seiner tatbestandlichen An-wendung das Bestehen einer tatsächlichen Gefahr nicht voraus. Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nicht nur kranken, krankheitsverdächtigen oder ansteckungsverdächtigen Personen sowie Ausscheidern (vgl. § 28 Abs. 1 IfSG) untersagt. Vielmehr gelten die Vorschriften für alle (gesunden oder genesenen) Personen, die sich im Geltungsbereich der Rechtsverordnung aufhalten. Damit knüpft das Verbot an einen bloßen Gefahrenverdacht an; eine Situation in der ein Besorgnispotential besteht, zu dem jedoch (konkret) nähere Erkenntnisse (noch) nicht vorliegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. August 2013 – 6 BN 1.13 -, juris, LKV 2013, 464, 465, m.w.N.). Das Vorliegen einer solchen Verdachtslage rechtfertigt regelmäßig (lediglich) die Anordnung und Durchführung von Gefahrerforschungsmaßnahmen, die klären sollen, ob und in welchem Ausmaß eine Gefahr tatsächlich vorhanden ist (vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 10. November 1994 – 1 A 11198/93 -, juris, NVwZ-RR 1996, 320; Rixen, NJW 2020, 1097, 1099 f.). Eine solche Ermittlungsmaßnahme im Zuge des Untersuchungsgrundsatzes geht regelmäßig — aus Gründen des Übermaßverbots — der Anordnung einer endgültigen Gefahrenabwehrmaßnahme voraus (vgl. zum IfSG BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – 3 C 16/11 -, juris, NJW 2012, 2823, 2827; Beck0K-InfSchR/Gabriel, IfSG § 25 Rn. 17). Gleichwohl können im Einzelfall auf der Basis eines bloßen Gefahrenverdachts auch endgültige (belastende) Gefahrenabwehrmaßnahmen angeordnet und durchgesetzt werden (zu Eingriffsmaßnahmen beim Gefahrenverdacht im Überblick vgl. Schenke, JuS 2018, 505, m.w.N.). In diesem Sinne offenbart sich auch § 3 Abs. 1 CoronaVO Baden-Württemberg, der präventiv über landespolizeirechtliche Regelungen Eingriffsbefugnis gegenüber jedermann schafft, unabhängig davon, ob tatsächlich eine (Infektions-)Gefahr durch den Aufenthalt im öffentlichen Raum im konkreten Fall vorliegt. Auch kommt es hierbei auf die Frage der Störerauswahl nicht an, da die Verordnungsregelungen gegenüber jedermann, und damit auch gegenüber dem sog. „Verdachtsstörer“ bzw. „Nichtstörer“, durchsetzbar sind (vgl. zum IfSG Rixen, NJW 2020, 1097, 1101). Entscheidende Voraussetzung für präventiv staatliches Eingreifen ist hier lediglich der Aufenthalt von Personen im öffentlichen Raum; mithin ein sehr niederschwelliger Verdacht. Die Ordnungsbehörden sind damit durch die Verordnungsregelung — unabhängig ihrer Bußgeldbewehrung — uneingeschränkt befugt, präventiv das Aufenthaltsverbot mittels belastender Maßnahmen gegenüber allen Normunterworfenen endgültig durchzusetzen. Vorherige Gefahrerforschungsmaßnahmen zur Abklärung eines etwaigen Infektionsrisikos hat der Verordnungsgeber nicht vorgesehen. Die zur Gefahrenabwehr vor Ort berufenen Personen sind bei der Anordnung und Durchsetzung dieser grundrechtssensiblen Eingriffe nach Maßgabe der §§ 113 ff. StGB strafrechtlich geschützt.

