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Diebstähle, Sachbeschädigungen, Hausfriedensbruch – rechtfertigen keine Videokamerainstallation

AG München – Az.: 419 C 13845/21 – Urteil vom 20.01.2022

1. Die Beklagten werden verurteilt, die im Hausflur des Hauseingangs angebrachte Überwachungskamera, sowie die im Erdgeschoss im Bereich der Briefkastenanlage angebrachte Überwachungskamera sowie die im Flur des Untergeschosses angebrachte Überwachungskamera, sowie die im Müllraum angebrachte Überwachungskamera des Anwesens … zu entfernen.

2. Die Beklagten werden verurteilt, es zu unterlassen, zukünftig Überwachungskameras in dem Anwesen … errichten.

3. Den Beklagten wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen 2. ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000,00 Euro oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten gegen sie festgesetzt wird.

4. die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 8.000,00 Euro festgesetzt.

Zusammenfassung

Diebstähle, Sachbeschädigungen, Hausfriedensbruch – rechtfertigen keine Videokamerainstallation
(Symbolfoto: Dmitry Kalinovsky/Shutterstock.com)

Die Klägerin mietete 1993 eine Wohnung in einem Gebäude, das der Rechtsvorgängerin der Beklagten gehörte. Die Beklagten wurden im Jahr 2003 die neuen Eigentümer und Vermieter. Im April 2021 installierten die Beklagten mehrere Überwachungskameras in den Gemeinschaftsbereichen des Gebäudes, einschließlich des Eingangs, der Briefkästen, des Kellers und des Müllraums, obwohl sie von der Klägerin und der Mietervereinigung aufgefordert wurden, diese zu entfernen. Die Klägerin macht geltend, dass die Kameras ihr Recht auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung verletzen und dass die ständige Überwachung sie und andere Mieter daran hindert, sich frei zu bewegen, ohne überwacht zu werden. Die Beklagten argumentieren, dass die Kameras installiert wurden, um laufende Sicherheitsprobleme in dem Gebäude wie Diebstahl, Vandalismus und illegale Müllablagerungen zu lösen. Sie behaupten, dass die Kameras nur Bilder von den Beinen von Personen aufzeichnen und dass sie notwendig sind, um die Sicherheit in dem Gebäude zu gewährleisten. Das Gericht muss entscheiden, ob die Beklagten das Recht haben, die Kameras zu installieren und zu warten, oder ob sie sie entfernen müssen, um die Privatsphäre und die Bewegungsfreiheit der Mieter zu schützen.

Die Klägerin fordert die Entfernung der Kameras und ein Verbot für die Beklagten, zukünftig Überwachungskameras in dem Anwesen zu installieren. Die Beklagten argumentieren, dass die Kameras notwendig sind, um die Sicherheit der Bewohner zu gewährleisten. Die Datenschutzaufsichtsbehörde hat die Kameras überprüft und bestätigt, dass sie rechtmäßig installiert wurden. Die Filme werden nur kurzfristig gespeichert, es erfolgt keine Audioaufnahme, und es sind hinreichende Hinweisschilder angebracht. Das Gericht muss nun eine Interessenabwägung vornehmen und entscheiden, ob das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Privatsphäre der Mieter oder das Interesse an der Sicherheit und Vermeidung von Straftaten überwiegt. […]

Tatbestand:

Mit Mietvertrag vom 01.03.1993 (Anlage K1) mietete die Klägerin eine Wohnung in dem Anwesen … von der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Diese sind 2003 als neue Eigentümer und Vermieter in das Mietverhältnis nach § 566 BGB eingetreten.

Im April 2021 brachten die Beklagten mehrere Überwachungskameras in dem streitgegenständlichen Anwesen an. Eine Kamera wurde im Hausflur, welche auf den Hauseingang gerichtet ist, instaliert, eine im Erdgeschoss, welche auf die Briefkastenanlage gerichtet ist, eine im Flur im UG, welche auf die Türen zu den Kellerräumen und zur Waschküche gerichtet ist, und zudem ein im Müllraum, welche auf die Mülltonnen und die dahinterliegende Tür nach draußen gerichtet ist (Anlage K2).

Das streitgegenständliche Anwesen hat ca. 70 Mietparteien.

Am Eingang des streitgegenständlichen Anwesens ist ein Hinweis angebracht, wonach das Objekt durch Videokamera überwacht wird. Am Aushang des Anwesens ist ein Informationsblatt angebracht, datiert auf den 26.01.2021, indem zum Grund der Videoüberwachung sowie zur Speicherung der Filme für einen Zeitraum von maximal 72 Stunden ausgeführt wird und weitere Hinweise zum Datenschutz erfolgen.

