VG München
Az: M 11 K 08.2010
Urteil vom 26.02.2009
I. Der Bescheid des Landratsamts … vom … Januar 2007 wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, die Baugenehmigung gemäß Antrag vom 24. Mai 2006 zur Aufstockung des Wohnhauses mit Dachgeschossausbau auf dem Grundstück FlNr. 340, Gemarkung …, zu erteilen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Unter dem 24. Mai 2006 beantragte der Kläger die Aufstockung des Wohnhauses zum Dachausbau auf dem Grundstück FlNr. 340 der Gemarkung ….
Mit Beschluss vom 19. Juni 2006 erteilte die Gemeinde … hierzu das gemeindliche Einvernehmen.
Mit Bescheid vom … Januar 2007, dem Kläger zugestellt am 5. Februar 2007, lehnte das Landratsamt den Bauantrag des Klägers ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Grundstück liege im Außenbereich gemäß § 35 BauGB. Die bauplanungsrechtliche Beurteilung richte sich nach § 35 Abs. 2 BauGB, da kein privilegiertes Vorhaben im Sinne von § 35 Abs. 1 BauGB vorliege. Durch die geplante Aufstockung entstehe ein Gebäude, das objektiv zur dauernden Wohnnutzung geeignet sei. Dadurch berühre diese Nutzungsänderung den öffentlichen Belang „Splittersiedlung“ gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB, weil damit der bauplanungsrechtliche Außenbereich stärker als zuvor beansprucht werde. Auch unter dem Gesichtspunkt, dass das Gebäude 1969 als Austrags- und Ferienhaus im Rahmen einer landwirtschaftlichen Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB genehmigt worden sei, könne keine andere Entscheidung getroffen werden. Es sei davon auszugehen, dass die landwirtschaftliche Nutzung spätestens ab dem Eigentümerwechsel zum 30. Januar 1996 aufgegeben worden sei. Bereits die Nutzung außerhalb der landwirtschaftlichen Privilegierung (Nutzungsänderung zum Wochenendhaus) stelle eine Nutzungsänderung dar. Es wäre durchaus möglich gewesen, zum damaligen Zeitpunkt eine Änderung in reine (Dauer-)Wohnnutzung gemäß § 35 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB vorzunehmen. Tatsächlich sei jedoch eine Nutzungsänderung in ein Wochenend-/Ferienhaus erfolgt. Eine weitere Nutzungsänderung in ein Wohnhaus nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr möglich, da die landwirtschaftliche Privilegierung bereits über zehn Jahren nicht mehr vorliege und es sich dabei nicht mehr um ein landwirtschaftliches Gebäude im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB handele und diese Bestimmung lediglich die erstmalige Nutzungsänderung privilegiere. Hinzu komme, dass der Bestandsschutz aus der Baugenehmigung für das Austragshaus infolge endgültiger Aufgabe dieser Nutzung vor mehr als zehn Jahren mittlerweile erloschen sei. Als Wochenend-/Ferienhaus könne das Gebäude auch nicht nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB erweitert werden, weil diese Vorschrift für Wochenendhäuser nicht gelte. Es reiche ebenfalls nicht aus, dass bei der Entprivilegierung auch eine Umnutzung in ein Wohngebäude materiell-rechtlich rechtmäßig gewesen wäre. Der Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung sei daher abzulehnen.
Hiergegen legte der Kläger durch seine Bevollmächtigten mit Schreiben vom 26. Februar 2007, beim Landratsamt eingegangen am 28. Februar 2007, Widerspruch ein. Ein Widerspruchsbescheid ist nicht ergangen.
Mit Schriftsatz vom 30. April 2008, bei Gericht eingegangen am 2. Mai 2008, ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigte Klage erheben mit dem Antrag,
den Bescheid des Landratsamtes … vom … Januar 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Baugenehmigung gemäß Antrag vom 24. Mai 2006 zu erteilen.
Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 28. Mai 2008 im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei Eigentümer des … in …, einem ehemaligen landwirtschaftlichen Gut. Der Kläger bewirtschafte die Flächen nicht mehr selbst. Diese seien verpachtet. Zum Anwesen gehöre auch ein kleineres Wohngebäude, das als Austragswohnhaus genehmigt und bis vor wenigen Jahren stets zu Wohnzwecken genutzt worden sei. Das 1969/70 errichtete Gebäude sei bis Ende 1983 durch den damaligen Eigentümer, Herrn Dr. …, selbst bewohnt worden. Im Anschluss daran bis Ende 2002 hätten die ehemaligen Verwalter dieses Wohngebäude, ebenfalls zu Wohnzwecken, bewohnt. Im Anschluss daran sei das Anwesen durch den Kläger und seine Familie, allerdings nur selten genutzt worden, weil die Wohnfläche für eine Dauernutzung durch die Familie zu klein sei. Der Kläger beabsichtige mit seiner 4-köpfigen Familie dieses Gebäude als Hauptwohngebäude zu nutzen und dementsprechend das Gebäude zu erweitern, um ausreichend Wohnraum für die Familie zu schaffen. Der vorliegende Bauantrag sehe mit der Erweiterung im Dachgeschoss eine Gesamtwohnfläche von 100,52 m² statt bisher gut 50 m² vor. Diese Wohnfläche sei für die 4-köpfige Familie gerade ausreichend, sicherlich nicht überdimensioniert. Die äußere Gestalt des Gebäudes solle im Wesentlichen gewahrt bleiben. Vor wenigen Jahren sei eine neue Kläranlage errichtet worden. Entgegen der Auffassung des Landratsamts sei das Gebäude stets als Hauptwohngebäude genutzt worden. Die Privilegierungsmöglichkeiten des § 35 Abs. 4 BauGB seien nicht verwirkt. Der Kläger habe weiterhin Anspruch darauf, dass das zulässigerweise errichtete Wohngebäude, das weiterhin Bestandsschutz genieße, für seine familiären Bedürfnisse erweitert werden dürfe. Er komme insoweit in den Genuss der Begünstigung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB, ebenso aber auch in den Genuss der Regelung nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB. Die Begünstigung der Nr. 5 gelte grundsätzlich für sämtliche im Außenbereich vorhandenen und zulässigerweise errichteten Wohngebäude. Durch die Anhebung des Gebäudes im Dachbereich werde zusätzlicher Wohnraum im Dachgeschoss geschaffen. Ansonsten bliebe das Gebäude unverändert. Es sei auch nicht vorgesehen eine zweite Wohneinheit zu schaffen, sondern es bleibe bei der Erweiterung einer bestehenden Wohneinheit. Diese Erweiterung sei im Verhältnis zum vorhandenen Wohngebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse ohne Zweifel angemessen. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Nutzung des Gebäudes aufgegeben worden sei. Zwar habe der Kläger das Gebäude in den Jahren 2003 bis zur Einreichung des Bauantrags im Jahr 2006 nicht dauerhaft genutzt, weil es für die Familie zu klein sei. Er habe die Wohnnutzung aber niemals aufgegeben, sondern das Wohngebäude in Abständen immer wieder genutzt, wenn er etwas auf dem Hof zu erledigen hatte. Es könne auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die seitens des Klägers beabsichtigte Nutzung des Gebäudes einer sinnvollen Erhaltung und Verwendung der vorhandenen Bausubstanz diene, die ansonsten immer mehr verfallen würde.
Mit Schriftsatz vom 18. Juli 2008 nahm das Landratsamt … für den Beklagten zum Verfahren Stellung und beantragte, die Klage abzuweisen.
Seit 2003 sei das Gebäude vom Kläger und seiner Familie teilweise bewohnt worden. Eine Dauerwohnnutzung habe nicht stattgefunden. Wie der Bauherr sowohl mündlich als auch schriftlich bestätigt habe, sei das Gebäude seit Ende 2002 als Wochenendhaus genutzt worden und solle auch weiterhin als solches genutzt werden. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Entprivilegierung des Altenteilerwohnhauses mit der Aufnahme der Dauerwohnnutzung durch das ehemalige Verwalterehepaar (1983) oder 1996 mit dem Eigentümerwechsel auf den nicht landwirtschaftlich tätigen Bauherrn oder 2002 durch Aufnahme der Eigennutzung durch den Bauherrn als Wochenendhaus erfolgt sei. Jedenfalls sei nach Auffassung des Landratsamts eine Entprivilegierung des Altenteilerwohnhauses erfolgt. Es liege somit kein Gebäude im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB mehr vor. Eine Zulässigkeit des Vorhabens nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB scheide schon deshalb aus, weil das Gebäude nicht nur in seiner Nutzung geändert werden, sondern auch um ca. 1,30 m zu Schaffung eines nutzbaren Dachgeschosses aufgestockt und dadurch die äußere Gestalt des Gebäudes wesentlich verändert werden solle. Die Erweiterung nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB scheide aus, da diese Vorschrift eine Dauerwohnnutzung voraussetze, die aber spätestens 2002 mit dem Auszug des ehemaligen Verwalters aufgegeben worden sei, so dass der Bestandsschutz hierfür nicht mehr gegeben sei. Die planungsrechtliche Zulässigkeit beurteile sich somit nach § 35 Abs. 2 BauGB. Hiernach sei das Vorhaben abzulehnen gewesen, da durch die Erweiterung des Hauses auf nahezu die doppelte Wohnfläche und nunmehr geplanter Nutzung zu Dauerwohnzwecken die Verfestigung einer Splittersiedlung zu befürchten sei (§ 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB).