Für den Bereich des (präventiven) Gefahrenabwehrrechts begegnet diese rechtliche Konstruktion, in der endgültige Grundrechtseingriffe zum Nachteil von Notstandspflichtigen vorgenommen werden können, mit Blick auf die Effektivität des Infektionsschutzes keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Ordnungsbehörden werden zu dem Zeitpunkt, in dem ein Aufenthaltsverbot im öffentlichen Raum durchzusetzen ist, regelmäßig vor Ort nicht in der Lage sein, abzuschätzen, ob von den betroffenen Personen tatsächlich ein Infektionsrisiko ausgeht oder ob alle Beteiligten gesund und damit „ungefährlich“ sind (vgl. hierzu Rixen, NJW 2020, 1097, 1101). Staatliches Handeln ist in diesem präventiven Rechtsbereich auf schnelles Eingreifen angewiesen, um eventuelle Infektionen zu verhindern. Dies erweist sich insoweit als verhältnismäßig.

b) Für den hier zu entscheidenden Fall im Recht der Ordnungswidrigkeiten gelten mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit jedoch Modifikationen. Denn die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten dient als Teil repressiven Handelns nicht mehr unmittelbar der Abwehr einer Gefahr oder eines Gefahrenverdachts. Zum Zeitpunkt der Ahndung der Ordnungswidrigkeit ist die Gefahren(verdachts)situation regelmäßig beseitigt. Damit relativiert sich das Erfordernis schnellen staatlichen Eingreifens in erheblichem Maße. Diesem Gesichtspunkt trägt § 9 Nr. 1 CoronaVO Baden-Württemberg keine Rechnung. Denn die Vorschrift sanktioniert sämtliche Verstöße gegen das Verbot des Aufenthalts im öffentlichen Raum unabhängig davon, ob tatsächlich eine Gefahrensituation bestanden hat oder nicht. Auch Personen, bei denen im Laufe des Verfahrens festgestellt wird, dass von ihnen kein Infektionsrisiko zum Tatzeitpunkt ausgegangen ist (Gesunde oder Genesene), können sich der Sanktionierung nicht entziehen. Dies gilt selbst dann, wenn die Betroffenen aus eigener Initiative (anstelle der verantwortlichen Behörde) — als Ausdruck „nachträglicher Gefahrerforschung“ — mittels Test ihre „Ungefährlichkeit“ im Verfahren unter Beweis stellen. Der „Nichtstörer“ bzw. „Verdachtsstörer“ muss damit über den endgültigen und nicht zu kompensierenden Eingriff in seine Grundrechtsposition hinaus auch ausnahmslos seine Bestrafung hinnehmen; und dies selbst dann, wenn der Gefahrenverdacht, der staatliches Handeln ausgelöst hat, nachträglich widerlegt wird. Die von dem Aufenthaltsverbot im öffentlichen Raum ausgehenden Eingriffswirkungen kumulieren sich durch die Sanktionierung dermaßen, dass sie angesichts der Umstände den „Nichtstörer“ über das rechts-staatliche Maß hinaus belasten. Damit erweist sich die ausnahmslose Bußgeldbewehrung in § 9 Nr. 1 CoronaVO Baden-Württemberg — die keinerlei Härtefallregelung vorsieht — in ihrer hier vorliegenden Ausgestaltung als unverhältnismäßig (zur Notwendigkeit einer Härtefallregelung im Strafrecht vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. März 2012 – 2 BvR 2258/99 -, juris, NJW 2012, 1784; vgl. zur Verfassungswidrigkeit des ausnahmslosen Verbots anwaltlicher Erfolgshonorare BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 2006 – 1 BvR 2576/04 -, juris, NJW 2007, 979). Die der Verurteilung des Betroffenen zugrundeliegenden Bußgeldvorschriften sind mithin ungültig.

2. Ungeachtet der Unverhältnismäßigkeit der Bußgeldregelungen weist der Senat mit Blick auf die weitere Ausgestaltung von § 3, § 9 CoronaVO Baden-Württemberg noch auf folgende Umstände hin, die sich gleichfalls als rechtlich bedenklich erweisen:

Im Vergleich von § 3 Abs. 1, § 9 Nr. 1 zu § 3 Abs. 2, § 9 Nr. 2 CoronaVO Baden-Württemberg ergeben sich im Hinblick auf den angestrebten Zweck des Infektionsschutzes nicht unerhebliche Inkonsistenzen. Im vorliegenden Verfahren wird dem Betroffenen vorgeworfen, sich ohne den erforderlichen Abstand mit vier weiteren Personen im öffentlichen Raum (unter freiem Himmel) aufgehalten zu haben. Außerhalb der Öffentlichkeit (in der eigenen Wohnung) wäre dies dem Betroffenen hingegen gestattet gewesen. Dies sogar ohne jeden Abstand und mit vier Personen, die alle unterschiedlichen Haushalten angehören (§ 3 Abs. 2 Satz 1 CoronaVO Baden-Württemberg). Vor dem Hintergrund des Infektionsschutzes sind diese Regelungen nicht stimmig; die gesetzliche Unterscheidung leuchtet nicht ein. Für den Normadressaten, der von einer Ansteckungsgefahr durch Tröpfcheninfektion ausgeht, erscheinen die Regelungen (womöglich) sogar widersprüchlich, wenn er unterstellt, dass eine Übertragung des SARS-CoV 2-Virus in geschlossenen Räumen aufgrund der Aerosolbelastung deutlich wahrscheinlicher ist.

Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob auch der Mangel an konsistenter Regelung in § 3, § 9 CoronaVO Baden-Württemberg verfassungsrechtliche Maß-stäbe berührt oder gar verfehlt (vgl. hierzu SaarlVerfGH, Beschluss vom 28. April 2020 – Lv 7/20 -, juris, NVwZ-RR 2020, 514, 518).

3. Der Senat ist an einer Divergenzvorlage (§ 121 Abs. 2 GVG) der landesrechtlichen Verordnungsvorschriften mit Blick auf die Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte außerhalb Baden-Württembergs gehindert (OLG Frankfurt a.M., Be-schluss vom 22. November 2011 – 3 Ws 836/11 -, juris, BeckRS 9998, 26155). In Bezug auf Entscheidungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe (Beschlüsse vom 30. März 2021 – 2 Rb 34 Ss 1/21 und 2 Rb 34 Ss 2/21 -, juris) fehlt es vorliegend an der von § 121 Abs. 2 GVG vorausgesetzten (Entscheidungs-)Erheblichkeit (vgl. Kissel/Mayer/Mayer, a.a.O., GVG § 121 Rn. 22; KK-StPO/Feilcke, 8. Aufl., GVG § 121 Rn. 37 f. und 49; vgl. zur Entscheidungserheblichkeit auch BGH, Beschluss vom 27. September 2002 – 5 StR 117/02 -, juris, NStZ-RR 2003, 12). Hinsichtlich der abweichenden Meinung des 4. Bußgeldsenats des OLG Stuttgart im Beschluss vom 21. April 2021 — 4 Rb 24 Ss 7/21 —, juris, liegt eine Innendivergenz vor, aufgrund der eine Vorlage gleichfalls ausgeschlossen ist (Kissel/Mayer/Mayer, 10. Aufl., GVG § 121 Rn. 10, m.w.N.).

V.

Ungeachtet der vorstehenden Erwägungen hält das Urteil des Amtsgerichts aufgrund weiterer (einfachgesetzlicher) Rechtsfehler rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Urteilsfeststellungen tragen einen Verstoß gegen § 9 Nr. 1, § 3 Abs. 1 CoronaVO Baden-Württemberg nicht. Die den Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung begegnet überdies durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

1,a) Eine Sanktionierung nach § 9 Nr. 1, § 3 Abs. 1 CoronaVO Baden-Württemberg setzt voraus, dass der Betroffene zu anderen Personen im öffentlichen Raum einen Mindestabstand von 1,5 Metern nicht einhält, obwohl ihm dies aufgrund der örtlichen Gegebenheiten möglich wäre (zum tatbestandlichen Erfordernis des Mindestabstands vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. März 2021 – 2 Rb 34 Ss 2/21 -, juris Rn. 33 ff.; OLG Koblenz, Beschluss vom 8. März 2021 – 3 OWi 6 SsRs 395/20 -, juris Rn. 29). Damit erfordert eine Verurteilung des Betroffenen hinreichend präzise Feststellungen zu den eingehaltenen Abständen und den örtlichen Gegebenheiten am Tatort (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. März 2021 – 2 Rb 34 Ss 2/21 -, juris Rn. 41 ff.), die auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhen. Mit Blick hierauf ist das Tatgericht auch im Verfahren nach dem Gesetz- über Ordnungswidrigkeiten (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 267 StPO) verpflichtet; in den Urteilsgründen darzulegen, dass seine Überzeugung auf einer umfassenden, von rational nachvollziehbaren Erwägungen bestimmten Beweiswürdigung beruht. Die wesentlichen Beweiserwägungen sind in den schriftlichen Urteilsgründen so darzulegen, dass die tatgerichtliche Überzeugungsbildung für das Rechtsmittelgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler hin zu überprüfen ist (vgl. zusammenfassend zum Maßstab BGH, Beschluss vom 18. März 2021 – 4 StR 480/20 juris, m.w.N.). Die Urteilsgründe müssen überdies erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßigen einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Tatrichter gezogenen Schlussfolgerungen nicht nur eine Vermutung darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2021 – 4 StR 416/20 -, juris Rn. 11, m.w.N.).