Mit Schreiben des Mietvereins München vom 08.04.2021 wurden die Beklagten klägerseits aufgefordert, diese Kameras bis zum 30.04.2021 zu entfernen, da sie einen unzulässigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellten (Anlage K3). Zudem wurden die Beklagten mit einem weiteren Schreiben des Mietervereins vom 01.06.2021 zur Beseitigung aufgefordert (Anlage K3).

Entgegen dieser Aufforderung entfernten die Beklagten die Kameras nicht.

Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, sie habe einen Anspruch auf Entfernung der installierten Kameras gemäß §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB, da sie durch die Anbringung der Kameras in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt sei. Die Videoüberwachung greife in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Die Kameras erfassten die Zugänge zum Hauseingang, der Briefkastenanlage, der Kellerräume, der Waschräume und des Müllraums. Den Vermieter gehe es nichts an, wann die Klägerin das Haus verlasse und welchen Besuch sie empfange. Der Vermieter dürfe den Hof auch nicht zum Zwecke der Überprüfung von Mülltrennung durch die Mieter überwachen. Auch Diebstähle, Beschädigungen an den Briefkästen, der Fassade oder der Hauseingangstür sowie das Abstellen von Sperrmüll rechtfertigten keine ständig Videoüberwachung wie die streitgegenständliche eine sei (LG Berlin Urteil vom 28. Oktober 2015, 67 S 82/15).

Die ständige Videoüberwachung von Gemeinschaftsflächen einer Wohnanlage beeinträchtige regelmäßig die Nutzungsmöglichkeit der Mieter in einer nicht hinzunehmenden Weise, da die Mieter im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen einen Anspruch darauf hätten, dass sie sich im Umfeld der Wohnanlage unbeschwert bewegen können, ohne einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt zu sein. Dies gelte im Übrigen nicht nur für die Bewohner des Hauses selbst, sondern auch für deren Besucher, Mitarbeiter und Dienstleister.

Etwaige Einwände der Datenschutzaufsichtsbehörde seien für die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin ohne Belang, genauso wenig wie etwaige Beschwerden anderer Mieter. Ebenso wenig könnten andere Mieter in Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin einwilligen. Zumal nicht alle Mieter mit der Installation der Kameras einverstanden seien. Auch das Anbringen eines Hinweisschildes am Eingang reiche unter keinen Umständen aus, um den schwerwiegenden unzulässigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht zu rechtfertigen. Dies gilt umso mehr, da vorliegend sämtliche Eingangs- und Ausgangsbereiche überwacht und aufgezeichnet werden würden, sodass kein Mieter mehr das Gebäude betreten oder verlassen könne, ohne durch den Aufnahmebereich einer Überwachungskamera gehen zu müssen.

Es seien auch Eingriffe von geringerem Gewicht möglich, um den beklagtenseits vorgetragenen Missständen zu begegnen, wie beispielsweise spezielle Schlüssel für die Müllräume, einen Hausmeister der öfters Kontrollgänge mache oder die Anschaffung von mehr Mülltonnen.

Ob die Klägerin mit dem Beklagten zu 1 Streit habe, sei vollkommen sachfremd und führe nicht zu einer anderen Bewertung. Die Klägerin habe eine Abmahnung erhalten, weil ihr ein vertragswidriges Verhalten vorgeworfen worden sei. Sie habe die Eingangstür einen Spalt offen stehen gelassen zum Durchlüften. Hierbei sei sie gefilmt worden. In der Abmahnung sei ihr mitgeteilt worden, dass sie aufgrund der Videoüberwachung erkannt worden sei, daher werde bestritten, dass die Kameras nur ab den Beinen abwärts auszeichnen würden. Dieses Beispiel zeige, dass die Videoaufnahme dazu diene, die Mieter konkret zu überwachen. In der Stellungnahme der Datenschutzbehörde sei zudem explizit erwähnt, dass auch ein Teil der öffentlichen Straße beobachtet werde.

Zudem habe die Klägerin einen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagten auf die zukünftige Errichtung von Kameras im Bereich des Grundstücks gemäß § § 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB. Es bestehe eine Wiederholungsgefahr bzw. Gefahr der Fortsetzung der Schädigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die Beklagten hätten sich bisher vehement geweigert, die Kameras zu entfernen und anzugeben, welche Daten bisher aufgenommen worden seien.

