Hessisches Landessozialgericht
Az.: L 9 AS 213/06 ER
Urteil vom 27.11.2006 rechtskräftig
Vorinstanz: Sozialgericht Gießen, Az.: S 28 AS 442/06 ER, Entscheidung vom 31.08.2006
Entscheidung:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 31. August 2006 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
Die am 7. September 2006 beim Sozialgericht Gießen eingegangene Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 14. September 2006), mit dem sinngemäßen Antrag, den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 31. August 2006 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern weitere Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 139,00 EUR für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis 31. Dezember 2006 zu gewähren, hat keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Das Sozialgericht hat daher den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
Die Antragsteller haben weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn dies zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruchs) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 S. 3 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Es fehlt bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein; d.h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert (ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats – vgl. Beschlüsse vom 22. September 2005 – L 9 AS 47/05 ER –, vom 7. Juni 2006 – L 9 AS 85/06 ER – und vom 30. August 2006 – L 9 AS 115/06 ER –; zuletzt Beschluss vom 23. November 2006 – L 9 AS 239/06 ER –; Conradis in LPK-SGB II, 1. Aufl. 2005, Anhang Verfahren Rdnr. 117). Eine solche Notlage ist bei einer Gefährdung der Existenz oder erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen zu bejahen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b Rdnr. 28). Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragsteller in eine derartige Notlage geraten könnten, falls ihnen die begehrte Hilfe nicht sofort gewährt wird. Den Antragstellern stehen Freibeträge vom Einkommen in Höhe von insgesamt 280,00 EUR monatlich zu. Selbst unter Berücksichtigung der vom Sozialgericht angeführten Tilgungsraten für eine Zahnersatzrechnung in Höhe von monatlich 79,00 EUR sind die Antragsteller in der Lage, die Zins- und Tilgungsraten für das Kfz-Darlehen in Höhe von 139,00 EUR monatlich zu bestreiten. Damit fehlt es schon an einer substantiierten Darlegung der Eilbedürftigkeit.
Die Antragsteller haben darüber hinaus auch einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Die Zins- und Tilgungsraten für das Kfz-Darlehen sind nicht einkommensmindernd zu berücksichtigen. Nach § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II sind die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben vom Einkommen abzusetzen. Für vom Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit abzusetzende Beträge legt die Arbeitslosengeld II/Sozialgeldverordnung (AlgIIVO) vom 20. Oktober 2004 (BGBl. I 2622) aufgrund der Ermächtigung des § 13 SGB II in § 3 Abs. 1 Nr. 3 AlgIIVO Pauschbeträge fest: monatlich 1/60 der steuerrechtlichen Werbungskostenpauschale (§ 9a Abs. 1 S. 1 Nr. 1a Einkommensteuergesetz – EStG –) als mit seiner Erzielung verbundene notwendige Ausgaben und zusätzlich für Wegstrecken zur Ausübung der Erwerbstätigkeit 0,20 EUR für jeden Entfernungskilometer der kürzesten Straßenverbindung. Diese Beträge ergeben sich aus der jährlichen Werbungskosten- und Entfernungspauschale des Einkommensteuerrechts bei einem Steuersatz von 20 % (Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Aufl. 2005, § 11 Rdnr. 68). § 3 Abs. 1 Nr. 3a AlgIIVO nimmt die steuerrechtliche Werbungskostenpauschale ausdrücklich in Bezug. Im Steuerrecht ist anerkannt, dass Kreditraten zur Finanzierung eines Kfz nicht berücksichtigungsfähig sind (BFH, Urteile vom 30. November 1979 – Vi R 83/77 und VI R 128/78 – HFR 1980, 186; BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1980 – 1 BvR 360/80 – StRK EStG 1975 § 9 I Nr. 4 R 4), so dass diese Ausgaben, soweit sie die Pauschale übersteigen, grundsätzlich nicht geltend gemacht werden können. § 3 Abs. 1 Nr. 3 AlgIIVO eröffnet nur den Nachweis höherer Ausgaben, die als Werbungskosten anerkannt werden können.
Eine Absetzbarkeit der Finanzierungskosten kommt auch dann nicht in Betracht, wenn eine Ablösung des Kfz-Darlehens gegenüber der Bank, der das Kfz sicherungsübereignet ist, einen höheren Betrag erfordert als der Restwert des Kfz beträgt (vgl. Beschluss des Senats vom 12. Juli 2006 – L 9 AS 69/06 ER – juris). Der Senat ist in der genannten Entscheidung im Grundsatz davon ausgegangen, dass Tilgungsleistungen für Schulden nicht absetzbar sind (vgl. LSG Sachsen, Beschluss vom 14. April 2005 – L 3b 30/05 AS/ER – m.w.N.). Es waren allerdings die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen. Der Antragsteller hatte das Kfz-Darlehen bereits vor Beginn seiner Hilfebedürftigkeit aufgenommen. Außerdem wandte er sich bei dem Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – gegen einen Pfändungsbeschluss mit dem Ziel der Erhöhung des unpfändbaren Betrages nach § 850f Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) zu seinen Gunsten. Im vorliegenden Fall wurde das Kfz-Darlehen dagegen nach Beginn der Hilfebedürftigkeit aufgenommen. Die Absetzbarkeit von Zins- und Tilgungsbeträgen für Darlehen, die nach Beginn der Hilfebedürftigkeit aufgenommen wurden, scheidet jedenfalls dann von vornherein aus, wenn – wie hier – Zins- und Tilgungsraten aus den Freibeträgen für Erwerbstätigkeit bestritten werden können.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).