b) Diesen Maßstäben werden die Urteilsgründe nicht gerecht.

Das Amtsgericht hat zu den örtlichen Gegebenheiten am Tatort pp. keine Feststellungen getroffen. Die Urteilsgründe teilen lediglich mit, „bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt wäre es dem Betroffenen ohne weiteres möglich gewesen, den Abstand von mindestens 1,5 Meter“ einzuhalten. Damit geben die Urteilsgründe nur die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 9 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Corona-VO Baden-Württemberg wieder. Auch im Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich keine weiteren (Mindest-)Erkenntnisse zu den näheren örtlichen Gegebenheiten.

Gleichfalls nicht tragfähig erweisen sich die Feststellungen des Amtsgerichts zu dem von dem Betroffenen eingehaltenen Abstand zu anderen Personen. Die Urteilsgründe teilen hierzu mit, dass die „5-er Gruppe“ bei ihrem Aufenthalt „den Ab-stand von 1 Meter untereinander“ nicht eingehalten habe. Nähere Tatsachen, die die Schlussfolgerung zur Unterschreitung des Mindestabstands untermauern, sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Auch aus den Angaben des Zeugen, der Betroffene sei „Schulter an Schulter mit Herrn pp eng gelaufen“, ergeben sich keine präzisen Erkenntnisse zur Unterschreitung des geforderten Mindestabstands. Auf dieser defizitären Beweisgrundlage erweisen sich die bußgeldbewehrten Feststellungen als bloße Vermutungen, die eine Verurteilung nicht zu tragen vermögen. Insoweit wäre das Amtsgericht auch mit Blick auf die Beurteilung des Schuldgehalts im Rahmen der Rechtsfolgenentscheidung — gehalten gewesen, auf tragfähiger Basis verifizierbare Feststellungen zur Unterschreitung der Mindestabstände zu treffen. Auf Basis der defizitären Urteilsgründe ist auch die innere Tatseite des Betroffenen nicht belegt. Letztlich erweist sich überdies die bei der Bemessung der Geldbuße schärfende Erwägung, der von dem Betroffenen begangene Verstoß habe sich „doch schon über einen längeren Zeitraum“ erstreckt, ebenfalls als rechtlich nicht unbedenklich, nachdem das Amtsgericht hinreichend belastbare und präzise Feststellungen in zeitlicher Hinsicht gleichfalls nicht getroffen hat. Diese Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen zwingen zur Aufhebung des Urteils einschließlich der zugrundeliegenden Feststellungen (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 349 Abs. 4, § 353 Abs. 2 StPO).

2. Eine Zurückverweisung der Sache zu erneuter tatrichterlicher Prüfung ist nicht geboten, Der Senat kann hier auf Freisprechung in der Sache selbst entscheiden (§ 79 Abs. 6 OWiG, § 354 Abs. 1 StPO). Unter Berücksichtigung der Sach- und Verfahrenslage schließt der Senat aus, dass bei erneuter Hauptverhandlung notwendige Tatsachen festgestellt werden könnten, die eine Verurteilung des Betroffenen wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsverbot im öffentlichen Raum trügen (zum prozessualen Vorgehen vgl. Beck0K-OWiG/Bär, OWiG § 79 Rn. 135). Sonstige verfolgbare Taten sind nicht ersichtlich.

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