Die Klägerin beantragt

1. die Beklagten werden verurteilt, die im Hausflur des Hauseingangs angebrachte Überwachungskamera, sowie die im Erdgeschoss im Bereich der Briefkostenanlage angebrachte Überwachungskamera sowie die im Flur des Untergeschosses angebrachte Überwachungskamera, sowie die im Müllaum angebrachte Überwachungskamera des … zu entfernen.

2. Die Beklagten werden verurteilt, es zu unterlassen, zukünftig Überwachungskameras in dem Anwesen … zu errichten.

3. Den Beklagten wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen 2. ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000,00 Euro oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten gegen sie festgesetzt wird.

4. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Die Beklagten beantragen, kostenpflichtige Klageabweisung.

Die Beklagten tragen im Wesentlichen vor, der Klägerin stünden die geltend gemachten Beseitigungs -und Ünterlassungsansprüche nicht zu. Die Installation der Kameras sei zu Recht erfolgt.

Zu berücksichtigen sei, dass sämtliche Kameras von der zuständigen Datenschutzaufsichtsbehörde der Landeshauptstadt München überprüft worden seien. Aufgrund des Nachweises über das angebrachte Hinweisschild an der Eingangstür sowie dem Hinweis am Aushang, der Justierung der Kameras und des Abstellens der Tonfunktion habe seitens der Datenschutzaufsicht Behörde kein weiterer Handlungsbedarf bestanden (Bestätigung vom 03.08.2021, Anlage zu Blatt 10/12).

Hintergrund der Anbringung der Kameras sei es, dass durch den Hauseingangsbereich regelmäßig unberechtigte Fremde reingegangen seien, im Briefkastenbereich Abfall hinterlassen und Post sowie Pakete entwendet worden seien. Im Kellervorraum sei Sperrmüll und sonstiger Unrat abgestellt worden, im Müllraum sei ebenfalls unberechtigt Sperrmüll und von unberechtigten Dritten sonstiger Unrat hinterlassen worden, sowie Müll außerhalb der Müllbehälter abgestellt worden sein. Es sei daher schon zu Ungezieferbefall und Geruchsbelästigungen im ganzen Anwesen gekommen. In der Waschküche seien die Geldbehältnisse für Waschmaschinen aufgebrochen worden. Insoweit habe es auch diverse Beschwerden der Mieter wegen dieser Beeinträchtigungen und Missstände gegeben. Es handelt sich nicht um eine „totale Videoüberwachung“, sondern um die gezielte Sicherung von Bereichen, in denen in der Vergangenheit wiederholt zulasten aller Mieter rechtswidrige Handlungen durchgeführt worden seien. Es entspreche dem Sicherheitsbedürfnis der Bewohner des Anwesens diesen gravierenden Missständen und Beeinträchtigungen durch die Installation der streitgegenständlichen Kameras entgegenzutreten.

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Nach der Installation der Kameras seien diese Missstände und Beeinträchtigungen in allen Bereichen deutlich reduziert worden. Am 24.11.2021 um 13:24 Uhr sei ein Paket, das von dem Postzustellungsdienst unter den Briefkästen für einen Mieter hinterlegt worden sei, von Unberechtigten geöffnet, sein Inhalt entwendet und das leere Paket im Eingangsbereich zurückgelassen worden. Dieser Diebstahl habe durch die hier streitgegenständliche Kamera aufgezeichnet werden können und die Täter seien so überführt worden.

Die Mieter des Anwesens seien mit Ausnahme der Klägerin uneingeschränkt mit der Installation der streitgegenständlichen Sicherheitskameras einverstanden (20 Einverständniserklärungen von Mietern Anlage zu Blatt 10/12; 7 Einverständniserklärungen von Mietern Anlage zu Blatt 25, 10 Einverständniserklärungen von Mietern Anlage zu Blatt 39/40).

Hierbei handele die Klägerin, bei der es sich um die Schwester des Beklagten zu 1 handele, aus persönlichen sachfremden Gründen. Sie befinde sich mit dem Beklagten zu 1 im Streit, das Verhältnis sei zerrüttet. Durch die Kameras habe sie keinerlei Nachteile, sondern nur die beschriebenen Vorteile. Ihre Behauptungen seien unberechtigt und rechtsmissbräuchlich.