Auf die weiteren Schriftsätze des Klägerbevollmächtigten vom 26. November 2008 und des Landratsamts vom 11. Februar 2009 wird Bezug genommen.
Am 26. Februar 2009 fanden ein Augenschein und daran anschließend die mündliche Verhandlung statt. Wegen der dabei getroffenen Feststellungen wird auf die Niederschrift vom 26. Februar 2009 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Landratsamts … vom … Januar 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; der Kläger hat Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung zur Aufstockung des Wohnhauses mit Dachgeschossausbau auf dem Grundstück FlNr. 340 der Gemarkung ….
Die Zulässigkeit des Vorhabens ergibt sich aus § 35 Abs. 4 Nr. 5 BauGB. Das zum Dachausbau vorgesehene Wohnhaus befindet sich unstreitig im planungsrechtlichen Außenbereich gemäß § 35 BauGB und wurde ebenso unstreitig 1969 als Austragshaus genehmigt. Mit dieser Genehmigung liegt ein zulässigerweise errichtetes Gebäude im Sinne von § 35 Abs. 4 Nr. 5 a BauGB vor, unabhängig davon, ob die seinerzeit erteilte Genehmigung möglicherweise rechtswidrig erteilt worden war, weil zu keinem Zeitpunkt die Privilegierungsvoraussetzungen für ein Austragshaus gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB vorgelegen haben mögen (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 35 RdNr. 147).
Die geplante Erweiterung auf eine Wohnfläche von insgesamt etwas mehr als 100 m² ist offensichtlich „angemessen“ für eine vierköpfige Familie im Sinne von § 35 Abs. 4 Nr. 5 b BauGB.
Unabhängig davon, dass davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger mit seiner Familie auch den erweiterten Teil selbst nutzt, gilt das Erfordernis der Selbstnutzung gemäß § 35 Abs. 4 Nr. 5 c BauGB nur dann, wenn im Rahmen der Erweiterung des Wohngebäudes eine weitere Wohnung eingerichtet werden soll, nicht dagegen wenn das Wohngebäude – wie hier – ohne Errichtung einer zweiten Wohnung erweitert wird (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, a.a.O., § 35 RdNr. 160).
Auch ist der Bestandsschutz des 1969 genehmigten Wohnhauses (auch ein Austragshaus ist ein Wohnhaus) nicht etwa dadurch erloschen, dass der Kläger das Wohngebäude seit 2002 nur unregelmäßig genutzt hat. Denn selbst ein über mehrere Jahre sich hinziehender schlichter Leerstand von Wohn- und Geschäftsgebäuden ist generell – ohne Hinzutreten besonderer Umstände wie beispielsweise Verfall des Gebäudes – kein Indiz für eine beabsichtigte Nutzungsaufgabe. Es entspricht vielmehr der Verkehrsauffassung, dass ein vernünftig wirtschaftender Grundeigentümer bzw. Gebäudeverwalter gegebenenfalls auch einen größeren Sanierungsaufwand betreiben wird, um die Gebäudesubstanz und ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit sicherzustellen (vgl. BayVGH, Urt. Vom 1.2.2007, BayVBl. 2008, 667 f.).
Die Klage hat daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO Erfolg.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird auf EUR 10.000,– festgesetzt (§ 52 Gerichtskostengesetz -GKG-).