Die vorzunehmende Interessensabwägung falle vorliegend eindeutig zugunsten der Installation der Kameras aus. Die Filme würden nur kurzfristig gespeichert werden, es erfolge keine Audioaufnahme, hinreichende Hinweisschilder seien angebracht und gerade im Eingangsbereich seien von den Personen lediglich die Beine abwärts zu erkennen. Durch die Installation der Kameras werde das Sicherheitsbedürfnis der Mieter befriedigt, aktuelle Straftaten könnten aufgedeckt und künftige Straftaten verhindert werden. Im Ergebnis trete das nur vorgeschobene Argument der Persönlichkeitsrechtsverletzung der Klägerin hinter dem Interesse der Beklagten und der anderen Bewohner des Anwesens an der Vermeidung von Sachbeschädigungen Diebstahl, Hausfriedensbruch, Ungezieferbefall, Vermüllung und Geruchsbelästigungen zurück.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 313 Abs. 2 ZPO auf das schriftliche Parteivorbringen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 9.12.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Rechtsstreit ist zur Entscheidung reif. Eine Beweisaufnahme war nicht erforderlich. Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 17.01.2022 ging erst nach Ende der mündlichen Verhandlung bei Gericht ein und war daher nicht zu berücksichtigen.

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.

A.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Amtsgericht München sachlich und örtlich zuständig, weil die Streitigkeit einem Mietverhältnis über eine in München gelegene Wohnung entspringt, §§ 29 a Abs. 1 ZPO, 23 Nr. 2a GVG.

Überdies besteht für die Klägerin ein Rechtsschutzinteresse auf Unterlassung und Beseitigung. Die Beklagten sind vorprozessualen Aufforderungen die streitgegenständlichen Kameras zu entfernen nicht nachgekommen, weshalb kein einfacherer Weg für die Klägerin zur Verfügung stand, als diesbezüglich den Rechtsweg einzuschlagen.

B.

Die Klage ist zudem begründet.

I.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Beseitigung der im Hausflur des Hauseingangs angebrachten Überwachungskamera, der im Erdgeschoss im Bereich der Briefkastenanlage angebrachte Überwachungskamera, der im Flur des Untergeschosses angebrachte Überwachungskamera, sowie der im Müllraum angebrachten Überwachungskamera im Anwesens R.str. 12, 8… M., sowie auf Unterlassung der Wiederanbringung nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.

Die Installation der Kameras sowie die Speicherung der Aufzeichnungen stellen eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 1, 2 GG dar und sind nicht durch überwiegende schutzbedürftige Belange der Beklagten oder Dritter gerechtfertigt.

1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart und persönliche Daten preisgegeben und verwendet werden (BVerfGE 65, 1 = NJW 1984, 419; BVerfGE 67, 100; BVerfG, NVwZ 2007, 688 = NJW 2007, 2320; NJW 2009, 3293; NJW 2010, 1533; BGH, NJW 2010, 1533, 1534).

Eine Videoüberwachung greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung ein (BGH, NJW 2010, 1533, 1534).

Die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit wird gefährdet, wenn jederzeit mit der Beobachtung durch Personen gerechnet werden muss, die man selbst nicht sehen kann, oder wenn die reproduzierbare Aufzeichnung des eigenen Verhaltens droht, denn durch eine Videoaufzeichnung können Lebensvorgänge technisch fixiert und in der Folge abgerufen, aufbereitet und gegebenenfalls ausgewertet werden. Hierdurch können eine Vielzahl von Informationen über die Betroffenen, ihre Familienmitglieder, Freunde und Besucher gewonnen werden (BVerfG, NVwZ 2007, 688 ff.; LG Essen, Urt. v. 30.01.2019, 12 O 62/18; AG Köln Urt. v. 22.9.2021 – 210 C 24/21, GRUR-RS 2021, 34445).

Vorliegend zeichnen die Kameras unstreitig die Aufnahmen jedenfalls für einen Zeitraum von 72 Stunden auf.

Die Kameras sind in Bereichen installiert, in denen sich die Klägerin und auch ihr Besuch potentiell aufhalten kann, da es sich um Gemeinschaftsbereiche des Hauses handelt. Hierdurch greifen die Beklagten in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin ein, da es ihr nicht mehr möglich ist, unbeobachtet die Wohnung bzw. das Haus zu verlassen, zu begehen, Besuch zu empfangen oder Müll zu entsorgen, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt aber eben gerade das Recht des Einzelnen selber darüber zu bestimmen, ob eine 3. Person Kenntnis davon erhält, wann und wo man sich aufgehalten hat. Die Installationen dieser Kameras und ihre Aufzeichnungen ermöglichen es Dritten damit ein Bewegungsprofil der Klägerin zu erstellen.

Ob die Kameras hierbei so eingestellt sind, dass sie lediglich den Bereich von den Beinen abwärts aufzeichnen, spielt insofern keine Rolle, als dass die Identifizierung der aufgezeichneten Personen unstreitig dennoch möglich ist. So gibt die Beklagtenseite selbst an, aufgrund der Installation der Kameras bereits den Täter eines Diebstahls überführt zu haben, und bestreitet die klägerische Behauptung nicht, bei einem vertragswidrigen Verhalten gefilmt und identifiziert worden zu sein.

Von dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches das Recht des Einzelnen schützt selbst darüber zu bestimmen welche persönlichen Daten andere Personen zur Kenntnis gebracht werden, umfasst auch das Recht darüber zu bestimmen ob eine 3. Person Kenntnis davon erhält wann wie oft man Müll raus bringt.

In die Freiheit der Klägerin die eigene Wohnung und das Haus zu verlassen und zu betreten, ohne dass die Beklagten dies jederzeit überwachen und die Anwesenheit oder Abwesenheit der Klägerin feststellen zu können sowie ob sie Besuch hat oder nicht, vom wem sie Besuch hat, wann und wie oft sie zum Briefkasten oder zu den Mülltonnen geht wird mithin durch die Installation der Kameras und die Aufzeichnung der Überwachungsbilder durch die Beklagten eingegriffen.

2. Eine Rechtfertigung für diesen Eingriff liegt nicht vor. Den Beklagten als Vermieter steht grundsätzlich kein Recht zu, dauerhaft überprüfen zu können welche Personen wann oder wie oft bei den Mietern zu Besuch sind, wann oder wie oft die Mieter das Haus verlassen oder betreten, wann oder wie oft die Mieter ihre Briefkästen lehren und wann oder wie oft die Mieter ihren Müll leeren.

Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht kann allenfalls gerechtfertigt sein, wenn die Überwachung zur Abwehr von schwerwiegenden Beeinträchtigungen erforderlich und eine drohende Rechtsverletzung nicht anderweitig zu verhindern ist (BGH, NJW 1995, 19 155; OLG Karlsruhe, WuM 2000, 128; LG Berlin, Urteil vom 31.10.2000-65 S 279/00 Schmidt-Futterer, §§ 535, 536 BGB). Derartig schwerwiegende Beeinträchtigungen der Rechte der Beklagten stellen Angriffe auf ihre Person oder ihre unmittelbare Wohnsphäre dar, denen nicht in anderer Weise zumutbar begegnet werden könnte (BGH Urteil vom 25.04.1995-AVI ZR 272/94 = NJW 1995, 19155).

Diesbezüglich tragen die Beklagten vor, dass die Installation der Kameras zur Abwehr schwerwiegender Beeinträchtigungen wie Sachbeschädigungen, Diebstahl, Hausfriedensbruch, Ungezieferbefall, Vermüllung und Geruchsbelästigungen erforderlich sei und die geschehenen und drohenden Rechtsverletzungen auf andere Weise nicht zu verhindern seien.

Eine wie von der Rechtsprechung verlangte schwerwiegende Beeinträchtigung ist zwar nicht schon dann anzunehmen, wenn es bei der Mülltrennung bzw. Müllentsorgung durch die Mieter zu Verstößen gegen die Hausordnung kommt, ebenso wenig wie durch Geruchsbelästigungen oder den behaupteten Ungezieferbefall in den Müllräumen. Allerdings werden von den Beklagten als Beeinträchtigung ihrer Rechte auch Diebstähle, Sachbeschädigungen und Hausfriedensbruch genannt, womit auf Seiten der Beklagten vorliegend eigene Interessen sowie die Interessen Dritter, der anderen Mieter, betroffen sind, die durchaus gewichtig sind. Zumal diese zuletzt genannten Beeinträchtigungen allesamt Straftatbestände darstellten.

Aber auch wenn sich das verfassungsgemäß garantierte Recht der Beklagten, geeignete Schutzmaßnahmen für ihr Eigentum zu ergreifen, um dem Sicherheitsbedürfnis der Mieter gerecht zu werden, nach Auffassung des Gerichts als durchaus gewichtig darstellt, darf nicht in unverhältnismäßiger Weise in derartig hochrangige Rechtsgüter der Klägerin und unbeteiligter Dritter eingegriffen werden.

Die erforderliche umfassende Güter- und Interessenabwägung unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls (BGH, NJW 2010, 1533) ergibt vorliegen, dass dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin hier der Vorrang einzuräumen ist und die Beklagten keine Rechtfertigung für die hier streitgegenständliche Videoüberwachung haben.

Zu beachten ist vorliegend, dass durch die Installation der Kameras, nicht nur das Persönlichkeitsrecht der Klägerin, sondern auch das unbeteiligter Dritter wie Besucher des Hauses, Dienstleister und Angestellter betroffen ist. Auch diese Personen müssen jederzeit damit rechnen, beim Betreten und Verlassen des Hauses gefilmt zu werden.

Auch die Befürchtung der Klägerin, dass Aufzeichnungen einen Missbrauch nicht ausschließen und auch für andere Zwecke benutzt werden können, kann vorliegend nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Die Klägerin hat überdies auch kein Kontrollinstrument zur Verfügung, anhand dessen sie die Speicherlänge oder Verwendung der aufgezeichneten Bilder ihrer Person kontrollieren könnte. Allein die Befürchtung, dass durch die Aufzeichnungen Missbrauch betrieben werden könnte, intensiviert den vorliegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Klägerin noch dazu.

Insbesondere liegt eine Einwilligung der Klägerin nicht vor. Das fehlende Einverständnis der Klägerin als betroffener Mieterin kann selbstverständlich auch nicht durch die vorgelegten zahlreichen Einverständnisse der übrigen Mieter ersetzt werden.

Damit die Abwägung zu Gunsten des Nutzers der Kamera ausfallen kann, muss die Überwachung nach ständiger Rechtsprechung zum einen Angriffe auf ihre Person oder ihre unmittelbare Wohnsphäre abwehren, denen sie zum anderen nicht in anderer Weise zumutbar begegnen können (BGH Urteil vom 25.04.1995-AVI ZR 272/94 = NJW 1995, 19 155).

Derartige Angriffe auf die Person der Beklagten oder ihre unmittelbare Wohnsphäre sind bereits gar nicht streitgegenständlich. Zum anderen ist es zur Überzeugung des Gerichts den Beklagten durchaus zumutbar ihr Eigentum auf andere weniger eingreifende Weise zu schützen als durch die die Überwachung der streitgegenständlichen Videokameras.

Eine mögliche größere Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Mieter im Falle der Anschaffung zusätzliche Mülltonnen stellen beispielsweise einen Eingriff geringeren Gewichts dar. Auch die damit verbundene etwaige Erhöhung der umlegbaren Betriebskosten auf die Mieter stellen einen solchen geringeren Eingriff dar und zwar unabhängig davon, ob die Klägerin hiervon unmittelbar tangiert ist oder nicht.

Auch etwaige Kontrollgänge des Hausmeisters wie beispielsweise dessen tägliche Anwesenheit, stellen einen geeigneten, geringeren Eingriff dar. Denn bereits das Wissen, dass der Hausmeister zur Kontrolle der beschriebenen Missstände häufiger, täglich, anwesend ist, hätte eine abschreckende Wirkung. Die insoweit anfallenden erhöhten Hausmeisterkosten, die auf die Mieter umgelegt werden müssten, stellen ebenfalls einen geringeren Eingriff als die Überwachung der Mieter und deren Besucher, Dienstleister und Angestellter mittels Video Kameras dar.

II.

Unterlassung

Ferner besteht eine Wiederholungsgefahr. Erforderlich für die Annahme einer Wiederholungsgefahr ist die ernstliche, auf Tatsachen gründende Besorgnis, dass in Zukunft gegen die bestehende Unterlassungspflicht verstoßen wird, wobei bereits der Erfolg der Eingriff die Wiederholungsgefahr indiziert (Palandt, vor § 823, Rn. 20).

Vorliegend indiziert die Verletzungshandlung sowie der Umstand, dass die Beklagten auch weitere Kameras angebracht haben mithin die Wiederholungsgefahr. Diese Vermutung wurde von den Beklagten auch nicht widerlegt.

Die Klägerin kann daher von den Beklagten neben der Beseitigung der Beeinträchtigung auch die Unterlassung weiterer Beeinträchtigungen durch Installationen von Kameras verlangen gemäß § 1004 Abs. 1 BGB analog.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 ZPO. Die Androhung von Ordnungsmitteln folgt aus § 890 Abs. 2 ZPO.

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